(100) Geld und Zeit

9. Gleichungsgeld gesellschaftlich eingebettet / Vierter Teil – Vor der Erörterung von Proportionswahlen: Zugehörige neue, nicht mehr kapitalistische ökonomische Institutionen

Das Vertrauen

Was als Nächstes zu sagen ist, erfordert den doppelten Umfang einer Notiz, denn nur so kann ich das Begonnene vervollständigen und auch noch die am Ende der vorigen Notiz ausgesprochene Ankündigung einlösen. Ich fahre zunächst einfach fort, den Charakter unseres vorhandenen Geldes zu explizieren: dass es „Gleichungsgeld“ ist und unsere kapitalistische Ökonomie über (Geld-) „Gleichungsketten“ zusammenhält, jedenfalls zusammenzuhalten versucht. Zur Begründung führte ich bisher an, dass Kreditnehmer Bankgeld nur gegen „Sicherheit“ erhalten, die so behandelt wird, als hätte sie den gleichen Geldwert wie der Kredit – sie erreicht ihn auch tatsächlich, indem ein „Verschuldungskoeffizient“ in die Kreditgleichung eintritt -, und dass die Geschäftsbanken selber nur auf dieselbe Weise frisches Geld von der Zentralbank erhalten. Da auf beide Art Geld allererst „geschöpft“ wird, ist ihm die Gleichungslogik offenbar nicht äußerlich, als sei Geld erst einmal für sich vorhanden und werde dann auch noch in Gleichungen eingesetzt, sondern diese definieren es von vornherein und machen es im Innersten aus.

Auch wie das monetäre Geschehen mit der Warenproduktion zusammenhängt, wurde erörtert, es braucht nicht nochmals wiederholt zu werden. Ausführen will ich aber, was es heißt, dass „jede Geldsumme auf andere, die gleichen Wert haben, zurück- oder vorausweist oder beides“: Mit dieser Formulierung hatte ich angedeutet, dass es sich um Gleichungsgeld nicht nur deshalb handelt, weil ein Betrag, den wir herausgreifen, sich auf einen  f r ü h e r  entstandenen Betrag gleicher Höhe berufen kann, sondern auch weil er einem  z u k ü n f t i g e n  Betrag gleichwertig ist. Dieser Umstand ist als solcher natürlich ebenso bekannt, wie bekannt ist, dass man Kredit nur gegen „Sicherheit“ erhält. Der Kredit muss eben nicht nur gewährt, sondern auch zurückgezahlt werden, und zwar in gleicher Höhe. (Dass Zins hinzukommt, lassen wir hier noch beiseite, weil er, anders als die Zahlung, keine Geldfunktion ist.) Aber meist wird übersprungen, dass beide Umstände – Kredit gleich „Sicherheit“ und Kreditrückzahlung gleich Kredit – untrennbar voneinander sind. Man hört stattdessen die Behauptung, Kredite entstünden aus „Vertrauen“. Da im Zuge der Kreditierung neues Geld entsteht, wird dann auch vom Geld überhaupt gesagt, es werde vom Vertrauen geschaffen, ja „sei“ eigentlich Vertrauen.

Nun ist unbestreitbar, dass im „Kredit“ das Credo steckt und somit, als Wortbedeutung, das Vertrauen. Aber wenn in einer andern Sphäre als der, worin wir uns hier bewegen, das Credo ein „Glaubensbekenntnis“ ist, so wird doch das  ö k o n o m i s c h e  Credo nicht deshalb gewährt, weil dem Kreditnehmer Glauben im Sinn eines blinden Fürwahrhaltens entgegengebracht würde, sondern in der Regel nur dann, wenn man möglichst gut über ihn unterrichtet ist und seine Rückzahlungschance nach allem, was man  w e i ß  – wobei dies Wissen nicht vollständig sein kann, weil es zur Rückzahlung erst in der Zukunft kommt -, sehr hoch ist. Deshalb ist jene Behauptung, Kredite und „Kreditgeld“ (so wird das Geld, das wir haben, häufig bezeichnet) entstünden aus Vertrauen, nicht aufrechtzuerhalten. Wer würde sagen, er mache sich ans Heben einer Last, weil er vertraue, und so werde die Last vom Vertrauen gehoben? Nein, er vertraut auf seine Muskelkraft und führt die Hebung auf diese zurück. Schon im Voraus tut er das, also wenn sie noch gar nicht erfolgt ist und vielleicht ja gar nicht gelingt.

Entsprechend gibt es Kredit nicht, weil Kreditnehmern vertraut wird, sondern weil man weiß und dafür sorgt, dass diese meistens zurückzahlen, das in sie gesetzte Vertrauen also rechtfertigen. Vertrauen vermittelt hier nur, es schließt die Lücke zwischen dem, was ein Kreditgeber weiß, und dem, was er wegen der Zukünftigkeit der Rückzahlung nicht wissen kann. Die Lücke ist unleugbar da, sie ist sogar gefährlich groß in unserer Wirtschaftsordnung, aber müssen Kreditgeber nicht versuchen, sie möglichst klein zu halten? Da haben wir keinen Grund, ihr Vertrauen mehr als ihr Wissen hervorzuheben.

