(44) Das Teufelsgelächter noch einmal

3. Adorno

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Ich fahre fort, Adorno zu referieren, und will heute vor allem auf sein philosophisches Hauptwerk, die Negative Dialektik, einen Blick werfen. Mit der nächsten (45.) Notiz schließe ich dieses Kapitel, indem ich noch Adornos soziologische Schriften berühre, was dann unmittelbar zur „neuen Marx-Lektüre“ seiner Schüler überleitet. Mein Referat soll nicht allumfassend sein, sondern nur zeigen, wie sich Tausch und Geld in seiner Perspektive darstellen.

Diese Perspektive habe ich als die einer Philosophie der Kunst beschrieben (Thomas Zöller fand es vor mir heraus: Leiden als Vermittlungskategorie von Subjekt/Objekt, in Jens Becker/Heinz Brakemeier [Hg.], Vereinigung freier Individuen. Kritik der Tauschgesellschaft und gesellschaftliches Gesamtsubjekt bei Theodor W. Adorno, Hamburg 2004). Daraus, dass Kunst als sinnliche „Teilhabe“ am Utopischen, Idealen im platonischen Sinn begriffen wird, ergibt sich die für Adorno charakteristische Gespanntheit, die das Gegenwärtige überhaupt nur an dem misst, was in den Schlusssätzen der Minima Moralia das Messianische heißt. Adorno verwendet diesen Begriff, argumentiert aber weithin wie ein Platoniker. Einmal tut er es ausdrücklich, und gerade in der Ästhetischen Theorie: Was in älteren Kunstformen immer schon „wartete und forderte“, so Adorno, war etwas, das sie „mit Platonischen Ideen gemein“ hatten. „Je authentischer“ nämlich „die Werke[,] desto mehr folgen sie einem objektiv Geforderten, der Stimmigkeit der Sache, und sie ist stets allgemein. Die Kraft des [Künstler-] Subjekts besteht in der Methexis daran“; „Methexis“ ist das platonische Wort, das wir mit „Teilhabe“ zu übersetzen pflegen. (Frankfurt/M. 1973, S. 300)

Die „Stimmigkeit der Sache“, so formal sie nur ist, gibt trotzdem oder gerade deshalb dem Utopischen Asyl. Musik kann den Inhalt der Sache nicht vorwegnehmen, wohl aber abstrakt und zugleich sinnlich zeigen, wie autonome Elemente sich zur Ordnung ohne Herrschaft zusammenfügen. Hat nicht Schönbergs Musik, fragt Adorno in einem Brief, „etwas zu tun mit dem, was bei Marx ‚Verein freier Menschen‘ heißt?“ (zitiert bei Zöller, S. 207) Dass aber ein Asyl gebraucht wird, ergibt sich aus den Zeitumständen, der Epoche von Auschwitz. Verteidigt Adorno noch in der Philosophie der Neuen Musik die Individuations- und Entwicklungslogik, die Schönbergs Kompositionen mit den hoffnungsvollen des 19. Jahrhunderts verbindet, und wütet er hier noch wie auch im Buch über Wagner – beide Bücher sind in der Vorkriegszeit konzipiert – gegen Momente architektonischer Starre, die längst schon, seit Strawinski, seit Debussy und zuerst eben seit Wagner, in Musik mit eingeflossen waren, so nimmt er danach selbst deren Perspektive ein; in der Ästhetischen Theorie, seinem letzten Manuskript, beruft er sich häufig auf Paul Valéry, der das Architektur-Paradigma von Musik bereits ausgesprochen hatte. Er spricht seinerseits von „Konstruktion“. Die „Konstruktion“ eines modernen Kunstwerks zeigt gleichsam den Verein freier musikalischer Elemente, wie er im Trümmerfeld der Gegenwart vorscheinen kann.

Im Trümmerfeld, denn „die exemplarischen Werke“, heißt es im Valéry-Aufsatz von 1960, sind „keineswegs die runden und vollkommenen […] sondern jene, in denen der Konflikt zwischen der Intention auf Vollkommenheit und ihrer Unerreichbarkeit die tiefsten Spuren hinterließ“ (Noten zur Literatur II, Frankfurt/M. 1961, S. 82).

