(76) Andere Triebkräfte

5. Karl Polanyis Beitrag zur Theorie des Marktes / Vierter Teil – Vor der Erörterung von Proportionswahlen: Zugehörige neue, nicht mehr kapitalistische ökonomische Institutionen

Der Markt als Maschine: Wir sollten nicht gleich zur Tagesordnung übergehen, sondern erst noch ein wenig über die Folgen nachdenken, die so ein Gedanke hat.

Er legt zum Beispiel den Schluss zwingend nahe, dass wer die kapitalistische Ökonomie überwinden will,  v o r h e r  über eine in sich schlüssige  G e s a m t a l t e r n a t i v e  verfügen muss, das heißt mindestens über deren Umrisse. Denn einer Maschine kommt man nicht bei, indem man an der oder jener Schraube dreht, oder auch an mehreren Schrauben. Wer das tut, bewirkt weiter nichts als eine Betriebsstörung. Da wir von einer sehr gewaltigen Maschine sprechen, würde der Schraubendreher, gerade je erfolgreicher er wäre, eine um so gewaltigere Störung bewirken. Das Beste, was er erreichen könnte, wäre noch, dass er, im Glauben, er greife die Maschine insgesamt an, tatsächlich nur auf eine Schwachstelle aufmerksam gemacht hätte, so dass die Aufseher herbeieilen und die Maschine an dieser Stelle reparieren oder ergänzen oder sich gar zum Umbau der Stelle entschließen würden, aber nur der Stelle: Sonst und im Ganzen bliebe sie, wie sie ist.

Gerät der Schraubendreher an Schrauben, die vom immanenten Maschinenstandpunkt keine Schwachstellen sind, so können diese ausfallen, ohne dass die Maschine wesentlich leidet, weil sie hinreichend über Redundanzen verfügt. Hat er aber eine „konstitutive“ Schraube gefunden und macht sich an ihr zu schaffen, werden die Aufseher versuchen, ihn festzunehmen. Mit gutem Gewissen, also sehr kraftvoll werden sie es tun, denn ihnen steht vor Augen, was der Maschinenzusammenbruch bedeutet. Vielleicht gelingt die Festnahme nicht. Dann tritt der Zusammenbruch tatsächlich ein. Nun entlädt sich gigantischer Unmut über dem, der es verschuldet hat, und man macht seine Tat rückgängig.

Viele, wenn nicht fast alle, die sich heute zum Thema „bessere Welt“ äußern, sind solche bloßen Schraubendreher.

Meine Kritik daran hat mit gewissen Fragen, die sehr umstritten sind, gar nichts zu tun. Es gibt zum Beispiel Leute, die meinen, eine Alternative zum Kapitalismus müsse auch eine zur Ware-Geld-Beziehung sein, das heißt weder Waren noch Geld dürfe man beibehalten. Auch ihnen, wenn sie Recht haben sollten, würde das Drehen einzelner Schrauben nichts nützen. Nein, sie müssten die ganze Maschine „zurückbauen“ und vorher „herunterfahren“. Es wäre wie bei einem Atomkraftwerk, dessen Stilllegung Jahrzehnte braucht. Und dann wären andere da, Beobachter, Jahr für Jahr. Sie können jederzeit eingreifen, den Rückbau stoppen, werden es nur dann nicht tun, wenn man sie überzeugt hat, dass es besser ist, ohne die Maschine zu leben. Nur der überzeugt sie, der eine Alternative vorweisen kann.

 

Hier komme ich auf Karl Marx zurück. Er rief dazu auf, das Ganze zu beseitigen, entwarf aber keine Gesamtalternative.  D a s  p a s s t  d a z u , dass er die kapitalistische Ökonomie nicht unter dem Gesichtspunkt, dass sie sich über eine Maschine vermittelt, analysierte. Daher konnten seine russischen Anhänger, als sie ihn praktisch anzuwenden versuchten, von ihm nur lernen, dass die Ware-Geld-Beziehung von Übel sei. Entsprechend katastrophisch gestaltete sich ihre Umbauarbeit.