Aber auch wenn wir sagen, zum Kredit komme es wegen der für sehr wahrscheinlich gehaltenen Rückzahlung in gleicher Höhe, sprechen wir fahrlässig, da ein anderer Grund noch wichtiger ist: dass eine Kreditsumme natürlich nur vergeben werden kann, wenn sie vorhanden ist. Der Kredit als Geldbetrag entsteht aus  z w e i  Gründen, einmal weil er später mutmaßlich zurückgezahlt werden wird und zum andern weil er früher tatsächlich aufgehäuft wurde. Er ist Mittelglied einer Gleichungskette: vorhandenes kreditierbares Geld, Geldvergabe in der Gegenwart gegen vorhandene „Sicherheit“, Rückzahlung in der Zukunft, wobei auch die „Sicherheit“ zurückgegeben wird. Das vorhandene Geld ist das überkommene, aus der Vergangenheit herrührende Geld. Ebenso ist die „Sicherheit“ schon da. So sehen wir insgesamt, die Kette wird nicht von der Zukunft gesteuert. Zukunft kommt nur ins Spiel, weil in ihr  z u r ü c k gezahlt werden soll, was  a m  A n f a n g  stand. Offenbar ist der Anfang das Entscheidende.

 

Die Geldverdopplung

Das mag alles ganz harmlos klingen, schließt aber ein vertracktes philosophisches Problem ein. Um es deutlich zu machen, komme ich auf einen weiteren Satz der vorigen Notiz zurück: „Es ist, als wenn ich sage ‚Ich will 12‘ und man antwortet ‚Nur gegen 7 + 5‘: Indem ich diese ‚Sicherheit‘ gebe, erhalte ich die 12, weil ich sie sowieso schon hatte.“ Diese Veranschaulichung dessen, was bei einer Kreditvergabe passiert, hatte ich gewählt, weil Kant sich desselben Beispiels bedient, wenn er kritisiert, wie Leibniz und die Leibnizianer die Gleichung verstehen.

Um es kurz zu machen: Für diese, die sich durchgesetzt haben, sind Gleichungen der Zeit enthoben, während Kant sie als Handlung in der Zeit sehen will. 7 + 5 = 12 bedeutet für Kant, dass die 12 anfangs noch nicht da ist, sondern aus 7 und 5 erst allmählich zusammengezählt wird. Er weist deshalb auch jenen Satz von Leibniz zurück, der die „identitas indiscernibilium“, Einerleiheit des Nichtzuunterscheidenden behauptet. Das ist ein Satz über die Gleichung, in der Leibniz zufolge auf der rechten Seite das Gleiche  u n d  d e s h a l b  d a s s e l b e  wie auf der linken ausgesagt wird. Wie in dieser Blogreihe schon mehrfach zur Sprache kam, folge ich darin Leibniz und nicht Kant: In einer Gleichung wird nicht eine Sache zur zweiten gemacht, werden auch nicht zwei Sachen, die verschieden sind, dann noch verglichen und schließlich gleichgesetzt, sondern es ist nur eine einzige Sache da, für die es zwei gleichwertige Formulierungen gibt. Da es sich um eine Sache der Logik handelt, geht es wie bei aller Logik darum, abstrakt und genau anzugeben, was möglich und was unmöglich ist.

Wenn wir allerdings die Gleichungskette  d e s  G e l d e s  betrachten, stoßen wir auf den sehr erstaunlichen Umstand, dass es Gleichungen gibt, die sich zwar als zeitunabhängige Möglichkeitsbedingung aussprechen, aber dennoch in die Welt des Zeitlichen herabsteigen müssen. Das ist nun eine Welt, in der man trotz aller „Sicherheiten“ nicht sicher sein kann, ob alle Gleichungen den Gleichungsstatus werden verteidigen können. Ja, wenn es um Kreditgleichungen geht, können wir wirklich nur hoffen und darauf „vertrauen“, dass es welche sind. Der Grund ist, dass sie durch die Zeit gehen. Ich habe das mit den Worten „überkommenes kreditierbares Geld, Geldvergabe in der Gegenwart, Rückzahlung in der Zukunft“ schon ausgesprochen. Aber wie können Gleichungen durch die Zeit gehen, wenn sie doch zeitlos sind?

Die Kreditgleichung ist trotz allem eine Gleichung im leibnizianischen Sinn. Denn zum einen kann davon, dass das kreditierbare Geld eine Herkunft hat, in der Tat abstrahiert werden. Es ist einfach da. Zum andern wird auch das Verhältnis von Kreditvergabe und Rückzahlung völlig zeitlos gefasst, wenn ich schreibe, denn so könnte man es simpel modellieren: „12 = 12 * 2 – 12“. Die Kreditsumme steht auf der linken Seite und auf der rechten eine Rückzahlungssumme, die exakt das Gleiche ist, denn 12 * 2 – 12 ist 12. Die Gleichung funktioniert also. Aber um welchen Preis: Man kann es so ausdrücken und auch verallgemeinern, dass eine Kreditvergabe, wenn man vom Zins absieht, zwar nicht „an sich“ zur  G e l d v e r d o p p l u n g  führt, „zwischendurch“ aber sehr wohl. Zur Geldverdopplung! So geht die 12 durch die Zeit: „12, 12 mehr, 12 weniger“. Davon kann  n i c h t  abstrahiert werden.

Betrachten wir es näher. Wie gesagt, zunächst sind die 12 einfach da. Weil sich daran nichts ändert, wenn sie kreditiert werden, tauchen sie auf der rechten Gleichungsseite als verdoppelt wieder auf. Obzwar in Händen des Kreditnehmers, gehören sie nämlich weiter der Bank, stehen in deren Bilanz sowohl auf der Sollseite (Rückzahlungsforderung gegen den Kreditnehmer) als auch auf der Habenseite (die dem Kreditnehmer gewährte Sichteinlage ist eine Einlöseverpflichtung der Bank ihm gegenüber). Beide Seiten sind unmittelbar liquides Geld, denn während die Bank ihre auf 12 sich belaufende Rückzahlungsforderung als „Sicherheit“ vorweisen kann, wenn sie Zentralbankgeld benötigt, bezahlt der Kreditnehmer, dem eine Sichteinlage in Höhe von 12 eingeräumt worden ist, damit seine Rechnungen. So sind jetzt 24 im Spiel.

