(123) Eine fragende Ökonomie

Zweite Abteilung / 3. Die vorwiegend politische Seite der Proportionswahl / Fünfter Teil – Proportionswahlen

Zur Methode

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Recht genau vor einem Jahr begann ich, die „Proportionswahl“ zu erörtern – jene Wahl, in der die Andere Gesellschaft, statt der blinden Kapitallogik zu folgen, über die Grundlinien ihrer Produktion selbst entscheidet, indem sie bewusst festlegt, welches Gewichtsverhältnis zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln, Landnutzungsflächen, Energiearten und so weiter bestehen soll -, aber wie sich mein Projekt dann entwickeln würde, sah ich nicht voraus. Es sind zwei Kapitel entstanden: Während im ersten die Proportionswahl als ein einziges integral ökonomisch-politisches Gebilde behandelt ist, wird dieses im zweiten Kapitel aufgelöst, weil es sich als notwendig erwies, die „mehr ökonomischen“ Seiten der Sache gesondert zu durchdenken. Entsprechend soll es im nachfolgenden dritten Kapitel um die „mehr politischen“ Seiten gehen.

Hier in diesem Eintrag gebe ich eine Zusammenfassung des „mehr ökonomischen“ Kapitels. Seine Logik begreife ich selbst erst im Nachhinein. Beim Schreiben schien mir, als handelte ich nacheinander Einzelgesichtspunkte ab: die problematische Gegenüberstellung von öffentlichem und privatem Konsum, die Unterteilung der Wahlperiode, die Preisbildung, die „experimentelle Produktion“. Es war sicher eine Zumutung für Leserinnen und Leser. Ein fortlaufender Weg war kaum zu erkennen. Er war aber da, und jetzt, wo er mir bewusst wird, kann ich das Kapitel überschaubar machen, indem ich von einer einfachen Grundidee ausgehe. Ich habe immer wieder geschrieben, die Ökonomie der Anderen Gesellschaft erweise sich dadurch als nicht mehr kapitalistisch, dass in ihr der Gleichungsdiskurs nicht dominiere, der sich auf die Logik des Geldes stützt; es gebe ihn zwar noch, er sei aber dem nun dominanten Antwortdiskurs untergeordnet. Auf diesen Gedanken greife ich jetzt zurück. Er wurde bisher nur durch die Proportionswahl illustriert, die ja auch die Hauptsache ist. In der Anderen Gesellschaft, so die Grundaussage der ganzen Blogreihe, entscheidet keine Kapitallogik ausgehend von „x Ware A = y Ware B“, dann „G-W-G‘“ (Geld = bezahlte Produktionsfaktoren = hergestellter Warenwert = Geldrückzahlung + Mehrwert) über den ökonomischen Prozess, kein Gleichungskettenselbstlauf also mehr, sondern  d i e  G e s e l l s c h a f t  nimmt es in die Hand, macht sich Fragen bewusst und  a n t w o r t e t  bewusst, und die Antworten sind Gesetz, unanfechtbar, weil demokratisch legitimiert; damit eben geht die Dominanz vom Gleichungs- auf den Antwortdiskurs über.

Der Gedanke tauchte dann lange Zeit nicht mehr explizit auf, so dass es scheinen konnte, er sei überflüssig gewesen wie ein gelehrter Zusatz, den ich mir hätte sparen können. Ja, ich selbst hatte diesen Zweifel. Eine Wahl ist eine Wahl, es ändert nichts, wenn ich sie noch als Antwort auf eine Frage bezeichne. In dem Kapitel aber, wo die „mehr ökonomischen“ Umstände und Folgen der Proportionswahl zu durchdenken waren, erwies er sich als zentral und konstitutiv und führte zu einer unerwarteten Einsicht, die sich, wie gesagt, in meiner eigenen Wahrnehmung jetzt erst realisiert, nachdem ich sie gleichsam unbewusst in der Sache schon dargelegt habe. Sie besagt, dass der „Plan“, der in einer Proportionswahl von allen Individuen der Gesellschaft gewählt wird, nicht ein geplanter Zustand oder Verlauf, sondern  e i n e  g e p l a n t e  M e t h o d e  ist und dass diese Methode keine Schrittfolge von Anweisungen, etwa „Im ersten Jahr soll X fertig sein, im zweiten X + Y“ und so weiter, sondern  v o n  F r a g e n  ist; der Plan, von dem ich geschrieben habe, er sei ein Vertrag zwischen den ökonomischen Wählern und den Unternehmen über Grundlinien der zu produzierenden, dann aber auch zu kaufenden Güter, ist eine „antizipierte Frage-Antwort-Kette“. Seine Verwirklichung geschieht so, dass beide Seiten der Antizipation folgen. Wie sich dadurch alles ändert, wird man gleich sehen.

