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Eigentlich hatte ich mit diesem Text in die Beantwortung der Frage, wie die Andere Gesellschaft herbeigeführt werden kann, einsteigen wollen. Den Einstieg habe ich selbst auch schon hinter mich gebracht, bin aber dabei auf einen Punkt gestoßen, der mir die Notwendigkeit zeigte, das Kapitel, von dem ich glaubte, es abgeschlossen zu haben – „Die Gewaltenteilung in der Anderen Gesellschaft“ –, um einen weiteren, nun aber wirklich letzten Eintrag zu ergänzen. Ich kann versichern, dass es der letzte ist, weil die beiden nächsten, die sich mit ersten Seiten der Herbeiführungsfrage befassen, schon entworfen sind. Da werden unter anderm Überlegungen Jörg-Michael Vogls erörtert, des Einzigen bislang, der außer mir über eine auf Proportionswahlen ökonomisch basierende Andere Gesellschaft nachdenkt – heute wieder nachdenkt, muss man über ihn und mich genauer sagen, denn es wurde ja gezeigt, dass schon seit 1968 der Prager Reformer Ota Sik das Thema aufgeworfen hatte – und der auch schon Überlegungen zur Herbeiführung angestellt hat, an die ich hier anknüpfen will.
Zwei Sätze Vogls waren es, die mich nachdenklich machten: „Auch die Umsetzung der Wahlergebnisse kann institutionelle Änderungen erfordern. Man kann dies als alleinige Aufgabe der traditionellen Exekutive sehen, man kann aber auch überlegen, inwiefern ein eigener ‚Wirtschaftsrat‘ als neue Kammer eingerichtet werden sollte, mit Mitwirkungsrechten bei Gesetzen, die die wirtschaftsstrukturelle Wahlentscheidung mit betreffen.“ (Die „andere Gesellschaft“. Eine mögliche Geschichte, in Kommune 5/2012, S. 59 ff.)Vogl hat eine etwas andere Perspektive als ich; er lässt der traditionellen Exekutive und auch Legislative eine Rolle, die sie in meinem Modell verlieren. Ich komme darauf noch zu sprechen. Hier aber erwägt er eine Ausweitung der Legislative, wie ich das auch getan habe, denn der „Wirtschaftsrat als neue Kammer“, die bei Gesetzen mitwirkt, würde eine solche darstellen.
In frühen Fassungen meines Modells, das ich erstmals 1996 in der Kommune veröffentlichte, hatte auch ich mir einen „Ökologischen Rat“ mit legislativen Aufgaben vorgestellt, anknüpfend auch an Vorschläge Rudolf Bahros. Jetzt, wie man gesehen hat, bin ich davon abgekommen: Die auf Ökonomie bezogene Zusatz-Legislative ist keine Institution mehr, die aus Wahlen – den Proportionswahlen – h e r v o r g e h t , sondern sie b e s t e h t nur in ihnen, denn das Wahlergebnis wird unmittelbar Gesetz. Es gibt aber dennoch etwas, und darauf bin ich nun aufmerksam geworden, in meinem Modell, das als legislativer Wirtschaftsrat bezeichnet werden könnte, wenn es auch keine „neue Kammer“ ist; ich habe es freilich der ökonomischen Exekutive zugeschlagen. Die ökonomische Exekutive soll nämlich, wie hier zu lesen war, einerseits aus den Unternehmen bestehen und andererseits aus einem Organ, das ich mit dem Ausdruck „politische Proportionswahl-Exekutive“ zu bezeichnen versucht habe. In den Überlegungen, die ich jetzt anstelle, geht es vor allem um dieses Organ.