Mit 12 * 2 beginnt die rechte Gleichungsseite, das ist sicher. Die Rückzahlung indessen, also die Fortführung durch „- 12“ ist nur sehr wahrscheinlich. Tritt sie nicht ein, haben wir uns gar nicht in einer Gleichungsseite bewegt. Und doch mussten wir „Vertrauen“ haben, in einer zu sein, sonst hätten wir sie gar nicht betreten dürfen. Das ist die Konfusion und das Paradox des Gleichungsgeldes.

Dieselbe Paradoxie, nur anders gewendet, liegt darin, dass aus 12  a u c h  n u r  z e i t w e i l i g  12 * 2 werden kann. Ich kann mich deshalb auch nur wiederholen. Zunächst: Gerade  w e i l  das 12 = 12 der Bilanz eine Vorwegnahme der Zukunft ist – eine Rückzahlungs-Forderung, die behandelt wird, als sei ihr schon Genüge getan -, ist diese Gleichung tatsächlich  z e i t l o s . Die 12, die als Kreditierbares vorhanden waren und sind, werden eben nur hergegeben, weil sie voraussichtlich zurückfließen, was daher schon in der Gegenwart hingeschrieben werden kann: Anfängliche 12 = letztendliche 12. Diese anfänglichen 12  s i n d  vorhanden, stehen dauernd in der Bilanz und sind, wie wir sahen, als Forderung liquides Geld. Von den letztendlichen 12 kann das in diesem Moment noch nicht gesagt werden. Dafür sind aber die anfänglichen 12  n o c h  e i n m a l  vorhanden  a l s  Kredit, der in der Gegenwart verliehen wird.

Mit 12 = 12 ist so gesehen schon alles gesagt. Es ist nur dasselbe ausführlicher, wenn ich hinschreibe „12 (Kreditierbares) = 12 * 2 (Kreditierbares als Kredit plus Rückzahlungsforderung) – 12 (erfolgte Rückzahlung)“. Entscheidend ist, dass jedenfalls offen bleibt, egal wie wir es hinschreiben, ob  t a t s ä c h l i c h  zurückbezahlt wird oder nicht.

 

Von der Geldschöpfung der Banken

Noch als ich die Notiz zu schreiben begann, hatte ich vor, an dieser Stelle „die allbekannte ständige Geldvermehrung“ zu behandeln, die mir als Beweis und Steigerung der genannten Paradoxie erschien. Ich war nach Durchsicht einer Reihe scheiternder Erklärungsversuche – die alle den Eindruck erweckten, als hätten die Verfasser selbst nicht verstanden, worüber sie schrieben – zuletzt auf die sehr verständliche und didaktisch gut aufbereitete Darstellung der Deutschen Bundesbank gestoßen, die auch online verfügbar ist. Da freute ich mich, es endlich nachvollziehen zu können. Aber ich hätte mich in einen Irrtum verstrickt.

Die Erklärung, der ich nun doch nicht folge, läuft so: Dem Kreditnehmer wurde also eine Sichteinlage gewährt, sein Konto bei der Bank A. Nehmen wir an, er überweist von da aus 7 aufs Konto seines Geschäftspartners bei der Bank B, 5 aufs Konto eines andern Partners bei der Bank C. Infolgedessen haben die Banken B und C neues Geld erlangt, 12 beide zusammen, welches sie einem zweiten und dritten Kreditnehmer zukommen lassen. Dabei wiederholt sich der Vorgang, dass bei der Kreditvergabe die kreditierbaren Summen, hier also 5 bei Bank B und 7 bei Bank C, verdoppelt werden, so dass die Geldmenge insgesamt schon auf 36 angewachsen ist. Und so geht es weiter: Der Kreditnehmer von B begleicht mit den erhaltenen 5 eine Rechnung, indem er auf ein Konto der Bank D einzahlt, die ihrerseits für die 5 einen neuen Kreditnehmer sucht, et cetera ad infinitum.

Es geht zwar nicht wirklich ins Unendliche, weil die Geldvermehrung auf jeder Stufe gebremst wird und schließlich gegen Null tendiert. Wie das durch vorgeschriebene „Mindestreserven“ der Banken und anderes bewirkt wird, möge man der insofern zuverlässigen Darstellung der Bundesbank entnehmen. Aber wenn nicht ins Unendliche, kann man sich doch vorstellen,  w i e  s e h r  das Geld auf diese Weise wächst. Und da es immer viele Banken nebeneinander gibt, die vielen Kunden zu verschiedenen Zeitpunkten Kredit gewähren, wird jederzeit sehr viel Geldzuwachs im Spiel sein. Denn während jene einzelne Kreditkaskade, die wir herausgegriffen haben, schon fast am Boden angelangt sein mag, haben viele andere noch einen weiten Weg vor sich, von Stufe zu Stufe herabzufließen, oder der Hahn ist gerade erst aufgedreht worden.