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Den Begriff der antizipierbaren Frage-Antwort-Kette habe ich vor langer Zeit als Methodenbegriff besonderer Art eingeführt (Die Methode der wissenschaftlichen Revolution, Berlin 1985, S. 108 ff.). Er sollte die Möglichkeit von Methoden erweisen, die ihren Gegenstand nicht vergewaltigen, die also, statt „Methodenartefakte“ zu erzeugen, vielmehr die Sache aufschlüsseln beziehungsweise voranbringen, auf die man sie appliziert. In einer solchen Kette ist nur die Anfangsfrage klar, während schon die folgende zweite Frage, die sofort mitformuliert wird, und ebenso die dritte, vierte, fünfte stets unter dem Vorbehalt stehen, dass sie auf dem Boden der Antwort stehen können müssen, von der man erwartet, dass sie erfolgen wird. Das heißt aber, es gehört zum Methodenbegriff, dass man die Enttäuschung der Erwartung für möglich hält und entschlossen ist, die Methode dann nicht „durchzuziehen“, sondern abzuändern, umzukehren oder gar zu verwerfen. Wann entspricht eine Antwort nicht ihrer Antizipation? Im einfachsten Fall dann, wenn genau eine Antwort erwartet wurde und stattdessen eine andere erfolgt. Sonst aber auch dann, wenn zwar mehrere verschiedene, ja gegensätzliche Antworten erwartet werden konnten, keine einzige aber gegeben wurde – stattdessen eine gekommen ist, die mit der Frage unverträglich war, auf die reagierend sie erfolgte (sei dies die Anfangsfrage oder irgendeine Folgefrage gewesen). Wenn es sich so verhält, muss die Methode verändert werden. Die Frage, die sich als irrig erwies, wird verändert, damit sie zur erfolgten Antwort passt.

Einfaches Beispiel: Ich will dem empörenden Verschwinden eines Diamantrings wirksam begegnen und nehme mir vor zu klären, „1. Wer ist der Täter, 2. wie nehme ich ihn fest“. Die zweite Frage baut ersichtlich auf der erfolgten Beantwortung der ersten auf – wenn A der Täter ist, muss ich zur Stadt X fahren, ihn festzunehmen, wenn B, zur Stadt Y -, welche Beantwortung ich aber gar nicht schon kennen muss, um sie, die zweite Frage, im Voraus antizipieren zu können. Diese Fähigkeit des Antizipierens der Folgeschritte, also des Entwurfs einer Schrittfolge, ist eben das Methodische. Aber wie gesagt, auch dass ich im Voraus weiß, die Antizipation kann falsch sein, gehört dazu. Man denkt und handelt besser methodisch, zu antizipieren ist also immer richtig, nicht aber immer das Antizipierte. Es kann mir zustoßen, dass ich auf meine Anfangsfrage überhaupt keine ihr zuordbare Antwort erhalte, weil sich herausstellt, dass kein „wer“ es getan hat, sondern ein nicht vorhersehbares Geschehen die Ursache war. Auf so ein Geschehen kann ich meine Frage „nach der Festnahme eines Täters“ nicht anwenden. Sie erweist sich als falsch gestellt. Ich muss mit einer ganz anderen Frage fortfahren, etwa „Wie schließe ich die Wiederholung des Geschehens aus“. Wenn’s die diebische Elster war, werde ich sie nicht „festnehmen“, sondern vielleicht künftig die Fenster verschlossen halten.

Xerxes, als er das Meer peitschen ließ, weil es seine Brücke über den Hellespont zum Einsturz brachte, hielt als dummer Oberbefehlshaber an der „Wer“-Frage fest und zog sie durch. Das Meer sollte ein Wer sein und wurde höchst lächerlich zu vergewaltigen versucht. Genauer gesagt war es die Phantasie der Griechen, die diese Dummheit ihres persischen Gegners erfand, auf den sie herabsehen wollten. Sie selbst aber schufen die Gestalt des Ödipus, der als König von Theben nach dem Wer fragt, das seinen Vater erschlagen hat, um dieses in einem zweiten Schritt zu bestrafen, er als Richter ihn als Gerichteten. Es fand sich kein Wer, vielmehr stellte sich beim Suchen heraus, dass Ödipus nach einem solchen Wer irrig gefragt hatte – ohne es zu sagen, weil es so selbstverständlich schien -, das vom Wer des Richters verschieden gewesen wäre.

