(133) Die Macht der Milliardäre

Zweite Abteilung / 4. Die Gewaltenteilung in der Anderen Gesellschaft / Fünfter Teil – Proportionswahlen

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Es seien ein paar Belege für die politische Macht der Reichen zusammengestellt, eine Macht, die den demokratischen Gewalten einschließlich der Exekutive mehr als gewachsen ist. Am reichsten überhaupt scheint die Erbin des französischen L’Oreal-Holdings zu sein; L’Oreal ist der weltgrößte Kosmetikhersteller. Der Reichtum der Erbin beläuft sich auf über 30 Milliarden Euro, das von ihr deklarierte Einkommen, nach dem sie besteuert wird, liegt aber nie über fünf Millionen Euro, etwa einem Zehntausendstel des Vermögens. Wie man die Dinge so einrichten kann, erzählt Thomas Piketty (Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014, S. 712 f.): Es sei einfach schwierig, bei noch so luxuriöser Lebensführung mehr als ein paar Millionen pro Jahr auszugeben, die man sich in Form von Zinsen auszahlen lasse; den Rest der Rendite stecke man in eine Familienholding, das ist eine Rechtsform, die „einzig dem Zweck der Verwaltung eines so großen Vermögens dient“.

„Im Fall des größten französischen Vermögens ergibt sich eine zusätzliche Schwierigkeit daraus, dass die Familienholding von der Frau des Haushaltsministers verwaltet wurde, der seinerseits Schatzminister derselben politischen Partei war, die von dem fraglichen Vermögen mit großzügigen Spenden bedacht wurde. Da es dieselbe Partei war, die während ihrer Zeit an der Macht die Vermögenssteuer gedrittelt hatte, hat der ganze Vorgang naturgemäß heftige Reaktionen im ganzen Land hervorgerufen – und bewiesen, dass sich das Phänomen einer vom Reichtum usurpierten politischen Macht […] beileibe nicht auf den Fall der Vereinigten Staaten beschränkt. Nur zur Erinnerung: Bei dem Haushaltsminister handelt es sich um den Vorgänger jenes anderen, der ein Konto in der Schweiz verschwiegen hatte, was auch daran erinnert, dass jene Machtusurpation in Frankreich die Grenzen zwischen den politischen Lagern übergreift.“

In der Tat ist der „Fall der Vereinigten Staaten“ noch viel bedeutsamer. Fangen wir mit dem an, was allgemein bekannt ist: Man kann dort nicht Präsidentschaftskandidat sein, ohne Wahlkampfspenden vonseiten der Industrie gesammelt zu haben oder selbst ein Reicher zu sein wie Donald Trump, der heute auf republikanischer Seite in den Umfragen führt, trotz oder gerade wegen seines unsäglichen Auftretens, übrigens ein Phänomen, das an Berlusconi denken lässt. Präsident Obama hat zwar Kleinspendenrekorde zu verzeichnen gehabt und es gibt die gesetzliche Regelung, dass kein Wähler mehr als 2500 Dollar spenden darf. Erlaubt sind aber „Komitees“, die unbegrenzt viel Spenden eintreiben und ausschütten können, ohne die Identität der Spender bekanntgeben zu müssen. Obama hat gegen solche Komitees gewettert, dann aber selbst welche gründen müssen, um nicht schlechter dazustehen als der Gegenkandidat. Und so viel weiß man, aus Versicherungen, Wallstreet, sonstiger Finanz und Immobilien kam beim letzten Wahlkampf knapp eine halbe Milliarde Dollar zusammen, wovon Obama ein Drittel bekam und zwei Drittel auf den Gegenkandidaten fielen. Dass solche Spenden die Hände binden, ist klar.

Aber das ist bei Weitem nicht alles, und gleich werden wir sehen, wie das eben Geschilderte schon altmodisch zu werden beginnt, ja im Rückblick als doch wenigstens dritteldemokratische Idylle erscheint.

