(39) Die Erhaltung des Eigentums

2. Dimensionen des Geldes: Gleichsetzung von Waren

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Zwei Wertdinge oder Waren sind verschieden und doch das Gleiche. Daher können Waren, daher kann die gewöhnliche Ware mit der Geldware äquivalent getauscht werden. Wir prüfen jetzt, ob Marx recht hat, wenn er dies für verrückt hält. Wir werden sehen, er hat nicht an und für sich recht, sondern nur für Waren und Geld im Kapitalismus. Wenn ich das sage, habe ich ihm einerseits kaum widersprochen. Denn seine Erörterung unterstellt den Kapitalismus von vornherein. Dies wird auch an den Begriffen deutlich, mit denen er operiert, auch wenn seine Darstellungsweise nicht gerade leserfreundlich ist. Es ist nämlich mit viel Mühe nachvollziehbar, dass es den als Wert d i n g  bestimmten Wert in der Tat nur im Kapitalismus geben kann, während der Wert im vorkapitalistischen Tausch nur als  E i g e n s c h a f t  der Tauschbarkeit existierte. Dies sahen wir in der vorigen Notiz. Aber andererseits liest Marx die Verrücktheit des spezifisch kapitalistischen Wertdings nicht da heraus, wo sie ist, sondern woanders. Das ist es, was ich hier und in den folgenden Notizen zeigen will.

Ich gehe dabei von dem Satz aus, den ich gleichsam axiomatisch unterstellt habe: Dimensionen von „Gesellschaftlichkeit“ sind Arbeit, Sprache und Herrschaft, und sie lassen sich nicht aufeinander reduzieren. Wenn wir daher auf zwei Wertdinge stoßen, die als verschiedene das Gleiche sind, genügt es nicht, diesen Umstand als Gleichsetzung zweier Arbeitsprodukte abzubilden. Wenn wir weiter nichts tun, sieht er allerdings verrückt aus, weil die Verschiedenheit der Produkte, zum Beispiel Eisen und Weizen in der Wertgleichung „1 Quarter Weizen = a Ztr. Eisen“ (MEW 23, S. 51), sich in keiner Weise als Ausdruck dessen, dass sie eigentlich das Gleiche seien, auffassen lässt. Eisen und Weizen sind nicht das Gleiche. Sie mögen zwar, so haben wir mit Marx präzisiert, gemeinsame Merkmale haben, doch keineswegs können sie sich als Ganze gemeinsam haben. Man kann schlichtweg nicht sagen, Eisen sei das Gemeinsame von Eisen und Weizen, oder Weizen sei es. Man kann auch nicht sagen,  G e l d  sei das gemeinsame Merkmal von Geld, Eisen und Weizen. Da die Gleichsetzungsfähigkeit nicht vom Weizenmähen oder Eisenhärten oder schließlich vom Goldsieben herrühren kann, scheint sie dann nur noch, und das eben wäre verrückt, als okkulte Eigenschaft des Wertdings und einer es erzeugenden „abstrakten Arbeit“ gelesen werden zu können. Wir wollen nun aber das Sprachliche in Anschlag bringen.

Die Sprache hat gar kein Problem damit, zwei verschiedene Dinge, wohlgemerkt Sprachdinge, also Formulierungen, so gleichzusetzen, dass nicht nur Teilaspekte, sondern die Ganzheiten übereinstimmen – dass ihr Ganzes, obwohl verschieden, ihr gemeinsames Merkmal ist. Eisen ist nicht das Gemeinsame von Eisen und Weizen. Aber „Kamel“ ist das Gemeinsame von „Kamel“ und „Schiff der Wüste“. Das Schiff der Wüste ist ganz und gar Kamel, und das Kamel ist ganz und gar Schiff der Wüste. Wenn wir sie nämlich als sprachliche Ausdrücke auffassen: das Schiff der Wüste als Metapher, das Kamel als verbum proprium.