 

Die Realisierung des gewählten Plans

Dass in der Anderen Gesellschaft „der Antwortdiskurs dominiert“, womit sie ihren nichtkapitalistischen Charakter erweist, ist nicht nur, gleichsam noch äußerlich, dadurch gewährleistet, dass sie den ökonomischen Verlauf ihrem geantworteten Wahlergebnis unterstellt, sondern die Dominanz ist ihm innerlich, er verkörpert sie; fragend-antwortend verläuft er in sich selber. Das, was in einer Proportionswahl gewählt wird – der einer Wahlperiode zugrundeliegende ökonomische Plan -, ist eine antizipierte Frage-Antwort-Kette. Dies führe ich jetzt aus.

Die Proportionswahl begründet eine Wahlperiode, in der ihr Ergebnis gilt, das heißt durchgeführt wird; sie hat einen Anfang, eben ihre Begründung durch die Wahl, und ein Ende, das ist die Folgewahl, mit der eine nächste und andere Wahlperiode beginnt. Wenn man es so ausspricht, ist kein Verfahrensunterschied zur Parlamentswahl zu bemerken. Das Besondere der wahlbegründeten ökonomischen Planung, ihr fragend-antwortender Charakter, zeigt sich aber darin, dass für ihren Verlauf keine verallgemeinerbaren Zeitpunkte vorab festgelegt werden. Weder wann eine Proportionswahlperiode beginnt noch wann sie endet, kann abstrakt bestimmt werden – so wenig, wie abstrakt angegeben werden könnte, wann eine Frage sich stellt und wann eine unerwartete Antwort sie als problematisch erweist.

Eine konkrete Frage ist der Ausgangspunkt, zum Beispiel ob der gefährliche Atomstrom bleiben soll und was an seine Stelle gesetzt werden kann. Es geht aber nicht nur um sie, sondern die Antwort-Varianten, zwischen denen dann ausgewählt wird, sind gehalten, stets das ökonomische Mögliche darzulegen und also alle gesamtwirtschaftlich betroffenen Proportionen anzupassen. Eine konkrete Frage kommt, wann sie kommt. Es wäre ja grotesk, wenn die Gesellschaft eine Fehlentwicklung zu erkennen glaubt, dann aber acht Jahre bis zur nächsten in regelmäßigen Abständen stattfindenden Wahl abwarten müsste, um die Gegensteuerung beschließen zu können. Nein, die Frage ist da, sobald ihre Beantwortung „gesellschaftlich verlangt“ wird. Nun beginnt die Erarbeitung der Antwort-Varianten, und wenn diese vorliegen, kann gewählt werden.

Die damit beginnende Wahlperiode wird als so lang veranschlagt, wie man für die Umsetzung des gewählten Projekts, zum Beispiel eine Umkehrung des Mengenverhältnisses von motorisiertem Individual- und Öffentlichem Verkehr (MIV : ÖV) könne in zehn Jahren gelingen, zu brauchen glaubt. Diese Veranschlagung ist nur eine Antizipation, eine Frage, als solche aber wird sie fixiert. Wenn das der Vorgang ist und die Praxis solcher Wahlen bereits dauert, wird es von selbst dazu kommen, dass sich der Gesellschaft eine ökonomische Frage (1) stellt, während sie noch dabei ist, ihre Antwort auf die früher gestellte Frage (2) umzusetzen. Es werden sich also mehrere Wahlperioden überlagern, die zu verschiedenen Zeitpunkten beginnen und enden, in den Phasen ihrer Gleichzeitigkeit aber aufeinander abgestimmt sein müssen; das heißt bei jeder Wahl, betreffe sie nur eine Frage oder mehrere gleichzeitig, muss jede zur Wahl stehende Variante so angelegt und errechnet sein, dass sich ein einheitliches gesamtwirtschaftliches Proportionsgefüge ergibt.

