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Kredit wird gebraucht, wenn Unternehmen ein Projekt aufgreifen, das anderswo schon betrieben wird, wenn sie es selbst betreiben und nun dessen Produktion ausweiten, aber auch wenn sie neue Projekte entwerfen und diese getestet oder gleich auch vertrieben werden. Der erste Fall tritt gehäuft nach einer Proportionswahl auf. Es ist zum Beispiel die Ausweitung des Öffentlichen Verkehrs entschieden worden; wie man Bahnen baut oder Schienen legt, ist bekannt, nur die Kapazität einschlägiger Unternehmen muss vergrößert werden. Zum zweiten Fall kommt es irgendwann ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt. In beiden Fällen jedenfalls wendet man sich an die Banken. Oder sollte es doch tun können. Es soll nicht so sein, dass nur die Unternehmen experimentieren, die imstande sind, es aus dem eigenen großen Gewinn zu bezahlen.
In dieser Notiz geht es nur noch um den zweiten Fall, den ich als „experimentelle Produktion“ bezeichne. Mit dem Begriff wird einerseits eine besondere Form dessen, was man heute „Angebot“ nennt, von dessen anderen Formen unterschieden, die einzige nämlich, die den Namen wirklich verdient. Andere Formen verdienen ihn nicht, denn wenn es sich darum handelt, dass Käuferbedürfnisse unangemessen beantwortet werden, weil Unternehmen nur an den eigenen Profit denken, sollte man nicht so tun, als hätte man auf Anfragen reagiert, sich um Verständnis und Entgegenkommen bemüht. Der deutschen Bevölkerung, die dreißig Jahre lang erfolglos ihre Ablehnung des Atomstroms zu Protokoll gegeben hat, ist dieser nicht „angeboten“ worden, nicht so, wie wenn ich bei Platzregen jemandem anbiete, er oder sie möge unter meinen Schirm kommen. Worte haben einen Sinn und auf dem sollten wir bestehen. Aber wenn Unternehmen etwas vorlegen, das es bisher noch nicht gegeben hat, und behaupten, es würde mir gefallen, ist das Wort am Platz. Damit, dass ich selbst vielmehr von „experimenteller Produktion“ spreche, schaffe ich ein Synonym zum „Angebot“ in diesem speziellen, einzig korrekten Sinn und bringe darüber hinaus zum Ausdruck, dass es natürlich gut ist – auch weiterhin -, nicht bloß Waren und Warengruppen zur Wahl zu stellen, die es schon gibt, sondern auch neue zu erfinden.
Da stellt sich nun die Frage, wie wir zu hinreichend vielen hinreichend guten Experimenten kommen, von deren Ergebnis später die Käufer sagen, „das ist es, danach haben wir irgendwie gesucht, ohne es artikulieren zu können“, statt dass ihnen Dinge aufgeschwatzt werden, derer sie nicht bedürfen. Wo sie sagen: „Da sind Vorschläge gemacht worden, ‚Angebote‘, über die bei der nächsten Proportionswahl abzustimmen wirklich lohnt.“ Wie können Banken das unterscheiden, wenn ein Kreditantrag bei ihnen eingeht? Es scheint eine müßige Frage zu sein, denn wer will sich dafür verbürgen, dass irgendein Bedürfnis von den Unternehmen künstlich erzeugt statt von den Käufern unbewusst schon herbeigesehnt worden ist. Ob die Frage aber beantwortbar ist oder nicht, stellt sie sich jedenfalls sowohl dann, wenn Unternehmen es gar nicht nötig haben, sich wegen ihrer Experimente an Banken zu wenden, als auch wenn sie Kredit dafür aufnehmen müssen.
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Sie ist beantwortbar, denn wir erinnern uns, dass wir es immer nur mit Grundlinien zu tun haben. Es geht also nicht um dieses und jenes Bedürfnis. Bedürfnisse sind nun wirklich Privatsache. Und so sollen Unternehmen alle Freiheit haben, sie abzutasten. Wir haben im Übrigen schon unterstellt, dass die Käufer ihnen hier auch entgegentreten, indem sie sich selbst abtasten, vermittelt etwa über für sie arbeitende Künstlergruppen (vgl. die 71. Notiz). Im Hinblick auf Bedürfnis-Grundlinien stellt sich die Frage aber ganz anders. Was kann man sich unter Bedürfnis-Grundlinien vorstellen? Und wo genau ist das Problem? Ich will eine gleichsam induktive Einführung versuchen. Nehmen wir das Mobiltelefon. Obwohl es durch keine Abstimmung ins Leben gerufen wurde, darf man wohl annehmen, dass es richtig und demokratisch war, es zu entwickeln. Staatliche Instanzen waren gut beraten, die Entwicklung zu fördern, indem sie für den satellitengestützten Funkruf aufkamen. Auch Banken, sofern involviert, waren gut beraten. Gleich zwei Grundlinien, Kommunikation und Mobilität, wurden da nicht nur neu gestaltet, sondern auch vorteilhaft miteinander verschmolzen (vgl. Manfred Böhm, Satelliten-Kommunikation: Technische und wirtschaftliche Aspekte, in Karl Kaiser/Stephan Frhr. v. Welck [Hrsg.], Weltraum und internationale Politik, München 1987, S. 17-36, hier S. 32).