Um an einem anderen Hebel der politischen Mechanik anzusetzen: Man kann in den USA wie in Deutschland nicht nach dem mächtigsten Amt greifen, ohne vorher ein anderes wichtiges Amt innegehabt zu haben. Wenn man zum Beispiel Gouverneur war, sind auch wieder Spendenkampagnen oder eigener Reichtum Voraussetzung gewesen. Obama hatte als Senator landesweite Bekanntheit erlangt. Und nun schauen wir uns einmal den US-amerikanischen Kongress an, Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses: „[D]as Durchschnittsvermögen der 535 amerikanischen Kongressmitglieder“, so Piketty, „[beläuft sich] 2012 auf 15 Millionen Dollar“. (S. 694 f.) Das sind keine Superreichen, Reiche aber schon; da sie mit den demokratischen Gewalten eh schon identisch sind, müssen sie nicht erst Zugang zu ihnen finden.

Dass sich aber auch Superreiche im Kongress sehen lassen, berichtete kürzlich ausgerechnet die FAZ:

„Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen umstrittenen Auftritt vor dem amerikanischen Kongress hatte, saß ein steinreicher Unternehmer in der Besuchergalerie, der aufs engste mit der Angelegenheit verquickt war: der Casino-Mogul Sheldon Adelson aus Las Vegas. Dieser Mann teilt Netanjahus Sorge, dass Präsident Barack Obama zu weich mit Iran umgeht. Das unterscheidet ihn noch nicht von vielen normalen Bürgern. Er ist zugleich aber einer der größten Förderer der Republikanischen Partei und enger Vertrauter Netanjahus. Dessen Bemühungen um Wiederwahl in Israel unterstützt Adelson kraftvoll. Selbst wenn die Republikaner die vor dem Weißen Haus verheimlichte Einladung Netanjahus aus freien Stücken ausgesprochen haben, so wussten sie doch, dass sie damit ihrem wichtigsten Gönner einen großen Gefallen getan haben. So macht ein Milliardär ein bisschen Außenpolitik.“

Dieser Text, betitelt „Die Macht der Milliardäre“, war am 18. März dieses Jahres Hauptkommentar des Wirtschaftsteils der FAZ, und der Verfasser, Winard von Petersdorff, fährt fort:

„Adelson vertritt einen neuen Typus reicher Spender in den Vereinigten Staaten. Dieser verfolgt mit seinen Zuwendungen eine politische Agenda, er scheut sich nicht, Partei zu ergreifen, und er will Ergebnisse sehen. Mit der Nüchternheit eines Buchhalters zählt er die Früchte seiner Spenden, wie er die Renditen seiner Investitionen misst. Das unterscheidet ihn von der alten Generation der Großspender. Leute wie Andrew Carnegie oder John Rockefeller widmeten ihr Vermögen überwiegend den schönen Künsten, der höheren Erziehung oder karitativen Organisationen. Trug eine Konzerthalle oder Universität dann den Namen des Großspenders, war das Lohn genug“,

ein Hinweis übrigens darauf, dass der Reichtum und die Reichen ihre eigene Geschichte haben (was Piketty zu diesem Thema beisteuern kann, werden wir noch sehen). Petersdorff, nachdem er berichtet hat, dass auch linke Milliardäre sich einmischen – so unterstützte ein Versicherungsunternehmer die Graswurzelbewegung zur Legalisierung von Marihuana mit circa 50 Millionen Dollar -, kommt am Ende noch einmal auf Adelson zurück:

„Die linksliberale Presse sprach spöttisch von den ‚Sheldon-Vorwahlen‘, als sich fast alle Hoffnungsträger der Republikaner letztes Jahr zu einem von Adelson organisierten Kongress in seinem Hotel in Las Vegas einfanden. Adelsons Freunde verbreiten, er suche einen Kandidaten mit starken konservativen Prinzipien, der gleichwohl wählbar für Minderheiten sei. Wenn jetzt aber Milliardäre Kandidaten suchen, die zu ihrer politischen Agenda passen, kehrt das die Verhältnisse um. Bisher nahm man an, dass Kandidaten für ihre politischen Programme Geld suchen. […] Von Adelson weiß man, dass er sich nicht nur eine Politik pro Israel, für niedrigere Steuern und weniger Staat wünscht. […] Der Casino-Besitzer Adelson wünscht sich auch das Verbot von Online-Casinos.“