Seine Aufgaben sind laut der 131. Notiz „die Kontrolle der Befolgung des Wahlergebnisses durch die Unternehmen“, „der ständige Vergleich zwischen der im Proportionswahlergebnis festgeschriebenen Erwartung und dem tatsächlichen Verlauf der Wahlperiode“ sowie schließlich „die öffentliche Feststellung der Optionen, die sich aus dem Vergleich jeweils ergeben“. In der 135. Notiz komme ich darauf zurück: „Neben den ökonomischen Exekutiven wird eine politische eingerichtet, die speziell auf sie bezogen und selbst wieder differenziert ist. Es gibt einerseits eine Institution, von der die Proportionswahl organisiert wird. Andererseits eine, die deren Exekution beobachtet und einschätzt und die Alarm schlägt, wenn während der Wahlperiode eine unerwartete Wendung sich andeutet.“
Sind das nun eigentlich alles exekutive Aufgaben? Das war die Frage, die Vogls Erörterung des „Wirtschaftsrats“ in mir ausgelöst hat. Wegen der unbezweifelbaren Notwendigkeit der Aufgaben hatte ich ein Organ postulieren müssen, das sie erfüllt, aber welche Stellung es in der ökonomischen Gewaltenteilung einnimmt, erweist sich als unklar. Kann man es mit den tradierten Kategorien überhaupt fassen? Ist die Frage, ob es „exekutiv oder legislativ“ sei, überhaupt richtig gestellt? Manche, die mitlesen, werden sagen, die Frage sei unwichtig und jedenfalls ganz uninteressant. Ich sehe das nicht so. Denn mich interessiert nicht nur, wie die Dinge organisiert werden können, sondern auch, inwiefern sie demokratisch verfasst sind – was sie d e m o k r a t i e t h e o r e t i s c h bedeuten.
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Immer wenn wirklich Entscheidungen zu treffen sind, werden sie nicht von der „politischen Proportionswahl-Exekutive“ getroffen, das geht aus meinen eigenen, oben noch einmal zitierten Ausführungen hervor. Die Exekution eines Gesetzes „beobachten“, „einschätzen“, gegebenenfalls „Alarm schlagen“, das sind Tätigkeiten, durch die man Entscheidungen vorbereitet, die aber nicht selbst welche sind. Dasselbe ist von der Organisation der Proportionswahl zu sagen. Nun sind aber die Entscheidungskompetenz zusammen mit der Kompetenz, Entscheidungen umzusetzen, gerade das, was eine Exekutive ausmacht. Folglich ist meine „politische Proportionswahl-Exekutive“ keine Exekutive.
Im Übrigen sieht man es schon dem Wort-Ungetüm an, dass da etwas nicht stimmt. Es sollte einen Unterschied zur „ökonomischen Proportionswahl-Exekutive“ markieren, die aus den meist konkurrierenden, direkt nach einer Wahl aber auch beratschlagenden, also zusammenarbeitenden Unternehmen besteht. Aber die von mir gewählten Formulierungen sind offenbar unfähig, den Unterschied zu markieren. Denn dadurch, dass die Unternehmen nur noch im Rahmen dessen produzieren, was die Wahl fordert, was also gesellschaftlich gewollt ist, hat ihre Tätigkeit ja aufgehört, nur noch ökonomisch zu sein, und ist „politisiert“ worden. Oder einfacher: Wenn sie eine Exekutive sind, und so habe ich sie bezeichnet, ist von vornherein klar, dass sie ins politische Fach gehören. Auch sie also sind eine „politische Proportionswahl-Exekutive“.
In Wahrheit ist die Sache etwas komplizierter, und auch das soll in Erinnerung gerufen werden. In der heutigen Gesellschaft stellen sich Unternehmen so dar, als sei ihre Tätigkeit nur ökonomisch und nicht auch politisch. Sie folgen angeblich Imperativen, ja Gesetzmäßigkeiten, deren rein ökonomischer Charakter vor politischer Einmischung möglichst geschützt werden müsse, weil nur dann gewährleistet sei, dass sich die Tätigkeiten optimal auswirken können. Diesen Eigensinn ökonomischen Handelns gesteht ihnen auch die Systemtheorie à la Niklas Luhmann zu, indem sie ausführt, Ökonomie sei ein „Teilsystem“ in der „funktional ausdifferenzierten“ Gesellschaft, könne und dürfe von anderen Teilsystemen aus nicht ihrer ganz eigenen Logik beraubt werden und da sei auch die Politik nur ein Teilsystem unter anderen.
