(118) Der Andere Preis

Zweite Abteilung / 2. Die vorwiegend ökonomische Seite der Proportionswahl / Fünfter Teil – Proportionswahlen

Der folgende Eintrag betrifft die Frage, ob eine Ökonomie möglich ist, die sich gesellschaftlichen Entscheidungen und  z u g l e i c h  der  s p o n t a n e n , nur die Knappheit spiegelnden Preisentwicklung fügt. Drei Fragen wären zu erörtern: Erstens, ist eine solche Synthese überhaupt denkbar? Aus der Geschichte kennt man nur Preise, die  f e s t g e s e t z t  wurden, um dem gesellschaftlichen beziehungsweise staatlichen Interesse Genüge zu tun. Zweitens, ich habe immer wieder behauptet, eine der Gesellschaft dienende und zugleich unternehmerisch freie Ökonomie könne es nur geben, wenn alle ökonomischen Belange durchsichtig sind. Was heißt das konkret? Wie stellt man sich durchsichtige Preisbildung vor? Welcher Nutzen ist zu erwarten, und wie wird er erreicht? Drittens, Proportionswahlen wären der demokratische Weg, ökonomische Umstrukturierung zu ermöglichen. Wie wird die Gesellschaft mit dem Umstand fertig, dass sich jede von ihr beschlossene Umstrukturierung in Zusatzkosten niederschlägt, die dem Umbau als solchem geschuldet sind? Zeigt nicht die derzeitige „Energiewende“, wie solche Kosten ganz einfach den Endkonsumgüterpreisen aufgeschlagen werden und der zunächst mehrheitlich gewollte Umbau dadurch zum Ärgernis wird? Zuende gedacht hieße das, die Proportionswahl selber wird unpopulär und kann sich als Institution nicht halten.

Mein Weg, die Fragen zu beantworten, soll darin bestehen, dass ich die Erfahrungen der DDR auswerte, die sich zwar auf die Andere Gesellschaft nicht übertragen lassen, aber doch das Problem erhellen und auch manchen nützlichen Hinweis geben. Ich halte mich an das ausgezeichnete Buch von Renate Damus, Entscheidungsstrukturen und Funktionsprobleme in der DDR-Wirtschaft, Frankfurt/Main 1973.

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Was die erste Frage angeht, führen die Strukturen der DDR durchaus nicht weiter, denn die Synthese privater und gesellschaftlicher Ökonomie gelang dort so wenig wie im Kapitalismus. Man kann nur sagen, es war ein Scheitern, aus dem gelernt werden kann. Wir lernen vorerst nur, was wir schon wissen, dass nämlich die Notwendigkeit einer Anderen Gesellschaft zu erkennen ist, deren Ökonomie auf Proportionswahlen basiert. Der Versuch, private und gesellschaftliche Ökonomie kompatibel zu machen, wurde besonders in der Periode des von Walter Ulbricht angestoßenen Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) unternommen. Das war in den 1960er Jahren. Es gab zwei Arten von Betrieben: solche, von denen die übergreifenden strukturbestimmenden Aufgaben zu erledigen waren – sie unterstanden unmittelbar den zentralen Planungsbehörden -, und alle anderen, die eigenverantwortlich planen konnten. Auch diese waren zur Erfüllung von „Kennziffern“ verpflichtet, allerdings wurden ihnen nicht mehr, wie zuvor, bestimmte Produktmengen abverlangt, sondern bestimmte Effektivitätsgrade, und zum Haupterweis von Effektivität wurde der Gewinn gemacht, zu dessen Optimierung unter Beachtung gewisser Vorschriften sie daher gehalten waren.

