(2) Grundeinkommen als gesellschaftliches und individuelles Eigentum

1. Individuelles und privates Eigentum / Erster Teil – Über den Unterschied des Individuellen und Privaten. Vorschein der Anderen Gesellschaft

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Eine Gesellschaft von freien Individuen, ja Individualisten, die sich zusammentun, um das ökonomische Chaos, die ökologische Destruktion und alle Ungerechtigkeit in den Griff zu bekommen und schrittweise zu beseitigen – so habe ich in der ersten Notiz die Bedingungen des Problems einer Anderen Gesellschaft beschrieben.

Ich will auch diesmal noch bei der Frage des Individualismus bleiben. Denn es ist zu einfach, ihn auszurufen, wenn man nicht gleich auch von den Eigentumsverhältnissen spricht. Könnte es freie Individuen geben, wenn der Staat als Eigner aller Produktionsstätten aufträte und daher auch das politische Leben beherrschte? Wohl nicht. Aber was wäre die Alternative, wenn nicht dass die Individuen über individuelles Eigentum verfügen, und definiert das nicht die Gesellschaft, die wir schon haben?

Aber was wäre die Alternative, wenn nicht dass die Individuen über individuelles Eigentum verfügen, und definiert das nicht die Gesellschaft, die wir schon haben?

Ich habe in der ersten Notiz mit Karl Marx zwischen „individuell“ und „privat“ unterschieden, aber vielleicht führt das gar nicht weiter? Man spricht nicht vom „individuellen Eigentum“, vielmehr vom Privateigentum, und mit Recht. Denn Eigentum ist jedenfalls eine Sache, über die der Eigner frei verfügen kann, er als Einziger, das heißt die Sache ist für ihn als Individuum „abgesondert“, so wäre ja „privat“ ins Deutsche zu übersetzen. Die Sache ist individuell und privat zugleich. Und wenn jemand individueller und privater Eigentümer von Produktionsmitteln ist, nennen wir ihn einen Kapitalisten. Mit welchem Recht konnte da Marx zwischen der Freiheit des Individuums und der Freiheit des Kapitals unterscheiden?

Lassen wir die Frage der Produktionsmittel noch beiseite. Erst einmal muss man sich klarmachen, dass Privateigentum und individuelles Eigentum schon bisher nicht dasselbe sind. Wenn jemand einen Hund besitzt, darf nur er und kein anderer über ihn verfügen, und ob er ihn an die Kette legt oder herumtollen lässt, ist allein seine Sache. Dennoch ist seine Verfügungsfreiheit nicht unbegrenzt. Tierquälerei ist verboten, auch muss dem Hund ein Halsband verpasst werden, und natürlich darf er nicht beißen. Man kann also genau unterscheiden, dass ein und dasselbe Eigentum teils wirklich privat, nämlich von jeder gesellschaftlichen Mitsprache abgesondert, teils aber, zugleich oder stattdessen, individuell ist, das heißt einem Individuum gehört. Dieses Individuum muss sich nur deshalb, weil es besonders ist, nicht absondern und darf es auch gar nicht überall. Es ist Glied der Gesellschaft, es hat deren Regeln noch da zu beachten, wo es allein ist mit seinem Eigentum.

Erst Caesar schaffte den Brauch ab, dass wer Geld verliehen hatte und es nicht zurückbekam, ersatzweise den Schuldner versklaven durfte. In der Neuzeit bewegt sich das Nachdenken übers Eigentum in ganz anderen Bahnen.

