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Die Annahme, Marx habe sich einer Methode bedient, in der es schon liege, dass Kapital aus Ware-Geld notwendig hervorgehe, ist die letzte Hürde einer spezifisch marxistischen prinzipiellen Geldfeindschaft, die wir noch zu nehmen oder vor der wir zuletzt doch noch zu kapitulieren haben. Davon, dass ein Kausalzusammenhang Ware-Geld und Kapital verbinden soll, haben wir uns nicht überzeugen können; es soll dann aber nicht reichen, wenn man sagt, die Behauptung sei nicht durch schlüssige Argumente gestützt, sondern wir werden auf diese Meta-Dimension verwiesen, d i e M e t h o d e , die uns erst Augen mache für das Recht oder Unrecht von Argumenten überhaupt und der Marxschen im besonderen. Natürlich ist von der d i a l e k t i s c h e n Methode die Rede und davon, dass sie allererst „rekonstruiert“ werden müsse, sonst, so heißt es, verstehe man die Marxsche „Darstellung“ nicht. Ich lasse mich auf den Ansatz ein und werde keineswegs meinerseits argumentieren, dass so etwas wie Dialektik Unsinn sei – im Gegenteil.
Die Methodenfrage kann freilich nicht das letzte Kriterium der Beurteilung einer Theorie sein. Das will ich vorausschicken und von vornherein einwenden. Eine Theorie kann trotz fragwürdiger Methode zu produktiven Resultaten gelangt oder solche können ihr unterlaufen sein, sie kann umgekehrt trotz einer Methode, die man bewundert, zu fragwürdigen Resultaten geführt haben. Wer dies bestritte mit Hinweis auf Hegels Aussage, die Methode sei der Bau des Ganzen in seiner reinen Wesenheit hingestellt, man könne also zwischen Methode und Inhalt gar nicht trennen, der müsste sich in der Tat „Hegelmarxismus“ vorwerfen lassen. So könnte man ja nur von der Methode des Weltgeists sprechen, wenn es einen gäbe. Im Umkreis der Neuen Marxlektüre beansprucht man aber allseits, die Hegelsche Dialektik mit Marx in eine m a t e r i a l i s t i s c h e Methode überführt zu haben. Welcher „dialektischen“ und dabei “ m a t e r i a l i s t i s c h e n “ Methode der Darstellung – des notwendigen Übergangs von Ware-Geld zu Kapital – sich Marx bedient habe, ist die Frage, um die es geht.
Hat er das überhaupt getan, und wenn ja, spielt es eine Rolle, und wenn es eine Rolle spielt, hat es dem dargestellten Ergebnis eher genützt oder eher geschadet? Dass ich so frage, mögen manche als Provokation empfinden. Es ist aber tatsächlich mein Ansatz, dass ich das Marxsche Resultat zuerst für sich genommen ergreifen will und es schon getan habe, unabhängig davon, mit welcher Methode es dargestellt ist. Ohnehin darf ja die Darstellungsmethode nicht mit der Entdeckungsmethode verwechselt werden. Marx hat eine E n t d e c k u n g gemacht. Wenn verlangt wird, es solle „materialistisch“ zugehen, heißt das doch jedenfalls, dass es mehr auf die Entdeckung ankommt als darauf, wie sie erzielt, und auch als darauf, wie sie nachträglich dargestellt wurde. Deshalb muss man sich zuerst darüber einigen, Methode hin oder her, was eigentlich die Marxsche Entdeckung ist.
Da lese ich nun in einem inauguralen Text der Neuen Marxlektüre, Zur Dialektik der Wertform von Hans-Georg Backhaus aus dem Jahr 1969 (Beiträge zur marxschen Erkenntnistheorie, Hg. Alfred Schmidt, Frankfurt/M., S. 128-152, hier S. 140), den Satz: „Der eigentliche Sinn der ‚Kritik der ökonomischen Kategorien‘ besteht darin, die sozialen Bedingungen aufzuzeigen, welche die Existenz der Wertform notwendig machen.“ Wenn das die Behauptung sein soll: Der „eigentliche Sinn“ und Ertrag des Marxschen Unternehmens sei die Kritik „der Wertform“, dann behaupte ich meinerseits, dass dies falsch ist; Marx hat „die Wertform“ kritisiert, kein Zweifel, aber s e i n e E n t d e c k u n g , auf die es ankommt, ist die vom Charakter der Kapitallogik und damit des Kapitals selber.
