Zur ideellen Seite des Prozesses trage ich nach, dass jene, die hier als „die Revolutionäre“ apostrophiert werden, ihrerseits weiter nichts als eine Fraktion sind und das nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch unter allen, die „auch“ Revolutionäre sind oder sich dafür halten. Da wird es viel Auseinandersetzung geben, wo die einen den andern vorwerfen, sie tönten nur revolutionär, seien aber in Wahrheit Kapitalknechte. Natürlich wird das auch unserem Ansatz zustoßen, denn manche sind nicht bereit und werden nie bereit sein, die Differenzierung von Unternehmern und Kapitalisten, von Kapitalismus und Marktwirtschaft mitzuvollziehen, deren Wahrheit und Notwendigkeit hier nachgewiesen wurde. Es geht da aber um nichts anders, als wovon wir vorher sprachen: Auch alle, die sich diesbezüglich auseinandersetzen, sind zusammen eine vorhandene Gruppe, die Gruppe nun nicht mehr der Arbeiter oder Unternehmer, sondern derer eben, die sich für revolutionär halten, und auch hier, wie in den anderen Gruppen, wird ein Teil für die Ökonomie der Anderen Gesellschaft eintreten.
Der Prozess dieser Differenzierung ist ja schon im vollen Gange. Gerade eben erschien der Dokumentationsband einer Tagung von Marxisten, die sich fragten, wie die nachkapitalistische Ökonomie aussehen wird (Marxistische Abendschule Hamburg [Hg.], Aufhebung des Kapitalismus. Die Ökonomie einer Übergangsgesellschaft, Hamburg 2015): Die eine Hälfte beharrt darauf, dass Ware und Geld vollkommen abgeschafft gehören, die andere zieht aus den historischen Erfahrungen den Schluss, der künftige Kommunismus müsse mit Marktwirtschaft verbunden sein. Nur dass wiederum der je bestimmte Markt g e w ä h l t werden könnte, auf den Gedanken will man nach wie vor nicht kommen. Aber das wird sich ändern. Übrigens will ich nicht sagen, dass das mir vorschwebende revolutionäre Subjekt aus einem Teil derer bestehe, die sich heute in solchen Tagungen treffen. Dieser Teil wird selbst wieder nur mitwirken, neben und vielleicht vor ihm werden Menschen die Initiative ergreifen, die sich heute noch in ganz anderen Kreisen bewegen. Dasselbe gilt von allen Aktivistengruppen, die es schon gibt. Die Entwicklung ist mit der oben in Erinnerung gerufenen der Freimaurer vergleichbar: Ein Zeitpunkt wird kommen, wo zum Kreis derer, die jetzt oder bald den Anfang machen, später erst, und dann plötzlich, auch „die wahrhaft bedeutenden Persönlichkeiten beitreten“.
Die zweite Phase des revolutionären Prozesses beginnt damit – natürlich reden wir schematisch, einen „ordentlichen Beginn“ wird sie nicht haben -, dass sich gesellschaftliche Mehrheiten für die Andere Gesellschaft in Teilen der vorhandenen herausbilden und dass der Wille, zu ihr überzugehen, relevante Teile der wichtigsten Funktionsgruppen ergriffen hat. Dies ist die Phase, in der „die Macht des Kapitals gebrochen“ wird, deshalb ist es die gefährlichste und eigentlich revolutionäre Phase. Alles kommt hier darauf an, dass es vernünftige Frauen und Männer gibt, die imstande sind zu erkennen, auf welche Weise die Gesellschaft sich durch die Klippen und Unbilden einer aufgeladenen Situation hindurchsteuern können. Sie werden nicht vorwiegend im Parlament sitzen, ich will mich aber im Folgenden auf die parlamentarische Seite konzentrieren. Soweit es Deutschland angeht, ist zuerst vom Bundestag und der aus ihr hervorgehenden Bundesregierung zu sprechen. Es müsste eine im Verlauf dieser Phase ins Amt gelangen, die ganz einfach das Programm von Thomas Piketty umsetzt. Wie ich früher schon gesagt habe, kann das nur von den Revolutionären der Anderen Gesellschaft erwartet werden, auch wenn Pikettys Programm, auf den ersten Blick wenigstens, sich voll in den Regeln der vorhandenen Gesellschaft zu halten scheint. Die Sprengkraft dieses Programms wird aber unterschätzt. Dabei ist die Klarheit, mit der er die Abschaffung des Superreichtums und seiner Vererbbarkeit fordert und über ihr vollkommen illegitimes, antidemokratisches Wesen spricht, nicht einmal der wichtigste Punkt, dann jedenfalls nicht, wenn man ihn isoliert betrachtet.