Sie sind ja ansonsten auch Dinge, physische Dinge; als diese haben sie sich so wenig gemeinsam wie Eisen und Weizen. In der Tat kommt das Schiff der Wüste auch als physisches Ding vor. Als der assyrische Herrscher Sanherib Babylonien angriff, ließ er Schiffe bauen: Sie „fuhren tigrisabwärts bis nach Opis und wurden dann auf Rollen zum Euphrat hinüberbefördert. Dort wurden sie wieder zu Wasser gelassen.“ (Fischer Weltgeschichte Bd. 4, Frankfurt/M. 1967, S. 72 f.) Diese Schiffe sind ganz offensichtlich keine Kamele. Wer dergleichen behaupten wollte, wäre in der Tat verrückt. Aber wenn Sanherib gesagt haben sollte, „seht, das sind unsere Kamele“, und es metaphorisch gemeint hätte, hätte er vernünftig gesprochen.

Nun können Eisen und Weizen kaum als Metaphern füreinander eingesetzt werden. Ganz unmöglich ist es nicht, denn im Grunde kann alles für alles als Metapher einstehen (vgl. Jacques Lacan, Schriften II, Olten 1975, S. 31 f.). Wir wissen indessen längst, dass sie als Seiten einer  G l e i c h u n g  figurieren, und brauchen daher den Formulierungs-Tausch qua Metapher, der nur unser erstes Beispiel war, nicht überzustrapazieren. Übrigens ist selbst er nicht ohne ökonomisches Interesse. Wenn Dinge in vorkapitalistischen Gesellschaften getauscht wurden, konnte durchaus wechselseitige Metaphorisierung zugrunde liegen, die Marx nicht erfasst, wenn er nur sagt, damals habe man nicht nach Maßgabe der Arbeitszeit und daher „zufällig“ getauscht. Der Frauentausch zwischen exogamen Gesellschaften zum Beispiel, den Claude Lévi-Strauss für das Urbild von allem hält, was später ökonomischer Tausch hieß, war ganz gewiss kein „zufälliger“ Vorgang. Frauen und Männer metaphorisierten füreinander Leben und Tod.

Doch wir wollen dies beiseite lassen. Es geht jetzt um den Kapitalismus, in dem nicht metaphorisch, sondern nach  G l e i c h u n g e n  getauscht wird. Gleichungen sind jedenfalls wie Metaphern sprachliche Ausdrücke. In der Natur sind nicht einmal zwei Blätter gleich, wie gerade Leibniz unterstrich, der einer der Väter der Gleichungsmathematik war. Dass aber zwei Sprach-Ausdrücke, mögen sie Natürliches oder Gesellschaftliches bezeichnen, in derselben Gleichung stehen, ist trotz ihrer Verschiedenheit nicht verwunderlicher, als dass Kamele Schiffe der Wüste sind.

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Ich könnte nun gleich mit der Frage fortfahren, was es eigentlich bedeutet, dass getauschte Dinge  i n  G l e i c h u n g e n  ihren Stellenwert haben, statt etwa, was auch möglich wäre und war, einander zu metaphorisieren. Eben das ist ja auch Marx‘ erste Frage: „Was besagt diese Gleichung?“, die ihm freilich nicht als Frage nach einer besonderen Sprech- und damit Denkform bewußt wird, sondern nur als Frage, was  d i e  D i n g e  gemein haben, die in der Form der Gleichsetzung getauscht werden. Doch eine andere Frage ist vordringlich, damit wir uns erinnern, von welcher Sache wir überhaupt reden, und nicht den Fehler machen, die Sache vom Schwanz ihrer abstrakten Form her aufzuzäumen. Von „zwei Sprach-Ausdrücken“, die „in derselben Gleichung stehen“, „mögen sie Natürliches oder Gesellschaftliches bezeichnen“, habe ich gesprochen.  W e l c h e s  Gesellschaftliche  b e z e i c h n e n  denn diese Ausdrücke, ist die erste Frage, die wir uns stellen müssen.