Ich komme aber deshalb auf Marx zurück, weil ich ihn in Schutz nehmen will. In der vorigen Notiz, als ich ihm  v o r w a r f , die Maschine nicht als Maschine analysiert zu haben, hatte ich nicht bedacht, dass er ja noch nicht fertig war. Was wir als Das Kapital Band 1 bis 3 kennen, ist seine Theorie des „Kapitals im allgemeinen“. Dem sollte noch eine Theorie der Einzelkapitale folgen. Zentral wäre in ihr das Konkurrenzphänomen gewesen, doch auch alles andere, was zur Marktmaschine gehört, wäre zur Sprache gekommen:

„Die Wertbestimmung als solche interessiert und bestimmt den einzelnen Kapitalisten […] nur […], soweit sie die Produktionskosten der Ware für ihn selbst erhöht oder erniedrigt, also nur soweit sie ihn in eine Ausnahmeposition setzt“. „In der Konkurrenz sowohl der einzelnen Kapitalisten untereinander wie in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt sind es die gegebnen und vorausgesetzten Größen von Arbeitslohn, Zins, Rente, die in die Rechnung als konstante und regulierende Größen eingehn; konstant nicht in dem Sinn, dass sie ihre Größen nicht ändern, sondern in dem Sinn, dass sie in jedem einzelnen Fall gegeben sind und die konstante Grenze für die beständig schwankenden Marktpreise bilden.“ (MEW 25, S. 880 ff.)

Um die „Wertbestimmung als solche“ geht es in der Theorie des „Kapitals im allgemeinen“: Das ist der Grund, weshalb da nicht der Markt überhaupt bedacht wird, sondern nur die Ware-Geld-Beziehung „als solche“. In der Theorie der Einzelkapitale aber wäre es darum gegangen, wie die Marktteilnehmer auf „gegebene Größen“ reagieren, und nicht zuletzt auf Marktpreise. Hier erst wäre der Ort gewesen, die Marktmaschine zu thematisieren. Aber Marx konnte nicht alles im Alleingang machen. Dafür ist die Lebensspanne eines Menschen zu kurz.

 

Indem man an einzelnen Schrauben dreht, und seien es die wichtigsten, kommt man der Maschine nicht bei. Wie sonst? Nur so, dass man modellhaft entwirft, wie sie  i m  G a n z e n  umgebaut werden kann und welche  a n d e r e n  T r i e b k r ä f t e  es gibt, von denen die umgebaute Maschine befeuert werden könnte.

Ein solches Modell muss zuerst durch Forschung erstellt und dann dadurch, dass man aus seinen Kernpunkten eine Große Erzählung formt, öffentlich kommunizierbar gemacht werden. Während man kommuniziert, macht man Modellprojekte vorstellig und sucht Verbündete. Man sucht auch die wissenschaftliche Debatte. Die Theorie der Anderen Gesellschaft muss ein wissenschaftliches Fach werden, ähnlich wie die „Futurologie“ in den 1960er Jahren auf dem Weg war, ein solches zu werden. Wenn der Öffentlichkeit die Kontroversen, die hier ausgetragen werden, spannender erscheinen als das Weiter so derer, die den Status quo erforschen, ist man auf dem richtigen Weg. Dem Weg der Hegemoniebildung, wie sie einst den Aufklärern des 18. Jahrhunderts gelang. Irgendwann ist die Gesellschaft zum Umbau bereit und leitet ihn ein. Wahrscheinlich nach einer Katastrophe: Überzeugt, dass ein anderer Weg beschritten werden muss,  g r e i f t  sie auf das  z u r ü c k , was als Modell des Anderen schon entwickelt wurde.