Wichtiger ist, dass die Reichen den Staat gekauft und sich dergestalt zu eigen und zunutze gemacht haben – nicht nur in Griechenland, sondern ganz ebenso auch in Deutschland -, wobei ihr Reichtum letztendlich immer durch den Einsatz von Kapital und das Wirken der Kapitallogik zustande gekommen ist. Die Reichen haben den Staat insofern gekauft, als er ihr Schuldner geworden ist, und eben aus diesem Grund ist er kapitalistischer Staat, Staat, der dazu da ist, die kapitalistische Produktionsweise zu ermöglichen und zu fördern. Den Zusammenhang haben bereits Marx und Engels erhellt: „Diesem modernen Privateigentum“, schreiben sie, will sagen dem Kapital, „entspricht der moderne Staat, der […] den Privateigentümern […] durch das Staatsschuldenwesen […] vollständig verfallen und dessen Existenz in dem Steigen und Fallen der Staatspapiere auf der Börse gänzlich von dem kommerziellen Kredit abhängig geworden ist, den ihm die Privateigentümer, die Bourgeois, geben.“ (MEW 3, S. 62) Dass er dann auch von seiner subjektiven Seite her gesehen kapitalistischer Staat ist, insofern er sich auf Parteien stützt, die sich durch ihr System zwei kapitalistischer Lager wechselseitig blockieren und jedenfalls auf kapitallogische Normalität verpflichten, wird durch jene objektive Seite allererst möglich.
Piketty zeigt, dass das Gekauftsein des Staates nicht etwa in irgendeiner Verfassung vorgeschrieben, sondern eine reine Machtfrage ist. Entschlossene Besteuerung des Reichtums würde ihm ein schnelles Ende bereiten. Damit aber eben dem zwangsweise kapitalistischen Charakter des Staates, der nun vielmehr, von Revolutionären geleitet, mit der Grundlegung der Anderen Gesellschaft beginnen kann. Die Reichen sind schon zweimal sehr drastisch besteuert worden, nach beiden Weltkriegen nämlich; das hat nicht zum Ende des Kapitalismus geführt, aber es zeigt eben, dass solche Besteuerung möglich ist, wenn die Not und der Druck der Volksmassen dahinter stehen. Durch ebensolchen Druck k a n n auch die Staatsbefreiung aus Schuldnerhänden und staatliches Mittun an der Beendigung des Kapitalismus erreicht werden. Zu den Taten der revolutionären Regierung wird eine erste Reform des Bankensystems gehören, wofür es schon heute vonseiten Pikettys, Matthias Binswangers und anderer vernünftige Vorschläge gibt. Die Staatsbefreiung und das Ende des Superreichtums sind aber wichtiger und das eigentlich Revolutionäre.
