(101) Zur Diskurslogik des Geldes

9. Gleichungsgeld gesellschaftlich eingebettet / Vierter Teil – Vor der Erörterung von Proportionswahlen: Zugehörige neue, nicht mehr kapitalistische ökonomische Institutionen

I. Das Geldmögliche. Ein philosophischer Klärungsversuch auf der Spur ökonomischer Tatsachen

(Wie mit der 100. Notiz wage ich noch einmal ein langes Stück , da es unzweckmäßig wäre, die folgenden Überlegungen irgendwo zu unterbrechen. Inhaltlich hat die Notiz zwei Teile, der erste ist ein philosophischer Klärungsversuch, der zweite sucht das Geklärte praktisch anzuwenden.)

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Der springende Punkt der Kreditbeziehung, mit deren Erörterung ich hier fortfahre (vgl. die 100. Notiz), ist der, dass sie ein Mögliches mit einem Wirklichen gleichsetzt: In dem Moment, wo der Kredit wirklich vergeben wird, ist seine Rückzahlung nur möglich, er wird aber deshalb vergeben, weil man annimmt, dass die Rückzahlung ebenso wirklich sein wird, wie es die Kreditgabe schon ist. Dies kann auch umgekehrt gedacht werden: Wenn etwas, das als kreditierbar in der Bank gelagert hat, zur Kreditgabe wird, hat es sich in etwas verwandelt, das möglicherweise zurückgezahlt werden wird; ob dies wirklich geschieht, ob insofern die Gabe selbst wirklich (im Sinn von nachhaltig) gewesen sein wird, entscheidet sich erst nach der zukünftigen Verwirklichung des Kreditpotentials.

M ö g l i c h  =  w i r k l i c h  also. Das geläufige Denken nimmt davon nur die zeitliche Seite auf und fasst sie zudem einseitig. Es sagt nicht, Geld verwirkliche sich ausgehend von seiner Möglichkeit, sondern aus seiner Zukunft gehe seine Gegenwart hervor. Dass, wenn schon nur die Zeiten explizit werden, auch umgekehrt aus seiner Gegenwart seine Zukunft hervorgeht, fällt ihm nicht ein. Kreditgeld, heißt es bloß, werde aus Nichts geschöpft im Vertrauen auf Rückzahlung.

Das Geld im Möglichkeitsstadium ist aber aus zwei Gründen nicht nichts. Erstens weil es in (neue) Geldwirklichkeit übergeht, zweitens weil es aus einer (alten) schon hervorgegangen ist. Denn bevor es der Bank möglich ist zu kreditieren, muss wirklich Kreditierbares auf ihr lagern. Zum Beispiel, ihr fließt eine neue Überweisung auf ein Kundenkonto zu. In Höhe eines Teils davon, des Teils, den der Kunde nicht abheben oder seinerseits überweisen wird, kann sie neuen Kredit vergeben, indem sie neues Geld schöpft. Das geschieht in Form einer Sichteinlage, die dem Kreditnehmer gewährt wird. Sie zu gewähren ist genau deshalb möglich, weil jener Teil der erstgenannten Überweisung als Reserve verfügbar ist, das heißt mit ihr, der Sichteinlage, eine Gleichung bildet. Abstrakt formuliert, geht der ermöglichten Verwirklichung die wirkliche Ermöglichung voraus. Wir haben es eigentlich mit einem Dreischritt zu tun: 1. Eine Wirklichkeit (das Kreditierbare) wird 2. „vermöglicht“ (in Kredit verwandelt, der möglicherweise zurückgezahlt wird) und dies Mögliche soll 3. wieder Wirklichkeit (wirklich zurückgezahlt) werden. Die Struktur des Vorgangs ist wirklich => möglich => wirklich.

Solche Ausdrücke, so abstrakt sie sind, erlauben doch klar zu sehen, dass die Kreditschöpfung, und damit die Geldschöpfung, aus dem  p l a t t e n  Nichts nicht kommen kann, sondern allenfalls aus dem  N i c h t s  d e r  M ö g l i c h k e i t , die (noch) nicht Wirklichkeit ist, aus solcher aber schon einmal herrührt. Und das gilt für jede unverwirklichte Möglichkeit: Für sich genommen zwar „nichts“, kommt sie nicht anders vor denn als Kehrseite, „Potential“ eines wirklich Seienden. Wie hier des Kreditierbaren, das auf der Bank lagert.