Wie es schien, konnten  d i e  P r e i s e  dafür, dass die eigenverantwortlich planenden Betriebe den gesellschaftlichen Präferenzen gerecht wurden, kein Hindernis sein. Denn diese Betriebe waren zwar preissetzende Subjekte, doch gab es auch ein „Industriepreisregelsystem“. Da war festgelegt, „dass wenn die realisierten Gewinne bei Erzeugnisgruppen die normative Gewinnrate […] über eine bestimmte Toleranzgrenze hinaus übersteigt […], diese Preise zu senken sind“ (E. Heyde u.a., Fragen und Antworten zur Industriepolitik, Berlin [DDR] 1969, S. 46). In der Praxis funktionierte es freilich nicht. Wie Damus anmerkt, waren die Betriebe trotzdem imstande, „z.B. über Preissteigerungen aufgrund angeblich technischer Weiterentwicklung der Produkte […] einzelwirtschaftliche Gewinne bei gesamtwirtschaftlich schädlichem Verhalten zu erzielen“ (a.a.O., S. 87 f.).

Man stellt sich vor, ein vergesellschaftetes Bankensystem könne dergleichen verhindern, da doch dem Gewinn immer der Kapitalvorschuss zur Produktion und also der Kredit vorausgeht (G-W-G‘ nach der Marxschen Formel), der für gesellschaftlich unerwünschte Projekte nicht hergegeben würde. Tatsächlich bedeutete eigenverantwortliche Planung nicht zuletzt, dass die Betriebe sich selbständig an die Banken wenden konnten, um Kredite zu erlangen, und natürlich sollten die Banken die Kreditvergabe von der Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Präferenzen abhängig machen. Das geschah aber nicht immer. Was vielmehr geschah, erleben wir auch im Kapitalismus, es löst dort die großen Krisen aus (vgl. die 82. Notiz): Keine „Garantie“, so Damus, gab es dafür, „dass die betriebliche, von Banken finanzierte Investitionspolitik gebrauchswertmäßig den gesamtwirtschaftlichen Präferenzen und also der Strukturpolitik entspricht“ (S. 81), „da innerhalb der Banken über den Gewinn, der an die Einnahmen durch Zinsvergabe geknüpft war, ein einzelwirtschaftliches Interesse an der Vergabe von Krediten und damit der Einnahme von Zinsen bestand“ (S. 84).

So konnte es wie im Kapitalismus dazu kommen, dass „[e]inzelwirtschaftlich unrentable Produkte“ nicht produziert wurden „- unrentabel gemessen daran, dass mit anderen Produkten höhere Gewinne […] erzielt werden können – […], obwohl für sie ein gesellschaftlicher Bedarf besteht“. Die Folge: „eine Versorgungslücke tut sich auf“ (S. 82). Derselbe Mechanismus, der im Kapitalismus zu periodischen Wirtschaftszusammenbrüchen führt, führt im Realsozialismus zur Mangelwirtschaft.

Unmittelbar also kann man vom NÖS nichts lernen. Doch die besten Kritiker des NÖS und vergleichbarer Modelle gaben nicht der freien Preissetzung die Schuld, sondern fanden, sie hätte noch freier sein müssen. Selbst Charles Bettelheim, ein sehr grundsätzlicher Kritiker des Realsozialismus, sah sich zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass spontane Preisbildung gerade zu dem Zweck notwendig ist, dass Betriebe sich plankonform verhalten können. Denn nur die Bewegung der Preise kann ihnen sagen, welche „Techniken und Mittel […] politisch und gesellschaftlich am wirksamsten sind“. Damus zitiert das und fügt hinzu, dies habe „nichts mit der Behauptung zu tun, dass die Summe der einzelwirtschaftlichen Rentabilitäten schlechterdings zusammenfällt mit gesamtwirtschaftlicher Effizienz“. Warum nicht? Weil „die einzelwirtschaftlichen Aktivitäten […] sich ja von vornherein nur im Rahmen des gesamtwirtschaftlich Gesetzten bewegen [können], ihre jeweilige Rentabilität […] nicht naturwüchsigen Prozessen überlassen“ sei. (S. 217 f.) Die Frage ist eben nur, wie so ein Rahmen aussieht, der die freie Preisbildung nicht zurücknehmen muss, um seinen Zweck erfüllen zu können.