Die ganz eigene Logik wird aber nicht als Kapitallogik offengelegt, wo sich herausstellen würde, dass sie etwas sehr anderes ist als bloße unternehmerische Rationalität, weder bei Luhmann noch in der Selbstbeschreibung der Unternehmen. Die sind nämlich keine Veranstaltung bloßer „Unternehmer“, sondern von Kapitalisten. Die Tätigkeit k a p i t a l i s t i s c h e r Unternehmen ist alles andere als „nur ökonomisch“. Sie ist selbst Basis von Politik, kapitalistischer Politik, die von demokratischen Wahlen zwar gewissermaßen generell eingesetzt wird – das ist das Thema von Nicos Poulantzas -, konkret aber nicht nur keiner Wahl rechenschaftspflichtig ist, sondern auch mit der aus Wahlen hervorgegangenen Politik der staatlichen Exekutive konkurriert und sie, im Lauf der Zeit sogar zunehmend, in den Schatten stellt. Als wir den Superreichtum erörterten, wurde das auch empirisch illustriert. Erst wenn die unternehmerische Tätigkeit a u f h ö r t , kapitalistisch zu sein, kann sie werden, was sie angeblich jetzt schon ist, nämlich rein ökonomisch. Und das soll sie in der Anderen Gesellschaft. Ökonomie, die auf Ökonomie reduziert ist, kann Politik nicht mehr bestimmen. Sie wird ihrerseits von Politik bestimmt, denn wenn die Gesellschaft Proportionswahlen abhält und deren Ergebnis Gesetz wird, ist das natürlich ein politischer Akt. Was ich „Politisierung“ der Unternehmen genannt habe, ist eine passive: Sie machen sich nicht mehr selbst zum politischen Faktor, sondern indem sie den gesellschaftlichen Willen ausführen, werden sie von außen politisiert, welches „von außen“ n u n e r s t dazu führt, dass man in allem Ernst von einer ausdifferenzierten Ökonomie sprechen kann.
Dies „von außen“ nimmt ihnen aber wiederum nicht den Charakter, Exekutive zu sein. Im Gegenteil. Auch die staatliche Exekutive, die wir kennen, setzt sich schließlich nicht selbst ein, sondern wird von anderen, dem Parlament nämlich, eingesetzt. Daraus gerade bezieht sie ihre demokratische Legitimation.
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Wenn also schon der A u s d r u c k „politische Proportionswahl-Exekutive“ zur Bezeichnung jenes Organs, das „beobachtet, einschätzt, Alarm schlägt“, unhaltbar ist und wenn eingeräumt werden muss, dass von diesen Tätigkeiten ohnehin nicht gesagt werden kann, sie hätten einen exekutiven Charakter, welchen Charakter haben sie denn dann? Gibt es einen Ausdruck der klassischen Gewaltenteilungslehre, der sich auf sie anwenden lässt? Ist das Organ eine Legislative? Nein, das ist sie offenbar auch nicht. Wenn es eine Legislative wäre, würde es Gesetze geben oder vielmehr das eine Gesetz, von dem hier die Rede ist, das der ökonomischen Proportionen. Aber dieses haben vielmehr die Wähler getan.
In erster Annäherung wird man sagen, das Organ sei eine Art Supervisionsinstanz. Aber das ist kein Begriff der politischen Theorie. Wenn das Organ in die Gewaltenteilungslehre soll eingeordnet werden können, müsste es schon gelingen, die „Supervision“ in einen Ausdruck der Gewaltenteilungslehre zu übersetzen. Kann man das? Ja, man kann es. Nur so zwar, dass eine mögliche Revision – eine demokratische – des uns gewohnten Parlamentarismus dabei aufscheint, aber immerhin. Diese Revision in Kauf nehmend, stelle ich fest, das Organ ist schlicht und einfach d i e O p p o s i t i o n und als solche eine gängige legislative Veranstaltung. Das Parlament als Legislative ist nicht Opposition, enthält sie aber. Hier im Zusammenhang mit der Proportionswahl ist nun eben auch eine notwendig. Was tut die parlamentarische Opposition, wie wir sie kennen? Genau: Sie „beobachtet, schätzt ein und schlägt Alarm“. Und zwar beobachtet sie die Regierung und die Gesetzgebungstätigkeit der sie tragendenden parlamentarischen Mehrheit, schätzt jene wie diese in Parlamentsreden kritisch ein und schlägt Alarm, wenn sie meint, die Regierung handle außerhalb des gesetzlichen Rahmens.