Ich habe noch rechtzeitig begriffen, dass und weshalb diese Darstellung in die Irre führt. In seinem Aufsatz Kontroversen um das Geld (in: Der Tanz um den Gewinn. Von der Besinnungslosigkeit zur Besinnung der Ökonomie, Kiel 2004, S. 48-141) kann Bernd Senf, der an der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft gelehrt hat, die „ständige Geldvermehrung“ sogar noch besser erklären, als es der Bundesbank gelingt. Er stellt sie mit Worten und Bildern so gut dar, dass die Konfusion unübersehbar wird! Er und andere übersehen, dass wenn Bank B auf Basis des vom Kreditnehmer der Bank A überwiesenen Geldes neuen Kredit und damit neues Geld schöpft, dasselbe Geld vom Konto des Bank A-Kreditnehmers ja abgezogen wird. Es hat sich also zwar die Zahl der Kreditnehmer und so der ihnen eingeräumten Konten vermehrt, das Geld aber hat sich um eben den Betrag vermindert, um den es vermehrt wurde, das heißt es hat sich n i c h t vermehrt.

Mit diesem Einwand zieht man nicht in Zweifel, dass es ü b e r h a u p t zu einer Geldvermehrung kommt. Es muss ja schon deshalb zu ihr kommen, weil das je und je auf Kreditbasis Produzierte mit Mehrwert verkauft wird, dieser in neue Investition fließt und so weiter. Wenn die Wirtschaft „wächst“, wächst die Geldmenge natürlich mit. Hier war aber zu zeigen, dass sie  n i c h t  v o n  s e l b s t  wächst – nicht weil Banken Geld hervorzaubern könnten. Das Geld als solches ist an der Geldvermehrung nicht schuld. Ich habe den Einwand nur wiederholt, er ist gar nicht neu. Helmut Creutz hat ihn 1996 schon vorgebracht in einem Aufsatz, den ich weiter unten zitiere. Senf referiert Creutz sogar (S. 95), er lässt sich nur nicht überzeugen.

Wir aber machen uns nun klar, dass sich auch nicht einmal in der  a n f ä n g l i c h e n  Kreditierung eines Kreditnehmers durch die Bank A – indem sie ihm eine Sichteinlage gewährt und diese durch die Rückzahlungsforderung in gleicher Höhe ausgleicht – eine Geldvermehrung bemerken läßt. Das Geld wird zwar zeitweise verdoppelt. Aber es  “ w i r d “  nur verdoppelt, weil es immer schon gedoppelt  i s t . Wir haben ja gesehen, wie sich die Doppelung bilanztechnisch herleitet und dass wir es eben mit einem Doppel von Gleichungsseiten zu tun haben. Eine Bankbilanz aber, wird sie denn erst eröffnet, wenn der Kreditnehmer kommt? Nein, sie ist schon da gewesen. Die Kreditgabe ist nur eine Umbuchung.

Vom Geld im allgemeinen lässt sich sagen, dass es nur verdoppelt werden kann, weil es eben Gleichungsgeld ist, also selber schon doppeltes Geld. Hier aber stoßen wir auf eine weitere Konfusion, die sogar noch grundsätzlicher ist als die eben aufgedeckte. Senf schreibt nämlich, die Rückzahlungsforderung an den Kreditnehmer „auf der Aktivseite der Bankbilanz“ erscheine „als scheinbare ‚Deckung‘ des aus dem Nichts geschöpften Giralgeldes“ (S. 91). Weshalb erscheint diese Deckung als scheinbar? Der Kontext zeigt es: weil – wieder einmal – als  “ e i g e n t l i c h e “  Deckung noch immer die Golddeckung vorschwebt.

Deckung von Geldnoten oder -konten durch Gold ist aber etwas ganz anderes als „Deckung“ einer rechten durch eine linke Gleichungsseite oder der Bilanzaktiva durch die Passiva oder umgekehrt. Das eine ist die  A u s zahlungspflicht der Banken. Sie hat bestanden und besteht immer noch, nur dass heute nicht Gold, sondern Geldnoten auf Verlangen ausgezahlt werden müssen. Das andere ist ein Verfahren, die  R ü c k zahlungspflicht von Kreditnehmern zum Ausdruck zu bringen. Nun wissen wir doch, dass  n u r  e i n  T e i l  der Konten tatsächlich  a u s gezahlt wurde und wird – früher in Gold, heute in Noten -, außer in der Panik der Wirtschaftskrise, wo alle gleichzeitig abheben wollen und das System zeitweilig zusammenbricht, dessen Funktionieren wir hier erörtern.  A l l e s  aber musste und muss, sei’s in Gold oder Noten,  z u r ü c k gezahlt werden. Beide Vorgänge unter denselben Begriff „Deckung“ bringen zu wollen, ist absurd.

Was Senf als „scheinbare ‚Deckung'“ erscheint: Geld, das Gleichungsgeld geworden ist, weil dieses sich eignet, Voraus- und Rückzahlung in genauen Einklang zu bringen, hat es doch schon zur Zeit der Golddeckung gegeben. Es war damals so wenig „scheinbar“ wie heute.