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Dass die Neigung besteht, den ersten der drei Schritte zu vergessen, ist kein Zufall, sondern zeigt, dass Diskurslogik im Spiel ist. Ein Diskurs ist eine Weise zu denken und zu handeln, die teils bewusst, teils bewusstlos geschieht und jedenfalls von einer „anonymen Strategie“ gesteuert wird, wie Michel Foucault das nannte (vgl. Sexualität und Wahrheit, Frankfurt/Main 1977, S. 116, 113 f.). Der Diskurs, von dem wir jetzt reden, ist der der (An-) Gleichung mit der Grundregel, Geld habe mit anderm Geld das Gleiche zu sein. Wie man das Ziel zu erreichen versucht und ob es immer gelingt, wie man es vortäuscht und wer damit durchkommt, wer nicht, ist zweitrangig. Man folgt jedenfalls der Strategie. Die Strategie ist ihrerseits aus einer zugrunde liegenden fixen Idee gewonnen. Wir haben gesehen, wirklich => möglich => wirklich ist der tatsächliche Verlauf und die tatsächliche Logik der Kreditbeziehung. In der zentralen fixen Idee des Diskurses finden wir aber nur möglich => wirklich allein. Sie ist es, die den Gedanken eingibt, Kredit könne aus dem Nichts entstehen – dem Nichts der Möglichkeit, das dann auch noch mit dem platten Nichts verwechselt wird.

Wir haben diese Idee längst erörtert, da schon, wo wir Kapitallogik definierten als den „Zwang, alles zu tun, was möglich ist„. Da haben wir auch gesehen, weshalb die Logik der Figur nur zwei- und nicht dreigliedrig ist, möglich => wirklich statt wirklich => möglich => wirklich: weil sie in einem Denken historisch wurzelt, das explizit annahm, es könne eine absolut anfängliche Möglichkeit geben, der keinerlei Wirklichkeit vorausgegangen sei. In solchem Denken wurde längst ausgesprochen, was man jetzt aufs Geld überträgt, nämlich die creatio ex nihilo: das Nichts einer prima potentia, die man „Gott“ nannte. Es ist diese Gottesidee, aus der in jahrhundertelanger Säkularisierung die Kapitallogik wurde.

Soweit ich die Zusammenhänge durchdringe, ist der Schritt von Thomas Aquino zu Cusanus für die Entstehung der logischen Seite der Sache entscheidend gewesen. Er führte aus dem Mittelalter heraus. Thomas hatte bereits ausgesprochen, dass Gott die Möglichkeit von Allem sei. (Die creatio ex nihilo als solche ist eine Erfindung Augustins, der in der Bibel allenfalls Römer 4, 17b entspricht.) Cusanus dann, der vom Möglichen den mathematischen Begriff des ins Unendliche Zählbaren hatte, konnte es, indem er die Grenzwertrechnung erfand, mit dem Wirklichen gleichsetzen. (Unendlich in anderer Weise war es immer gewesen: Schon bei Aristoteles entbehrt es als Hyle, bloße Materie noch der Form und damit des Umrisses, also der deutlichen Begrenzung und räumlichen Endlichkeit eines Werkstücks in Voll-Endung. Zugleich ist „Gott“ bei ihm noch nicht erste Möglichkeit, sondern erster Beweger.) Es gibt zwar keinen Satz bei Cusanus, der direkt ausspricht, dass „das Mögliche mit dem Wirklichen das Gleiche ist“ oder gar „eine Gleichung bildet“, aber so kann man, meine ich, von heute rückblickend in Kürze charakterisieren, wohin seine Renaissance-Philosophie geführt hat.