Wir haben unterwegs gehört, dass Cargenie und Rockefeller „der höheren Erziehung“ einen Teil ihres Vermögens widmeten. Die Reichen von heute tun das natürlich auch, beschränken sich nur nicht mehr darauf. Werfen wir also auch auf diesen Hebel einen Blick. Kann man Senator werden, ohne vorher gut studiert zu haben? Aber wie verschafft man sich Zugang zu einer der prestigeträchtigen Privatuniversitäten? Dieser Zugang ist sehr ungleich:

„Nicht allein, weil es schwierig ist (auch für Eltern, die der obersten Mittelschicht angehören), die sehr hohen Studiengebühren an den prestigeträchtigen Privatuniversitäten aufzubringen. Vielmehr machen diese ihre Zulassungsentscheidungen offenbar in erheblichem Umfang von der Fähigkeit der Eltern abhängig, die Universität mit Spenden zu bedenken. Eine neuere Studie hat gezeigt, dass es just dann zu einer auffälligen Häufung von Spenden kommt, wenn die Kinder ehemaliger Absolventen das Bewerbungsalter erreicht haben. Vergleicht man die verfügbaren Quellen, kann man im Übrigen das gegenwärtige Durchschnittsgehalt der Eltern von Harvard-Studenten auf 450 000 Dollar schätzen, was ungefähr dem Durchschnittseinkommen der reichsten 2 % amerikanischer Haushalte entspricht. Das heißt nicht, Harvard nehme nur Studierende aus diesen reichsten 2 % der Amerikaner auf. Es heißt nur, dass Aufnahmen unterhalb der reichsten 2 % so selten, und Aufnahmen von besonders Reichen innerhalb dieser Gruppe der 2 % so häufig sind, dass sich dieser Durchschnitt ergibt.“ (S. 648 f.)

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Zusammenfassend fragt Piketty, ob „der politische Prozess in den Vereinigten Staaten von den 1 % blockiert“ werde. „Diese Hypothese wird von den amerikanischen Politologen und Beobachtern der politischen Szene Washingtons immer häufiger vorgetragen.“ (S. 693) Nun sieht es gewiss in Europa etwas anders aus. Viele Teile Europas haben ja eine ganz andere politische Kultur. Weit noch ist man von jener US-Ideologie entfernt, nach der es toll gefunden wird, im ganzen Land nach Winnern und Losern Ausschau zu halten und dann eben vor Reichen den Kotau zu machen, weil sie ganz offensichtlich Winner sind. Das prägt auch den Gerechtigkeitsbegriff, den sich die Leute machen. So sind

„in den Vereinigten Staaten der Jahre 2000 bis 2010 oft Rechtfertigungen jenes Typs für die Vergütungen“, Stichwort Boni, „der Supermanager zu hören (die manchmal das Fünfzig- oder Hundertfache des Durchschnittseinkommens und mehr betragen): Ohne solche Vergütungen könnten nur Erben es zu wirklichem Wohlstand bringen, das aber wäre ungerecht und darum sei es letztlich ein Schritt auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit, wenn Supermanager mehrere Millionen oder mehrere Dutzend Millionen verdienen.“ (S. 555)

Die Loser-Seite der sozialen Gerechtigkeit sieht dann so aus, dass „[f]ür Personen ohne Kinder (insbesondere für schwarze Jugendliche) […] gelegentlich der Gefängnisstaat den Vorsorgestaat [vertritt].“ „Ungefähr 1 % der erwachsenen amerikanischen Bevölkerung sitzt 2013 hinter Gittern. Diese durchschnittliche Inhaftierungsquote ist die höchste der Welt (leicht vor Russland, weit vor China). Unter den schwarzen männlichen Erwachsenen (jeden Alters) steigt sie auf über 5 %.“ Empfänger von Sozialhilfe erhalten in den USA Food Stamps statt Geld. (S. 638)

Das sind nur die USA. Doch Piketty sieht aufgrund seiner Zahlen einen weltweiten Prozess, „in dem sämtliche Länder, China und die Ölförderländer natürlich eingeschlossen, immer massiver von den Milliardären und Multimilliardären dieser Erde in Besitz genommen werden“ – dieser  „ P r o z e s s  d e r  p o l i t i s c h e n  A b s p a l t u n g  d e r  g r ö s s t e n  V e r m ö g e n “  sei „bereits in vollem Gange“ (S. 618 ff., meine Herv.). Wie sieht es nun in Europa aus, das eine so andere politische Kultur hat als die Vereinigten Staaten? Da empfiehlt es sich, abstrakter heranzugehen – obwohl es den direkten Zugriff der Reichen auch hier gibt, ich habe den Fall L’Oreal genannt und könnte, was Deutschland betrifft, an die Flick-Affäre erinnern – und mit Piketty den Mechanismus der europäischen Staatsschuldenkrise zu studieren.