Senf selbst räumt ein, dass nur ein Teil der Ökonomen an die „Geldschöpfung der Banken“ glaubt, ein anderer sie als Mythos zurückweist. Sie wird nicht nur Helmut Creutz bestritten. Der aber schreibt glasklar: „Alle von den Banken vergebenen Kredite stammen […] aus Einkommen anderer Marktteilnehmer, die von diesen nicht zur Nachfrage benutzt worden sind“, und fügt noch klarer hinzu: „Wenn die Bankstatisten zweifelsfrei ergeben, dass die herausgehenden Kredite nicht über, sondern sogar unter den eingehenden Ersparnissen liegen, dann kann – nach den Gesetzen der Logik – mit diesen Kreditgewährungen keine Schöpfung verbunden sein.“ (Geldschöpfung durch Geschäftsbanken – Theorie oder Wirklichkeit? in: Zeitschrift für Sozialökonomie 108/1996, S. 28; bei Senf zitiert a.a.O. S. 99)

Da wir Senfs Darstellung entnehmen können, dass die falsche Darstellung gerade bei Bankern sehr beliebt ist, und warum dann nicht bei der Bundesbank, drängt sich die Frage auf, ob sie mit einem mehr oder weniger bewussten Bankeninteresse korreliert. Wir sehen zunächst, wie gut sie sich jedenfalls mit der Annahme verträgt, die auch Senf teilt, Geld werde „aus dem Nichts geschöpft“. Wird es nämlich  e i n m a l  so geschöpft, ist das schon der Beweis, dass solche Schöpfung möglich ist, ja dass sie gelingt, und kann  i m m e r  w i e d e r  so geschöpft werden. Wer aus Etwas schafft, kann nur wieder Etwas schaffen, zum Beispiel aus Holz einen Tisch oder aus Kreditierbarem einen Kredit, wer aber aus Nichts, das Unendliche!

Im zweiten Schritt erinnern wir uns daran, dass sich im scheinbaren Nichts eben das Kreditierbare verbirgt, damit aber die Kreditgeber, also die Gläubiger, und sehen, wie gut es denen tut, verborgen zu sein. Gläubiger sind zunächst die Banken, indem sie Kredit auf Basis nicht nur ihres Eigenkapitals, sondern auch des eingelegten Geldes ihrer Bankkunden vergibt. Dann sind es von den Bankkunden selber die sehr reichen, die sehr viel Geld eingelegt haben. Diese Menschen und diese Institutionen üben sehr viel  M a c h t  aus: Wenn man weiß, dass sie es auf Basis eingelegten Geldes tun, wird man immer fragen, ob und wie ihre unbeschränkt freie Verfügung über die horrenden Geldsummen eigentlich legitimiert ist. Das ist ja nicht nur die Macht, Kreditrückzahlung zu erzwingen – wenn’s sein muss mit Kanonenbooten: Die Herrschaft Großbritanniens über Ägypten begann so und löste das imperialistische Wettrennen aus, das zum Ersten Weltkrieg führte -; es ist auch Macht, zu bestimmen, was kreditiert wird, also was produziert wird und was nicht.

Wenn wir nun glauben müssten, die Banken hätten einst mit Gold kreditiert, heute aber schüfen sie Kreditgeld  a u s  N i c h t s , dann stünden wir dumm da: vor einem Zauber, den wir anstaunen, statt vor einer Macht, die wir durchleuchten können. Nein, wir glauben es nicht, sondern gehen davon aus, dass die Banken und sehr reichen Gläubiger zwar Gold haben, heute wie immer schon, darüber hinaus aber noch sehr viel mehr Geld, das auch nicht Nichts ist, und dass sie eben deshalb so mächtig sind.

 

Kredite als „Schulden“, Schulden als „Schuld“

Die in dieser Notiz ausgelegten Stränge müssen nun zusammengeführt werden. Wenn ich sie zunächst kurz rekapituliere, füge ich gleich an, unter welchen Gesichtspunkten ich sie weiter erörtern will:

Wir haben zuerst gesehen, es ist das Wesen des Gleichungsgelds, vom  A n f a n g  dominiert zu sein, keineswegs von der Zukunft, wie manche sich einreden. Die Kreditgabe fließt nicht in die Zukunft, sondern gerade wenn diese erreicht ist, muss sie  z u r ü c k fließen. Damit ist die Problematik der „Schulden“ und gar der „Schuld“ aufgeworfen. Leben wir nicht in einer Verschuldungsgeschichte – seit 5000 Jahren, wie David Graeber jüngst zeigte -, und geht es nicht darum, ihr zu entkommen? Muss man dann nicht namentlich dem Gleichungsgeld zu entkommen versuchen, von dem wir ja sagten, dass es sich „eignet, Voraus- und Rückzahlung in genauen Einklang zu bringen“?

Wir haben zweitens die Konfusion verfolgt, die sich in diesem Geld bemerkbar macht: dass die Zeit in ihre Gleichungen eindringt, obwohl diese zeitlos sein müssten. Das führt zur Frage, ob Gleichungsgeld  n o t w e n d i g  derart konfus ist oder ob es möglich ist, die Konfusion aufzulösen.

Drittens, auch unsere Auseinandersetzung mit der angeblichen Geldschöpfungsmacht der Banken ist auf die Frage der Dominanz des Anfangs hinaus- und zurückgelaufen. Denn konfus oder nicht,  d e n  Nutzen begrüßen wir, dass Gleichungsgeld  d e n  A n f a n g  ins Scheinwerferlicht stellt und wir ihn also problematisieren können. Den Anfang – auf der Geldebene freilich nur – machen die Banken und sehr reichen Gläubiger. Wie beurteilen wir das?

Ad eins, zu Graeber. Dass ich mich mit seinem Kampf gegen all die Gesellschaftsformen, in denen man sich verschuldet, solidarisiere, ist klar. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass die Rückzahlungs- oder „Schuld“begleichungspflicht und die Logik der Gleichungen, die nicht zu Graebers Themen gehört, gar nichts miteinander zu tun haben. Mit ihm und Polanyi haben wir früher gesehen, die Rückzahlungslogik rührte von der Rachelogik her und wahrte deren Charakter auch dann noch, als bereits mit Geld gezahlt wurde. Dies ist keine Gleichungslogik gewesen, denn nicht dasselbe wurde zurückgegeben, sondern das vergleichbare Andere. „Auge um Auge“ zerstört noch ein weiteres, statt mir meins zurückzugeben.