So weit tut sie genau dasselbe wie unser ökonomisches Organ. Dieses steht ebenfalls einer gesetzgebenden Mehrheit gegenüber, einer gigantischen sogar, der Gesamtheit der Wähler, denn nicht nur was deren Mehrheit will, wird Gesetz, sondern was alle wollen. Das Organ nimmt zur Kenntnis, was sie beschließen, beobachtet aber auch die exekutierenden Unternehmen und ertappt sie bei der Übertretung des Beschlossenen. Auch das andere stimmt überein: Laufend schätzt das Organ ein, ob die Wähler wirklichkeitsnah oder –fremd gewählt haben, und wenn sich eine Situation ergibt, in der ihr Gesetz aufhört, wirklichkeitsnah zu sein, schlägt es Alarm. In einem solchen Fall regt es Neuwahlen an.
Kommen wir nun darauf zu sprechen, worin sich unser Organ, das wir von nun an als d i e ö k o n o m i s c h e O p p o s i t i o n bezeichnen, von der parlamentarischen u n t e r s c h e i d e t . Genauer was sie von der u n s g e w o h n t e n parlamentarischen Opposition unterscheidet. Wie man weiß, unterhält diese ein polemisches Verhältnis zur Regierungsmehrheit. Sie lehnt die von der Mehrheit getragene Regierung ab. Ganz anders die ökonomische Opposition, die f ü r die ihr gegenüberstehende Mehrheit eintritt. Aber nun ist das Wort schon gefallen: „gegenüberstehend“. Der Ausdruck „Opposition“, wenn man ihn nimmt wie er ist, bedeutet Gegenübersein und weiter nichts. Was mir gegenüber ist, kann sich polemisch zu mir verhalten, muss es aber nicht. Die uns gewohnte Opposition im Parlament verhält sich immer polemisch zur Mehrheit, der sie gegenübersteht, aber s e l b s t d o r t müsste das nicht sein. Ich zeige es gleich. Weil sie es selbst dort nur faktisch tut, statt aus einer Notwendigkeit heraus, kann das von mir als ökonomische Opposition bezeichnete Organ ohne jedes Bedenken in die klassische Gewaltenteilungslehre eingepasst werden. Womit dann alle Ergänzungen dieser Lehre, die ich vorgenommen habe, demokratietheoretisch legitimiert sind.
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Indem ich meine Behauptung belege, auch nicht einmal die parlamentarische Opposition sei gezwungen, sich polemisch zur Mehrheit zu verhalten, leite ich schon zur Frage der Herbeiführung der Anderen Gesellschaft über. Zu ihr müssen nämlich auch Parteien beitragen. Man kann über Parteien denken, wie man will, klar ist, dass man an ihnen nicht vorbeikommt, und sehr wahrscheinlich, dass die vorhandenen, wenn man mit ihnen unzufrieden ist, selbst wieder nur mit einer Partei oder mehreren überstiegen werden können. Vielleicht wird das nicht das Hauptmittel sein, aber es wird dazugehören müssen.