Dass Europa, schreibt er, „unter einer endlosen Staatsschuldenkrise leidet“, entbehre „nicht der Ironie, ist es doch der Kontinent mit dem höchsten Kapital-Einkommens-Verhältnis der Welt“ (S. 628). Der Begriff bezeichnet bei ihm den Kapitalstock geteilt durch das jährliche Einkommensvolumen (Nationaleinkommen). Der Kapitalstock „ergibt sich aus den Gütern, die in allen vergangenen Jahren angeeignet oder akkumuliert wurden“: (S. 76) Nicht alles davon ist Kapital im Marxschen Sinn, alles aber ist Vermögen, vorhandener Privatreichtum, und um den geht es. Nimmt man nur Deutschland, Frankreich und Großbritannien, so war der Privatreichtum in allen drei Ländern um 1870 herum etwa siebenmal größer als das Nationaleinkommen, war 1950 auf das nur noch Zwei- bis Dreifache gesunken und hat sich bis 2010 schon wieder beträchtlich aufgeschwungen: auf das Vierfache in Deutschland, das über Fünffache in Großbritannien, das Sechsfache in Frankreich.

Diese Zahlen zeigen ganz einfach, dass Geld genug da wäre, um die Staatsschulden dieser Länder und aller anderen auch mit einem Federstrich zu beseitigen. Eine einmalige Vermögensabgabe, so Piketty, wäre hinreichend: „Zum Beispiel würde eine Proportionalsteuer von 15 % auf alle privaten Vermögen fast ein jährliches Nationaleinkommen einbringen und damit ausreichen, um auf einen Schlag alle Staatsschulden zu tilgen.“ (S. 740) Und er fügt hinzu: „Man kann durchaus der Ansicht sein, Europa habe Besseres zu tun, um sich für seine Zukunft in der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts zu rüsten, als mehrere Prozentpunkte seines BIP auf die Tilgung seiner Staatsschulden zu verwenden, während gleichzeitig die europäischen Länder durchschnittlich weniger als einen Punkt des BIP in ihre Universitäten investieren.“ (S. 745 f.)

Doch man muss die Sache vor allem umgekehrt betrachten. Was bedeutet es, dass nicht etwa nur Griechenland, sondern  d i e  r e i c h s t e n  S t a a t e n  so viele Schulden haben? Die Schuldenmenge ist so groß, dass etwa der deutsche Staat praktisch überhaupt kein eigenes Vermögen hat; es ist alles geliehen, so dass man sagen könnte, die Bundeswehr, die Schulen, alles gehört den Privatgläubigern (vgl. S. 154 f., 168) und s i e sind es im Grunde, denen wir Steuern zahlen. „Die Schwellenländer, obwohl an Einkommen wie Kapital ärmer als die reiche Welt, haben sehr viel geringere Staatsschulden (durchschnittlich 30 % des BIP).“ (S. 737) Nun begreift man natürlich, dass die Reichen lieber den deutschen als den indischen Staat kreditieren, aber da sie auch wissen, dass der deutsche Staat die Kredite dringend braucht, kann man sich trotzdem fragen, warum sie bereit sind, mit „außerordentlich geringen Zinsen (kaum 1 %)“ vorlieb zu nehmen. Piketty meint, es beweise „vor allem, dass die privaten Investoren nicht recht wissen, was sie mit dem Geld anfangen sollen“; da ist sicher etwas dran und es ist schon entlarvend genug. (S. 753 f.)