So schnell wird es zu so einer Regierung nicht kommen, und gewiss nicht von einem Tag auf den andern. Es wird vielleicht zunächst in einzelnen Bundesländern Mehrheitsregierungen geben, die für die Andere Gesellschaft eintreten. Irgendwann tritt jene Bundesregierung dann hinzu. Vielleicht werden revolutionäre Bundes- wie Landesregierungen mal gewählt, dann wieder abgewählt und später erneut gewählt, bis sich Mehrheiten, die nachhaltig sind, endlich herausgebildet haben. Schon Landesregierungen können einen wesentlichen revolutionären Schritt tun, indem sie zum Erweis der Funktionsfähigkeit der Anderen Gesellschaft großangelegte Experimente veranstalten. Die Idee fand ich bei Axel Honneth, der dazu auffordert, „die möglichen Pfade einer Realisierung sozialer Freiheit in der Wirtschaftssphäre überhaupt erst experimentell zu erkunden“ (Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung, Berlin 2015, S.79), es dann allerdings versäumt, den w i s s e n s c h a f t l i c h e n Begriff des Experiments zugrunde zu legen. Ein Experiment im wissenschaftlichen Sinn ist eine Veranstaltung, die dazu da ist, eine vorher ausgeführte Hypothese an der Realität zu messen; seine Materialität orientiert sich entsprechend „künstlich“ an dieser Hypothese. Man denke an Galileis schiefe Ebene, die so in der Natur nicht vorkommt, an der aber, was die Natur sonst nicht zuließ, gemessen werden konnte, ob sich die Geschwindigkeit eines fallenden Körpers beschleunigt oder nicht; die „Künstlichkeit“ liegt darin, dass der schnelle senkrechte Fall, an dem sich nichts ablesen ließ, in einen allmählich gleitenden verwandelt wurde. Ein solches Experiment wird in die Natur zeitweise eingeschaltet, als mögliche Ausnahme gewissermaßen, und hat daher einen Anfang und ein Ende.
All das trifft auf das Honnethsche sozialdemokratische Experimentieren nicht zu, und übrigens trifft es auf sehr viele Projekte nicht zu, mit denen heute für eine bessere Welt gezeugt werden soll: Da setzt man sich in eine wirkliche oder vermeintliche Nische des Kapitalismus, hofft, dass man ihn abwehren kann und dies auf Dauer; es handelt sich um Versuche, das Alte mit dem Neuen zu überlagern, wobei man hofft, es werde sich halten und sogar mit der Zeit die Auseinandersetzung mit dem Alten gewinnen. Solche Projekte sind wichtig, wenn es auch irreführend ist, sie als „Experimente“ zu bezeichnen. Den schließlichen Sieg über den Kapitalismus von ihnen zu erwarten, wäre aber illusionär. Der Kapitalismus ist als kapitalistisch verfasste Marktwirtschaft ein ganzes System, deren Elemente zusammenspielen und einander stützen, eine ökonomische „Maschine“, wie ich es mit Karl Polanyi genannt habe – er kann nur besiegt werden durch ein alternatives System, und dafür, ihm in der öffentlichen Auseinandersetzung zur Hegemonie zu verhelfen, damit es dann auch eingeführt werden kann, wird seine experimentelle Erprobung von Nutzen sein.
Man kann sich vorstellen, dass eine gewählte Landesregierung die Gruppe von Unternehmern, die bereits für die Andere Gesellschaft eintritt, für das Experiment gewinnt. Es muss sich nicht um Unternehmen mit Standort lediglich im revolutionär regierten Bundesland handeln, nur die Wählerschaft wäre hierauf beschränkt. Die Unternehmen würden die gewählte Verschiebung der Proportionen realisieren, indem einige Güterklassen in geringerem, andere in größerem Umfang produziert würden. Sie würden auch schon ihr Geschäftsgeheimnis ruhen lassen. Wie also ihre Warenpreise zustande kommen, ist öffentlich einsehbar, und sie sind niedriger als die der Unternehmen, die am Experiment nicht teilnehmen wollen und doch faktisch teilnehmen, mit Geschäftsgeheimnis und höheren Preisen. Hat die Wahl ergeben, dass der Umsatz gewisser Warensorten zurückgehen soll, würde man das zwar nicht staatlich durchsetzen, es fehlte ja dafür die Legitimation – die Andere Gesellschaft ist noch nicht da -, aber die Wähler des Bundeslandes haben der Teilnahme am Experiment zugestimmt und an ihnen ist es, sich freiwillig an die von ihnen selbst gewählten Grenzen zu halten.