Der Ort, wo sich Parteien treffen, ist das Parlament. Hier aber geschieht mehr, als dass sich eine Mehrheit und eine Minderheit herausbilden, sei’s dass zwei Parteien beteiligt sind wie in den USA oder fünf wie zur Zeit in Deutschland, und es geschieht auch mehr, als dass sich in der Folge ein Regierungslager und eine Opposition gegenüberstehen. Denn dahinter steht noch eine andere Zweiteilung, über die Antonio Gramsci geschrieben hat, der Mitbegründer der italienischen kommunistischen Partei: Zwei Lager gibt es, die sich zwar bekämpfen, aber keine von ihnen greift das Kapital an, weshalb dieses sich aussuchen kann, auf welche Seite es sich mal in dieser, mal in jener Situation stellt. Das ist der Mechanismus, durch den es politisch herrscht. Wenn das Kapital den Mechanismus bewusst anwenden würde, er also seine „Methode“ wäre, könnte gesagt werden, es herrsche nach dem Grundsatz Divide et impera. Man wird nicht davon ausgehen können, es ist auch nicht entscheidend. Der von Gramsci erörterte Mechanismus „funktioniert“ aber jedenfalls, so dass gesagt werden kann, es sei die F u n k t i o n des Z w e i – B l ö c k e – S y s t e m s im kapitalistischen Parlament (so will ich es nennen), die politische Herrschaft des Kapitals zu sichern. Dass ein System, in dem irgendwelche Kräfte A, B, C… agieren, eine Funktion haben kann, diejenige etwa, dass X genützt wird, muss weder X noch den Kräften A, B, C… bewusst sein.
Auf der faktischen Ebene sprachen auch Rosa Luxemburg und Lenin von diesem Mechanismus. Lenin sagt von der Labourpartei und den britischen Konservativen kurzerhand, sie bildeten „das System der zwei Parteien der Ausbeuter“. Daran, dass es diese Revolutionäre sind, die vom Zwei-Blöcke-System sprechen, ist schon zu sehen, dass dessen Funktionsanalyse natürlich nicht auf die Behauptung hinausläuft, es sei unvermeidlich, dass es funktioniere. Im Gegenteil, die Analyse wird angestellt, damit die antagonistische Kraft – von der Gramsci sagt, m i t i h r würde das Kapital in keinem Fall zusammenarbeiten – weiß, wo sie ansetzen kann und wo sie nicht mitspielen darf. Diese Kraft, sofern es sich um eine oder mehrere Parteien im Parlament handelt, nenne ich den Dritten Block. Der Dritte Block, der den Kapitalismus bekämpft, gliedert sich ins Zwei-Blöcke-System nicht ein.
Was kann er stattdessen sinnvollerweise tun? Es gibt mehrere Möglichkeiten, die sinnvollste ist aber wohl, dass er sich auf Einzelfallprüfungen der Gesetzesvorlagen beider kapitalistischer Blöcke konzentriert und viele ablehnt, solchen aber zustimmt, die produktiv für die eigene Sache sind, oder ihnen gar zur Mehrheit verhilft. Mit dieser „Politik wechselnder Mehrheiten“ führt der Dritte Block sichtbar vor, dass er die kapitalistische Zweiteilung des Parlaments, die ja eine Spaltung der ganzen Bevölkerung repräsentiert und auch mit herbeiführt, nicht anerkennt. Im günstigsten Fall kann sie dazu führen, dass er annähernd so stark wird wie die beiden anderen Blöcke, ja die Frage ist berechtigt, ob es nicht möglich sein sollte, dass dann Umstände eintreten, in denen er unter Duldung der anderen eine Minderheitsregierung bilden kann. Ich werde der Frage noch nachgehen. Näheres zu den Blöcken und möglichen Strategien findet man übrigens in meinem Buch Gender und Parteiensystem. Links-Rechts – Das Problem der falschen Fronten, Frankfurt/M. 2015.
