(87) The Case Against Competition

7. Umbau der Marktmaschine: Kooperation und Konkurrenz in der Anderen Gesellschaft / Vierter Teil – Vor der Erörterung von Proportionswahlen: Zugehörige neue, nicht mehr kapitalistische ökonomische Institutionen

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Ich hatte hier ursprünglich ein Kapitel fortführen wollen, dessen Thema der Umbau der Marktmaschine in folgenden Hinsichten sein sollte: „Austrocknung der Krisengefahr; Umbau des Verhältnisses zum Grund und Boden und seinen Schätzen; ein anderes Verständnis und eine andere Praxis von ‚Konkurrenz‘; neue Spielregeln hinsichtlich des Geschäftsgeheimnisses“ – so die Ankündigung der 82. Notiz. Nachdem Skizzen für die ersten beiden Hinsichten geliefert sind und ich jetzt im Begriff stehe, zur dritten und vierten Hinsicht überzugehen, wird mir klar, dass ich soeben ein Kapitel abgeschlossen habe und hier ein neues anfängt. An der Agenda ändert sich dadurch nichts, aber es gab einen übergreifenden Gesichtspunkt, durch den die Notizen 82 bis 86 bereits eine Einheit und eben ein Kapitel bilden, das die Überschrift „Umbau der Marktmaschine: Die Einbettung in Wahlen und Verhandlungen“ tragen kann. Das Kapitel, das jetzt mit der 87. Notiz beginnt, überschreibe ich „Umbau der Marktmaschine: Kooperation und Konkurrenz in der Anderen Gesellschaft“. Die Frage der Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses ist in diesem Kapitel ein Hauptpunkt.

Kooperation ist etwas, das sich im Alltag erfahren lässt. Es gibt aber auch so etwas wie systemische Kooperation, die in allgemeinen Wahlen ausgeübt werden kann. Wenn in Deutschland oder gar EU-weit über Alternativen abgestimmt wird oder würde, ist das zwar im Ganzen und für die Einzelnen eine recht abstrakte Angelegenheit, aber allemal eine kooperative. Die Gesellschaft legt sich dann nämlich auf Handlungsrahmen fest, die für ihre sämtlichen Glieder gelten. Von dieser Kooperation haben wir immer schon gesprochen. Es steht noch aus, dass wir sie als solche eigens durchdenken. Auch von Kooperation im Form regionaler oder internationaler Verhandlung haben wir gesprochen. Hier aber geht es erst einmal um die Konkurrenz, die ihr Gegenteil zu sein scheint. „Scheint“, sage ich; denn wenn wir bemerken, dass praktisch niemand an dem Geständnis vorbeikommt, es sei notwendig, Kooperation durch Konkurrenz zu ergänzen – zu vervollständigen? -, werden wir von vornherein mindestens eine „Dialektik“ beider Begriffe in Rechnung stellen. Es wird der beste Einstieg sein, uns solche Geständnisse einmal vor Augen zu führen.

Nehmen wir einige Bücher von Linken, die in den letzten Jahren erschienen sind: Robert Misik, Anleitung zur Weltverbesserung. Das machen wir doch mit links, Berlin 2010; Raul Zelik, Nach dem Kapitalismus? Perspektiven der Emanzipation oder: Das Projekt Communismus anders denken, Hamburg 2011; Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. Herausgegeben, überarbeitet und übersetzt von Silke Helfrich, München 2011; Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus, Frankfurt/M. 2011. In allen wird das Loblied der Kooperation gesungen, alle müssen aber auch, wie widerwillig immer, die Unhintergehbarkeit von Konkurrenz einräumen. So nennt Misik zwar „Kooperation, Kreativität und Gleichheit“ als „Schlüsselbegriffe für eine neue progressive Ära“ – und wer wollte ihm da widersprechen, auch wenn er hinzufügt „Die ewige Tretmühle der Konkurrenz verpestet das Leben aller“? -, aber wir lesen doch auch, wie er Jeremy Rifkin zustimmend zitiert: „Wir sind sowohl eine kooperative als auch eine rivalisierende Spezies“, wo dann nur noch resümiert werden kann, dass „Kooperation […] über Konkurrenz [siegt]“. Eine Formulierung, die unterstellt, dass Kooperation und Konkurrenz sich selbst wieder in Konkurrenz zueinander befinden. (A.a.O., S. 207, 210, 188)