Schon Adornos Phantasie des Oratoriums „Apocalipsis cum figuris“, das in den Roman Doktor Faustus von Thomas Mann einging, gibt davon ein Muster. Nachdem Mann eine „aus Johlen, Kläffen, Kreischen, Meckern, Röhren, Heulen und Wiehern schauderhaft gemischte Salve von Hohn- und Triumphgelächter der Hölle“ beschrieben hat, kommt er aufs „tiefste Geheimnis“ dieser Musik zu sprechen, „welches ein Geheimnis der Identität ist“: „Denn das Höllengelächter am Schlusse des ersten Teils hat ja sein Gegenstück in dem so ganz und gar wundersamen Kinderchor, der […] den zweiten eröffnet, – einem Stück kosmischer Sphärenmusik, eisig, klar, gläsern-durchsichtig, zwar herb dissonant, dabei aber von einer, ich möchte sagen: unzugänglich-überirdischen und fremden, das Herz mit Sehnsucht ohne Hoffnung erfüllenden Lieblichkeit des Klanges. Und dieses Stück […] ist für den, der Ohren hat, zu hören, und Augen, zu sehen, nach seiner musikalischen Substanz das Teufelsgelächter noch einmal!“

2

Das „Geheimnis der Identität“ ist Gegenstand von Adornos philosophischem Hauptwerk, der Negativen Dialektik. „Die Unwahrheit aller erlangten Identität ist verkehrte Gestalt der Wahrheit“, lesen wir da. Der Satz steht im Kontext einer „Kritik am Tauschprinzip“: Diese „will, dass das Ideal freien und gerechten Tauschs, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein transzendierte den Tausch.“ (Frankfurt/M. 1966, S. 147 f.)

Der heutige äquivalente Tausch ist „unwahre Identität“, weil er zum nichtäquivalenten Gewinn führt, der auf Ausbeutung beruht. Wir sahen in der 42. Notiz, dass Adorno in der Dialektik der Aufklärung, zusammen mit Horkheimer, eine Vor- und Frühgeschichte des kapitalistischen Tauschs zu geben versucht. So sehr diese in Etappen verläuft, illustriert sie doch immer nur Eines, nämlich dass der eine Tauschpartner den andern übers Ohr haut. Daran ändert sich nichts vom antiken Opfer, das den Gott betrügt, bis zur modernen Lohnarbeit, die den Mehrwert einbehält. So haben wir es auch hier letztlich mit der Konfrontation einer einzigen Gegenwart, mag sie noch so lange währen, mit einer einzigen Zukunft und Endzeit zu tun, eben mit der Spannung zwischen ungerechtem und gerechtem Tausch. Adorno kritisiert nicht den Tausch, nur den ungerechten Tausch. Dies relativiert die Kritik an Ware und Geld.

Er ist sich seines Frevels bewusst und verteidigt ihn aggressiv: „Leicht bildet Denken tröstlich sich ein, an der Auflösung der Verdinglichung, des Warencharakters, den Stein der Weisen zu besitzen.“ Theorie um Verdinglichung „zu zentrieren, macht dem herrschenden Bewusstsein und dem kollektiven Unbewussten die kritische Theorie idealistisch akzeptabel“. Freilich: „In Marx bereits spricht die Differenz zwischen dem Vorrang des Objekts als einem kritisch Herzustellenden und seiner Fratze im Bestehenden“. (S. 188 f.) Mit dem „Vorrang des Objekts“ ist letztlich einer des kantischen „Dings an sich“ gemeint (vgl. S. 183), das eine unbekannte Zukunft benennt wie schon Platons Idee des Guten. In ihr wird Verdinglichung nicht mehr sein. Aber der „Vorrang“ geht dann auch auf die „Fratze“ über, an der kritisches Herstellen materialistisch anzusetzen hat. Adorno hat gute Gründe, zur kantischen eher als zur platonischen Terminologie zu greifen, eben weil Kant das Utopische als „Ding“ fasst, statt dass aus den Dingen, die vorhanden sind, das Körperlose werden soll, wie Platon es erhoffte, und man sie deshalb jetzt schon verachtet. Adorno erhofft vielmehr Versöhnung mit der Natur und „Auferstehung des Fleisches“ (S. 205): Da muss ihm das vorhandene Ding, und sei’s das Geldding, zum Vorschein der Wahrheit werden.