Im derzeitigen Kontext will ich nur darauf aufmerksam machen, dass in einem Parlament mit drei Blöcken statt zweien der Oppositions-Begriff eine andere Färbung annimmt. In einem vom kapitalistischen Zwei-Blöcke-System vollständig durchdrungenen Parlament bedeutet „Opposition“ das uns Gewohnte: eine letztendlich k a p i t a l i s t i s c h e Kraft, die d a g e g e n ist, gegen alles nämlich, was der regierende Block tut. Nun, im Ernst ist eine Oppositionspartei niemals oder sehr selten gegen alles; viele Gesetzesvorhaben sind unumstritten. Aber das wird nicht öffentlich kommuniziert und man kann sagen, in solchen Fällen ist die Opposition nicht Opposition, darauf bezieht sich der Oppositionsbegriff nicht. Wie aber ist der Dritte Block Opposition, wenn es einen gibt? So, dass er gegen das Zwei-Blöcke-System ist, aber nur gegen dieses, während er den es bildenden Parteien und sogar der Regierung nur gegenübersteht, sich als ihr grundsätzlich neutrales Gegenüber begreift. Neutral insofern, als er grundsätzlich immer bereit ist, zuzustimmen, wenn die Sache es nahelegt. Da, wo er es nicht tut, lehnt er nicht so sehr andere Parteien und ihre Regierung ab als die sich im Sachhandeln dieser Kräfte niederschlagende Macht des Zwei-Blöcke-Systems. Letztendlich ist das die Bereitschaft des Dritten Blocks, sich mit der g a n z e n B e v ö l k e r u n g , sei sie auch vom Kapital in zwei Hälften zerlegt und derart beherrscht, zu verbünden und die künftige eigene Basis in ihr zu sehen. Im Dritten Block weiß man ja, diese gespaltene Bevölkerung wählt zwar das Zwei-Blöcke-System und somit das Kapital, doch weder ihre eine noch ihre andere Hälfte besteht aus Kapitalisten, vielmehr bestehen beide aus Menschen, die dem Kapital unterworfen sind.
Es ist also ein Parlament möglich, in dem „Opposition“ genau dasselbe bedeutet wie in der nichtparlamentarisch-ökonomischen Gewaltenteilung: G e g e n ü b e r s e i n s t a t t D a g e g e n s e i n , hier realisiert durch Beobachten und Einschätzen der Projekte der anderen Parteien wie auch ihrer Regierung, und im Fall der Kritik durch Alarmschlagen.
„Gegenübersein“ gehört zu den Grundbegriffen der ganzen Blogreihe. Drei Schlüsselsachverhalte fanden wir bereits, in denen sich ahnen ließ, dass das Kapital dadurch herrscht, dass es Differenzen verschüttet – dies mag geradezu das Axiom der Kapitalherrschaft sein -, dass man es also nur besiegen kann, wenn man gewisse Hauptdifferenzen wieder entzerrt und ins Gegenübersein überführt. So hatte ich die „Trennung von Angebot und Nachfrage“ wie auch von privatem Umlauf- und „Gesellschaftsgeld“ zu postulieren, und indem das geschah, stellte sich heraus, dass mein ganzes Modell mit einer Grundtrennung schon begonnen hatte, derjenigen nämlich von privat und individuell. Das Individuelle nämlich enthält im Unterschied zum Privaten die solidarische Option – das war wichtig, weil ich eine „individualistische“, nicht kollektivistische Ökonomie der Anderen Gesellschaft entwerfe. Zu diesen drei Formen des Gegenüberseins ist nun noch eine vierte getreten, und diese heißt schon so, „Opposition“. Die vier Formen gelten dem Grundsätzlichsten der neuen Ökonomie: dem homo oeconomicus (individuell versus privat), den Waren (Nachfrage versus Angebot), dem Geld (Gesellschafts- versus Privatgeld) und der Herbeiführung (Dritter Block versus Parteien des Zwei-Blöcke-Systems).
Dass es schon in der Herbeiführung hilfreich sein könnte, nicht nur im Modus des Dagegenseins zu kämpfen, wird meine folgenden Überlegungen mitbestimmen. Welches kämpferische Potential liegt im Gegenübersein, wo es nicht zugleich Dagegensein ist? Die Frage stellt sich nicht nur im Parlament, das ja nicht der einzige Ort des Kampfes ist. Einen allein „parlamentarischen Weg zur Anderen Gesellschaft“ wird es nicht geben.