Dass wir noch heute eher vom privaten als vom individuellen Eigentum sprechen, ist wohl eine Spätfolge des antiken römischen Rechts, das im Wesentlichen Privatrecht war und sich vor allem ums Eigentum drehte. Im römischen Rechtsstaat ging die Verfügungsfreiheit der Eigentümer sehr weit. Sie erstreckte sich auf die eigenen Kinder. Ein Vater konnte jederzeit ohne Angabe von Gründen seinen Sohn verkaufen. Erst wenn er ihn dreimal verkauft hatte, entfiel dieses Recht, das auch ein Recht der Verfügung über Leben und Tod war. Erst Caesar schaffte den Brauch ab, dass wer Geld verliehen hatte und es nicht zurückbekam, ersatzweise den Schuldner versklaven durfte. In der Neuzeit bewegt sich das Nachdenken übers Eigentum in ganz anderen Bahnen. John Locke, der frühbürgerliche Philosoph, rechtfertigt das individuelle Eigentum damit, dass es vom Individuum selbst erarbeitet werde. Ihm schweben die Bauern vor. Aber seine philosophische Verallgemeinerung ist, dass man nicht freies Individuum sein kann, ohne über Eigentum zu verfügen. Indem Eigentum Verfügungsgewalt bedeutet, schafft es einen Tätigkeitsraum, und wo sollte das Individuum seine Freiheit bewähren, wenn nicht in dem, was es tut? Also muss dem Freien etwas vom Raum seines Tuns, der Kernraum, wenn man so will, gehören. Dieser Ansatz ist noch von Hannah Arendt aufrechterhalten worden.

Indem Eigentum Verfügungsgewalt bedeutet, schafft es einen Tätigkeitsraum, und wo sollte das Individuum seine Freiheit bewähren, wenn nicht in dem, was es tut? Also muss dem Freien etwas vom Raum seines Tuns, der Kernraum, wenn man so will, gehören. Dieser Ansatz ist noch von Hannah Arendt aufrechterhalten worden.

Um frei zu sein, lehrte Arendt, braucht das Individuum einen festen Stützpunkt, es braucht Eigentum. Ist das ein „kleinbürgerlicher“ Standpunkt? Vertreten von einer Philosophin, die immerhin für die Rätedemokratie eintrat und Lenin gegen den Vorwurf in Schutz nahm, er sei bereits prästalinistisch totalitär gewesen? Wäre die Vision eines freien Individuums, das ohne Stützpunkte existiert, emanzipierter und „proletarischer“?

Sie könnte eher existenzialistisch genannt werden. Wenn wir bei Marx nachschlagen, sehen wir, er wünschte zwar eine Gesellschaft ohne Klassenherrschaft, ja ohne Klassen, keineswegs aber ohne Eigentum. Die kapitalistische Gesellschaft ist für ihn nicht die Gesellschaft der Eigentümer, sondern gerade umgekehrt die enteignende Gesellschaft, in der zuletzt fast alle ihr Eigentum verloren haben. Von der Gesellschaft, die er anstrebt, sagt er, sie stelle „nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum“. Ob man’s glaubt oder nicht, das steht auf den letzten Seiten des Kapitals – Erster Band, MEW 23, Seite 791.

Auch Hannah Arendt schreibt: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem verdankt seine Entstehung bekanntlich einem ungeheuren Enteignungsprozess […]. Enteignung, die ursprüngliche Akkumulation von Kapital – das war das Gesetz, nach dem der Kapitalismus angetreten und nach dem er Schritt für Schritt weitergegangen ist.“ Sie fährt freilich fort: „Was sich nun die Leute unter Sozialismus vorstellen, weiß ich nicht. Wenn Sie sich aber ansehen, was wirklich in Russland geschehen ist, dann können Sie feststellen, dass dort dieser Enteignungsprozess weitergetrieben wurde; und Sie können mehr als bloße Ansätze zu einer ähnlichen Entwicklung in den modernen kapitalistischen Ländern beobachten. Nur: in den westlichen Ländern sind politische und legale Hindernisse ständig im Wege, diesen Prozess der Enteignung in einem Maße ausarten zu lassen, dass das Leben ganz und gar unerträglich wird.“ „In Russland gab es ja keinen Sozialismus, sondern einen Staatssozialismus, der dasselbe ist, was Staatskapitalismus wäre, nämlich: die Enteignung des gesamten Volkes.“ (Macht und Gewalt, München 1987 [Erstausg. 1969/70], S. 118)

02

N un habe ich den Marxschen Satz nicht zu Ende zitiert. Er lautet vollständig, die nachkapitalistische Gesellschaft stelle „nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel“. Was es dann heißen kann, dass die Produktionsmittel, obwohl sie allen gehören, als „Grundlage“ individuellen Eigentums funktionieren, darüber will ich in der dritten Notiz nachdenken. Zwei Dinge können aber vorweggenommen werden.