Dass es „Fratze“ ist, ändert nichts: „Wem das Dinghafte als radikal Böses gilt; wer alles, was ist, zur reinen Aktualität dynamisieren möchte, tendiert zur Feindschaft gegen das Andere, Fremde, dessen Name nicht umsonst in Entfremdung anklingt“. „Die Dinge verhärten sich als Bruchstücke dessen, was unterjocht ward; seine Errettung meint die Liebe zu den Dingen.“ (S. 189) „Der reife Marx hat in seinen kargen Äußerungen über die Beschaffenheit einer befreiten Gesellschaft sein Verhältnis zur Arbeitsteilung, zum Grund von Verdinglichung, geändert. Den Stand der Freiheit unterscheidet er von urtümlicher Unmittelbarkeit. Im Moment des Planens […] ist das dinghaft Fremde aufbewahrt“. (S. 190 f.) Das Ding als Moment des Planens, was soll es anderes sein als das Geldding? Solange die Dinge nicht gut sind, sind Tauschdinge besser als nichts. Sie sind deren Statthalter. Das sind sie aber gerade als „Fremde“: Ins Planen, den Modus des Verfügenkönnens, geht mit ihnen ein Element von Unverfügbarkeit ein. Geld ist das Gegenüber des Planens, wie Planen das Gegenüber des Geldes.

Dass wir mit diesem nicht schalten können wie mit dem Stoff von Phantasie, ist so wenig nur schlecht, wie die Fremdheit von Frauen für Männer es ist und ihre Unbeherrschbarkeit durch dieselben. Marx selbst hat bemerkt, dass sich am Verhältnis der Geschlechter „die ganze Bildungsstufe des Menschen“ zeige (MEW Erg.band Erster Teil, S. 535). Er stellte sich bestimmt nicht vor, sie würden am Ende miteinander verschmelzen, vielmehr dass sie lernen, als einander Fremde zu harmonieren. Die Fremdheit des Geldes akzeptierte er aber nicht.

3

Wir dürfen indes die andere Seite nicht unterschlagen. Wenn Geld Vorschein der Wahrheit ist, dann als „Fratze“. Was ist das „Fratzen“hafte am Äquivalenztausch und mit ihm verbundenen Geld? Nicht bloß, dass er Täuschung ist; Adorno kritisiert das Unwahre an Identität, aber auch diese selber. Man versteht es wieder am besten anhand der Ästhetischen Theorie. Begründet wird, weshalb moderne Kunstwerke nicht konsumierbar sind, sich vielmehr „hermetisch“ abdichten: weil sie gegen „bürgerliches Füranderessein“ stehen (Frankfurt/M. 1973, S. 159, vgl. auch S. 353). Natürlich kann „Füranderessein“ nicht an und für sich kritisiert werden. Das „bürgerliche“ ist aber so für anderes, dass es diesem sich angleicht. Die Ware ist für Geld da und das Geld für den Verkäufer, immer auf der Bahn der Äquivalenz, die sich zum Mehrwert neigt. Kunstwerke entziehen sich dieser Welt, indem sie es nur auf „die vom Identitätszwang befreite Sichselbstgleichheit“ anlegen (S. 190): Deshalb sind sie hermetisch. So gelingt es wenigstens künstlerischer Anstrengung noch, der Warenwelt etwas wie Individuation abzuringen (vgl. S. 345). In ihrer Rezeption lässt sich erfahren, worum uns das Konsumieren betrügt: „Die Idee der Kunstwerke will den ewigen Tausch von Bedürfnis und Befriedigung unterbrechen, nicht durch Ersatzbefriedigungen am ungestillten Bedürfnis sich vergehen.“ (S. 362)