Wenn man freilich Geld lieh und zurückzahlen musste, gab man denselben Betrag zurück. Und das  f ü h r t e  zur Entdeckung der Bilanzlogik, damit der Gleichungslogik. Obwohl es zunächst als Grenzfall des Tauschs von Verschiedenem erschien. Die Entdeckung konnte auch erst im Maß, wie man vom sinnlichen Münz- zum abstrakten Buchgeld überging, gemacht werden. Einmal aber entdeckt, erwies sich die Gleichung als etwas Eigentümliches. Sie war und ist nicht reduzierbar auf ihre nützliche Rolle bei Rückzahlungsangelegenheiten. Diese waren nur der Anlass ihrer Entdeckung gewesen. Auf Gelddinge stößt man, wenn man nach der  G e n e s i s  der Gleichung fragt, mit ihrer  G e l t u n g  haben sie nichts zu tun. Doch wozu führt es, dass nun Beides, Geld und Gleichung, zum Gleichungsgeld zusammenfließen?

Unter anderm dazu, dass die Geld g l e i c h u n g  als  S c h u l d gleichung wahrgenommen wird und es auch tatsächlich ist, obwohl Schuld und Gleichung nun wirklich nichts miteinander zu tun haben. Wer von Schulden spricht, spricht von Schuld – welche Vermengung von Ökonomie und Moral! Keine aber des blassen Gedankens, sondern aller bisherigen Realität. Wer zurückzahlen muss, wird noch heute im Alltag als „Schuldner“ bezeichnet. Wenn er es nicht kann, hält man ihn so unbesehen wie ernsthaft für „schuldig“, obwohl es doch sein könnte, dass nur die ökonomische „Schuld“ bei ihm liegt, die moralische aber beim Gläubiger. Um jeden Preis wollte der verleihen, warum, weil es ihm Zinsgewinn bringt. Oder hat er die „Exportweltmeisterschaft“ möglich gemacht, indem er Geld ins Ausland verlieh: damit das Ausland, von dem man wissen konnte, dass es zahlungsunfähig sein würde, inländische Waren kauft, die sich anders nicht hätten absetzen lassen.

Dieser Gemengelage wird Graeber mit seinem Ansatz gerecht, eine Schuldengeschichte der letzten 5000 Jahre zu schreiben. Was aber die Gleichungsdimension im Gleichungsgeld angeht, da sehen wir gerade, dass es eine Gemengelage ist und durchaus nicht bleiben müsste. Es macht nämlich einen  U n t e r s c h i e d , ob man die Rückzahlung als Erfüllung von Bedingungen sieht, die eine Gleichung setzt,  o d e r  als Wiedergutmachung einer Schuld. Insofern sie Gleichungsbedingungen erfüllt, zeigt sie tatsächlich nur an, dass „immer noch von derselben Sache die Rede ist“.  W e n n  sie nämlich erfolgt, ist das Eigentum des Kreditgebers gewahrt worden. Die Frage, ob Eigentum gewahrt oder verschleudert wird, sei’s gesellschaftliches oder individuelles, mehr noch die Frage, die dahinter steht: ob ein ökonomisches Potential nachhaltig genutzt wird, ist nicht nur heute wichtig, sondern wird es auch in der Anderen Gesellschaft sein. Die Frage aber, was geschieht, wenn die Rückzahlung  n i c h t  erfolgt, kann davon getrennt werden. Es gibt gar keinen Grund, dann automatisch zu „bestrafen“.

Man muss es fallweise prüfen. Wer heute Kredit aufnimmt, um eine Spekulationsblase mit aufpusten zu können, sollte freilich bestraft werden. Andere aber verdienen es, dass ihnen die Rückzahlung erlassen wird. Worauf ich hinauswill: Auch wenn der Kredit ausfällt und es keine schlimmen Folgen für den Kreditnehmer hat, soll und kann jedenfalls durch die Rückzahlungsgleichung der Stand der Eigentumswahrung und -verschleuderung angezeigt werden. In diesem Sinn spricht nichts gegen Gleichungsgeld  a l s  s o l c h e s , im Gegenteil.

 

Wie die Gesellschaft nicht dem Geld vertraut, sondern sich selbst

Ad zwei, die Konfusion dieses Geldes, „zeitlich“ interpretiert werden zu können und eigentlich nicht zu dürfen. Wir haben gesehen, bei der Kreditgabe wird Geld verdoppelt, bei der Rückzahlung, falls sie erfolgt, die Verdopplung zurückgenommen. Das sind zwei Stadien, die in der Gleichung ja vorkommen, in der Form freilich nur, dass Verdopplung und Rücknahme sich ausgleichen, das Gleiche sind, dasselbe damit sogar. Zeitlos dasselbe Eigentum. Aber nur  w e n n  die Rücknahme erfolgt, bleibt es beim selben Eigentum und ist die Gleichung Gleichung gewesen.