Solche Landesregierungen können auch die basalen Kräfte des revolutionären Aufbruchs, die schon da sind, mit ihren besonderen Mitteln stärken. Von revolutionären Parteien werden sie unmittelbar getragen, wichtiger noch sind aber die revolutionären Gruppen, die außerhalb dieser Parteien agieren, in sie hineinwirken und die der eigentliche Träger der revolutionären Entwicklung sind. Von den revolutionären Parteien und besonders den Gruppen wird im abschließenden Kapitel noch ausführlich die Rede sein. Hier nur so viel, dass die revolutionären Regierungen ihre Existenz letztendlich den Gruppen verdanken, von deren außerparlamentarischer Aktivität sie auch gestützt werden, dass sie aber ihrerseits Rahmenbedingungen setzen können, die geeignet sind, zu Vermehrung und Qualifizierung der Gruppen beizutragen. So könnte man das schon heute in den skandinavischen Ländern praktizierte Modell der Studienzirkel übernehmen. „Bis heute kann jede Gruppe von Personen, die sich mit einem bestimmten Gegenstand beschäftigen will, bei jeder öffentlichen Einrichtung, seien es lokale oder regionale Verwaltungen, Kammern oder Gewerkschaften, um (beschränkte) finanzielle Unterstützung ansuchen. Mehr als die Hälfte aller schwedischen Staatsbürger hat mindestens einmal im Leben einen Studienzirkel besucht. Dort werden mehr und mehr Studenzirkel über das Internet organisiert.“ (Peter Fleisser, Die Rolle der Werttheorie in einer Übergangsgesellschaft, in: Aufhebung des Kapitalismus, a.a.O., S. 74-92, hier S. 89)
Es gibt zusätzlich den Vorschlag, dass staatliche Einrichtungen ein Training anbieten: „Wichtig für solche Gruppen wäre der professionelle Umgang mit Krisensituationen.“ (S. 88) Das ist zwar im Blick auf Gruppen gesagt, die sich im Gesundheitsbereich engagieren, doch ist man heute auch mit puren Kommunikationskrisen konfrontiert, wenn Menschen sich zusammentun. Die revolutionären Gruppen werden notwendigerweise sowohl Studienzirkel sein als auch innere Krisen zu bewältigen haben. Supervisoren, die für „Debattenkultur“ zuständig sind, könnte man übrigens auch in Parteistatute aufnehmen, das Parteiengesetz steht dem nicht entgegen. Es wird dann denkbar, dass die Mitgliedschaft in revolutionären Parteien nicht nur an Zustimmung zu den Richtlinien der Parteiprogrammatik, sondern auch an gewisse Richtlinien des persönlichen Verhaltens gebunden ist.
Die zweite Phase des revolutionären Prozesses zeichnet sich also dadurch aus, dass Proportionswahlen nur erst im Experiment relative Geltung erlangen, die Abschaffung des Superreichtums und Beendigung der Kapitalhörigkeit des Staates aber schon mit aller Konsequenz betrieben wird. Wenn auch für das Ende des Geschäftsgeheimnisses, das Prinzip der Unverborgenheit also, die große gesamtgesellschaftliche Mehrheit gewonnen ist – und ohnehin für die Einpassung der Gesellschaft in den ihr zustehenden Umweltraum -, kann die Phase mit dem Übergang zur Anderen Gesellschaft, der Ansetzung ihrer Urwahlen abgeschlossen werden. Ich bemerke nebenbei, dass in dieser Vierheit eine andere Strategie beschlossen liegt, als wenn man bloß das Geld reformieren will, als ob es der Kern der kapitalistischen Produktionsweise wäre. Das ist es nicht. Die spezifische Art der Mehrwertgewinnung, –aneignung und –verunendlichung durch die Klasse der Kapitalisten ist vielmehr dieser Kern. Deshalb setzt unser Zukunftskonzept nicht beim Geld sondern bei der Produktion an, dadurch dass über ihre Ausrichtung in Proportionswahlen demokratisch entschieden wird.