Es wird bei Backhaus nicht klar, was er letztlich behaupten will. Man kann seinen Text so lesen, dass er überall da, wo er vom Wert spricht, vielmehr den von ihm so genannten „absoluten Wert“ meint, was nur ein anderer Ausdruck für „das Kapital“ wäre. In diesem Fall würde ich zustimmen und wir wären über die Marxsche Entdeckung einig. Der „absolute Wert“, sagt Backhaus, sei ein „Etwas, das sich einmal in Gestalt von Gold darstellt – ohne jedoch mit diesem Gold als Gold identisch zu sein – dann wiederum als Ware oder gar als Arbeitskraft“ (S. 149). So ist es. Auf diese Weise „prozessiert“ der Wert, wie Marx sich ausdrückt, und wenn er das tut und es zudem d a s U n e n d l i c h e ist, wohin der Prozess führen soll, dann haben wir es mit dem Kapital zu tun. Dass er derart das Kapital expliziert hat, darin besteht Marx‘ Entdeckung. Ich kann dazu nochmals den Satz wiederholen, den ich schon oft zitiert habe, er erscheint jetzt in einem neuen Licht: „Das Kapital als solches setzt nur einen bestimmten Mehrwert, weil es den unendlichen nicht at once setzen kann; aber es ist die beständige Bewegung, mehr davon zu schaffen.“ (MEW 42, S. 253)
In einem neuen Licht deshalb, weil wir nun ausdrücklich darauf rekurrieren können, dass Marx, als er diesen Satz schrieb – in den Grundrissen -, tatsächlich noch glaubte, Kapital und Gold als Geld sei praktisch dasselbe. Das ergibt sich aus dem Kontext. Im ausgeführten Hauptwerk macht er hingegen deutlich, dass das Kapital vielmehr der Gesamtprozess ist – der „Kreislauf“, die „Metamorphose“ -, in dem Gold / Geld nur ein Moment ist, Ware ein anderes und ein noch anderes die gekaufte Arbeitskraft. Die Charakterisierung des Kapitals, nun also des Gesamtprozesses statt bloß des kapitalistischen Geldes, ist aber genau dieselbe geblieben, nämlich dass es die Bewegung sei, den unendlichen Mehrwert zu schaffen. Das heißt wiederum nicht, dass sich gar nichts geändert hat, vielmehr ist eine Frage aufgeworfen, die sich vorher nicht stellte: Können denn, nachdem wir nun im Kapital d e n P r o z e s s sehen, Geld, Ware und Arbeitskraft a u ß e r h a l b des Prozesses noch dieselbe Charakteristik haben wie innerhalb desselben? Wenigstens hinsichtlich der Arbeitskraft wird jede(r) mit Nein antworten. Die Arbeitskraft, die aus dem Prozess herausgenommen ist, wo sie fürs Kapital Mehrwert schafft, ist immer noch Arbeitskraft, aber keine kapitalistische (das Kapital reproduzierende) mehr.
Ja, und sollte man dasselbe nicht von Geld und Ware sagen können? Genauer gesagt von vielen Waren – nicht allen; besonders die Arbeitskraft, aber nicht sie allein, würde dem Zwang, Ware zu sein, enthoben werden -, und einem anderen Geld? Geld außerhalb des Kapitalprozesses ist immer noch Geld. Es ist aber nicht mehr Kapital. Solange Marx Geld und Kapital noch nahezu identifizierte, konnte er das leicht übersehen. Als er es nicht mehr tat, hätte er anders über Geld nachzudenken beginnen können. Er blieb aber bei seiner gewohnheitsmäßigen Abneigung; er merkte nicht, dass er selbst ihr die theoretische Basis entzogen hatte.
Aber nun gibt es d i e M e t h o d e , die im ausgeführten Hauptwerk so angelegt ist, dass auch da noch das Geld rein für sich genommen erörtert wird. Das geschieht am Anfang und soll tatsächlich zur Ableitung des Kapitalbegriffs aus dem Geldbegriff führen. Dem wenden wir uns nun zu.