Ich tippe das an, um auf die Grenzen hinzuweisen, die dieser Möglichkeitsvorstellung selber inhärent sind, woran sich dann auch in der Säkularisierung zur Kapitallogik nichts ändert. Was geschieht? Man versucht, das Mögliche in seinem Unterschied zum Wirklichen festzuhalten, aber es gelingt eigentlich nicht. Nur wenn man es „Gott“ zuschreibt, gelingt es. Von „Gott“ konnte man leicht phantasieren, er sei rein für sich da und nichts habe ihn genötigt, eine Welt zu schaffen. So war die gottgegebene Möglichkeit der Welt eine in sich vollendete Tatsache, aus der die Welt nicht folgte, aus der logisch überhaupt nichts folgte. Man sprach von der Aseität, Selbstgenügsamkeit „Gottes“. Ganz spontan sei dies Wesen dann aber doch zur Schöpfung geschritten, vielleicht um sich den Genuss einer Theatervorstellung zu gönnen, wie man bei Cálderon liest. Oder auch weil sich, so wurde anderthalb Jahrtausende vor Cálderon überlegt, ein von „Gott“ ungewolltes Herausfallen der Wirklichkeit aus seinem / ihrem Möglichsein ereignete. Egal, es sind fruchtlose Gedanken, mit denen auch religiöse Menschen in der Praxis nichts anfangen konnten. Sobald sie versuchten, den Status  i r d i s c h e r  Möglichkeit zu begreifen, konnten sie sich eine, die als vom Wirklichen ganz abgetrennt „vom Himmel fällt“, nicht mehr vorstellen.

Dies hatte eben zur Folge, dass sie zur Vorstellung eines Möglichen zurückwichen, das mit dem Wirklichen untrennbar zusammenhängt, indem es nicht nur aus Wirklichem als dessen Potenz herrührt, sondern auch immer schon im Begriff ist, sich seinerseits zu verwirklichen. Das Mögliche im Unterschied zum Wirklichen war also nur das Mögliche, das sich noch nicht ganz verwirklicht hatte, aber schon auf dem Weg dahin war. Damit aber war es nur die zeitliche Kehrseite einer vom Ende her gedachten, überzeitlich-„ewigen“  I d e n t i t ä t  des Möglichen und Wirklichen in „Gott“ – womit wir bei der Gleichung möglich = wirklich anlangen. Denn man schien simpel schlussfolgern zu können: Eine Wirklichkeit, zu der es nicht kommt, ist als Wirklichkeit nicht möglich gewesen; umgekehrt war alles möglich gewesen, was wirklich ist; nur das also ist möglich, was wirklich wird. Dieser Schluss liegt noch dem berüchtigten Satz Hegels zugrunde, alles „Vernünftige“ sei wirklich und alles Wirkliche „vernünftig“.

Nicht zuletzt liegt er der Kapitallogik zugrunde. „Das Kapital als solches“, definiert Marx, „setzt nur einen bestimmten Mehrwert, weil es den unendlichen nicht at once setzen kann; aber es ist die beständige Bewegung, mehr davon zu schaffen.“ (MEW 42, S. 253) Es will, heißt das, mit dem Unendlichen identisch werden, demselben Unendlichen, das seit Cusanus zum Inbegriff des Möglichen geworden war. Oder anders, es will mit Allem, was  m ö g l i c h  ist, sich  g l e i c h s e t z e n .

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Gehen wir einen Schritt weiter, oder kündigen ihn wenigstens an: Es  m u s s  dies wollen, weil es keine  W a h l  hat. Es weiß nicht, dass Möglichkeit und Wahl sich wechselseitig voraussetzen. Mehr dazu weiter unten.

Erst einmal ist hier der Ort, das Paradox zu würdigen, dass möglich = wirklich nicht nur Gleichung, sondern auch Ungleichung ist. Denn der Sachverhalt, mit dem wir es zu tun haben, ist doppelt: Das Mögliche wird zwar wirklich und ist dann mit dem Wirklichen das Gleiche geworden, doch hebt das den Unterschied von Werden und Gewordensein nicht auf. Zu jedem Zeitpunkt, in dem das Mögliche noch nicht verwirklicht ist, besteht Ungleichung. Wer will, kann das umkehren zur Hoffnung oder Unruhe, dass zu jedem Zeitpunkt, in dem noch Ungleichung besteht, die Verwirklichung ja fortgeführt wird und „immer mehr“ gelingt. Am Paradox der Gleichung, die zugleich Ungleichung ist, ändert es nichts.