Zum Experiment bemerke ich noch, dass es letztendlich zu einer ganzen Stufenfolge von Experimenten kommen muss. Wenn Experimente in Bundesländern auf die Gründung der Anderen Gesellschaft in Deutschland hinauslaufen, kann deren neue ökonomische Verfassung auch wieder nur als Experiment angesehen werden, dafür, dass die Verfassung EU-weit gelten könnte und müsste.
Es ist hier der passende Ort, die Gefahr des Bürgerkrieges, die es auf keinen Fall soll geben können, abschließend zu erörtern. Zuerst soll noch einmal in Erinnerung gerufen werden, Marx und Engels haben auf den gewaltlosen revolutionären Weg gerade in den Metropolen des Kapitalismus gesetzt und umgekehrt hat Engels darauf hingewiesen, dass der Gewaltweg in den Metropolen a u s g e s c h l o s s e n ist, seit mehr als einem Jahrhundert schon. Wo der Parlamentarismus erkämpft ist, reicht er hin, die große Mehrheit, wenn es denn ihr Wille ist, den Sozialismus einführen zu lassen. Es spricht nichts Prinzipielles gegen diese Annahme. Daran, dass es so eine Mehrheit bisher noch niemals gegeben hat, hat der Parlamentarismus nicht schuld und auch keine Armee irgendeiner der Metropolen hat es verhindert. Der Parlamentarismus als solcher ist keine kapitalistische Institution, nur das System zweier prokapitalistischer Parteienlager, als welches es sich noch zurichten lässt, macht es dazu, dieses aber kann aufgelöst werden.
Im Übrigen hängen Überwindung des parlamentarischen Zwei-Blöcke-Systems und Bannung der Möglichkeit eines Militärputsches eng miteinander zusammen. Überwindung des Zwei-Blöcke-Systems heißt, man stellt sich nicht auf eine der beiden kapitalverbündeten Seiten, sondern agiert als dritte Kraft, die mit der einen oder anderen Seite da zusammenarbeitet, wo sie etwas tendenziell Vernünftiges tut, und zugleich grundsätzlich gegen beide Seiten „opponiert“, insofern als sie durch ihre verallgemeinerte Zweitönigkeit den Kapitalismus in der Politik verkörpern. Man unterstützt nicht, um es schärfer auszudrücken, die konterrevolutionäre Dauerspaltung der Bevölkerung in zwei Hälften. Dazu würde gehören – wenn ich mir ein Beispiel ausdenke -, dass man nicht den zutage tretenden Konflikt von Politikern , die jene andere Hälfte der 30 Millionen Wähler repräsentieren, von der man selbst sich distanziert (während man der „eigenen“ allerlei durchgehen lässt), für einen Scheinkonflikt hält, weil man sich die pauschale Einsinnigkeit der „gegnerischen“ Hälfte einbildet, in der Art, wie vor hundert Jahren „der Franzose“ gesagt wurde, wenn die Franzosen gemeint waren. Denn solange man das tut, beherrscht einen die bürgerliche Ideologie (vgl. dazu Verf., Gender und Parteiensystem. Links-Rechts – Das Problem der falschen Fronten, Frankfurt/M. 2015).