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Dass sich gegenüber der Argumentation in den Grundrissen etwas geändert hat, wird daran immerhin deutlich, dass „die Methode“ im ausgeführten Hauptwerk, wie gerade die Vertreter der Neuen Marxlektüre von der ersten Stunde an betont haben, von Marx nicht mehr mit hinreichender Konsequenz angewandt worden sei. Eben deshalb wird es ja notwendig, sie zu „rekonstruieren“, und man tut das, indem man sie aus den Grundrissen destilliert, um anschließend Das Kapital so zu lesen, als läge sie auch ihm noch zugrunde. Das war jedenfalls die Idee der Adorno-Schüler, die mit der Neuen Marxlektüre begannen. Es ging darum, „Stadien der ‚Entfaltung‘ des Wertbegriffs“ zu bestimmen, wie Backhaus noch 1978 schrieb, wo er den Ausdruck „Entfaltung“, der den dialektischen Selbstlauf andeutet, immerhin gewissenhaft zweifelnd in Gänsefüße setzt. Dabei stand aber für Backhaus wie vorher für Marx von vornherein fest, dass die Annahme der Grundrisse in Geltung bleibe: „Wert ist […] nicht bloß ‚erscheinender‘ und als solcher Geld; Wert im emphatischen Sinn ist ‚prozessierender‘ und somit Kapital.“ (Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie 3, in Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 11, Frankfurt/M. 1978, S. 16-117, hier S. 39)
Das, was vom Wert „bloß erscheint“, ist nur ein Teil von ihm, während er „im emphatischen Sinn“ ganz einfach er selbst ist, Wert, vollumfänglicher Wert, und wir lesen „somit“, dass Wert Kapital i s t . Wert oder „absoluter“ Wert? Egal, dies quirlt nun einmal ineinander. Wenn Wert jedenfalls Kapital ist, dann ist das, was v o m W e r t „erscheint“, gleichbedeutend mit dem, was v o m K a p i t a l „erscheint“. Im Geld „erscheint“ also das Kapital. Geld, das mit Kapital nichts zu tun hätte, wird dadurch undenkbar. Die Vorstellung aber, Marx habe seine Darstellung mit dem begonnen, was nur die Erscheinungs-Oberfläche des Kapitals sei, um daraus in einer Schrittfolge es selber zu entwickeln, ist eben die Vorstellung einer „dialektischen“ Darstellungsmethode. Tatsächlich fängt auch Hegel seine Darstellungen mit solchen Oberflächen an.
Zu welchem Ergebnis die „Rekonstruktion der Methode“ führt, will ich nun gleich anhand der elaborierten Fassung bei Helmut Reichelt 2002 referieren (es handelt sich um den schon früher zitierten Aufsatz: Die Marxsche Kritik ökonomischer Kategorien, in Fetscher/Schmidt [Hg.], Emanzipation als Versöhnung, Ljubljana, S. 142-189; wir lesen S. 169 ff.). Reichelt konstatiert zunächst, dass in den Grundrissen keine „methodisch befriedigende Entwicklung der Geldform“ vorliege. Das berührt die Frage der „dialektischen Darstellung“ aber nicht, aus zwei Gründen: Marx hat diesen Teil seiner Theorie noch gar nicht nicht hervorgebracht, er ist erst in Das Kapital zu finden; dort wird er gerade das methodisch Befriedigende sein, das, was man nicht erst zu rekonstruieren braucht.
Der dialektische Startpunkt in den Grundrissen ist der, dass Geld verselbständigter Tauschwert ist und dies als Einheit zweier Bestimmungen, nämlich zum einen allgemeine Geldform, zum andern Ware zu sein; es ist daher zusammengenommen „Anzahl eines Quantums seiner selbst“. Will sagen, obwohl es die a l l g e m e i n e Geldform ist, verfügt man stets nur über eine b e s t i m m t e Geldsumme, mag sie noch so groß sein. Darin sei aber die Bestimmung des Geldes „als Kapital schon latent enthalten“ – diese und die vorige Formulierung sind von Marx zitiert -, denn, so nun weiter Reichelt, „mit dieser Form kann die schlecht-unendliche Bewegung der Vermehrung einsetzen, die aus der Widersprüchlichkeit dieser Form selbst resuliert: Als existierende allgemeine Form ist sie die absolute Form des Reichtums, zugleich als Quantum begrenzt.“ Im nächsten Satz paraphrasiert er Marx-Formulierungen, die auch ich schon zitiert habe: „Die Bewegung besteht in dem unendlichen Progress, sich der absoluten Form des Reichtums durch beständige Größenausdehnung anzunähern.“
Dass dies der Anfang einer dialektischen Entwicklung sein soll, erkennt man daran, dass von einer „Widersprüchlichkeit“, die zu einer „Bewegung“ führt, die Rede ist. Was behauptet wird, ist freilich sehr voraussetzungsvoll. Denn nur wenn u n t e r s t e l l t ist, dass schon das Geld „als existierende allgemeine Form“ zugleich „die absolute Form des Reichtums“ ist, und weiter, dass es darum geht, diesen zu erreichen, seiner habhaft zu werden – wenn also, mit andern Worten, Geld von vornherein als Kapital gilt -, nur dann allenfalls ist es ein Widerspruch, das „Allgemeine“ und „Absolute“ nicht immer schon zu haben. Dabei wäre auch noch zu prüfen, ob der hier waltende Begriff von „Widerspruch“ gebilligt werden kann. Lassen wir dies erst einmal so stehen und folgen weiter der Marxschen und Reicheltschen Dialektik:
Die „Bewegungsform“ des Widerspruchs ist also die des unendlichen Progresses; aber er muss auch „möglich“ sein, und zwar „in der Wirklichkeit der Zirkulation“. Dies führt zu einem weiteren Widerspruch: „Die allgemeine Form kann nur festgehalten werden, indem sie gegen zusätzliche und immer neue in die Zirkulation geworfene Gebrauchswerte ausgetauscht wird“, will sagen, nur dann erweist sich Geld als Geld; indem es aber ausgetauscht, das heißt w e g getauscht wird, „löst“ es sich „als festgehaltener, verselbständigter Wert auf“. Wir waren im ersten Schritt vom Geld als verselbständigten Tauschwert schon ausgegangen. Nun stellen wir fest, es muss zur Verselbständigung erst einmal kommen; der Wert muss allererst Bestand haben, nur dann kann er sich dem absoluten Reichtum nähern.