Nun hat sich das „Handy“, dessen Vorgeschichte das ganze 20. Jahrhundert umfasst, zeitweise in Richtungen weiterentwickelt, wo man sich schon fragen konnte, ob das noch anderen Bedürfnissen als denen der profiteifrigen Hersteller entsprach. Wer hatte das Bedürfnis, mit einem Telefon auch fotografieren zu können? Was würde das nächste Angebot sein, vielleicht der Spiegel als Nagelfeile oder das Buch als Teetasse? Den Kindern hätte auch das gefallen. Die Erfindung zeigte freilich unerwarteten Sinn. Es wurde möglich, öffentliche Ereignisse an der staatlichen Zensur vorbei zu dokumentieren. Danach wurden Handys entwickelt, die zugleich Computer waren und die Nutzung des Internets erlaubten. Das war nun ganz bestimmt sinnvoll. Zu den Bedürfnis-Grundlinien Kommunikation und Mobilität kam als dritte die Information, und auch so wäre es gewählt worden, hätte es zur Wahl gestanden.
Aber hier kehrte sich etwas um. Das soll keine Kritik sein, wichtig ist dennoch, dass man es bemerkt: Kann man Fotografieren noch als zusätzliche Handy-Funktion begreifen, wird das Handy selber zum Zusatz, wenn es zugleich auch Computer ist, den man heute als Zugang von Menschen aus Fleisch und Blut zum Internet wahrnimmt. Dieser Zugang ist ja auch Kommunikation, nun aber nicht bloß mit anderen Menschen, sondern mit der Menschheit. Da man im Wirkbereich dieser Menschheits-Apparatur zugleich auch mit mehr oder weniger vielen Einzelnen kommuniziert, ist der Übergang dahin von der immer schon „offline“ gewohnten Kommunikation fließend. Die Situation ist also, dass Handy, Computer und Internet funktional verschmolzen sind, wobei die Computerisierung das Übergreifende ist. Man sieht’s auch daran, dass ein Computer kein Handy zu sein braucht, damit man mit ihm auch telefonieren oder fotografieren kann.
Ich sprach von der Weiterentwicklung des Handys – von da an, wo es Computerzusatz geworden ist, haben wir es mit der Perspektive der Computerisierung zu tun. Kann auch von ihr gesagt werden, sie würde gewählt werden, wenn sie zur Wahl stünde? In welche Richtung sie weiterentwickelt wird, wissen wir, sofern wir es wissen wollen. Es steht in der Zeitung. Die Berichte folgen immer dem Gestus, da laufe etwas ab, das keinen Urheber habe, aber jedenfalls Tatsache sei. Wer gut beraten ist, studiert die Tatsache und passt sich an, sei’s als Unternehmer, der im Strom der Entwicklung mitschwimmt, oder als Politiker mit segensreichen Fördermöglichkeiten. Oder eben als kreditierende Bank. Wir gewöhnlichen Leuten passen uns später ohnehin an, indem das Entwickelte schließlich auf den Markt kommt und wir es kaufen. Hören wir also, was produziert werden wird:
„Unser zukünftiges Leben ist vernetzt. So ziemlich alles, Kleidung, Autos, Küchengeräte, Verpackungen, Elektronik aller Art, wird miteinander kommunizieren. Auch unsere Wohnungen. In Zukunft wohnen wir nicht einfach in vier Wänden aus Glas, Stein, Holz oder Beton, sondern in Systemen, die mitdenken. Gebäudeintelligenz heißt ein Zauberwort, Internet der Dinge ein anderes“.
Den Bericht gibt Manuela Lenzen in Psychologie heute, Ausgabe 11/2014, unter dem Titel „Alles vernetzt! Leben im Jahr 2050“. Für den Hinweis danke ich Jutta Gukelberger.