Ich sage das hier erneut, um die m i l i t ä r i s c h e n K o n s e q u e n z e n vor Augen zu führen. Das Militär, haben wir gesagt, bildet selbst eine Partei, das heißt gehört einer an, die es auch sonst gibt, und agiert wie andere im parteilichen Sinn, nur eben bewaffnet. Wie ist es um das deutsche Militär bestellt? Es wird ganz überwiegend aus Anhängern der Unionsparteien, der SPD, der FDP und der Grünen zusammengesetzt sein. Wird sich ein solches Militär gegen den demokratisch gewählten Übergang zur Anderen Gesellschaft erheben? Das wäre höchstens dann vorstellbar, wenn eine revolutionäre Mehrheit, die es bereits gäbe, gegenüber den Minderheitsparteien eine Ausgrenzungspolitik betriebe. Dann könnte es nämlich geschehen, dass das Militär zum Hort solcher ausgegrenzter Parteien würde. Das darf nicht geschehen und wird nicht geschehen, wenn die Revolutionäre heute schon anfangen, das Zwei-Blöcke-System zu unterlaufen. Wenn alle Parteien des Verfassungsbogen von den Revolutionären „anerkannt“ und „nur“ für ihr kapitalistische Eingebundenheit kritisiert werden und wenn klar ist, d a s s d i e R e v o l u t i o n ä r e w e i t e r n i c h t s a l s d e m o k r a t i s c h e M e h r h e i t e n a n s t r e b e n – für manche, die „auch“ revolutionär sein wollen, ist das der grauenerregende Punkt, aber er ist es nun einmal, an dem sich zeigt, ob r a d i k a l gedacht und gehandelt wird oder nicht -, dann wird das Militär seinerseits demokratisch bleiben und nicht im Weg stehen. Mehr noch, es wird die Revolution vor der faschistischen Gefahr schützen. Aber diese Gefahr müsste in der zweiten Revolutionsphase, von der hier die Rede ist, schon ohnehin sehr gering geworden sein, da es ja den nihilistischen Nährboden nicht mehr gibt. Die Gesellschaft im vollen Aufbruch zu neuen Zielen ist das Gegenteil einer nihilistischen Situation.
Es wird nicht falsch sein, drei allgemeine revolutionäre Prinzipien, von denen ich mich leiten ließ, nochmals vorzutragen: Erstens, die Heftigkeit der klassischen Revolutionen rührte vor allem daher, dass zwei Legitimitäten miteinander rangen. Je konträrer sie einander gegenüberstanden, desto grausamer wurde der revolutionäre Bürgerkrieg geführt. Jetzt aber ist es so, dass die Demokratie legitim ist und auch bleibt und es sich „nur“ um m e h r D e m o k r a t i e handelt. Dies muss aber auch öffentlich verstanden werden infolge der Botschaft und Handlungsweise der Revolutionäre. Denn zweitens, die Anzahl der bleibenden Gegner wird davon, wie jene sich verhalten, wesentlich mitbestimmt. Drittens setzt das entsprechend kluge Verhalten der Revolutionäre voraus, dass sie für sich geklärt haben, w o r i n sie radikal sind und sein wollen: nicht darin, dass sie das bisher Legitime verlassen und wohl noch so schnell wie möglich, und schon gar nicht darin, dass die Revolution möglichst viel Vernichtung schafft. Heute kann man geradezu sagen, wer d a s meint, i s t e i n F a s c h i s t – müsste er sich doch besonders vom IS bestärkt sehen. Nein, Radikalität ist heute nichts anderes mehr als radikale Wahrheitssuche und –bereitschaft in Denken und Handeln. Alain Badiou hat es immer wieder betont.
Ein Bürgerkrieg wird auch aus einem Grund unwahrscheinlich, den Marx und Engels noch nicht erwägen konnten: dass die Revolutionäre zwar den Kapitalismus, nicht aber die Marktwirtschaft abschaffen wollen. Eine Revolution, die sich weder gegen den Parlamentarismus noch gegen den Markt richtet, deshalb auch nicht pauschal gegen eine Klasse – gegen Kapitalisten, die es bleiben wollen, wohl, deshalb aber ja nicht gegen Unternehmer -, wo soll die Legitimität dafür herkommen, sie mit Gewalt bekämpfen zu wollen, wenn sie sich ihrerseits als vollkommen demokratisch erweist? Trotzdem wird es eine angespannte Situation sein, am meisten vielleicht wegen der Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses. Wie schon gesagt, dürfte es genau hier zur „Brechung der Macht des Kapitals“ kommen oder nicht kommen. Die Entscheidung wird jedenfalls auf dem Feld der Hegemonie fallen. Wird es den Allermeisten einleuchten, dass Bürger ein Recht auf den Schutz ihrer Privatsphäre haben, Unternehmen aber, selbst wenn als Privateigentum verfasst, weiter nichts als öffentliche Dienstleister sind? Solchen ist keine „Intimität“ zuzuschreiben. Dass sich die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft die Einsichten, die zur Anderen Gesellschaft führen, zu eigen macht, davon hängt alles ab.