Aus der Antwort, die in einer solchen Wahl statuiert wird, geht als Methode ihrer Verwirklichung eine Kette von Fragen hervor, von denen antizipiert wird, dass der ökonomische Prozess ihnen nacheinander die erwarteten Einzelantworten erteilt. Die Wahlantwort war zum Beispiel gewesen, in zehn Jahren sei das Verhältnis ÖV : MIV von 1 : 5 auf 5 : 1 umzukehren, wobei sie die Gesamtmenge, ob sie nun verändert sein oder gleichbleiben soll, ebenfalls mit vorgegeben hat. Für die MIV-Unternehmen bedeutet das, sie haben in zehn Jahren nur mehr „10“ Einheiten zu verkaufen, wo sie vorher „50“ verkauften. Es seien auf dem MIV-Markt zwei Konkurrenten vorhanden und er sei im Verhältnis 1 : 4 unter ihnen aufgeteilt. Der gewählte Plan geht nun davon aus, dass bei gleichbleibender Marktstärke Konkurrent A nach Ablauf der zehn Jahre „2“, Konkurrent B „8“ verkaufen würde, unterstellt aber zugleich die Möglichkeit, dass sich das Kräfteverhältnis verschiebt, und fordert die Beobachtung der Verschiebung an jedem Jahresende. Würde es keine Verschiebung geben, käme A durchschnittlich jedes Jahr und also schon im ersten Jahr auf einen Marktanteil von 0,2, B von 0,8 und so fragt denn die Methode: Besteht nach dem ersten Jahr die Verteilung 0,2 : 0,8? Sie fragt aber auch: W a n n , während das Jahr noch läuft, hat A 0,2 oder B 0,8 erreicht? Am Ende erst oder schon vorher? Wenn A bei 0,2 ist, während B erst 0,5 erreicht hat, gibt es um die verbleibenden 0,3 Einheiten bis zum Jahresende Konkurrenz mit offenem Ausgang. Ebenso umgekehrt, wenn B bei 0,8 ist, während A erst 0,05 erreicht hat, wird um verbleibende 0,15 Einheiten konkurriert.

Wer nun meint, so laufe es doch schon heute und ganz von selbst, trifft nicht ganz das Richtige. Der Unterschied ist, dass in unserm Modell ein Grenze angenommen ist, „1“ am Ende des Jahres, auch wenn sie, wozu wir jetzt kommen, überschritten werden darf. „1“ ist kein Gleichungskettenglied, sondern ein Stück Wahlergebnis: eine Antwort, und hat oder ist als solche eine Grenze. Sie darf zwar überschritten werden. Die Summe der Verkäufe A + B am Jahresende ist nämlich nicht vorgeschrieben, es ist nur wichtig, sie zu beobachten, also zu befragen. Sie muss nicht „1“ betragen, da „1“ nur bei durchschnittlicher Verteilung der gewählten Zehnjahresmenge auf die Einzeljahre herauskäme. Angenommen, sie beträgt nach dem ersten Jahr 1,1. Das Kräfteverhältnis von A und B habe sich nicht verändert, betrage also immer noch 1 : 4. Dann fragt die Methode, ob wenn nicht am Ende des ersten, dann des zweiten Jahres die durchschnittlich erwartete Menge, nun also „2“, erreicht ist, und weiter, ob sich die fürs zweite Jahre verbleibenden 0,9 Einheiten im Verhältnis 1 : 4 aufteilen oder anders.

Sie fragt so, weil sie davon ausgeht, dass es Verkaufssprünge geben kann, die später durch Stockungen kompensiert werden, und umgekehrt. Angenommen aber, nach dem siebten Jahr zeichnet sich ab, dass schon nach dem achten die Wahlgesamtmenge von „10“ verkauft sein wird. Damit erhielte die Methode im Ganzen eine Antwort, die ihrer Frage widerspricht, denn die Frage war gewesen, wie sich „10“ auf zehn Jahre verteilen, nicht auf acht. Es ist derweil auch schon gefragt worden,  w a r u m  es zu der unerwarteten Antwort kommt. Der Grund könnte sein, dass die „50“ auf der Gegenseite der Proportion (der öffentliche Verkehr soll verfünffacht werden) sich langsamer als erwartet herausbilden. Aber so viel ist klar, der Wählerwille ist verändert, es muss also neu gefragt, neu gewählt werden. Vielleicht entscheidet man sich, für einen Übergangszeitraum die etwas mildere Proportion ÖV : MIV :: 4,5 : 1,5 (statt :: 5 : 1) zu projektieren? Jedenfalls sehen wir, wie der Zeitpunkt des Anfangs einer Wahlperiode liegt auch der des Endes nicht a priori fest.