 

Ich will noch einmal verdeutlichen, dass ich nicht etwa das Thema gewechselt habe, wenn ich jetzt vom Umbau der Marktmaschine statt von der Abschaffung des Kapitalismus spreche. Dabei kann ich mich nur wiederholen, aber da ich vormals in anderen Termini als solchen der „Marktmaschine“ gesprochen habe, mag die Wiederholung nicht überflüssig sein. Zu sagen ist, dass Polanyi, wenn er vom 1834 entstandenen „selbstregulierenden Markt“ spricht, uns genau den  k a p i t a l i s t i s c h e n  Markt vor Augen stellt. Denn was ist eine Regulierung nicht durch Politik, sondern durch den Markt selber? Wir haben es dann, politisch gesehen, mit dem d e regulierten Markt zu tun. Ökonomisch aber mit der Logik von Leuten, denen es um die Ware-Geld-Beziehung und letztlich einfach ums Geld geht. Das sind die Charaktermasken des Kapitals: Leute, die sich von der Grenzenlosigkeit des Geldes, als einer bloß quantitativ bestimmten Sache, den Wunsch vorschreiben lassen, es wirklich vermehren zu wollen. Bei Marx lesen wir: Wenn der Warencharakter „der beherrschende und bestimmende Charakter“ der Produkte sei, habe man es mit der kapitalistischen Produktionsweise zu tun (MEW 25, S. 886; vgl. 68. Notiz). Denn dann ist die Ware nur Repräsentant des in ihr angelegten Geldes (MEW 13, S. 102), und das Kapital ist frei, „beständig mehr davon zu schaffen“, bis der „unendliche Mehrwert“ erreicht wäre (MEW 42, S. 253; vgl. 14. Notiz), frei eben, seiner Definition zu genügen.

 

Eine andere Marktmaschine, mit anderen Triebkräften? Hier muss zuerst geklärt werden, was uns als Antrieb und was als Betriebenwerden der Maschine gilt. Man neigt nämlich zu der Auskunft, betrieben werde sie von Arbeitern und Kapitalisten, angetrieben aber, schändlicherweise, durch die Verfeuerung von Rohstoffen, die nicht regenerierbar sind. Ja, das ist schändlich: Es wurde und wird produziert, als seien Rohstoffe nicht selten, sondern stünden umsonst zur Verfügung. Aber dennoch ist die Auskunft nicht zuende gedacht. Denn so geschichtsmächtig sind Arbeiter und Kapitalisten nicht, dass sie als Subjekte, Betreiber der Maschine gelten könnten. In ihnen Ähnliches wie Heizer und Zugführer einer Dampflokomotive zu sehen, wäre ein täuschendes Bild. Beim Arbeiter ist das sowieso klar. Er wird in der Marktmaschine genauso „verheizt“ wie die Kohle, die zu seinen Arbeitsobjekten unter dem Kapitalkommando zählt. Er und die Kohle sind gleichermaßen Objekte des Kapitalisten. Aber auch der betreibt die Maschine nicht, sondern wird betrieben, muss sich treiben lassen: von der Konkurrenz in die Marktnische. Indem es in der „Marktwirtschaft“ kein Einkommen gibt, das nicht über den Verkauf von Waren vermittelt wäre, gibt es keine Klasse von Menschen, die außerhalb der Maschine stünden, statt dass sie deren eigene Rädchen wären.

Mit den Rohstoffen verhält es sich nicht anders. In ökologischer Sicht finden wir sie zwar außerhalb der Maschine und ist die Art und Weise verantwortungslos, wie man sie in dieselbe einspeist. Ökonomisch jedoch sind sie immer schon drinnen. Es gibt nämlich keine Rohstoffe, die ein Kapitalist verwenden könnte, ohne sie vorher einem Eigentümer von Grund und Boden abgekauft zu haben. Daher konnte nie jemand glauben, sie seien „umsonst“. Für den Eigentümer sind sie von vornherein Waren, die er verkauft, um zu seinem Einkommen zu gelangen. Das heißt, wir finden auch ihn und die Stoffe  i m  I n n e r n  der Maschine.

Kapitalisten sind Subjekte im Verhältnis zu Arbeitern und Rohstoffen, haben sich aber nicht selbst als Kapitalisten hervorgebracht. Den Prozess, wie Händler in staatliche Strategien und Institutionen eingebunden waren, bevor einige Staaten als erste den schrankenlosen Reichtum zum obersten Wert erhoben, haben wir früher verfolgt. Der hemmungslos wirtschaftende Kapitalist war ihr Produkt und Instrument, das aus dem Ruder lief und zuletzt „privatisiert“ werden musste. Die Staaten ihrerseits hatten auf historische Engpässe und deren Rationalisierung durch Philosophen reagiert. Kurzum, wenn man den Betreiber der Marktmaschine, ihr geschichtsmächtiges Subjekt finden will, muss man schließlich sagen, „der Weltgeist“ sei es gewesen. Und das wäre nicht einmal unnütz. Es liefe ja darauf hinaus, dass man an den Punkt zurückkehrt, wo die Entwicklung zum „selbstregulierenden Markt“ begonnen hat: um zu sehen, ob eine andere Entwicklung möglich gewesen wäre, ja heute noch ist.