Sobald es an dem ist, können die „Urwahlen“ von einer revolutionären Bundesregierung angesetzt werden. Man wird vorher erkundet haben, wie wahrscheinlich mit dem positiven Ausgang zu rechnen ist. Abgesehen von der Entwicklung der parlamentarischen Wahlergebnisse können auch regelmäßig angesetzte Umfragen dabei helfen. So wie zur Zeit in Katalonien, wo ein radikaler politischer Schritt, die staatliche Unabhängigkeit, unmittelbar auf die Tagesordnung gesetzt wird, obwohl er vielleicht allenfalls von jenen „51 Prozent“ unterstützt wird – nicht einmal das ist ja sicher -, darf es keinesfalls laufen. Diese katalonische Situation ist nur eins von vielen Beispielen für die Bevölkerungsspaltungen, zu denen es im kapitalistischen Zwei-Blöcke-System immer wieder kommt. Am Ende der zweiten Phase der Revolution der Anderen Gesellschaft muss dieses schon aufgelöst sein.
Ein Wort noch zur internationalen Einbettung der Revolution. Was die EU angeht, werden während der zweiten Phase hierzulande längst auch in anderen EU-Staaten Bewegungen für die Andere Gesellschaft entstanden sein. Deutschlands Bedeutung in der EU ist jedenfalls groß genug, dass es die Grundstrukturen der Anderen Gesellschaft, die wie gesagt EU-weit gedacht ist, in Form eines deutschlandweiten Experiments vorab einführen kann. Dies Experiment wird einschließen, dass von Anfang an ein faires System der Außenhandelsbeziehungen eingerichtet ist. Dadurch werden dem deutschen Weg Sympathien auch bei den Unternehmern anderer EU-Staaten verschafft. Zugleich müssen die Beziehungen zu den USA hinreichend spannungsfrei gehalten werden. Die allgemeine Bedingung hinreichender Spannungsfreiheit heißt hinreichende politische Homogenität. Noch nie ist einer politisch homogenen Gesellschaft ein Bürgerkrieg ausgebrochen, und umgekehrt hat noch nie in einer inhomogenen Gesellschaft Demokratie funktioniert – die Federalist Papers nennen dies als deren Bedingung -, es sei denn, ein Teil der Bevölkerung war versklavt und wurde gewaltsam niedergehalten. Wie gesehen, kommt es beim Übergang zur Anderen Gesellschaft zu keiner Verletzung der innergesellschaftlichen Homogenitätsbedingung, da nicht mit den gewohnten Maßstäben des Legitimen gebrochen wird. Es wird aus diesem Grund nicht gelingen, was in Syrien gelang: verfeindete Gruppen von außen zu bewaffnen und zum Bürgerkrieg anzustacheln.