In die Wahlfrage geht immer auch ein, wie sich die Optionen zu den Grenzen des Umweltraums verhalten. Angenommen, das Verhältnis von ÖV und MIV lasse bei einer gewählten Gesamtmenge „60“ über zehn Jahre, die sich „50“ zu „10“ auf die beiden Seiten verteilt, zur absoluten Maximalmenge – die ökologisch gerade noch tragbar wäre – einen gewollten Abstand übrig (als Reserve für unvorhersehbare künftige Entwicklungen) und das solle auch so bleiben. Durch technische Innovation sei aber dieser Abstand gewachsen, oder anders und umgekehrt gesagt, bei gleichbleibendem Abstand wäre nunmehr eine Gesamtmenge „80“ wählbar. Dies mag die Wahlentscheidung beeinflussen oder auch nicht. Das Elektorat entscheidet sich, die Gesamtmenge auszuweiten, oder bleibt bei der vorher gewählten Menge; sie kann diese neu aufteilen (wenn das Verhältnis öffentlicher Verkehr nicht 5 : 1, sondern 4 : 2 beträgt, wird dennoch die Umwelt wegen der technischen Innovationen nicht stärker belastet) oder es bleiben lassen. Zu der veränderten Wahlsituation kann es etwa kommen, wenn dem Prinzip „cradle to cradle“ (Produktion nur mit hundertprozentig wiederverwertbaren Abfallmaterialien) eine große ökonomische Karriere bevorstehen sollte.

Die Frage der gewollten Gesamtmenge(n) stellt sich bei jeder durch eine konkrete Frage veranlassten Wahl. Sie könnte aber darüber hinaus auch Gegenstand einer in gleichbleibenden Abständen stattfindenden Wahl sein, die es doch auch geben sollte und die sogar der Rahmen aller „konkreten“ Wahlen insofern wäre, als in ihr regelmäßig geprüft würde, wie sich Produktion und Technik mit dem Umweltraum vertragen.

Zu den gesellschaftlichen Fragen, die konkret aufgeworfen werden können, gehören auch die nach den „Bedürfnis-Grundlinien“. Bisher hatten wir es mit Fragen zu tun, die ökonomisch übersetzt auf die Frage hinauslaufen, ob bestehende Proportionen zwischen bestehenden Güter-Gruppen verändert werden sollen. Es kann aber auch welche geben, die auf die Wünschbarkeit von Güter-Gruppen zielen, die nur vorbereitet werden oder deren Anfänge sich erst abzeichnen. Die Vorbereitung als solche durch die Unternehmen ist statthaft und notwendig; Unternehmen tun gut daran, auf vermutete, vielleicht unbewusste Bedürfnisse der Käufer zu reagieren. Das heißt dann aber, sie  f r a g e n , ob sie richtig verstanden haben, und dürfen es „experimentell“ erproben und die Käufer müssen nein sagen können. Das tun die Käufer, indem sie ihrerseits fragen: Wofür wird experimentiert, das heißt welches allgemeine übergreifende Bedürfnis unterstellt man uns und durch welche Projekte, die sich abzeichnen, würde es befriedigt werden? Und dann, wollen wir es überhaupt? Oder wollen wir den Abbruch des Experiments? In diesem Zusammenhang war anzudeuten, dass auch die Frage, welche Generalrichtung(en) die naturwissenschaftliche Forschung einschlägt, eine politische ist und immer gewesen ist, keine wissenschaftliche, denn die Wissenschaft als solche hat kein Ziel; dass sie daher ebenfalls – und gerade im eben angesprochenen Kontext, weil solche Forschung und die experimentelle Produktion sich wechselseitig bedingen – bis zu einem gewissen Grad der gesellschaftlichen Entscheidung zugänglich gemacht werden sollte.

Wenn meine Prozess-Schilderung vielleicht den Eindruck erweckt, es sei ja nun gar keine Regularität mehr vorhanden, sondern alles könne sich beliebig entwickeln, dann wäre das zwar ein falscher Eindruck, aber doch ein gutes Zeichen – dafür nämlich, dass ökonomische Planung die Freiheit der Marktkräfte nicht über das heutige Maß hinaus beschneiden muss. Es sind trotzdem ganz neue Regeln wirksam. Sie laufen darauf hinaus, dass die Gesellschaft jederzeit Grenzen setzt, die nicht starr sind. Wo immer gut und notwendig, aber freilich nur dort, werden sie verschoben.

 

Das Umfeld des Realisationsprozesses

Der ökonomische Prozess ist also zur gesellschaftlich beherrschten Frage-Antwort-Kette geworden. Alle ökonomisch internen Gleichungsketten (Verkaufsketten, Kredit- und Tilgungsketten) haben sich in den Grenzen einer anderen, der Frage-Antwort-Kette abzuspielen. Diese ist äußerst flexibel. Ihre Grenzen verschieben sich mit den Problemen, die erfahren werden. Grenzen sind aber immer da, einen Sog ins Unendliche gibt es nicht. Die Kapitallogik ist gebrochen.