„Sind die langfristigen Entscheidungen“ des Plans „einmal getroffen und wird in ihrem Rahmen das Preissystem gestaltet, so ist nicht einsichtig, warum die Kategorie Preis von vornherein negativ zu bewerten sei.“ (S. 215 f.) Wie kann es denn aber sein, dass ein Preissystem Plankonformität nicht etwa verhindert, vielmehr zu ihren notwendigen Bedingungen gehört, und sie in der DDR dennoch verhinderte? Darauf erhalten wir die Antwort, ohne Eigenverantwortlichkeit der Betriebe, deren Ausdruck ihr Recht zur Preissetzung ist, sei ein wirksamer übergreifender Plan gar nicht vorstellbar. Sind nämlich die Produzenten nur so, dass sie die Produkte produzieren, an der Ausarbeitung und Durchführung der Pläne beteiligt, „dann ist nicht zu erwarten, dass die Pläne der ökonomischen Wirklichkeit bzw. die ökonomische Wirklichkeit den Plänen entsprechen.“ (223) Nein, ihr Preissetzungsrecht ist eine unverzichtbare Beteiligungsform. Doch wenn es  d i e  e i n z i g e  ist, ist keine Entsprechung mit dem übergreifenden Plan gewährleistet. Die Beteiligung der Produzenten muss  m e h r  u m f a s s e n .

Bei Damus, wie in der ganzen damaligen Diskussion, wird noch nicht klar ersichtlich, was das heißen könnte. Ota Siks Buch, das für gesamtgesellschaftliche ökonomische Wahlen plädiert, erschien erst 1978. Von heute aus gesehen erscheint sein Plädoyer als die gesuchte Antwort. Es hätte auch damals schon so erscheinen können, nicht nur Damus, sondern Ulbricht selber, der freilich 1970 von Erich Honecker gestürzt wurde. Auf Ulbrichts Weg war nämlich schon 1968 der nächste Schritt getan worden. Er bestand in der Vision ökonomischer Wahlen bei sonst freien Marktbeziehungen mit spontaner Preisbildung. Darauf bewegte sich der „Prager Frühling“ zu. Sik, der in Prag zu den Wortführern und Verantwortlichen gehörte, hat es zehn Jahre später nur aufgeschrieben, unverhüllter formuliert und weiter durchdacht. Diesen Schritt zu wagen, konnte aber Ulbricht nicht einfallen, weil er die Herrschaft der SED beendet hätte. Man muss dennoch festhalten, dass die NÖS sich wie ein Stück Vorgeschichte des Prager Frühlings ausnimmt. Es zeigt sich in Ulbrichts eigenem Verhalten, hatte er doch „die Wahl Alexander Dubceks zum neuen Parteichef in Prag Anfang Januar 1968 zunächst begrüßt. Erich Honecker würde ihm das später zum Vorwurf machen.“ Ich zitiere Rolf Hosfeld, Was war die DDR? Die Geschichte eines anderen Deutschland, Köln 2008.

„Den Botschafter der DDR in Prag wies er an, ein möglichst gutes Verhältnis zu Dubcek und seinen Leuten zu suchen, da man die Entwicklung, die sich jetzt in der CSSR anzubahnen schien, im Kern als positiv betrachten müsse. Ulbricht misstraute dem gestürzten Dubcek-Vorgänger Antonin Novotny zutiefst und hielt ihn für vollkommen reformunfähig. Der hatte im Januar 1967 unter Druck mit halbherzigen Wirtschaftsreformen begonnen, sie dann aber gleich wieder unter einem Wust von Bürokratie erstickt. Dubcek versprach das anders zu machen. Doch die erste Euphorie beruhte auf einem Missverständnis. Gern“ zwar „hätte Ulbricht das Industrieland Tschechoslowakei als Verbündeten im sozialistischen Lager für sein Modell und seine Laborversuche gewonnen, und er wurde nicht müde, Dubcek nahezulegen, die DDR habe alle Prager Probleme bereits in mustergültiger Weise gelöst.“ (S. 230) „Schon bald“ aber, „einige Wochen später, zählte Ulbricht zu den schärfsten Kritikern Dubceks.“ Was hatte sich geändert? Dies: „Man wurde sich während des ersten Halbjahres 1968 in Prag zunehmend klarer darüber, dass die durch eine Ausdifferenzierung der Wirtschaft entstehende gesellschaftliche Komplexität auch ein neues politisches System erforderte, um wirkungsvoll funktionieren zu können.“ (S. 230 f.)