Doch auch in den internationalen Beziehungen kann und muss es gelingen, sich in der hinreichenden Homogenität zu halten. Man denke an China: Zwischen der chinesischen und der US-Verfassung klafft wahrlich ein legitimatorischer Abgrund, und doch schafft China durch seine kontrollierte kapitalistische Marktwirtschaft genügend Gleichheit mit den USA, es nicht zu wirklich kriegsgefährlichen Spannungen kommen zu lassen. Erst recht kann das einer zur Anderen Gesellschaft gewordenen EU gelingen, die mit den USA noch immer die Marktwirtschaft teilt, wenn’s auch keine kapitalistische mehr ist, und zudem noch den Parlamentarismus. Es ist nur notwendig, dass die Politiker der erneuerten EU die Gefahr, dass die Basis der internationalen Beziehungen zu inhomogen werden könnte, immer vor Augen haben und auch einmal, wenn es sein muss, taktische Rückschritte des revolutionären Prozesses in Kauf nehmen. Aber das muss man Politikern nicht sagen, das versteht sich von selbst.
Was die dritte Phase der Revolution angeht, können wir uns sehr kurz fassen. Die Andere Gesellschaft ist im Aufbau begriffen, was einige Zeit dauern wird; danach wird man sehen, dass es funktioniert, wird auch die eine oder andere Modifikation am Vorausgeplanten vornehmen. Die Menschen gewöhnen sich an das Neue. Sobald es ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist, ist auch diese Phase und ist der ganze revolutionäre Prozess abgeschlossen. Negativ zeichnet sie aus, dass das Kapital noch weiter für die Konterrevolution kämpft. In diesem Sinn „geht der Klassenkampf weiter“, wie das Mao so gern betont hat, der sich dabei auf Stalin berief; nur ist es eigentlich kein Klassenkampf, denn das Kapital kann jetzt noch viel weniger als zuvor mit dem Unternehmerlager identifiziert werden. Es ist auch in keiner Hinsicht ein Gewaltkampf. Sollte es Gewaltaktionen geben, schreitet die Polizei ein, aber warum sollte es sie geben können? Welche Chance wäre mit ihnen verbunden? Das Kapital kann nur noch in Gestalt polemischen Denkens, gewiss auch weiterhin der „Denkfabriken“ existieren. Die undemokratische Alleinherrschaft über die Medien ist ihnen freilich entrissen. Sie können vorbringen, was sie wollen, haben aber keine Chance mehr, Einlassungen anderer zu blockieren oder massenwirksam zu verzerren. So haben die Konterrevolutionäre alle Freiheit, die Revolutionäre aber auch, und es gibt einen Argumentationskampf, den die Letzteren gewinnen werden.
Eine Gefahr gibt es freilich: Wenn die Andere Gesellschaft keinen ökonomischen Erfolg hat, ist sie in der Zeit kurz nach ihrer Entstehung bedroht. Zugleich ist das die Zeit, in der noch gar nicht alles perfekt funktionieren k a n n . Mit Clausewitz gedacht, könnten die verbleibenden Gegner sich erst einmal zurückgezogen haben, um den „besseren Zeitpunkt“ der Rückkehr in den Kampf abzuwarten (Vom Kriege, in: Kriegstheorie und Kriegsgeschichte [Hg. Reinhard Stumpf], Frankfurt/M. 1993, S. 18 f.), und dieser Zeitpunkt wäre die von ihnen erhoffte ökonomische Krise. Ein Grund mehr, zu betonen, wie groß die Einsicht in die neue Ökonomie und überwältigende Zustimmung zu ihr schon der ersten Grundvoraussetzung, den „Urwahlen“, mit denen die Andere Gesellschaft beginnt, vorausgesetzt ist. Das Neue muss mit Zweidrittelmehrheit gewählt worden sein. Da es dann auch nur ebenso rückgängig gemacht werden könnte, sollte das Zeitfenster, in dem es sich zur Nachhaltigkeit verhilft, hinreichend groß sein. Im Übrigen ist die Gefährdung der neuen Ökonomie in der Anfangszeit mit den Problemen der DDR, an die sich manche erinnern werden, oder auch der Sowjetunion, in keiner Weise vergleichbar. Denn die EU hat wahrlich ökonomische Ressourcen genug, auch verglichen mit den USA. Ihr Sozialismus hängt zum Beispiel nicht, wie der venezolanische, am hohen Weltmarktpreis eines einzigen Gutes.