Wenn ich das so formuliere, mag es verrückt klingen wie ein Hirngespinst, und doch ist es die Realität unserer Ökonomie. Man nehme G-W-G‘: Mit Geld werden Waren im Geldwert gekauft, nämlich „Produktionsfaktoren“. Deren mit sich multipliziertes Produkt wird neue Ware, die zum Geldwert verkauft wird, der verglichen mit dem Ausgangsgeldwert gestiegen ist. Also: G = W1 (der Geldwert der Waren, mit denen produziert werden kann, Maschinen, Rohstoffe und Arbeitskraft, ist dem vorgeschossenen Kapital gleich), W1 = W2 (diese Waren zusammengeführt ergeben die Ware, die verkauft werden soll), W2 = G‘ (am Ende ist mehr Geld da als am Anfang). Am Ende ist mehr da! Obwohl das Ganze eine Gleichungskette gewesen ist: G = W1 => W1 = W2 => W2 = G‘. G = G‘, wie man zusammenfassen kann, ist zugleich Gleichung und Ungleichung. Deshalb spreche ich von einem Diskurs der  ( A n – ) G l e i c h u n g .

Zwar scheint mit dem Ausdruck „Produktionsfaktoren“ ein Erklärungsansatz vorzuliegen, denn wie wir schon in der Grundschule gelernt haben, ist das Produkt aus Zahlen, die multipliziert worden sind, woraufhin man sie Faktoren nennt, größer als ihre Summe. Wenn wir Maschinen als c(m), Rohstoffe als c(r) und Arbeitskraft als v abkürzen, werden sie als Summe zwar gekauft, so dass G-W1 so viel wie G = c(m) + c(r) + v bedeutet, das geschieht aber, damit man sie in der Produktion zusammenführen kann mit dem Ergebnis des materiellen wie mathematischen Produkts c(m) * c(r) * v = P; dass P dann größer als G ist und folglich für G‘ verkauft werden kann, ist klar. Dennoch bleibt die Gleichungskette genau so, wie wir sie hingeschrieben haben, bestehen. Wie es sich zusammenreimt, wissen wir seit Marx. Denn mit dem vorgeschossenen Kapital wird das Arbeiten gekauft, das sich mit den andern „Faktoren“ „multiplizieren“ kann, sonst hätte der Kauf gar keinen Sinn; bezahlt wird aber nur das Arbeiten als Summand des vorgeschossenen Kapitals und eben nicht, wie es einzig gerecht wäre, als Multiplikationsfaktor des für G‘ verkaufbaren Produkts. Es als „Produktionsfaktor“ nicht nur bezeichnen, sondern auch bezahlen hieße anerkennen, dass es Summand von G‘ und nicht bloß von G ist. Dass dies nicht geschieht, ist die mit Recht so genannte „Ausbeutung“ der arbeitenden Menschen.

„Ausbeutung“ ist jedoch nur eine der Schattenseiten der Kapitallogik und für diese gar nicht spezifisch. Das höchste, ganz eigene und alles übergreifende Problem liegt vielmehr in dem, womit ich eingestiegen bin: dass G = G‘ zugleich Gleichung und Ungleichung ist und dass sich darin möglich = wirklich spiegelt, diese andere Gleichung und Ungleichung und zentrale fixe Idee des Diskurses. Sie ist es ja, die bewirkt, dass G = G‘  i m m m e r z u  w i e d e r h o l t  w e r d e n  m u s s , so dass es zwangsläufig zur Gleichungskette G => G‘ => G“ => usw. kommt, die für Marx erst das Kapital definiert. Er kann zwar schon von G‘ sagen, es „realisiere“ den Wert des produzierten warenförmigen Produkts, fügt aber hinzu, dass diese Verwirklichung letztlich nur dann eine ist, wenn mit ihr von neuem investiert, sie also in Ermöglichung von G“ verwandelt wird und so immer weiter bis zum Erreichen des „unendlichen Mehrwerts“.