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Freie Preisbildung ist sozusagen die niedrigste, Teilnehme an der gesamtgesellschaftlichen Wahl die höchste Form der Beteiligung der Produzenten an den gesellschaftlichen ökonomischen Entscheidungen. Dazwischen wird es weitere Formen geben, darunter die, dass die Betriebe auch miteinander sprechen (Verträge schließen), statt nur zu konkurrieren und konkurrenzgünstige Preise zu setzen. Man kann zwar nicht, wie manche träumen, eine Ökonomie nur aus dem allgemeinen Palaver konstituieren. Doch wenn dem Palaver gewisse Stangen eingezogen sind – im Großen das Resultat der Proportionswahl, im Kleinen die autonome Preisbewegung, die aus der Ausübung des Preissetzungsrechts der Betriebe hervorgeht und im Resultat anzeigt, siehe Bettelheim, „welche Techniken und Mittel am wirksamsten sind“ -, dann hat es genügend Halt und kann selber zum Halt des Haltes werden, sprich die Proportionswahl prägen und die Preisbewegung zum Element, ja zur Triebkraft des Plans machen, der aus der Wahl hervorgeht.

Die Andere Gesellschaft wird sich darauf, dass so ein Resultat beim Palaver herauskommt, freilich nicht verlassen. Auch in ihr bedarf es der Kontrolle, ob die Preisbewegung wirklich autonom ist im Sinn von Bettelheim, statt dass sie manipuliert wird von den preissetzenden Subjekten, etwa indem sie Kartelle bilden. Diese Kontrolle wird dadurch erreicht, dass es keine ökonomische Geheimhaltung mehr gibt: Alle ökonomischen Verläufe und so auch die Preissetzung sind der Öffentlichkeit jederzeit bekannt. Manipulierte Preise, die nicht mehr anzeigen, wo am effektivsten produziert wurde, fallen daher auf und können rückgängig gemacht werden.

Wenn wir das voraussetzen, wird uns das Preissystem der DDR noch weiter interessieren, beruht es doch auf der Frage, woran man  i m  E i n z e l n e n  s i e h t , ob ein Preis manipuliert ist oder nicht. Es sehen zu können hätte genügt, das Problem der Übereinstimmung von einzelbetrieblicher und Gesamtwirtschaft zu lösen; nur war in der DDR die Sicht versperrt. Sie blieb ein Postulat bei noch so viel staatlicher Befehlsgewalt. Was in den Betrieben geschah, konnte von den zentralen Behörden aus nicht hinreichend durchschaut werden, und von der Gesamtgesellschaft schon gar nicht. Die demokratische Öffentlichkeit der Anderen Gesellschaft würde das auch nicht können, wenn nicht seit damals, als es die NÖS gab, die Computerisierung eingetreten wäre. In einer technisch auf dem Internet basierenden Ökonomie, wie sie sich schon heute herausbildet, kann völlige Durchsichtigkeit jeglicher ökonomischen Information erreicht werden.

Wir gehen von den Preisrichtlinien der Ära Honecker aus, die bei Damus sehr detailliert dargestellt sind. Sie zeigen, wieweit man die Preise in ihre Komponenten hat auseinanderlegen können. Es gibt „Ausführungen über die Preisbildung, Preisobergrenzen, Preisbildungsmethoden, Ausarbeitungen von Preisvorschlägen einerseits und eine Kalkulation der Kosten, Kostennachweis, kalkulationsfähige Kosten andererseits“. (S. 117) Die Preiskontrolle, heißt es, „soll […] bereits im Stadium der Planung einsetzen“ (S. 127). Es geht um „die Ausarbeitung des Preislimits“. „Dabei sind aufwandbezogene Parameter oder Preisreihen, aufwandbezogene Teilpreise oder Teilpreisnormative, aufwandbezogene Differenzkalkulationen zugrunde zu legen. Sind diese Methoden nicht anwendbar oder nicht realisierbar […], dann müssen die Kosten errechnet werden, die dem Leistungsvermögen des betreffenden Betriebes entsprechen.“ Es gab daher „zusätzliche spezielle Kalkulationsrichtlinien, die auf die jeweiligen Industriezweige oder Erzeugnisgruppen zugeschnitten sind“, was auch heißt, dass die „Höhe des kalkulatorischen Gewinnzuschlags“ variieren kann. (S. 168 f.) Das heißt einfach, wenn die Kosten überdurchschnittlich hoch sind, hat der Gewinn entsprechend niedriger zu sein (vgl. auch S. 171).