Dies simple Dilemma, um es im Vorbeigehn zu sagen, steckt auch noch in der Black-Scholes-Differenzialgleichung, von der Joseph Vogl schreibt, sie sei die „erfolgreichste Theorie“ der letzten Zeit auf dem Gebiet der Finanzen und eigentlich der gesamten Ökonomik. Wir hatten sie in der 84. Notiz erörtert und waren Vogls Darstellung gefolgt. Mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, führt sie mitten hinein in die berüchtigten komplexen Vorgänge heutiger Finanzmärkte. Es „geht […] darum“, referiert Vogl, „aus bestehenden Preisen, etwa für Aktien und Kredite, jenen Preishorizont zu errechnen, der von einer künftigen Gegenwart aus zum Motiv der Bewertung einer gegenwärtigen Zukunft werden kann.“ Dabei werden „die Spielräume von Risiken mit korrespondierenden Gewinnaussichten verrechnet“, und die Folge ist, dass man „nicht die Daten und Treffer möglicher Zukünfte erraten, sondern nur einen Schwingungsraum errechnen [muss], innerhalb dessen sie – so oder so – stattfinden könnten.“ Die zugrundeliegende Annahme indes, kommentiert Vogl, „dass sich im Unvorhergesehenen bzw. Unvorhersehbaren wenigstens bestehende Erwartbarkeiten reproduzieren“, erweise sich als unhaltbar. (Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2011, S. 101 f.)

Die Black-Scholes-Gleichung, so sehr sie die modernsten Kreditprobleme und Finanzinstrumente berücksichtigt und daher ziemlich komplex ist, hat doch kein anderes Manko als unsere simple Gleichung 12 = 12 * 2 – 12, Kreditierbares Geld gleich Geldverdopplung bei der Kreditierung minus zurückgezahlter Kredit. „Einen Schwingungsraum errechnen“, das heißt eben die Bedingungen der Möglichkeit erkennen. Dagegen hätten wir nichts, würden sie wirklich erkannt! „Der gegenwärtige Preis einer Option oder eines Derivats rechtfertigt sich dann, wenn in ihm eine mögliche Zukunft des zugrundeliegenden Werts wiederkehrt“ (ebd.): Mit Recht ist Vogl beunruhigt und zugleich fasziniert von so einer Denkfigur, aber es ist doch nur eine Gleichung, die, obwohl selber zeitlos, einen Zeitablauf spiegelt.  S i e  i s t  n i c h t  n e u , entspringt nicht erst der neoliberalen Epoche seit 1973, als die allerletzten Reste der Golddeckung verschwanden (Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods); es wäre irrig, einen Effekt der modernsten Finanzinstrumente in ihr zu sehen, der Derivate, Optionen et cetera, so dass man staunend nach dem neuartigen Zauber zu fragen hätte, der ihnen eigen sei. Die Figur ist vielmehr so alt wie der Kapitalismus.

Ihre Konfusion wäre dann aufgelöst, wenn die Gesellschaft sicher sein könnte, dass die für den krisenfreien Verlauf ihrer Ökonomie  k o n s t i t u t i v e n  Rückzahlungen  t a t s ä c h l i c h  erfolgen. Wie schon gesagt, müsste auch gewährleistet sein, dass nicht jeder Kreditausfall automatisch bestraft wird. Aber wie ebenfalls schon angetippt, wäre es falsch, die Frage der „Schulden“ nur unter diesem Gesichtspunkt zu behandeln. Denn es ist eine Sache, wenn Einzelne sich kreditnehmend verstricken, eine andere, wenn Egoisten der Gesellschaft kreditorische Blasen aufnötigen, vielleicht noch ohne selbst den Schaden davonzutragen. Daher, wo es sich um „gesellschaftlich konstitutive“ Rückzahlungen und vorausgegangene Kreditnahmen handelt, wird der Gesellschaft durchaus daran gelegen sein, die Grenzen des Erlaubten genau festzulegen, schuldhaftes Fehlverhalten möglichst zu verhindern und, wo es dennoch passiert, zu ahnden. Ihr Festlegungsmittel sind die gesellschaftlichen ökonomischen Wahlen, deren Gegenstand ja die „konstitutiven“ Züge ihrer Ökonomie sind – die hauptsächlichen Produktlinien, von denen sie insgesamt strukturiert wird.

Wenn nämlich das Wahlergebnis vorliegt, weiß jede Bank, welche Kreditbegehren unzulässig sind, welche zulässig und ob nicht etwa die Menge aller zulässigen Kredite schon ausgeschöpft ist. Dass die zulässigen Kredite in der Regel zurückgezahlt werden, ergibt sich daraus, dass die Gesellschaft sich wählend darauf festgelegt hat, die mit Kredithilfe produzierten Dinge tatsächlich abzukaufen. Die Wahl hat insofern den Charakter der „Bestellung“ von Investitionsgütern. Solche werden ja schon heute meistens auf Bestellung produziert. Die Frage ist tatsächlich nur, w e r bestellt, ob einzelne Magnaten, die zum Beispiel eine Immobilienblase mit aufpusten, oder die ganze Gesellschaft. Die Gesellschaft, muss sie denn spekulieren, was ihr Kaufverhalten ist und wie sich die Kaufkraft in ihr verteilt? Nein, sie weiß es und sagt es an.

Das würde funktionieren und man sähe dann, Geld als solches und Kreditieren als solches sind an den Krisen nicht schuld. Wir können es noch einmal anders sagen, bezugnehmend auf die irritierende Zeitlichkeit der Kreditgleichung. Die Gleichung drückt aus, dass in einer Zukunft zurückgezahlt werden müsste, was am Anfang stand. Was haben wir zu verändern? Das Rückzahlen? Nein, sondern den Anfang. In der heutigen Gesellschaft fängt alles mit dem kreditierbaren Geld der vielen freien, unsolidarischen Banken an. Dies Geld kommt als solches nur deshalb ins Spiel, weil es Eigentum oder Verfügungsmasse Einzelner ist, die das Interesse haben, es möglichst noch zu vermehren, egal wie. Das führt dazu, dass Kreditgleichungsketten sich ohne übergreifenden Sinn zufällig kreuzen und verknoten. Die beteiligte Gleichungslogik als solche verliert die Orientierungskraft, kann gerade den Einzelnen nicht zulässig zeigen, was ihnen möglich ist, und versagt völlig vor der Anzeige der  g e s e l l s c h a f t l i c h e n  Möglichkeiten.

Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die Frage der „ständigen Geldvermehrung“ durch Kreditschöpfung der Banken. Was manche für Geldvermehrung halten, ist in Wahrheit nur Kontenvermehrung, sahen wir. Wenn ein Kreditnehmer der Bank A die Rechnung eines Kunden der Bank B begleicht und diese auf dieser Basis einen neuen Kredit vergibt, hat das auf die Geldmenge keinen Einfluss. Ja, aber dafür bedeutet es, dass Bank A  i r g e n d e i n e  Kreditpolitik verfolgt und Bank B  i r g e n d e i n e  a n d e r e . Es kann auch bedeuten, dass beide  d i e s e l b e  s c h ä d l i c h e  Politik verfolgen, weil beide den Überblick nicht haben – nicht wissen, was die Gesellschaft „bestellt“. Die Gesellschaft wird ja gar nicht gefragt!

In der Anderen Gesellschaft ist aber nicht die private Geldverfügung, sondern das Ergebnis der gesellschaftlichen ökonomischen Wahl der Anfang, auf den die Geldgleichungsketten zurückverweisen. Aus der Wahl ergibt sich wenigstens im Großen, was kreditiert werden soll, auch bis zu welcher volkswirtschaftlichen Gesamthöhe, und was nicht. Die Banken müssen sich daran halten. Wenn die Gesamthöhe erreicht ist, erfahren sie es und kreditieren auch das Gewählte nicht weiter, während sie das Abgewählte ohnehin nie kreditiert haben. Dies mag nun dazu führen, dass sie einen großen Teil des bei ihnen gelagerten, an sich kreditierbaren Geldes nicht kreditieren können. Aber Geld, nur weil es überhaupt vorhanden ist, soll eben nicht der Anfang sein. Es verwandelt sich, wie ich formuliert habe, in „Unmöglichkeitsgeld“ (vgl. 96. Notiz).

Der Fehler des heutigen Geldes liegt nicht darin, dass man Möglichkeitsbedingungen des kreditorischen Verlaufs in Gleichungen angibt, obwohl es ein Zeitverlauf ist, sondern darin, dass  n i c h t  a l l e  Möglichkeitsbedingungen angegeben werden. Die gesellschaftlichen werden nicht ermittelt und sind daher ausgeblendet.

 

Individuelle und gesellschaftliche Buchhaltung

Kurz noch zum dritten Strang. Gleichungsgeld weist auf die kreditorischen Anfänge zurück, stellt sie ins Scheinwerferlicht, sagten wir.

Das ist nicht schon gleich die Frage,  w e r  die Gleichungen  d i r i g i e r t . Weil man ja hinzufügen muss: soweit sie sich dirigieren  l a s s e n . Sie sind schließlich ein logischer Sachverhalt. Es war deshalb auch nicht mein Hauptgesichtspunkt, ob die Gleichungslogik immer exakt erfüllt wird. Ob also der „Verschuldungskoeffizient“ hinreichend realistisch bestimmt ist, ob die „Sicherheiten“ genügen – oder eine Zentralbank in der Krise auch Schrottpapier akzeptiert – und so weiter. Wichtig ist erst einmal, dass jedenfalls die Logik der Gleichung zugrunde liegt, während frühere Gesellschaften anders gedacht haben, metaphorisch, subsumierend, und so auch ihr Geld eingerichtet haben.

Die Gleichungslogik ist eine buchhalterische Logik. Wie ich schon mehrfach zitiert habe, hat Marx die Buchhaltung in die neue Gesellschaft natürlich mitnehmen wollte. Das Geld musste man dann allerdings seiner Ansicht nach abschaffen. Dagegen wende ich ein: Geld ist nicht das Gegenteil von Buchhaltung, sondern ist freie  i n d i v i d u e l l e  Buchhaltung und soll sich als solche im Rahmen  g e s e l l s c h a f t l i c h e r  Buchhaltung – auf der Ebene von „Gesellschaftsgeld“, wie ich es genannt habe (siehe 94. Notiz) – so frei  w i e  m ö g l i c h  entfalten können.

Die Frage, wer die Gleichungen dirigiert, egoistisch nicht nur, sondern stümperhaft, stellen wir dann aber auch, und die Antwort ist klar: Soweit es sich um  g e s e l l s c h a f t l i c h e  Buchhaltung handelt, kann  P r i v a t banken, -personen und -familien – auch juristischen Personen, Genossenschaften, Ota Sikschen „Mitarbeitergesellschaften“ – das Recht des Dirigierens  n i c h t  zugestanden werden.

Ob oder bis zu welchem Grad man Banken und überreiche Personen „enteignen“ sollte, ist eine weitere Frage, die gestellt werden kann. Ihr Vermögen hat eine Herkunft, auf welche das Licht fällt, wenn uns die Geldgleichungsketten zu den kreditorischen Anfängen zurückführen. Man wird die Legitimation der Herkunft prüfen. Grundlegend aber ist die andere Frage: Wer dirigiert? Die Gesellschaft ist dazu berechtigt. Sie wird sich das Recht wieder nehmen.