Dass hier ein wirklich fatales Problem liegt, haben inzwischen auch einige namhafte nichtmarxistische Ökonomen erkannt, besonders Keynes und Binswanger. Doch ihr Einfluss ist minoritär. Überblickt man die „bürgerliche“ Ökonomik im Ganzen, so ist sie gespalten in den größeren Teil von Theorien, die das ökonomische Geschehen als System von „Gleichgewichten“ darzustellen versuchen, und den kleineren Teil, in dem eingewandt wird, dass wir es doch mit einer „Wachstumsökonomie“ zu tun haben und dass sich „Wachstum“ mit „Gleichgewicht“ gar nicht vertrage. Binswanger selbst stellt das so heraus.

Aber auch gerade in diesem Widerspruch bildet sich der Diskurs ab. Denn in der Ökonomie zwar mag es es fatal sein, dass „Wachstum“ und „Gleichgewicht“ sich wechselseitig negieren – „umso schlimmer für die Wirklichkeit“, hätte Hegel gesagt -, doch in der neuen Mathematik, die aus dem Diskurs ja auch hervorgegangen ist, haben Gleichung und Ungleichung von Anbeginn selbst wieder eine Gleichung gebildet, Stichwort Grenzwert- und Differentialrechnung. In dieser Mathematik wird tatsächlich, um Hegel ein letztes Mal zu zitieren, die „Identität von Identität und Nichtidentität“ erwiesen. Wir können an ihrer Richtigkeit nicht zweifeln, weil sie die Dinge eben zeitlos, das heißt vom Ende her betrachtet und weil sie nichts darüber aussagt, was geschehen  s o l l , sondern nur wie es geschehen  k a n n  und wie nicht. Das Kapital nun ist die verkörperte Behauptung, eine Ökonomie sei denkbar, die sich derart mathematisch modellieren lasse: als unendliche Bewegung, die zu jedem Zeitpunkt der Widerspruch von Identität und Nichtidentität, „Gleichgewicht“ und „Wachstum“ sei, am Ende aber bei einer noch übergreifenden Identität anlange, einer aktualen Unendlichkeit, um es mathematisch auszudrücken.

Von allen Schlüssen, die man hieraus ziehen kann, möchte ich nur den einen hervorheben, der für unser Vorhaben entscheidend ist: Es gibt gerade in der Mathematik, an deren Geltung wir wie gesagt nicht zweifeln, einen  k l a r e n  U n t e r s c h i e d  zwischen der Gleichung, die weiter nichts als Gleichung ist, und derjenigen, die das Gleiche und Ungleiche gleich setzt. Indem wir uns dessen erinnern, kehren wir zum Thema zurück. Denn die kapitalistische Ökonomik wird von einem solchen Gleichungsgeld beherrscht, das diesen Unterschied einebnet und auch deshalb, wie aus vielen andern Gründen, eine schreiende Konfusion ist.

Wenn wir sie auflösen wollen, werden wir finden, dass die Gleichung mal im ersten, mal auch im zweiten Sinn hier und da sehr nützlich angewandt werden kann. Das Geld aber sollte, wenn es vernünftig zuginge, als Gleichungsgeld grundsätzlich vor allem im ersten Sinn definiert sein, derart, dass es den Gleichwert verschiedener Sachen bezeichnet, zum Beispiel x Ware A = y Ware B. Nichts spricht dagegen, es als solches auch in der Anderen Gesellschaft zu verwenden. So spricht auch nichts gegen die Bilanzgleichung von Aktiva und Passiva, mit deren Erfindung im Mittelalter sich keineswegs schon, wie man häufig lesen kann, der Kapitalismus anbahnte. Den Kapitalismus schließen wir aus und lassen somit Gleichungsgeld als G = G‘ = G“ usw., kapitalistisches Geld also, in die Andere Gesellschaft  n i c h t  herein.

Das heißt im Umkehrschluss, wir halten neben Ware = Geld und Soll = Haben sogar auch G = G‘ für verwendbar, wenn es  f a l l w e i s e  geschieht. Dann besteht kein Anlass und schon gar nicht eine Nötigung, von G‘ zu G“ automatisch fortzuschreiten, sondern mit G‘ ist die Sache jeweils erst einmal abgetan.

Die weitere Überlegung hat zu klären, was „fallweise“ besagt. Dazu nehme ich den Satz wieder auf: Das Kapital muss mit allem, was möglich ist, sich gleichsetzen wollen,  w e i l  e s  k e i n e  W a h l  h a t . In diesem entscheidenden Punkt sind seine Logik und die Logik der Anderen Gesellschaft konträr.