Letzteres geschieht im Kapitalismus und auch in der Anderen Gesellschaft von selbst. Doch wird es in der Anderen Gesellschaft von allen beobachtet. Deshalb müssen dort alle wissen, w a s zu beobachten ist und zwar im Detail. Das wenigstens wusste in der DDR jeder, der ein ökonomisches Lehrbuch oder Lexikon aufschlug.

„Um Preismanipulationen zu vermeiden, ist in diesen speziellen Richtlinien festzulegen, welche Veränderungen bei neu in die Produktion kommenden Produktionsmitteln als wesentlich anzusehen sind. Zugleich sind erzeugnisspezifische Normative für das Verhältnis von Industriepreisen und Gebrauchseigenschaften anzugeben.“ Hier fügt Damus hinzu, in „diese[n] Methoden, die die Qualität und den technischen Fortschritt antizipieren und die Preisdisziplin sichern sollen“, lauere „freilich die Gefahr, ein gesamtgesellschaftlich günstiges Verhältnis von Preisen und Gebrauchseigenschaften gerade nicht zu sichern, sondern es zugunsten der Preisdisziplin aufzulösen“. (S. 169) Dieser Gefahr ist die Andere Gesellschaft nicht ausgesetzt, da sie es ja ist, die bestimmte Gebrauchswerte fordert, definiert und einklagt. Wie wir sahen, tut sie es im Großen durch die Proportionswahl, im Kleinen durch den institutionalisierten Konflikt zwischen Unternehmen und Konsumenten um die Frage der Warengestaltung. Ich habe an Ort und Stelle nur hervorgehoben, dass hierbei ums Design der Waren gestritten wird, wobei Künstler- (Designer-) Gruppen den Konsumenten, als ihre Advokaten gleichsam, zur Seite stehen (71. Notiz), es wurde aber da schon gesagt, dass der Streit grundsätzlich das Verhältnis der real angebotenen zur möglichen Ware überhaupt betrifft. Er kann deshalb auf a l l e wünschbaren Wareneigenschaften ausgeweitet werden.

Wir wollen übrigens lieber von  K r i t e r i e n  als von „Normativen“ oder „Richtlinien“ sprechen, da die Andere Gesellschaft ihre Ökonomie nicht durch Befehle kontrolliert, sondern durch Fragen und Antworten. Denn sie arbeitet aus und weiß daher,  w i e  sie nach dem Preis so  f r a g e n  kann, dass er gezwungen ist, sich zu offenbaren. Und zwar fragt sie nur, ob ein Preis weder manipuliert noch am Gebrauchswert desinteressiert ist. In die spontane Preisbewegung greift sie nicht nur nicht ein, sondern will sie gerade gewährleisten.

Wichtig und schon heute erkannt ist schließlich, dass unter „Kosten“ auch  g e s e l l s c h a f t l i c h e  Kosten zu verstehen sind; diese werden im Preis erscheinen. Auch sind „die Auswirkungen auf die Struktur von Export und Import [zu berücksichtigen]“. (S. 85) Letzteres tun Unternehmen in freier Konkurrenz von selbst, in der Anderen Gesellschaft freilich bei Vorgabe der teilweise wählbaren Export-Import-Beziehungen. Ersteres ist berechenbar und wird schon heute berechnet, doch die Unternehmen sind noch „frei“, sich darüber hinwegzusetzen. Ihre Freiheit ist durch gesellschaftliche Unfreiheit erkauft, damit wird es vorbei sein.