Der „Tausch von Bedürfnis und Befriedigung“ funktioniert so, dass die Nachfrage nicht aufhört, dem Angebot zu entsprechen, und das Angebot sich scheinbar sklavisch der Nachfrage unterwirft; in Wahrheit, um die Sklaven gierig und mit der Gier das Geschäft zu machen. Auf diese Weise bleibt die Nachfrage dem Angebot verhaftet und darüber vermittelt sich selbst, dem, was sie immer schon ist. Sie kann sich nicht verändern. Es kommt zu keiner Individuation des Bedürfnisses, sondern dieses bleibt standardisiert, wird allenfalls süchtig. Der hier waltende „Identitätszwang“ ist der Zwang, bei einer (Nach-) Frage bleiben zu müssen: Die Antwort, sie sei falsch gestellt, so segensreich sie sein könnte, ist ausgeschlossen.

Dass die Warenwelt Individuation bedroht, lesen wir dann auch in der Negativen Dialektik, wo Adorno von der „universale[n] Herrschaft des Tauschwerts über die Menschen“ spricht, „die den Subjekten a priori versagt, Subjekte zu sein, Subjektivität selber zum bloßen Objekt erniedrigt“ (a.a.O., S. 178). Bedroht ist sowohl die Fähigkeit, für den Widerspruch gegen das eigene Selbst noch sensibel zu sein, dieses also verändern zu können, als auch das Miteinander von Selbsten, die wirklich verschieden wären, statt sich nach dem Warenvorbild einander nur anzugleichen (S. 151).

Das leuchtet ein, wenn die Warenwelt zunehmend alles umgreift, wie es im Kapitalismus der Fall ist. Sie wird zum mächtigsten Vorbild, dem sich niemand entziehen kann. Diese Wirkung des äquivalenten Tauschs bliebe selbst dann bestehen, wenn es gerecht zuginge, in der Äquivalenz also nicht Ausbeutung verborgen wäre. Allerdings kann man Ausbeutung und Universalisierung des Warentauschs nicht wirklich trennen. Denn wie der Kapitalismus über die Äquivalenz betrügt, führt er auch die Universalisierung notwendig herbei. Zu ihr zwingt ja der Wachstumsbefehl, der Kapitallogik vor allem definiert: Immer mehr Dinge, die zunächst keine Waren sind, werden zu solchen gemacht. Man nennt das ihre „In-Wert-Setzung“.

Und was ist dagegen zu tun? Wir werden die „In-Wert-Setzung“ nicht derart verneinen, dass wir nichts mehr in Wert setzen. So isoliert, wie der Ausdruck oft hingesetzt wird, glaubt man, darauf müsse es hinauslaufen; als ob nun gar kein Konsumieren mehr statthaft wäre. Es kommt vielmehr darauf an, zwischen unendlicher In-Wert-Setzung und einer, die ein bewusst gewähltes Ende hat, zu unterscheiden. Aus Adornos Kritik folgt, dass man hier und jetzt daran gehen sollte, die Warenwelt zwar nicht abzuschaffen, wohl aber zu begrenzen und vielleicht zu verkleinern. Dann hört sie auf, sich den Subjekten als Vorbild des Subjektseins aufzudrängen. Die Subjekte sind es ja dann, die umgekehrt die Warenwelt zu ihrem Instrument herabsetzen.

Im übrigen ginge es darum, sie genussfähiger für Kunst zu machen, wozu Bildung gehört, die sich die Gesellschaft etwas kosten lassen muss. Dieser Gesichtspunkt mag unsere Erörterung abrunden. Denn wenn im Geld, wie ich oben sagte, schon Utopie vorscheint, so tut sie es im Kunstwerk weit mehr; Kunst kann also helfen, auf Geld angemessen spöttisch herabzublicken. Adorno betont die Nähe von beidem: „Der Wahrheitsgehalt der Kunstwerke […], der auch ihre gesellschaftliche Wahrheit ist, hat ihren Fetischcharakter zur Bedingung.“ Gerade deshalb kann das eine dem andern die Faszination rauben: „Kunstwerke“, sie zuerst, „sind die Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge, des nicht durch den Profit und das falsche Bedürfnis der entwürdigten Menschheit Zugerichteten.“ (Ästhetische Theorie, a.a.O., S. 337)