Derselbe Leibniz, dessen Satz, dass nicht zwei Blätter gleich sind, ich eben zitiert habe, hat auch das Gesetz der identitas indiscernibilium, der „Einerleiheit des Nichtzuunterscheidenden“, aufgestellt. Er besagt, dass Einheiten, die Stück für Stück als das Gleiche sich erweisen, auch sogar hinsichtlich ihrer räumlichen und zeitlichen Aspekte, ein und dieselbe Einheit sind. Wenn man fragt, was denn der Gegenstand eines solchen Gesetzes sein kann, wenn es doch, wie Leibniz sagt, keine zwei gleichen Sachen gibt, so bleibt er die Antwort nicht schuldig: Der Satz handelt gar nicht von Sachen; er ist ein Mittel der Beweistechnik und soll nur zu erkennen erlauben, dass zwei  F o r m u l i e r u n g e n  die gleiche, damit aber  d i e s e l b e  Sache meinen. Offensichtlich geht es um Gleichungsmathematik, mathematische Beweisketten. Indem der Satz aussagt, dass die gleichsetzbaren Formulierungen  d a s  S e l b e  bezeichnen, hat er auch eine ontologische Dimension. Man darf ihn aber nicht so verstehen, als gäbe es eine raffinierte Methode, mit deren Hilfe erwiesen werden kann, dass zwei verschiedene Dingen eigentlich nur ein Ding seien. Gesagt wird nur: Das eine Ding hört dadurch, dass man zwei verschiedene, aber gleichwertige Formulierungen für es gebraucht, nicht auf, dies Ding und kein anderes zu sein.

Mit der Einsicht, wenn es denn eine ist, lässt sich nicht nur Physik treiben, sondern auch ein Gesellschaftliches bezeichnen: die Erhaltung des Eigentums, um welche sich alle bürgerliche Ökonomie dreht. Wir handeln von Dingen, die in der Form der Gleichsetzung getauscht werden. Warum geschieht das denn eigentlich? Wenn wir sofort vom spezifisch kapitalistischen Tausch reden, können wir antworten „wegen des Gewinns, um also  m e h r  z u  b e k o m m e n , als man weggegeben hat“: G-W-G‘. Hierin ist aber die Dimension G-W-G enthalten, das heißt bevor man mehr bekommt, muss mindestens sichergestellt sein, dass man das Gleiche  w i e d e r b e k o m m t , statt beim Tausch etwas verloren geben zu müssen. Wenn wir uns in einer Gesellschaft befinden, in der aus irgendeinem sei’s vernünftigen, sei’s unvernünftigen Grund getauscht wird und man daran teilnehmen muss, egal ob man den Grund begreift oder nicht, dann lautet das erste Gebot für den Einzelnen: Tausche mehr ein, wenn du kannst, aber  a u f  k e i n e n  F a l l  w e n i g e r . Das ist die Erhaltung des Eigentums. Man tauscht immer auch, um sein Eigentum zu bewahren statt zu verlieren.

Wie die Eigentums-Bewahrung den Kapitalisten wichtig ist, muss sie es auch den Arbeitern sein, die sich nicht für G-W-G‘ und deshalb auch nicht für G-W-G interessieren, umso mehr aber für W-G-W, wo ganz dieselbe Eigentums-Bewahrung auf dem Spiel steht. Der Wert des zweiten W soll auf keinen Fall geringer sein als der des ersten, damit die Arbeiter nicht enden wie Hans im Glück. Es muss ihnen, wie Marx darlegt, darum gehen, ihre Arbeitskraft, W, für so viel Lohn, G, zu verkaufen, dass sie durch die Lebensmittel, wieder W, die mit dem Lohn gekauft werden, „reproduziert“ werden kann; dass also das erste W nach der Weggabe, der „Verausgabung“, in Form des zweiten W immer noch da und nicht kleiner geworden ist.

Die Menschen haben den Tausch unter anderm deshalb eingeführt, weil sie mehr und andere Dinge genießen wollten als die, die sie jeweils selbst herstellen konnten. Dem Tausch liegt insoweit die Arbeitsteilung zugrunde. Dies vorausgesetzt, hat Tausch aber auch bedeutet, dass sie versuchten, ihr Eigentum zu behalten. Das ist noch heute nicht anders, und Marx selbst betont es: „Das Eigentum des verkauften Gegenstands tritt man immer ab. Aber man gibt nicht den Wert weg.“ (MEW 25, S. 357) Wenn er sagt, man tritt das Eigentum ab, und ich sage, der Sinn ist gerade, dass man es nicht abtritt, ist das nur auf der Oberfläche des Gedankens ein Unterschied. Für Marx ist Eigentum etwas nicht Ökonomisches, sondern Juridisches, Wert hingegen etwas nicht Juridisches, sondern Ökonomisches. Okay, so gesehen trete ich Eigentum ab, wenn ich etwa eine Ware umtausche in dem Laden, wo ich sie gekauft habe. Die HiFi-Anlage von Siemens, oder was es ist, gehört nun wieder dem Laden. Aber man kann es auch so formulieren, dass die Wertäquivalenz, auf die ich beim Umtausch achte – dass ich für die Anlage von Sony, die ich nun stattdessen mitnehme, genauso viel Geld ausgegeben hätte -, eben gerade die in Ökonomie übersetzte Art und Weise ist, mein Eigentum zu bewahren.