3

Die folgende Regelung demonstriert sehr gut, was schon behauptet wurde, vielleicht aber nicht gleich überzeugen konnte: dass die Existenz eines Preissystems das „Palaver“ selbständiger ökonomischer Einheiten und somit einer kommunikativen statt automatischen, demokratischen statt administrativen ökonomischen Planung nicht etwa schadet, sondern vielmehr hilft. „Für neu in die Produktion aufgenommene Erzeugnisse sind Preislimits auszuarbeiten bzw. zu vereinbaren, wobei der Betrieb, der für die Entwicklung verantwortlich zeichnet, federführend ist. Der verantwortliche Betrieb arbeitet sowohl mit dem Hersteller (wenn er nicht mit ihm identisch ist) als auch mit den Hauptabnehmern und den wichtigsten Zulieferern zusammen […]. Denn auf Wunsch des Entwicklungsbetriebes müssen die betroffenen Betriebe an der Ausarbeitung des Preislimits mitwirken und die gewünschten Unterlagen zur Verfügung stellen. Das berechnete Preislimit ist im Rahmen der Aufgabenstellung für Forschung und Entwicklung gemeinsam zu vertreten; erzielen die betroffenen Betriebe keine Einigung, so entscheidet der Leiter des zuständigen Preiskoordinierungsorgans. Eine nur für festgelegte Ausnahmefälle mögliche Preislimitüberschreitung bedarf der Zustimmung des Hauptabnehmers.“ (S. 169 f.)

Das in Rede stehende „Organ“ ist in der Anderen Gesellschaft eins der ökonomischen Selbstverwaltung der Betriebe, in dem die in Arbeiterhand befindlichen Vergesellschafteten Unternehmen wegen ihrer Marktdominanz – sie sind ja Nachfolger der heutigen Aktiengesellschaften – den Ton angeben werden (vgl. 63. Notiz). Damus fasst zusammen: „die partiell gegensätzlichen einzelwirtschaftlichen Interessen sollen durch  g e g e n s e i t i g e  K o n t r o l l e  die gesamtwirtschaftliche Planung verbessern“ (S. 170, meine Herv.). Es muss nicht gesagt werden, dass dies Verfahren, übersetzt in die Andere Gesellschaft, nicht etwa die Konkurrenz aushebelt, da es ja nur Erzeugnisse betrifft, die von mehreren Unternehmen gemeinsam hergestellt werden. Wir finden es daher schon heute, mit dem Unterschied freilich, dass kein gemeinsames Organ der Unternehmen, sondern das mächtigste den Streit entscheidet. Noch wichtiger indes ist der Unterschied, dass die Unternehmen nicht nur bei einzelnen Waren derart kooperieren werden, sondern vor allem auch in der Frage, wie sie die von einer Proportionswahl gebotene Umstrukturierung gemeinsam umsetzen können. Mindestens was diese insgesamt kostet, wird ja niemand besser abschätzen als sie in gemeinsamer Erwägung.  W i e  sie aber abschätzen und ob es „ehrlich“ geschieht, kann die ganze Gesellschaft beobachten.

Wir sind damit an dem Punkt, der uns vor allem interessiert: Umsetzung einer Proportionswahl ohne manipulierte Preise. Dabei wurde ein Aspekt schon in der vorigen Notiz behandelt, ob und wie nämlich Manipulation  b e i m  A u s l a u f  einer Wahlperiode ausgeschlossen ist. Ich will es in Erinnerung rufen: Abzuwehren ist die Gefahr, dass Unternehmer Waren horten, um sie beim Auslauf, wenn mehr Käufer als anfangs erwartet immer noch weiter kaufen wollen, überteuert anbieten zu können. Dies wird verhindert, indem auch hier die Preisbildung durchsichtig ist. Man kann wissen, wieviel der Verkäufer beim Horten selbst bezahlt hat, und seine aufgeschlagene Gewinnspanne daran messen. Überteuerte Käufe können angezeigt und die Verkäufer zur Rückzahlung verpflichtet werden, sie bringen daher nichts und werden gar nicht erst versucht. Wenn aber die Zahl der zusätzlichen Käufer, die man nicht erwartet hatte, sehr groß ist (eine Schwelle übersteigt), wird man noch einmal neu wählen, das heißt die nächste Wahl vorziehen, die ja ohnehin kommt.