Was den „Gemeinbesitz der Erde“ angeht, so können wir sicher sein, dass Marx hier auch an ein historisches Vorbild dachte, nämlich die Allmende, das gemeinsame Land, aus dem sich jeder Bauer nach Bedarf etwas herausholen durfte, Holz zum Beispiel, wenn es sich um einen Wald handelte.

Erstens lohnt es sich, den Satz genau zu lesen. Die Wendung „auf Grundlage“ verbindet das individuelle Eigentum zuerst mit der Kooperation. Und das ist doch bereits ein Muster. Kooperation ist ein reiner Gemeinschaftsprozess, der gleichwohl von individuellen Eigentümern getätigt werden kann. Jeder weiß das. Es ist nicht im Mindesten ein Widerspruch. Was den „Gemeinbesitz der Erde“ angeht, so können wir sicher sein, dass Marx hier auch an ein historisches Vorbild dachte, nämlich die Allmende, das gemeinsame Land, aus dem sich jeder Bauer nach Bedarf etwas herausholen durfte, Holz zum Beispiel, wenn es sich um einen Wald handelte. Hier haben wir schon einen Fall gesellschaftlichen Eigentums, der sich mit individuellem Eigentum, dem je eigenem Land der Bauern nämlich, ganz leicht verträgt (während er nichts mit staatlichen Eigentum zu tun hat). Nach diesem Vorlauf kommt Marx drittens auf die durch Arbeit produzierten Produktionsmittel zu sprechen. Drängt sich da nicht die Frage auf, ob sie nach demselben Muster wie Kooperation und Allmende gedacht werden können oder sogar sollen?

Nach diesem Vorlauf kommt Marx drittens auf die durch Arbeit produzierten Produktionsmittel zu sprechen. Drängt sich da nicht die Frage auf, ob sie nach demselben Muster wie Kooperation und Allmende gedacht werden können oder sogar sollen?

Marx stellt jedenfalls nicht gegenüber, die Erde vertrage Individualeigentum, die Industrie nicht. Vielmehr unterscheidet er zwei Produktionsmittel, die beide Gemeineigentum sind, von denen aber das eine, die Erde eben, schon ohne Arbeit vorhanden ist – und sich mit individuellem Eigentum verträgt -, während das andere „durch die Arbeit selbst produziert“ wird.

Was nun eine Industrie wäre, die sich einerseits zu individuellem Eigentum vervielfältigt, während sie andererseits nicht aufhört, die „Allmende“ der Individuen zu sein, bleibt vorerst unerfindlich. Im historischen Beispiel der Bauernwirtschaft fielen Allmende und individuelles Eigentum räumlich auseinander. Sie waren schon deshalb kein Widerspruch. Bei der Industrie müsste man sich individuelles und „Allmende“-Eigentum irgendwie als dasselbe vorstellen.

Das Zweite, was ich vorwegnehmen will, ist ein Sprung in die derzeitige Grundeinkommensdebatte. Ein Grundeinkommen würde unser Problem schon teilweise lösen. Es wäre nämlich die Ermöglichung emanzipierter individueller Existenz auf der Basis eines Stützpunkts. Dieser Stützpunkt wäre nichts anderes als individuelles Eigentum – ökonomisches individuelles Eigentum, das den laufenden Zugriff auf Lebensmittel ermöglicht, wie es sonst Produktionsmittel tun. Ich sage nicht, „wie es sonst die Arbeit tut“, weil natürlich auch die Gesellschaft arbeiten muss, deren Individuen Grundeinkommen beziehen. Wenn nicht gearbeitet würde, wie sollte dann ein Grundeinkommen finanziert werden? Insofern wäre dieses Individualeigentum zugleich gesellschaftliches Eigentum, nur deshalb würde man es Monat für Monat verteilen können. Aber das Individuum, das dann der Eigner seines Grundeinkommens ist, ist nicht zugleich der Eigner der Produktionsmittel. Die gehören vielmehr der Assoziation aller Individuen, also der Gesellschaft.

Deshalb kann umgekehrt die Wertsumme, die sich in einer Gesellschaft ansammelt, den Individuen teilweise zurückgegeben werden, wodurch sie sich wieder in deren individuelles Eigentum verwandelt.