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Mit dem Begriff eines Möglichen, das schon logisch nicht anders könne als sich zu verwirklichen, vorausgesetzt, es sei nicht nur scheinbar möglich, sondern sei es wirklich, war verkannt worden, dass auch die irdische Möglichkeit sehr wohl für sich festgehalten werden kann und zwar als Wahlmöglichkeit.

Ich formuliere jetzt den konträren Möglichkeitsbegriff der Anderen Gesellschaft: Was nicht  w a h l m ö g l i c h  ist, ist überhaupt nicht möglich, sondern nur wirklich (verwirklicht oder sich verwirklichend).  W a s  aber wahlmöglich ist, is t  f ü r  s i c h  d a  und vom Wirklichen völlig abgetrennt. Das will nicht sagen, es hätte da sein können, wäre ihm Wirkliches nicht vorausgegangen. Nur vom Wirklichen geht Mögliches aus, nur Wirkliches kann ein „Potential“ haben oder freisetzen. Einmal aber vorhanden, ist das Mögliche vom Wirklichen ganz frei, weil es uns nicht anders begegnet denn als  M e h r z a h l  v o n  M ö g l i c h k e i t e n , von denen entweder keine sich verwirklicht oder allenfalls eine. Selbst die eine, die Wirklichkeit werden wird, ist für sich genommen von dieser noch frei, weil zunächst noch gar nicht entschieden ist, dass gerade sie es ist, unter allen Einen im Möglichkeitsraum, auf welche die Wahl fällt.

Die Kapitallogik kennt keinen Raum der Wahlmöglichkeiten, sie ist vielmehr eine Zwangslogik des „Wer A sagt, muss auch B sagen“. Als Zwangslogik hat sie den Charakter einer  G l e i c h u n g  des Möglichen und Wirklichen: Alles was möglich ist (der unendliche Mehrwert),  m u s s  wirklich werden, also  i s t  es, vom Ende her gesehen, mit dem Wirklichen „immer schon“ das Gleiche. Wenn sich das so verhält, kann diese Gleichung als Prinzip allem zugrunde gelegt werden, so auch der Kreditbeziehung: Was ich kreditiere,  m u s s  zurückgezahlt werden, also  i s t  es, vom Ende her gesehen, schon zurückgezahlt. Dies Zukünftige ist dann das Sein, aus dem man den Kredit selber herleitet, während er im Moment der Vergabe angeblich aus dem Nichts kommt. Sogar die Überlegung, dass die Rückzahlung ja beliebig in die Zukunft verschoben werden könne – ins Unendliche zuletzt – und man einen Zustand, in der sie unmöglich wird und ist, insofern theoretisch vernachlässigen, ja ausschließen dürfe, findet man ganz explizit etwa bei Binswanger (Die Wachstumsspirale, Marburg 3. Aufl. 2009, S. 118 f.; vgl. auch Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2011, S. 78, 83-114).

Die Andere Gesellschaft, wenn sie Mögliches und Wirkliches aufeinander abstimmt, bedient sich der Gleichungen, doch nicht ihrer allein. Ich lege den weiteren Überlegungen zugrunde, dass Gleichungen ein linguistisch fassbares Phänomen sind, mit dem wir ein anderes vergleichen können, das des Fragens und Antwortens. Damit folge ich auch Polanyis Hinweis, das moderne Geld zeige „eine auffallende Ähnlichkeit mit Sprache und Schrift“ (Die Semantik der Verwendung von Geld, in ders., Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1979, S. 317-345, hier S. 319).

Wie in früheren Notizen oft betont, ist schon die Gleichung ein Sprachspiel des Möglichen, sie besagt nämlich, dass man ein und denselben Sachverhalt auf zweierlei Art äquivalent ausdrücken kann. Sie ist aber insofern zwanghaft – und die Gleichungskette, in der sich dasselbe sogar vielfach ausdrücken lässt, ist es noch mehr -, als jede Variation des Ausdrucks doch nur den Sinn des Anfangsausdrucks wiederholen darf. Das ist gerade der Nutzen dieser Sprache: aus einem Anfang Schlüsse ziehen, ohne ihn zu verlassen. Doch gibt es natürlich (auch in der Ökonomie) Bereiche des Handelns und Denkens, in denen mehr Möglichkeits-Spielraum erfordert und erwünscht ist. Diesen stellt das Spiel von Frage und Antwort zur Verfügung.