Schwieriger scheint die Frage, wie  a m  A n f a n g , wenn die gesamte Ökonomie infolge der Wahlentscheidung teilweise umstrukturiert wird, Preismanipulation verhindert werden kann. Denn jede Umstrukturierung wirft Kosten auf und es fragt sich, wer sie tragen soll. Das ist die Chance der Unternehmen, es von anderen zu verlangen und solchen anderen, dem Staat und den Endkonsumenten, dann auch noch überteuerte Rechnungen vorzulegen. Wieder ist Durchsichtigkeit die Lösung. Betrachten wir zunächst, dass schon jede Entwicklung neuartiger Einzelwaren Kosten aufwirft: Das ist kein gravierendes Problem, war es schon in der DDR nicht. Hier wurde „[b]ei neu in die Produktionsmittelproduktion aufzunehmenden Erzeugnissen […] bestimmt, dass das Verhältnis von Kosten, Preis und Gebrauchswerteigenschaften so aussehen muss, dass daraus für den Abnehmer bzw. Anwender der Vorteil größerer Effektivität erwächst. […] Bei einer nur unwesentlichen Weiterentwicklung von Produkten darf der Preis überhaupt nicht erhöht werden; der Industriepreis ist in jedem Fall genehmigungspflichtig. Ein ungünstiges Verhältnis von Weiterentwicklung, Kosten und Preis wird nur für den Fall akzeptiert, dass damit Verbesserungen des Arbeitsschutzes und des Umweltschutzes verbunden sind.“ (S. 132)

Damit ist gesagt, dass  l e i c h t e  Verteuerungen auch Konsumenten zumutbar sind, solange sie die Wahl haben, sich beim Kauf zwischen gewohnten und „neu aufgenommenen“ Waren zu entscheiden. Mit dieser Einsicht war die DDR dem Kapitalismus überlegen, nur abgesehen von der „Genehmigungspflicht“. Die wird von der Anderen Gesellschaft selbstredend nicht übernommen. Es reicht doch hin, wenn die Endkäufer  s e h e n  – nachträglich! – und selbst beurteilen, ob die „Weiterentwicklung“ des Produkts ihnen „wesentlich“ erscheint und also den höheren Preis rechtfertigt. Schwierig wird es aber, wenn man meint, sie hätten auch für die Kosten der Umsetzung der Proportionswahl aufzukommen, die ja ihre eigene sei. Denn in diesem Fall besteht an der Wesentlichkeit der Weiterentwicklung kein Zweifel, und weil die Wahl hier schon geschehen ist, können sie der Teuerung nicht ausweichen, müssen sie als notwendige Konsequenz der Umstrukturierung anerkennen.

Die Folge ist, dass Umstrukturierungen und so auch Proportionswahlen, die ihr demokratischer Modus sind, unpopulär werden. Die Aussicht auf Wahlfreiheit mag potentielle Wähler zunächst erfreuen. Bald aber gilt sie als zu teuer erkauft.

Da könnten sich alle beteiligten Unternehmen zusammengetan haben, um die Notwendigkeit eines überhöhten Preises zu behaupten, der das rentabelste Unternehmen besonders belohnt, den unnötig unrentablen aber auch nicht schadet. Wie dergleichen funktioniert, zeigt schon heute die berüchtigte Preisexplosion von Großprojekten, darunter der „Energiewende“. Gäbe es schon Proportionswahlen, wäre sie ohne Zweifel gewählt worden – die Umfragen haben es immer gezeigt -, doch nachdem sie zu höheren Strompreisen führte, sank die Zustimmung dramatisch. Alle Antworten auf das Dilemma, die wir heute hören, sind falsch angelegt oder gehen nicht weit genug. Falsch ist es, mit einer Verzögerung der Wende zu reagieren, unzulänglich, an den höher gewordenen Preisen n u r das Moment der Manipulation – überhöhte Gewinnspannen, die geleugnet, aber nicht offengelegt werden – hervorzuheben, auch wenn es ganz sicher real ist. Denn auch wenn die Pflicht zur Offenlegung und mehr als das: eine jederzeit abrufbare Durchsichtigkeit, von vornherein bestünde, bliebe doch richtig, dass jede Umstrukturierung zur Kostensteigerung führt. Und Kosten gehen in Preise ein. Da wird dann argumentiert, die Konsumenten müssten nach dem Verursacherprinzip für das, was sie selbst als gut erkannt haben, auch zum „Opfer“ bereit sein. Abgesehen davon aber, dass nicht alle es aufbringen können, hat die Sache eine Kehrseite, die immer verschwiegen wird.