Wir haben damit den Kern des Ökonomischen charakterisiert, das ist der Prozess der Umsetzung des Proportionswahl-Ergebnisses. Es sind noch Dinge zu ergänzen, die zu seinem Funktionieren gehören, und andere, die sein allgemeines ökonomisches Umfeld bilden. Alle erweisen sich als weitere Bausteine einer fragend-antwortenden Ökonomie. So kann die Preisbildung im Prozess ständig befragt werden, ob sie rational nachvollziehbar ist und den öffentlichen Kriterien genügt, statt manipuliert zu sein. Übrigens gehört auch die Preisbildung des Lohns hierher, stoßen wir doch auf den bekannten Umstand, dass die Kalkulation des Arbeitsangebots, der gewerkschaftlich verlangte Lohn, heute die einzige ist, die offen zutage liegt. Ihre Chancen stehen immer schlecht, weil die Gegenseite, die Mal für Mal behauptet, es sei nicht genug Geld da, ihre Kalkulation nie offenlegen muss. Das wird anders. Ein Stück Umfeld schaltet sich ein, von dem ich früh gesprochen habe: die Unverborgenheit alles Ökonomischen. Auch die Kalkulation der „Arbeitgeber“ liegt künftig offen. Unverborgenheit ist der allgemeinste Ausdruck einer fragenden Ökonomie, denn wenn das Fragen-Antworten dominiert, gibt es Geheimnisschutz nur da, wo er gut begründet werden kann. Ist doch Antworten, als Entdecken, sein Gegenteil. Dem ökonomischen Prozess, der nur dafür legitimiert ist, gesellschaftliche Dienstleistung zu sein – mit privaten Intimsphären verbindet ihn gar nichts -, kommt sie grundsätzlich nicht zu.

Zum Funktionieren des Prozesses gehören noch der Ökonomische Rat der Produzenten, der sich, soweit möglich, auf die Umstrukturierungsfolgen einigt, die ein Wahlergebnis für die Unternehmenslandschaft hat, und die Banken, die mit ihrer Kreditvergabe für wahlergebniskonforme Produktion sorgt. Auch diese Dinge zeigen das fragend-antwortende Profil. Der Ökonomische Rat als Organ der Produzenten kann dem gewählten Plan nicht widersprechen, ihm aber alles entgegenhalten, was er über die Eigenlogik der Produktion und der Produzenten weiß. So ist er nicht bloß das verkörperte Produktion-Mittel, mit dem ein gewähltes Ziel erreicht wird, sondern dieses, umgekehrt, ist nur Frage, wie das Gewählte machbar sei, und dem Rat kommt das Antworten zu. Eine „Diktatur des Proletariats“ wird daraus nicht, aber doch ein Vetorecht der Produzenten in Produktionsfragen. Was die Banken angeht, haben wir eine flexible Zinsberechnung angedacht, bei der die Zinshöhe von dem Erfolg abhängt, den ein Produzent mithilfe eines Kredits erzielen kann. Da dann der Kredit in der Hoffnung (aber ohne Gewissheit) nicht nur eines Zinsertrags überhaupt, sondern eines steigenden vergeben wird, hat er ganz anders Fragecharakter als heute.

Ich komme zum Umfeld der Proportionswahl, wie es vorab erörtert worden war. Das ganze Umfeld der Wahl ist mit dieser gerade deshalb verträglich, weil sich beide in derselben fragend-antwortenden Verfassung bewegen. Das Postulat der Unverborgenheit wurde schon genannt. Begonnen hatten wir mit dem Grundeinkommen, um da gleich zu betonen, dass seine Daseinsmöglichkeit und Höhe immer auch die Frage beantwortet, wie reich eine Gesellschaft ist, und deshalb als in Grenzen variabel gedacht werden muss. Es geht dann aber nicht darum, ein Kausalverhältnis zwischen verschiedenen rein ökonomischen Größen festzustellen, sondern auf der Basis, dass diese Größen bekannt sind, wird das für vernünftig Gehaltene gewählt. Wir können jetzt noch hinzufügen, dass für die Wahlperiode dieser Wahl, die ziemlich am Anfang der Anderen Gesellschaft steht, kein Ende veranschlagt wird, was nicht ausschließt, dass die Gesellschaft doch einmal eine Neuwahl vornehmen muss. Das Grundeinkommen: Es nimmt vor allem die Angst weg und macht also frei, befähigt zum freien Denken – ermöglicht die Wahlfreiheit, die sich als Mut zum Aufwerfen einer Frage und als Fähigkeit ihrer Beantwortung äußert.