Zelik scheint den Markt mit seiner Konkurrenzlogik zunächst ähnlich aufzufassen, wie ich es getan habe: Was seine Bewegung bestimme, sei Schwarmintelligenz. Er sieht das positiv: Kooperation könne gerade aus dem Schwarm heraus geschehen, müsse nicht von oben delegiert werden. Allerdings setze das einen nichtkapitalistischen Markt voraus. Es läuft dann aber doch darauf hinaus, dass er „die auf Gemeingütern basierende Kooperation“ gegen die „Arbeit unter Privat- und Konkurrenzverhältnissen“ ausspielt und sich einseitig nur für „Arbeitsprozesse ohne Marktbeziehungen“ begeistert, die in der Ökonomie der „Commons“ ablaufen. Er räumt zwar ein, dass die Arbeit an den Commons/Gemeingütern „nicht einfach als Modell dienen kann“, es daneben also auch Arbeit unter Konkurrenzverhältnissen geben wird. Und wie gesagt, die Schwarmintelligenz des Marktes hat er vorher ausdrücklich gelobt. Das bringt ihn aber nicht dazu, sich auf Markt und Konkurrenz näher einzulassen. (A.a.O., S. 44, 48 f., 116, 120)

Wenn Silke Helfrich ein Buch der Nobelpreisträgerin Elenore Ostrom herausgibt, deren großes Thema die „Commons“ sind, so zeigt auch ihre Einleitung, dass dieser Ansatz noch kein gesamtökonomisches Modell macht, wie eine Schwalbe noch keinen Sommer. Man kann die Allmende „jenseits von Staat und Markt“ fordern und alle Kooperationshoffnung auf sie focussieren, aber eine Ökonomie besteht nicht nur aus Allmenden. Sehr passend zu den diskurstheoretischen Überlegungen, die ich hier angestellt habe, betont Helfrich, dass Kooperation einer Sprache bedürfe. Aber wenn sie dem entgegensetzt, dass „Konkurrenz und Egoismus […] selbst bei Insekten [existieren]“, fragt man sich, ob sie wirklich glaubt, dass Konkurrenz  k e i n e r  Sprache bedürfe, und ob sie etwa nicht weiß, dass auch Kooperation „selbst bei Insekten existiert“. Gehe hin zur Ameise und lerne, heißt es schon in der Bibel. Man muss den Tieren und Insekten entweder beides absprechen, Kooperation wie Konkurrenz, indem man urteilt, ohne Sprache sei beides nicht vorhanden, nicht jedenfalls wie beim Menschen, oder muss ihnen beides zubilligen. (A.a.O., S. 17, 12)

Auch Sahra Wagenknecht beruft sich auf die Nobelpreisträgerin, die gezeigt habe, dass Menschen „eine angeborene […] Fähigkeit […] zur Kooperation besitzen“, auf der „historisch das Funktionieren der Allmende-Güter [beruhte]“. Sie aber lässt sich etwas mehr auf den Markt ein. Man liest deutliche Worte: „Kreativer Sozialismus will mehr Wettbewerb, nicht weniger“, und bei dem vielen Lob, das sie Walther Eucken spendet, dem deutschen Ordoliberalen, will es einem schon unheimlich werden. Es bleibt indessen bei der Proklamation; sie denkt darüber, was „kreativer Wettbewerb“ wäre, nicht nach. Dabei läge hier vielleicht eine Chance für ihre Partei, deren Flügelspitzenleute, zu denen sie zählt, über so eine Frage endlich einmal ins Gespräch kommen könnten. (A.a.O., S. 356 f., 343)

Alle Genannten haben sich der „Dialektik“ von Kooperation und Konkurrenz nicht gestellt, die sie doch selbst mit ihren Formulierungen heraufbeschwören. Markt muss sein, Konkurrenz also auch, ist aber das Negative, worüber sie weniger gern nachdenken. Doch um mit einer Sache fertig zu werden, muss man gerade ihre negative Seite bewältigen. Deshalb sagt Hegel, eine „Macht“ sei der „Geist […] nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umwandelt.“ Das ist eine  r a d i k a l e  Haltung. Sich bloß an der Kooperation zu erwärmen, ist nicht radikal. Der „Geist“, sagt Hegel, „gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet“. (Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/Main 1970, S. 36)