„Kühlschränke können künftig mit Supermärkten, Autoschlüssel mit Stromtankstellen, Kalender mit Kaffeemaschinen, Rollatoren mit Stadtplänen und Ampeln kommunizieren. Intelligente Tapeten und neue Lichttechnik bringen die Wände zum Leuchten und umgeben uns mit einer virtuellen Realität von bislang ungesehener Qualität, die uns unterhält, informiert und unterstützt. Avatare, virtuelle Assistenten, gehören dann zur Grundausstattung.“
Das sind keine müßigen Träume, sondern daran wird gearbeitet. Die Kosten aufzubringen, ist offenbar kein Problem.
„In intelligenten Appartement sind Computer, Roboter, Küchengeräte, Einrichtungsgegenstände, selbst Wände schon heute vernetzt. Unter dem Teppich befinden sich Sensoren, die mitbekommen sollen, wo sich die Bewohner aufhalten, die Schienen an der Decke warten noch auf die Kameras, die ihren Bewegungen folgen werden.“
Wollen wir das? Wir werden uns doch jedenfalls fragen, was hier überhaupt vorgeht. Nicht nur Kommunikation und Mobilität werden vernetzt und nicht nur Information kommt als Tertium noch hinzu, sondern a l l e s wird Eins. Man könnte zusätzlich zu Lenzens Bericht noch auf die Debatte über Google verweisen, die in der FAZ kontinuierlich geführt wird. Da erfahren wir, dass Google dabei ist, derartige Produktionswege erfolgreich an sich zu reißen. Alles, was mit „künstlicher Intelligenz“ zu tun hat. Da kommt auch die Zahlbürste vor, durch deren Gebrauch wir ständig zahnärztliche Daten erheben und mitvernetzen. Ja, es ist nicht zu leugnen, irgendwie läuft das alles ganz von selbst ab! Und man sieht auch schon deutlich, worauf es hinausläuft: auf den Menschen aus Fleisch und Blut, der nichts mehr zu tun braucht, weil ihm alles abgenommen ist.
Dieser Mensch ist dann aber überflüssig. Er kann abgeschafft werden. Die „künstliche Intelligenz“, eine Maschine, tritt an seine Stelle. Das Letzte, was ihm abgenommen wird, könnte seine Existenz sein. Und auch das ist kein müßiger (Alb-) Traum, sondern eine Linie, die an gewissen technologischen Instituten real verfolgt wird. Ich bin früher schon darauf zu sprechen gekommen, habe etwa auf den letzten, vierten Teil des letzten Buchs von André Gorz verwiesen (Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie, Zürich 2004, ab S. 87), der unter der Frage steht, ob wir uns „Auf dem Weg in eine posthumane Zivilisation?“ befinden. In dem wird berichtet, dass manche US-Professoren sich vorstellen, der Mensch sei nur eine Zwischenstufe der Evolution, dazu da, die intelligente Maschine hervorzubringen und dann zu verschwinden. Würde man das, was gegenwärtig geschieht, in dieser Perspektive interpretieren, müsste gesagt werden, wir befänden uns jetzt gerade im Stadium der Kopie und Speicherung von allem, was uns ausmacht, damit man uns später vollwertig ersetzen kann.
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Als Literatur gibt Lenzen an: S. Turkle, Alone together. Why we expect more from technology and less from each other, Basic Books, New York 2011; I. Wachsmith, Menschen, Tiere und Max. Natürliche Kommunikation und künstliche Intelligenz, Springer Spektrum, Berlin 2013; I. R. Nourbakhsh, Robot Futures, MIT Press, Boston 2013. Ja, das MIT ist immer dabei. Massachusetts Institute of Technology. Man lese bei Gorz nach. Die so als Selbstlauf daherkommende Entwicklung kommt jedenfalls aus den USA: So sehr dies Land ökonomisch schwächelt, sich in eine gewisse Abhängigkeit von China begeben und den Versuch nötig hat, die Ökonomie der EU mit politischen Mitteln zu bremsen, kommen die weltweit hegemonialen Produktionsziele immer noch von dort.
Das unterstreicht übrigens bei ganz anderer Fragestellung auch der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Für ihn sind die USA ein „Imperium“, das ist eine oder vielmehr d i e „dominierende Macht“, die „sich an keinerlei Regeln gebunden fühlt“, und eine seiner Frage ist, wovon es abhängt, dass dies Imperium stabil und dauerhaft sein kann. Darüber entscheidet n i c h t , sagt er, die produktive oder militärische Kapazität der USA, sondern – analog zum britischen Fall im 19. Jahrhundert – ihre Fähigkeit, „die Kapitalströme der Weltwirtschaft zu lenken“, wozu der Besitz der Leitwährung, die Kontrolle von Weltbank und Weltwährungsfonds und auch „die Attraktivität amerikanischer Forschungsinstitute und Technologiezentren“ gehören (Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Ausg. Köln 2013, S. 86 f.). Das bekannteste und wichtigste Technologiezentrum ist jenes in Massachusetts. Hier haben Weltraum- und Körperersatzphantasien – zwei Seiten derselben Medaille – ihre wesentlichen Stützpunkte. Das muss sich in keiner besonders hohen Produktivität der US-Wirtschaft niederschlagen und tut es auch nicht, aber es beherrscht die Produktionsziele der ganzen Welt.