Dann kamen wir auf die „Vergesellschafteten Unternehmen“ zu sprechen: große Produzenten-Akteure, die es als ihre freiwillig übernommene Aufgabe ansehen, nach einer Proportionswahl die gewählten Umstrukturierungen der Produktion, aber auch der Unternehmenslandschaft, also ihrer selbst zu leisten. Sie konkurrieren untereinander und mit anderen, im Ökonomischen Rat aber, der nach der Wahl tagt – und wo ihr Einfluss bestimmend sein wird -, kooperieren sie, reden also und fragen einander nach Interessen und Umstrukturierungs-Ressourcen. Dann der Markt. Vom Markt kann es scheinen, als sei er immer schon ein Feld des Fragens, von „Angebot und Nachfrage“ nämlich. Um ihn aber wirklich dazu zu machen, müssen wir deren Verhältnis umkehren und die Nach- zur Vorfrage machen: ob es möglich ist, ein gewisses Bedürfnis zu befriedigen. Zur Nachfrage wird das „Angebot“: ob es als gelungene Manifestation einer korrekten Antwort auf die Vorfrage gelten kann. Mittel zur Umkehrung ist die deutliche, das heißt institutionalisierte Trennung von Angebot und Nachfrage (um bei den eingebürgerten Begriffen zu bleiben), die es der Letzteren erlaubt, sich unabhängig vorab herauszubilden.

Trennung geschieht aber  i m m e r , wenn eine Frage als solche bewusst wird. Was über eine Sache geglaubt wurde, erscheint plötzlich nicht mehr als Aussage über die Sache, sondern als Antwort auf eine sie betreffende Frage, die falsch gestellt sein kann. Nun steht die Sache der Frage, die Frage der Antwort getrennt gegenüber. Man weiß, dass man nichts weiß. Für die fragend-antwortende Ökonomie sind solche Trennungen typisch. Sehr grundsätzlich trennen wir, wenn wir Polanyi folgend den Markt als „Marktmaschine“ von uns abhalten – ihn gebrauchend zwar, aber ohne uns mit ihm zu identifizieren. Wir sind auch Element, zuvor aber Herren dieser Maschine, die wir nach unserm Willen gestalten und die wir, um das tun zu können, mit den erforderlichen „Griffen“ und „Lenkstangen“ versehen. Frei tritt ihr der Proportionswähler entgegen, indem ihm der vorhandene Markt zum Objekt wird, als gehörte er nicht selber dazu; so kann er einen anderen wählen. Aber ganz analog ist schon der Grundeinkommens-Bezieher von der  P r o d u k t i o n s maschine getrennt und daher befähigt, frei zu fragen, ob Lohnendes, Gutes zu sehen ist, dessentwegen er in sie eintreten sollte.

Immer auch stellen wir uns den Unternehmer vor, der sich freiwillig aus Überzeugung in die Ökonomie der Anderen Gesellschaft einreiht – die Vergesellschafteten Unternehmen tun es ja auch -: Seine Frage wäre, ob er mit „guten“ Zielen Gewinn machen kann; Gewinn statt Verlust ist immer Bedingung und Kriterium der Möglichkeit, wichtiger aber wird ihm die Güte des Ziels. Es stünden dann ausnahmslos alle, die am Markt teilnehmen, ihrem ökonomischen Objekt fragend gegenüber: der Arbeiter als Grundeinkommens-Berechtigter, der nur für „Gutes“ zu haben ist, der Unternehmer als Organisator der Umsetzung „guter Ziele“ und der Proportionswähler, der nach solchen fragt und sie auswählt. Schließlich haben wir auch im Geld getrennt, aus demselben Grund. Übersetzung des Wahlergebnisses ins Monetäre ist das „Gesellschaftsgeld“ als Rahmen, in dem sich die Ströme des eigentlichen Tauschgelds, „Individualgelds“ zu halten haben. Schon von diesem Geldrahmen wurde ausgeführt, dass er nicht als Größe aus dem Wahlergebnis abgeleitet werden kann und soll, sondern dieses umgekehrt die Frage ist, wann im Verlauf der Wahlperiode er erreicht ist; die Kreditvergabe der Banken, die sich immer wahlkonform verhalten, zeigt an, wann er sich erschöpft. Von der oben behandelten Möglichkeit, dass eine Neuwahl vor Ablauf der Wahlperiodenlänge, wie sie geplant und erwartet war, erforderlich wird, wäre das nur eine Kehrseite.