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In der Zeit der Systemkonkurrenz zwischen Westen und Ostblock waren westliche Linke noch sehr viel weniger als heute bereit, über „kreativen Wettbewerb“ nachzudenken. Davon legt ein Buch Alfie Kohns Zeugnis ab: Mit vereinten Kräften. Warum Kooperation der Konkurrenz überlegen ist, Weinheim und Basel 1989. Krasser las sich der Originaltitel: No Contest. The Case Against Competition, Boston 1986. Dies Buch ist vor allem deshalb nützlich, weil es als eine Art Forschungsbericht über Kooperations- und Konkurrenzforschung namhafter US-Wissenschaftler, die man in Europa gut kennt, gelesen werden kann: Karen Horney und Carl Rogers, Robert Bellah und Abraham Maslow, David Riesman und Margaret Mead, Paul Watzlawick und Amitai Etzoni neben vielen anderen. All diese Forscher haben auf ihren verschiedenen Feldern die Überlegenheit der Kooperation über die Konkurrenz nachzuweisen versucht. So wortreich waren sie und haben doch an der ökonomischen Praxis nichts ändern können.

Eine Art Inhaltsangabe des Kohnschen Berichts mit meinen kritischen Kommentaren kann im Netz eingesehen werden. Hier möchte ich nur zweierlei herausgreifen, zuerst den Umstand, dass auch Kohn nicht umhinkommt, der Kooperation die Konkurrenz beizugeben. „Es ist nicht auszuschließen“, sagt er, „dass eine zentralisierte Ökonomie, selbst wenn sie auf Gruppeninteresse und nicht auf dem des einzelnen fußt, nicht ohne ein gewisses Maß an Wettbewerb auskäme.“ (S. 92 f.) Sodann aber seine kompromisslose Ablehnung von Wettbewerb, die sich darauf nicht reimt. Die ihn schließlich verallgemeinern lässt, wir stünden „vor der überwältigenden Aufgabe, alle Strukturen abbauen zu müssen, die den einen gegen den anderen ausspielen – von den konkurrenten Freizeitaktivitäten bis zum politischen Konflikt“ (S. 236). Wahlkampf in der parlamentarischen Demokratie darf es dann auch nicht geben, wir bräuchten vielmehr „ein auf Konsensus basierendes System“ (S. 239). Selbst Staatsanwalt und Verteidiger sollen nicht mehr gegeneinander antreten (S. 68). Und auch Sport muss entsorgt werden, sogar das Schachspiel. „Die einzige Alternative sind nicht-konkurrente Spiele“. (S. 114)

Sport – dahin habe ich diese Notiz führen wollen, die das neue Kapitel einleitet. Dass Sport als Ideologie, die den kapitalistischen Wettbewerb rechtfertigt, weil er ihn irgendwie mitzumeinen scheint, zum reibungslosen Funktionieren dieser Ökonomie beiträgt, ist eine Binsenwahrheit. Ich möchte die Sache aber einmal umdrehen und fragen, wie ökonomische Konkurrenz aussähe, die sich an der sportlichen orientierte. Das ist natürlich nur Illustration und noch kein ernsthaft theoretisches Argumentieren. Aber es kann doch den Blick fürs Mögliche weiten, für einen denkbaren umgebauten Markt. Es wird darauf hinauslaufen, dass wir sagen: Der sportliche Wettbewerb, mögen wir ihn befremdlich oder normal finden, ist jedenfalls funktionierende Konkurrenz, und was für eine – und warum soll nicht auch eine Marktmaschine so funktionieren können.

Sechs gravierende Unterschiede heben die Konkurrenz, die uns etwa ein Fußballspiel vor Augen stellt, von der kapitalistischen ab. Erstens ist sie so geregelt, dass nur ungefähr Gleichstarke zum Match zusammentreffen – das Ligaprinzip. Zweitens liegen alle Ressourcen der Konkurrenz offen zutage. Es gibt keine Geheimhaltung, außer vielleicht vor einem einzelnen Spiel. Wenn eine Mann- oder Frauschaft mit einem neuen Spielsystem punkten will, muss sie es im Spiel offenlegen, so dass auch die Gegner es studieren können. Damit habe ich das Dritte schon benannt, die freie Verfügbarkeit von allem, was irgendwo gewusst und was neu entdeckt wird. Der FC Barcelona kann kein Patent erwerben, das seine Spielweise vor der Nachahmung schützt. Viertens konkurrieren Mannschaftsspieler untereinander in einer Art, die nicht ausschließt, sondern gerade fordert, dass sie vor allem erst einmal kooperieren. Von zwei Stürmern will einer besser sein als der andere – man sieht, dass sie kein Kartell bilden -, aber wenn sie sich den Ball nicht zuschieben wollten, würden sie ausgemustert. Fünftens basiert alles auf Spielregeln, die allen bekannt sind und denen die Teilnehmer eindeutig zugestimmt haben. Sechstens schließlich hat jeder die Wahl, ob er teilnehmen will oder nicht. Das ist freiwillig, seit keine Sklaven mehr in der Arena um Leben und Tod kämpfen müssen.