Sagen wir vorab, dass sich Gleichungssprache und „Fragespiel“  d a r i n  nicht unterscheiden, dass sie das Mögliche für sich ohne Verwirklichungszwang festhalten können. Bei der Gleichungssprache springt das sogar sofort ins Auge, denn jedermann weiß, dass mathematische Überlegungen für sich genommen keinen Wirklichkeitsbezug haben, vielmehr dadurch erst, dass sie angewandt oder „interpretiert“ werden, mit der Wirklichkeit in Kontakt kommen. Wenn ich hier also von möglich = wirklich gesprochen habe, so ist das selbstverständlich keine  m a t h e m a t i s c h e  Gleichung, sondern, wie gesagt, die fixe Idee eines Diskurses, von dem befangen man glaubt, man finde in der Mathematik das Vorbild für die erlaubte Ungleichung, die zugleich Gleichung ist.

Doch nun zum Fragespiel, in dem Möglichkeit – ebenfalls für sich festgehalten, ebenfalls ohne Verwirklichungszwang – Wahlmöglichkeit bedeutet. Die Gesamtheit der  A n t w o r t m ö g l i c h k e i t e n  ist nämlich das, was eine Frage ausmacht. Hier ist daher die Frage die linguistisch fassbare Möglichkeit als solche. Sie ist es als Kehrseite und „Potential“ vorausgegangener Antworten, die sich als Frage-Voraussetzungen in ihr niedergeschlagen haben. Im Fall nun, dass sie ihrerseits beantwortet wird, was nicht selbstverständlich ist, kann gesagt werden, dass sie tendenziell vom Möglichen zum Wirklichen schreitet, insofern nämlich, als eine Antwort fast schon eine Behauptung mit Wirklichkeitsanspruch ist, in eine solche sich jedenfalls leicht verwandeln lässt. Ich will sie deshalb als Seite der Verwirklichung gegen die Frage als Möglichkeits- und zwar Wahlmöglichkeitsseite stellen, obwohl das schon eine Vereinfachung ist. Denn streng genommen bleibt die Antwort selbst noch ein nur möglicher Gedanke. Man kann sie erwägen und doch auf sich beruhen lassen – ohne sie zur Behauptung, gar zur Aussage zu machen -, weil man weiß, dass die Frage, der sie gilt, „falsch gestellt“ (das heißt in sich konfus) sein könnte.

Sie wählt jedenfalls unter den Antwortmöglichkeiten aus. Das schließt eben auch ein, dass sie zwischen den vorhandenen Antwortmöglichkeiten, das heißt der Frage, die zu beantworten sie aufgerufen ist, und vielleicht besseren wählt, die als andere Frage an die Stelle der vorhandenen treten können. Denn nicht jede Ausgangsfrage lässt sich sinnvoll beantworten. Wenn die Möglichkeiten, die von ihr verkörpert sind, nicht genug Sinn hergeben oder wenn sie es nur zunächst tun, der Sinn sich aber erschöpft, greift man nach einer anderen Frage. Nach einer anderen Frage greifen heißt die Ausgangsfrage so beantworten, dass man sie zurückweist. Dies gründlich tun heißt ihre Voraussetzungen prüfen und vielleicht als konfus erweisen. Und damit erst haben wir die Möglichkeits-Verselbständigung, deren Ausdruck die Frage ist, vollständig beschrieben. Denn hier steht das Mögliche nicht nur insofern für sich, als es nicht verwirklicht (beantwortet, im nächsten Schritt behauptet, im übernächsten ausgesagt) werden muss, sondern auch insofern, als es an die Wirklichkeit, von der es selber herrührt – die der Antworten, aus denen die Ausgangsfrage hervorging -, nicht unter allen Umständen gebunden ist.