Wenn man sich das klar macht, sieht man auch gleich, was dazu gehört, dass die Beherrschung gelingt, zum Beispiel Hollywood, die Erfindung des „Fernsehspiels“ und seiner Serien, kurz die Unterhaltungsindustrie, dann auch Unternehmen, die das Internet kontrollieren, ja mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten. Und auch dieser Gesamtzusammenhang ist Münkler bewusst: Ein „etwas genauerer Blick auf die Macht der USA“, schreibt er, zeige, „dass sie nicht nur aus der Beherrschung des Erdraums, sondern ebenso aus der des Weltraums erwächst. Das bezieht sich […] auch auf die amerikanische Fähigkeit, die Expansionsphantasien und technologischen Visionen der Menschheit zu bündeln und zu kanalisieren – von der Landung auf dem Mond über die dauerhafte Stationierung von Menschen in der Erdumlaufbahn bis zur Besiedlung des Mars. Der Weltbegriff bekommt infolgedessen transglobale Züge. Die Transglobalität ist eine wesentliche Machtressource des amerikanischen Imperiums.“ (S. 25 f.)
Das heißt natürlich nicht, dass andere Weltregionen gezwungen wären, sich ihre Produktionsziele von US-Unternehmen und -instituten vorschreiben zu lassen. Aber zweierlei wirkt zusammen. Erstens ist die ganze Welt kapitalistisch „globalisiert“ und sind die USA als Staat der Hauptstützpunkt dieser Produktionsweise. Wie man oft betont, verlieren in der „Globalisierung“ die Staaten ihre Kontrolle übers Kapital und hört dieses auf, national gebunden zu sein. Wenn es aber nicht wenigstens e i n e n Staat gäbe, und das sind die USA, für den das nicht zutrifft, könnte so ein Weltsystem nicht funktionieren.
Nun müssten sich andere Staaten der Führung durch den US-Staat und alles, was hinter ihm steht, nicht beugen, tun es aber faktisch, denn zweitens: Kontrollieren sie zwar das Kapital nicht mehr, vertrauen sie doch weiter seinem „Wachstum“ und tun alles, es zu fördern; das Kapital aber folgt den US-Leitlinien freiwillig, überall auf der Welt. Es braucht ja nichts weiter, als dass überhaupt welche vorhanden sind, und hat allen Grund, sich über immer neue „Bedürfnisse“, seien sie noch so künstlich in jedem Wortsinn, zu freuen. Wir sollten uns hier erinnern, was überhaupt „Kapital“ ist: nicht bloß eine Ökonomie, sondern das Zusammenwirken einer bestimmten ökonomischen Logik – die auf den „unendlichen Mehrwert“ zielt (vgl. die 14. Notiz) -, eines dazu passenden Staates und einer dazu passenden Naturwissenschaft. Der weltweit hegemoniale Knoten dieser „drei Quellen und drei Bestandteile des Kapitals“, wie ich sie genannt habe, wird in den USA geschürzt, und niemand macht ihnen das streitig. Auch Naturwissenschaftler müssen dazu, in dieses Land zu gehen, dort zu forschen und sich bezahlen zu lassen, durchaus nicht gezwungen werden. Übrigens hoffe ich, dass bei meiner Darlegung deutlich wird, wie abwegig es wäre, speziell „die FED“ verantwortlich zu machen. Es ist doch nicht die FED, die sich ausdenkt, was kreditiert werden soll.
Die Andere Gesellschaft möchte ich mir als eine vorstellen, die nicht erst entsteht, wenn sie in Europa und den USA gleichzeitig entstehen kann. Nur eine Kompatibilität und Koexistenz von der Art, wie sie heute zwischen den USA und China besteht, wäre erforderlich, um den Weltfrieden zu wahren, und wäre gewiss auch möglich. Die USA stünden dann verfassungsmäßig gesehen in der Mitte zwischen einer Region (China), die weniger demokratisch, und einer (EU), die demokratischer verfasst wäre als sie selber; sie hätten allen Grund, sich mit beiden zu arrangieren. Ökonomisch gesehen wäre sie aber mit einer EU konfrontiert, die sich unter Umständen andere Produktionsziele setzt als sie. Nicht n u r andere, dann gäbe es ja keinen Handel mehr und das wäre fatal; aber a u c h andere. Ich sage „unter Umständen“, weil es von der Wahl der Bürger abhinge. Tatsächlich stelle ich mir aber vor, dass die Bürger, wenn ihnen erst einmal klar wird, in welcher Produktionsperspektive sie sich derzeit bewegen, diese lieber durch eine bessere ersetzen. Statt, wie gesehen, sich ihrerseits langfristig ersetzen zu lassen.