Es gibt aber noch eine andere Seite der Sache, auf die er anlässlich Saudi-Arabiens zu sprechen kommt. „Weshalb hat Saudi-Arabien beschlossen, seine Rücklagen in amerikanischen Schatzanweisungen anzulegen, obwohl sich anderswo viel bessere Renditen erzielen lassen?“, fragt er. Amerikanische Universitätsstiftungen tun das nicht! Seine Antwort: „Auch wenn dies nicht explizit eingeräumt wird, ist es von Saudi-Arabien nicht unklug, dem Land, unter dessen militärischem Schutz es steht, zu niedrigen Zinsen Geld zu leihen.“ (S. 611) Es muss gut Wetter machen, damit die USA nicht etwa eines Tages ihr Militär  g e g e n  Saudi-Arabien richten. Denn wahrscheinlich „[würden] die westlichen Länder die Vorstellung, zu einem bedeutenden Teil den Ölförderländern zu gehören, auf Dauer nicht ertragen“ und zöge dies „früher oder später die verschiedensten politischen Reaktionen nach sich“, wobei es „keinerlei Gewähr [gibt], dass dieser Prozess immer in ebenso friedlichen Bahnen verlaufen wird. Niemand weiß, wo genau die Inbesitznahme eines Landes durch ein anderes an eine psychologische und politische Grenze stößt, die man nicht überschreiten sollte.“ (S. 614 f.)

All das leuchtet ein und wirft die Frage auf, welches politische Interesse  d e u t s c h e  Reiche bewegt, dem  d e u t s c h e n  Staat ebenfalls nur wenig abzuverlangen. Sicher weil auch sie nicht bedroht werden wollen, ihnen vielmehr an einem gefügigen Partner liegt, der ihr Brot isst und dann auch ihr Lied singen wird. Deutschland ist von keiner Troika geknechtet, macht das eigentlich einen so großen Unterschied? Oh, es macht schon einen. Wer knechtet, braucht Knechtende. Ich als deutscher Steuerzahler will zu denen nicht gehören, muss mich aber fügen, weil der deutsche Staat sich fügt.

„Man wird […] feststellen, dass Deutschland dank seiner Handelsüberschüsse in den letzten Jahrzehnen beträchtliche Auslandsaktiva angehäuft hat. Zu Beginn der 2010er Jahre liegt die Vermögensposition Deutschlands gegenüber dem Ausland bei 50 % seines Nationaleinkommens (mehr als die Hälfte dessen wurde seit dem Jahr 2000 angesammelt) und befindet sich somit fast auf dem gleichen Niveau wie 1913. Das ist wenig im Vergleich zu den Aktiva, die Frankreich und Großbritannien in der Belle Époque im Ausland besitzen, aber doch beachtlich im Vergleich zur heutigen Position der beiden ehemaligen Kolonialmächte, die nahe null liegt.“ (S. 189)

Wieviel politische Macht dem deutschen Staat dadurch zuwächst, ist ebenso klar wie dass er diese Macht nur von Gläubigern geliehen hat und in ihrem Interesse einsetzen muss. Handelsüberschüsse sind ja nur die Kehrseite von Defiziten, wie Griechenland welche hat. Da kann er seine ganze geliehene Macht ausspielen und tut es auch. Und wenn man von Piketty hört, dass die Einflüsterer s o mächtig noch ein Jahrzehnt vorher gar nicht waren, wundert man sich weniger über den doch irgendwie neuartigen Herrenmenschentonfall, den ein Herr Schäuble an den Tag legt.

Noch an etwas anderes sollte uns Saudi-Arabien gemahnen. Selbst wenn wir annehmen wollten, dass die europäischen Staaten nur wenig von den Reichen abhängen, ist doch klar, dass sie ziemlich viel Rücksicht auf die USA nehmen müssen, die als Diktatur der Bourgeoisie zu bezeichnen nun wirklich nicht verwegen ist. Den Reichen der USA gegenüber ist Deutschland aber in keiner anderen Lage als Saudi-Arabien, dass nämlich sie, die USA-Reichen, die militärische Übermacht haben. Dies hat auch einen theoretisch interessanten Aspekt. Man streicht oft heraus, dass „das globalisierte Kapital“ sich von der Macht der Nationalstaaten emanzipiert habe. Sicher stimmt das weitgehend. Aber wenn es nicht den  e i n e n  Staat gäbe, der über so starke Waffen verfügt und mit repräsentativen Teilen des Kapitals quasi identisch ist, dann wäre es mit der politischen Macht der Superreichen trotzdem nicht weit her. Sie drehen allen Staaten die Nase, weil sie sich auf den einen stützen können.

Die nächste (134.) Notiz kann ich erst in zwei Wochen einstellen.