Wir werden aber die Frage, ob eine Marktmaschine denkbar ist, die anders angetrieben wird als durch den Hunger der Arbeiter und das Gewinnstreben der Kapitalisten, mit der Frage nach anderen Betreibern der Marktmaschine nicht mehr verwechseln. Man muss beide Fragen stellen, aber sie sind verschieden. Als welche, die den Weg zur Anderen Gesellschaft bahnen wollen,  b e t r e i b e n  „wir“ die Erneuerung der Maschine. Wir tun es auch dadurch, dass wir die Chancen für einen anderen  A n t r i e b  ausloten. Daraus ergibt sich die Frage, wer ist „wir“? Wir müssten Leute seien, die teils in der Maschine sind, das ist offenkundig, teils aber sie transzendieren können, so dass für uns nicht gilt, was Walter Benjamin schreibt: „Wir können das Netz in dem wir stehen nicht zuziehn.“ Der Antrieb aber, nach dem wir fragen, ist weiter nichts als ein Maschinenelement. Hunger und Gewinnstreben bewirken heute, dass wir die Maschine nicht betreiben, sondern ihre Getriebenen, ihr Räderwerk sind. Erst indem wir aufhören, uns als Hungernde oder Gewinnstrebende zu definieren, treten wir aus der Maschine – ideell zunächst, aber in praktischer Absicht – heraus.

Im Grunde hindert uns niemand daran. Man kann das Grundeinkommen einführen und dem Gewinnstreben ein Maximum setzen. Wenn Grundeinkommensbezieher sich zur Annahme eines Arbeitsplatzes entschließen, dann jedenfalls nicht, weil Hunger sie getrieben hätte. Wenn Gewinnstrebende über das Maximum hinaus erfolgreich sind, schöpft man den Übergewinn ab und lagert ihn in den gesellschaftlichen Fonds, von wo er nur fallweise herausgenommen wird, ohne dass es noch einen Zwang zur Reinvestition gibt. Damit wäre der Kapitalismus abgeschafft. Nur die Frage, welcher andere Antrieb die Maschine am Laufen halten soll, müssen wir noch beantworten. Wir haben es schon im Kontext der Erörterung des Grundeinkommens versucht: mit Plausibilitätsargumenten wie dem, dass die Arbeit selbst zum ersten Lebensbedürfnis werden könne. Polanyi indes argumentiert schlagender. Er kann wirtschaftshistorische Fakten beibringen.

 

Bei der Untersuchung anderer menschlicher Gesellschaften beobachten wir, dass Hunger und Gewinnstreben keineswegs als Triebkräfte für die Produktion gesehen werden, und wo dies doch der Fall ist, sind sie mit anderen starken Motivationen verknüpft.“ Ich möchte Polanyi einfach das Wort geben. (Unser obsoletes marktwirtschaftliches Denken, in: Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt/M. 1979, S. 129-148, hier S. 135)

In primitiven Gesellschaften, auch wenn sie am Rand des Existenzminimums lebten, bestand nie die Gefahr des Verhungerns, „sofern nicht die ganze Gemeinschaft in diese Lage gerät“. Man findet ebenso wenig ein individuelles Gewinnstreben. (S. 136) Wo man es später findet, spielt es noch keineswegs die ökonomische Hauptrolle. „Das Gewinnstreben war für den Kaufmann ebenso kennzeichnend wie Tapferkeit für den Ritter, Frömmigkeit für den Priester und Stolz für den Handwerker. Der Gedanke, dass man das Gewinnstreben allgemeingültig machen könnte, ist unseren Vorfahren nie in den Sinn gekommen.“ Die Ökonomie funktionierte trotzdem sehr gut: „Die Initiativen entspringen höchst unterschiedlichen Quellen, wie Sitte und Tradition, öffentlicher Pflicht und privaten Verpflichtungen, religiösen Vorschriften und politischer Treue, gesetzlichen Pflichten und administrativen Verordnungen, festgelegt vom Fürsten, der Stadtgemeinde oder der Zunft. Rang und Status, gesetzlicher Zwang und Strafandrohung, öffentliches Lob und privater Ruf gewährleisten, dass der einzelne seinen Teil zur Produktion beiträgt.“ (S. 137)