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Dazu gehört, dass man die vorhandene Produktionsperspektive erst einmal kritisch erforscht und auf den Begriff bringt. Dann wird deutlich werden, dass sie auch anders sein könnte, und das Andere lässt sich zur Wahl stellen. Aber können Dinge gewählt oder abgewählt werden, die noch gar nicht da sind, sondern erst entwickelt werden? Nur das ist im Moment unser Thema. Ich meine, ja. Man muss, um es zu können, mit der Ideologie des Selbstlaufs brechen. Das ist auf dem Feld, das ich hier gerade diskutiere, besonders schwer, aber es ist möglich. Schwer ist es, weil der Selbstlauf in letzter Instanz einer der naturwissenschaftlichen Entwicklung zu sein scheint und die „Freiheit der Wissenschaft“ nun wirklich nicht zur Disposition stehen darf. Es ist aber doch so, dass in der Wissenschaft Ziele verfolgt werden, von außen vorgegebene und uranfänglich von ihr selbst verfolgte, die selber nicht wissenschaftlich genannt werden können. Was zum Beispiel Beschleunigung ist und wie sie funktioniert, ist eine wissenschaftliche Frage, aber alles immer mehr beschleunigen zu wollen, eine außerwissenschaftliche Zielsetzung. Die könnte gewählt oder abgewählt werden, und mit ihr dann freilich auch die an ihr orientierten wissenschaftlichen Forschungsprogramme. Genauer gesagt wäre es die Bezahlung solcher Programme durch Banken, Unternehmen und den Staat, über die in Wahlen entschieden würde. In solchen Wahlen könnte bestimmt werden, die Perspektive des Computers sei nicht, den Menschen zu kontrollieren, zu kopieren und schließlich zu ersetzen, sondern er werde, gerade umgekehrt, zur Kontrolle und Selbstkontrolle der Ökonomie in Form ihrer Veröffentlichung eingesetzt.
Man könnte also „Proportionswahlen“ auch so bestimmen – das ist nicht ihr Begriff, aber ein aktuell wesentlicher Aspekt -, dass es eigentlich darum geht, eine bestimmte von den USA vorgegebene Intentionalität der Produktion zu brechen. Eine Welt wäre dann vorstellbar, in der Europa für die Ökologie und daneben die USA für das „All“ produzieren. Und das wäre jedenfalls besser als im Kalten Krieg, wo die beiden konkurrierenden Supermächte gerade ökonomisch auf dasselbe, den amerikanisch vorgegebenen „Fordismus“, hinauswollten. Hier also ist eine Auseinandersetzung mit den USA möglich und geboten, und es würde freilich auch eine Alternative zur amerikanischen Beherrschung der Kapitalströme dazu gehören, die sich mit dem Euro und jetzt auch der BRICS-Bank tatsächlich andeutet.
Die Wahl von „Bedürfnis-Grundlinien“ könnte tatsächlich genauso ablaufen wie die eigentliche „Proportionswahl“; ob sie zeitlich mit ihr zusammenfällt oder nicht, spielt keine Rolle. Auch sie würde nur dann abgehalten werden, wenn die Gesellschaft auf ein Problem aufmerksam wird und dessen Lösung an sich ziehen will (vgl. die 115. Notiz). Ja, sagen wir es deutlich: … wenn etwas Problematisches als Selbstlauf – „das geschieht sowieso“ – daherkommt, obwohl man sich einen anderen Ablauf wünscht. Wird so ein angeblicher Selbstlauf dann abgewählt, bleiben immer noch genügend Produktionsperspektiven übrig, in denen sich Unternehmen frei experimentierend bewegen können.
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Bis zur nächsten Notiz werden zwei oder drei Wochen vergehen, weil ich zwischendurch anderweitig beschäftigt bin. Sie ist aber auch wieder ein Neuanfang, denn während ich zuletzt lauter ökonomische Spezialfragen behandelt habe, folgt nun die Erörterung der Proportionswahl als einer politischen und Verfassungsinstanz. Den Anfang wird eine weitere Zwischenzusammenfassung bilden.