Wie ist es möglich? Marx wird zitiert: „Um sich zu verselbständigen, müsste der Tauschwert nicht nur als Resultat aus der Zirkulation hervorgehen, sondern fähig sein in sie wieder einzugehn, sich in ihr zu erhalten.“ Geld soll nicht in der Ware verschwinden und die Ware nicht im Geld. Das geht so, dass sie dasselbe werden. Sie erreichen es wiederum durch ihre Bewegung: „Die Selbsterhaltung des Wertes“, so Reichelt, „ist denkbar nur als beständiger Formwechsel“; und noch einmal Marx: „Der Tauschwert ist also jetzt bestimmt als ein Prozess, nicht mehr als bloß verschwindende Form.“ Wir haben nun schon eine Geldsumme, damit einen Wert, die oder der sich erhält, trotz beständiger Ausgaben und Einnahmen; eine Dimension des Kapitalbegriffs ist erreicht. Freilich noch nicht er selbst. Denn jene „schlecht-unendliche Bewegung der Vermehrung“, die das Kapital ausmacht, ist noch nicht impliziert. Bisher sehen wir nur, wie man Eigentum behält, oder ins Ökonomische übersetzt Wert, statt es zu verlieren.
Daher folgt gleich der nächste Schritt: „Diese Bewegung des Formwechsels würde nur eine ‚formelle‘ sein, wenn sie nicht einherginge mit der […] Bewegung der Wertvermehrung. Die Verselbständigung des Wertes muss als Einheit dieser beiden Bewegungen gedacht werden.“
Bei ihm wollen wir für heute innehalten. Immerhin ist nun wirklich der Kapitalbegriff erreicht, nach der Seite des Geldes jedenfalls. Wie die Seite der gekauften Arbeit noch dazukommt, verfolgen wir nächstes Mal. Wir haben jedenfalls Geld, das als Geld Kapital ist, und es wurde abgeleitet aus Geld als solchem. Doch was haben wir gewonnen? Wie wir sahen, war das Geld, das am Anfang der Ableitung stand, selbst schon als „absolute Form des Reichtums“ unterstellt, Geld also als Kapital. Nur deshalb konnten jene „Widersprüche“ behauptet werden, die zu „Bewegungen“, zu einer „Dialektik“ trieben. Das ganze Spiel macht den Marxschen oder Reicheltschen Ansatz nicht plausibler, als er wäre, wenn man der Behauptung, Geld impliziere Kapital, von vornherein ohne Begründung beiträte.
Das macht ihn aber nicht uninteressant, wenn wir ihn in einem etwas anderen Licht betrachten. Denn es kommt etwas zum Vorschein, das von Reichelt zwar durchaus beachtet, aber nicht eigens zum Gegenstand von Methodenreflexion gemacht worden ist: Ich meine den beständigen Wechsel von möglich und wirklich, „kann“, „muss“ und „müsste“ in den Sätzen, die er zitiert und paraphrasiert. Gehört das zur „Dialektik“ oder bricht es störend in sie ein? Mehr zu dieser Frage und auch zu der, was es mit dem „dialektischen Widerspruch“ auf sich hat, in der nächsten Notiz.
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Die nächste Notiz zu schreiben, wird mir erst Ende Oktober oder Anfang November möglich sein. Bis dahin kann ich auch nicht auf etwaige Kommentare regieren, würde es dann aber nachträglich tun.