Vielleicht erscheint es manchem als gewagt, im Grundeinkommen eine Form von „Eigentum“ zu sehen? Aber Eigentum wird durch Wert vertreten, will sagen durch Geld, das ist ja schon im Kapitalismus der Fall, so dass Marx sagen kann: „Das Eigentum des verkauften Gegenstands tritt man immer ab. Aber man gibt nicht den Wert weg.“ (Das Kapital, Dritter Band, MEW 25, S. 357) Deshalb kann umgekehrt die Wertsumme, die sich in einer Gesellschaft ansammelt, den Individuen teilweise zurückgegeben werden, wodurch sie sich wieder in deren individuelles Eigentum verwandelt. Dass Eigentum in Wert umgerechnet, Wert auf Eigentum reduziert werden kann, ist keine Besonderheit der kapitalistischen, sondern gilt auch in der nachkapitalistischen Gesellschaft, die Marx sich vorstellt: Die „Wertbestimmung“, schreibt er, bleibe in ihr „vorherrschend“ (MEW 25, S. 859). Auch diese Gesellschaft wird natürlich mit ihrer Wertsumme, dem Volksvermögen, achtsam umgehen, wird es eher vergrößern als verkleinern, denn „man gibt den Wert nicht weg“. Man sorgt nur dafür, dass alle etwas von ihm haben – in der Anderen Gesellschaft.

Dass Eigentum in Wert umgerechnet, Wert auf Eigentum reduziert werden kann, ist keine Besonderheit der kapitalistischen, sondern gilt auch in der nachkapitalistischen Gesellschaft, die Marx sich vorstellt.

Das Grundeinkommen, selbst wenn es reichlich bemessen ist, also alle sozialen und kulturellen Grundbedürfnisse, die das Individuum bezahlen muss, wirklich abdeckt, ist nur ein sehr kleines Vermögen. Wie klein aber auch immer, bleibt es Vermögen, weil es stetig wiederkehrt, und damit auch Eigentum. Schon in unserer jetzigen Gesellschaft reduziert sich alles Eigentum, wie dinglich es auch daherkomme, auf Vermögen, eben weil der Wert, den man auch im Tausch nicht weggibt, die einzige Eigentums-Konstante geworden ist. Und schon in dieser Gesellschaft gibt es sehr kleine Vermögen von Kleinbauern, Handwerkern und anderen „Selbständigen“, die sich nicht erweitern, sondern nur bestenfalls in derselben Größe reproduzieren lassen. „Selbständig“ sein und zugleich an der gesellschaftlichen Arbeit teilnehmen, das gelingt heute nur einer Minderheit der Bürger, in der Anderen Gesellschaft wird es allen gegeben sein.

Zugleich sind dann Selbständigkeit und gesellschaftliche Arbeit weniger direkt verschränkt. Das heißt, die Höhe des kleinen Vermögens wird nicht von der eigenen Arbeitsleistung abhängen, sondern von der Arbeitsleistung aller, weshalb es ja nur ein einziges Grundeinkommen gibt, das für alle gleich groß ist. An der gesellschaftlichen Arbeit nimmt das Individuum teil, aber die Teilnahme berechnet sich von seinem Lebensarbeitskonto her, so dass es mal arbeitet, mal längere Zeit nicht arbeitet und doch auf so indirekte Weise jederzeit an der Arbeit beteiligt ist. Man könnte sagen, der Sonntag dauert für dieses glückliche Individuum länger. Indirekte Arbeitsteilnahme und sicheres Kleinvermögen für alle statt direkte Arbeitsteilnahme mit einem Kleinvermögen, das täglich neu erkämpft werden muss, für Wenige: Das ist der Unterschied zwischen dem künftigen Grundeinkommen und dem heutigen Kleineigentum des „Kleinbürgers“.

Wie gesagt: Über den Sinn der Auskunft, industrielle Produktionsmittel könnten der „Assoziation“ gehören und zugleich individuelles Eigentum sein, soll noch nachgedacht werden. Hier ging es schon einmal um Einsicht in die logische Verträglichkeit beider Eigentumsformen, zu der man bereits beim Durchdenken des Grundeinkommens gelangt.