„Genau besehen, sind die Menschen aus den verschiedensten Gründen zu arbeiten bereit, sofern die Verhältnisse dementsprechend geordnet sind. Mönche trieben aus religiösen Gründen Handel, und Klöster wurden zu den größten Handelseinrichtungen in Europa. Der Kula-Handel der Bewohner der Trobriand-Inseln […] ist eine primär ästhetische Beschäftigung. Die Feudalwirtschaft wurde im Einklang mit dem Brauchtum abgewickelt. Bei den Kwakiutl scheint der Hauptzweck der gewerblichen Tätigkeit die Befriedigung einer Ehrenangelegenheit zu sein. Unter dem merkantilen Despotismus wurde das Gewerbe häufig so geplant, dass es der Macht und der Herrlichkeit diente.“ (S. 139)

Dann kam der Kapitalismus, in dem der Hunger und das Gewinnstreben aus allem herauspräpariert und gegen alles isoliert wurden. „Ehre und Stolz, Bürgerpflicht und moralische Pflichten, sogar Selbstachtung und allgemeine Anständigkeit wurden nun für den Produktionsprozess als unerheblich abqualifiziert und bezeichnenderweise mit dem Wort ‚Ideal‘ zusammengefasst. Somit glaubte man, der Mensch bestehe aus zwei Komponenten, wobei die eine mehr dem Hunger und Gewinnstreben zuzuordnen sei, die andere mehr der Ehre und der Macht. Die eine Komponente sei ‚materiell‘, die andere ‚ideell‘; die eine ‚ökonomisch‘, die andere ’nichtökonomisch‘; die eine ‚rational‘, die andere ’nicht rational‘. Die Utilitaristen gingen sogar so weit, diese beiden Begriffspaare gleichzusetzen und damit die ‚ökonomische‘ Seite des menschlichen Charakters mit einer Aura von Rationalität zu versehen. Derjenige also, der den Gedanken von sich weisen wollte, er agiere ausschließlich um des Gewinns willen, wurde […] nicht nur für unmoralisch, sondern auch für verrückt gehalten.“ (S. 140)

Das ist alles Unsinn. „Hunger und Gewinnstreben haben nichts spezifisch ‚Materielles‘ an sich. Stolz, Ehre und Macht wiederum sind […] nicht unbedingt ‚höhere‘ Motivationen als Hunger und Gewinnstreben.“ Dies führt Polanyi zur Analogie der Sexualität, in der man „sicherlich […] eine signifikante Unterscheidung zwischen ‚höheren‘ und ’niederen‘ Beweggründen treffen“ könne. „Aber ganz gleich, ob es sich um den Hunger oder den Sexualtrieb handelt, in beiden Fällen ist es verhängnisvoll, die Trennung von ‚materiellen‘ und ‚ideellen‘ Komponenten des Menschen zu  i n s t i t u t i o n a l i s i e r e n . Im Zusammenhang mit dem Sexualtrieb ist diese […] Wahrheit längst erkannt worden: sie ist die Grundlage der Institution der Ehe. Im gleichermaßen entscheidenden Gebiet der Ökonomie hingegen wurde sie vernachlässigt. […] Unsere biologische Abhängigkeit von Nahrung wurde bloßgelegt und der blanken Angst vorm Verhungern die Zügel freigegeben. Unsere entwürdigende Versklavung im ‚Materiellen‘, die zu mildern der Zweck jeglicher Kultur ist, wurde absichtlich verschärft.“ (S. 143)

Wenn das absichtlich geschah, sollte es nicht auch absichtlich zurückgenommen werden können?