Man stelle sich eine Marktmaschine vor, die ebenso funktionierte. Vielleicht hält man sie nicht für wünschenswert, aber  f u n k t i o n s f ä h i g  wäre sie auf jeden Fall. An dem Mechanismus, für den es sie gibt, Spiel von Angebot und Nachfrage und Einpendeln beim Gleichgewichtspreis, würde sich gar nichts ändern. Wenn wir den Konkurrenzbegriff der vorhandenen kapitalistischen Marktmaschine damit vergleichen, erscheint er als Verdichtung von allerlei Konfusionen. Sie rühren alle daher, dass Sport nicht die kapitalistische Marktkonkurrenz sublimiert, sondern den archaischen Krieg. Daher kommt es, dass sich Homers Iliade fast wie ein großes grausames Fußballspiel liest, wo mal die eine, mal die andere Mannschaft zurückweicht und dann wieder „stürmt“, weil mutige Liberos das Ruder herum- und die Mitstreiter mitreißen, eine Entscheidung aber erst fällt, wenn endlich Achilleus eingewechselt wird. Dieser Streit kennt eben auch keine Geheimhaltung. Das Trojanische Pferd ist kein Bestandteil der Iliade. Geheimhaltung ist Privatheit im Sinn von Reserve gegen die Gemeinschaftspflicht, die der Krieg, dieser archaische jedenfalls, nicht kennt. Dass da jemand versucht, durch geheime Finten sein Risiko auf andere abzuwälzen, ist zwar nicht undenkbar, würde aber den Regeln widersprechen. Und doch versucht sich kapitalistische Konkurrenz den Nimbus zu geben, sie sei etwas Ähnliches wie Sport, wie sublimierter Krieg also.

Es gibt noch mehr Unterschiede. Der Krieg kennt zwei Kampfweisen, die Vernichtungsstrategie und die bloße Ermattungsstrategie, die den Feind nur zur Aufgabe zwingen, nicht aber seine Streitmacht ausradieren will. Sport kennt nur das Zweite, die Ermattung. Kapitalistische Konkurrenz oft nur das Erste, die Vernichtung, das Niederkonkurrieren. Auch hier also haben wir die Konfusion. Und weiter. Freiwillige Teilnahme am ökonomischen „Spiel“ würde ein Grundeinkommen für alle voraussetzen, dessen wir uns keineswegs erfreuen. Die aber unfreiwillig teilnehmen, haben natürlich irgendwelchen „Spielregeln“ niemals zugestimmt – so beliebt das Wort bei den Ideologen auch ist. Kurzum: Ökonomische Konkurrenz in der Anderen Gesellschaft wird dem Sport ähneln,  n i c h t  dem Kapitalismus. Genauer, sie wird ihm da ähneln, wo sie Wettbewerb ist. (Das ist sie, wie wir noch sehen werden, nicht ganz und gar.)

Wo ökonomische Konkurrenz ein Mittel ist, Aggression in friedliche Bahnen zu lenken, wird man das dankend anerkennen, obwohl so eine psychologische Sicht nicht die Hauptsache sein kann. Sie ist dieses Mittel aber nicht heute schon in ihrer kapitalistischen Verfasstheit. In der ist sie doch, wenn es sein muss, mit Blutvergießen ganz gut verträglich, und es gab Fälle, wo sie nach Blut von sich aus gedürstet hat. Mittel der Befriedung ist sie erst nach ihrem Umbau. Wenn der Umbau ansteht, wird man sagen: Geht es darum, Aggressive zu befrieden? Aber warum dann all das Schädliche drum herum? Warum nicht die  s c h l a n k e  Konkurrenz, die der Befriedung dient und nichts anderem? Das war schon Keynes‘ Frage: „Gefährliche menschliche Triebe“, schreibt er, können „durch Gelegenheiten für Gelderwerb und privaten Besitz in verhältnismäßig harmlose Kanäle abgeleitet werden […]. Für die […] Befriedigung dieser Triebe ist es aber nicht notwendig, dass das Spiel um so hohe Einsätze wie gegenwärtig gespielt wird. Erheblich niedrigere Einsätze werden dem Zweck ebenso sehr dienen, sobald sich die Spieler an sie gewöhnt haben.“ (Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, 10. Aufl. Berlin 2006, S, 315 f.)