„Wert“ ist Eigentum, wie es nicht juridisch, sondern ökonomisch existiert. Wobei klar ist, dass ich es juridisch nur habe, wenn ich es ökonomisch habe. Dieser merkwürdige Vorgang, dass ich mein weggegebenes Eigentum immer noch habe, ist nur möglich, wenn ein Gesetz von der Art der Leibnizschen „Einerleiheit des Nichtzuunterscheidenden“ zugrunde liegt. Ich muss über eine Sprache verfügen, die es erlaubt, ein und dieselbe Sache auf zweierlei Art zu formulieren. Das ist die Sprache der Gleichung, in der zwar nicht Sony dasselbe wie Siemens ist, wohl aber die Sony-Anlage denselben Wert hat wie die Siemens-Anlage, so dass ich selbst insofern noch derselbe Eigentümer bin wie vorher. „Was besagt diese Gleichung?“, hat Marx gefragt. Sie besagt nicht nur, dass in „1 Quarter Weizen“ genauso viel Arbeitszeit steckt wie in „a Ztr Eisen“, sondern auch, dass der, der vorher Weizen hatte und jetzt Eisen hat, immer noch derselbe Eigentümer ist. Sein Vermögen ist nicht kleiner geworden.

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Ist das nun verrückt? Nein, daran ist gar nichts verrückt. Es sei denn, man wollte die Institution des Eigentums und den Wunsch, Eigentum nicht zu verlieren, verrückt finden. Darauf will Marx aber gar nicht hinaus. Er  k r i t i s i e r t  gerade, dass im Kapitalismus die meisten ihr Eigentum verloren haben, „enteignet“ wurden bis auf die bloße Arbeitskraft, die ihnen noch gehört – denn man geht im Kapitalismus nicht mehr so weit, Enteignete zu Sklaven oder Leibeigenen zu machen -, und das bedeutet umgekehrt, dass er eine Gesellschaft anstrebt, in der das „individuelle Eigentum“ aller „wieder her“ gestellt wird (MEW 23, S. 791). Und auch die Arbeitsteilung will Marx keineswegs abgeschafft sehen. Und ebenso wenig will er, dass Eigentum verschleudert wird. Die kommunistische Gesellschaft soll natürlich ihr Vermögen aufbewahren, allenfalls mehren. Er bleibt aber dabei, Tausch und Geld verrückt zu finden. So müßten also Arbeitsteilung, individuelles Eigentum und Wahrung des gesellschaftlichen Eigentums möglich sein und sich miteinander vertragen, ohne dass Tausch und Geld mithelfen.

„Das sind die Bedingungen des Problems“, aber hat Marx es auch gut gelöst? Er äußert sich wie folgt: Es „bleibt, nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise, aber mit Beibehaltung gesellschaftlicher Produktion, die Wertbestimmung vorherrschend in dem Sinn, dass die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die verschiedenen Produktionsgruppen, endlich die Buchführung hierüber, wesentlicher denn je wird“ (MEW 25, S. 859). Eine Aussage, unvereinbar mit der, dass der Wert notwendig als Wertding existiert und sich als Geld darstellen muss, also Geld und Tausch voraussetzt, diese aber „nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise“ verschwunden sein sollen. Oder ist „die Wertbestimmung“ nur eine schlampige Formulierung? Aber dann fragt man sich, was an ihre Stelle treten soll. Vielleicht die Gleichung der Arbeitszeiten, mit deren Hilfe man in gesellschaftlicher Planung und „Buchführung“ das Vermögen der Gesellschaft wahrt, mehrt und verteilt? Rein rechnend, ohne Gebrauch „fetischistischer“ Dinge?

Mag sein. Aber selbst wenn man auf Geld und Tausch verzichten könnte, an  d e r  G l e i c h u n g  käme man doch nicht vorbei. Das bildet sich auch Marx nicht ein. In der Gleichung wurzeln alle Schwierigkeiten, die er sich bereitet; wir werden es in der nächsten Notiz noch deutlicher sehen.