Wir schauen noch einmal der DDR zu: Da gab es „Fonds“, in die alle Betriebe einzahlten. Man kann sich in der Tat vorstellen, dass allein die freien Unternehmen die Umstrukturierung bezahlen, einfach indem sie sich für den Umstrukturierungsfall „versichern“. Der Prozentsatz des Gewinns, den sie einzahlen müssten, bräuchte gar nicht hoch zu sein, wenn man sich klar macht, dass er während der ganzen Wahlperiode von sage acht bis zehn Jahren eingezahlt würde. Da käme schon etwas zusammen. Heute freilich dürfen sich Energieriesen weigern, auf ihre eigens angelegten „Rückstellungen“ auch wirklich zurückzugreifen, wenn ihnen ein veränderter Bedarf abverlangt, Atomkraftwerke zu schließen. Sie gehen vor Gericht, weil man ihnen den Boden einmal getroffener Investitionsentscheidungen entziehe. Damit zeigen sie ja, dass sie ihre gesellschaftliche Verpflichtung nicht verstehen wollen, die schon heute besteht und nur der Durchsetzung harrt. Sind sie nicht dazu da, die „Nachfrage“ zu befriedigen? Wenn diese sich ändert, müssen sie ihr „Angebot“ ändern. Das gilt eben nicht nur im Kleinen, wo kein Brötchenverkäufer sagen dürfte, er habe zu viel auf den Ladentisch gelegt, weil viele Käufer unerwartet ausblieben, und wolle dafür entschädigt werden, sondern auch im Großen, wenn sich nun einmal herausstellt, dass zu viel Atomstrom „auf dem Ladentisch liegt“.

Nein, dass die „Nachfrage“ sich ändern kann, ist Alltag und gehört zum Geschäft. Unternehmen sind die Institution, die dazu da ist, darauf gegebenenfalls zu reagieren. Natürlich sollen sie auch reagieren  k ö n n e n  und müssen sich deshalb eben versichern für den Fall der „Nachfrage“änderung großen Stils, zu der es bei manchen Proportionswahlen kommen wird. Das schließt eine Beteiligung besserverdienender Endkäufer übrigens nicht aus. Aber so vermeidet man, dass solche Käufer u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g  beteiligt werden. Immer unter der Voraussetzung, dass die Preisbildung vor aller Augen liegt, sowohl was das Verhältnis von Kosten und Gewinnspanne als auch was die Modalitäten des Rückgriffs auf den Fonds betrifft.

Ich füge nur noch hinzu, dass die Käufer, und zwar alle Käufer, auch über die Verwendung des Fonds mitbestimmen. Sie können das bei der Proportionswahlentscheidung ganz bewusst tun, denn die jeweilige Kosten-Konsequenz der zur Wahl stehenden Programme ist, soweit sie sich einschätzen lässt, in diesen selbst verzeichnet. Es wird dann Wähler geben, die eine bestimmte Umstrukturierung für gut halten und sie wegen der Kosten doch nicht oder nur abgeschwächt wählen: nicht weil sie noch befürchten müssten, alle Kosten würden auf sie abgewälzt, sondern weil ihnen das einzelne Wahlprogramm vorrechnet, in welchem Ausmaß es den Fonds belastet, und sie ihn etwa schonen wollen für andere, noch nicht erkannte Umstrukturierungserfordernisse.