 

Auf Wissen gegründet

Zum Schluss möchte ich hervorheben, dass unsere fragend-antwortende Ökonomie etwas wie den Entwurf einer Wissensökonomie und –gesellschaft darstellt. Den Begriff „Wissensgesellschaft“ gibt es schon und er wird recht oberflächlich gebraucht. Laut Wikipedia bezeichnet er „eine Gesellschaftsformation in hochentwickelten Ländern, in der individuelles und kollektives Wissen und seine Organisation vermehrt zur Grundlage des sozialen und ökonomischen Zusammenlebens werden“. Ja, aber wie sieht das aus, wenn Wissen eine Gesellschaft begründet? In unserer spielt es doch nur mit. Welche Formen der Institutionalisierung gehören dazu, dass man sagen kann, das Wissen dominiere in einer Gesellschaft? Darauf haben wir geantwortet, sie mache sich kundig und wähle. Ihr wird eine Frage bewusst, sie findet heraus, wie es gelingt, die Frage klar zu stellen, und entscheidet sich für eine der möglichen Antworten.

In einer Wissensgesellschaft zählen Wissens-Instanzen viel. Die Proportionswahl ist eine davon. Aber auch Universitäten neuen Typs werden eine Rolle spielen. Ich habe angedacht, dass der ökonomische Fachbereich, Studierende wie Lehrende, ein Stück Kontrolle der Kontrolleure, das sind die Banken, übernehmen könnte. Ähnlich könnten technische Fachhochschulen auf die Debatten im Ökonomischen Rat ein Auge haben, wenn dort ein technisches Veto gegen ein Proportionswahlergebnis ausgesprochen wird. Und wie bald zu erörtern, könnte auch das Problem der Qualifizierung der Medien so angegangen werden. Von den Zielen naturwissenschaftlicher Forschung habe ich gesagt, dass sie eine politische statt selber wissenschaftliche Frage sind, weshalb an ihrer Beantwortung die Gesellschaft zu beteiligen ist. Aber wie man sieht, läuft das nicht auf „Entmachtung der Universitäten“ hinaus – im Gegenteil.

Wissen steht nicht still. Es ist zur Antwort drängende Bewegung. Das ist viel mehr, als in dem auch gern gebrauchten Wort „Informationsgesellschaft“ liegt. Informiertsein gehört wahrlich dazu, ja ist die Grundlage. Unverborgenheit aller Geschäftsbeziehungen, bei gut begründeten Ausnahmen nur, ist eins unserer wichtigsten Prinzipien. Die Optionen aber, die auf Basis derselben Informiertheit zur Wahl stehen, wollen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern beurteilt sein, nur dann kann eine ausgewählt werden. Antworten, Urteilen ist mehr als Informieren-Informiertsein. Wie machen wir es möglich? Das ist eine Aufgabe, die sich heute schon stellt. Ein Schema ist zu erstellen, das in jeder an der Proportionswahl beteiligten Planvariante Berücksichtigung finden muss. Ob sich nun Ökologen zur Wahl stellen oder der ADAC es tut, ihre verschiedene Option unterliegt denselben Bedingungen der Möglichkeit, über die sie Rede und Antwort stehen müssen, derart auch, dass die gesellschaftlich interessanten Folgen immer mit sichtbar werden. Da wir gesehen haben, dass der Plan eine wandelbare Methode ist, ja mehrere Pläne sich überlagern und stets die Proportionen abgeleitet und angepasst sein müssen, ist es schon rein sachlich keine leichte Aufgabe; hinzu kommt, dass die schemenkonforme Variante für den sie prüfenden Wähler benutzerfreundlich sein muss.

Die Entwicklung des Schemas, das ist eine Sache, von der wir genauso gut sagen könnten, sie sei ein Kampfschritt auf dem Weg zur Anderen Gesellschaft, wie diese beginne mit ihr schon real. Und es könnte heute sein. Die Entwicklung des Schemas und der Bedienungsoberfläche sollte von vielen versucht werden. Es ist eine echte Forschungsaufgabe. Darüber hinaus aber auch eine politische Chance, denn wenn in der Entwicklung des Schemas Wissenschaftler mit aufgeschlossenen Politikern, Gewerkschaftern, Unternehmern zusammenarbeiten – um das ökonomische Bedingungsgefüge, auch Gefüge der legitimen Interessen, so adäquat wie möglich abbilden zu können -, werden bereits auch wichtige politische Bündnisse vorbereitet.