 

II. Gleichungsgeld von Antwortgeld dominiert

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Wir kommen zur praktischen Anwendung. Indem die Andere Gesellschaft ökonomische Wahlen abhält, setzt sie das Fragen-Antworten als oberstes Prinzip. Die Frage, die sie sich stellt, ist die, welche Pfade der Produktion sie grundsätzlich will. Mehrere Antwortmöglichkeiten sind ausgearbeitet, sie entscheidet sich für eine davon. Mit diesem Prinzip ist die Produktpfadregulation durch pure Eigenlogik kapitalistischen Geldes, G => G‘ => G“ => usw., überwunden. Reguliert wird jetzt durch Fragen-Antworten, nicht mehr durch Gewinnmachen. Das heißt aber nicht, dass G = G und G => G‘ nicht mehr vorkommen. Denn sofern sie dem neuen Prinzip untergeordnet werden, vertragen sie sich mit ihm. Schädlich sind sie in der der vorhandenen Gesellschaft, weil sie da der Gleichungs- und Zwangskette G = G‘ => G“ => usw. untergeordnet sind und zwar in der Form, dass sie mit ihr identisch werden. Mit andern Worten sind G = G und G => G‘, Gleichungsgeld als solches, nicht  a n  s i c h  schädlich, sondern sind es im Zuge dieser Unterordnung / Identifikation.

In der Anderen Gesellschaft spricht gar nichts gegen eine Kreditierungskette G = G = G = G usw., wo ein Kreditnehmer seine Rechnungen zahlt, indem er einer andern Bank Geld überweist, diese darauf gestützt neuen Kredit vergibt, der neue Kreditnehmer einer dritten Bank überweist und so immer weiter. Denn alle Kredite dienen dazu, den Beschluss zu implementieren, mit dem die Gesellschaft die selbstgestellte Frage nach den bevorzugten Produktpfaden beantwortet hat, oder vertragen sich mindestens mit ihm. Auch dagegen, dass die Kreditnehmer im Zuge dessen G => G‘ „realisieren“, spricht in der Anderen Gesellschaft nichts, weil der materielle Gegenwert, von dem G‘ der monetäre Ausdruck ist, den Rahmen der gesellschaftlichen Antwort nicht übersteigt. In beiden Fällen wird von G zu G oder G‘ nicht zwanghaft, sondern  f a l l w e i s e  geschritten, wenn nämlich die „Antwort“ entsprechend ausgefallen ist. Die Schritte sind dann unschädlich. Als Kontrollmedium ist die Kette G = G = G usw. sogar ausgesprochen nützlich.

Ich füge hinzu, dass wir damit das Postulat des vorausgegangenen Kapitels über „individuelles und Gesellschaftsgeld“ eingelöst haben. Wir haben da gesehen, dass beide Geldformen nicht dasselbe sein sollten, wie es heute der Fall ist. Heute ist die Kreditierungskette G = G = G usw. eo ipso das Medium, in dem sich G => G‘ => G“ usw. ins Unendliche verwirklicht. Das eine wie das andere ist pur individuelles Geld, zugleich aber gesellschaftliches, „wahres Gemeinwesen“, mit Marx zu sprechen. Hingegen in der Anderen Gesellschaft gibt es eine klare Trennung zwischen 1. G = G = G usw. und G => G‘, dem Individualgeld in den Händen bestimmter Kreditgeber und -nehmer, und 2. jener „Antwort“, die sich die Gesellschaft in ökonomischen Wahlen erteilt. Die Trennung ist die Voraussetzung dafür, dass Gleichungsgeld als Individualgeld dem untergeordnet werden kann, was in ökonomischen Wahlen entschieden wurde, indem diese „Antwort“ bestimmte Geldflüsse zulässt und andere nicht. Sie, die „Antwort“, herrscht so als Gesellschaftsgeld.

Die gewählte Gesamtantwort ist das Eine Maß, in dem nun alles Ökonomische berechnet wird, durchaus vergleichbar dem babylonischen Edelmetall, das im Innern der Gesellschaft nicht getauscht wurde, für die Tauschprozesse aber Verrechnungseinheit war. Nur haben wir es nicht mehr mit handfesten Dingen zu tun, sondern es findet die abstrakte Übersetzung statt, von der ich früher gesprochen habe: Nachdem durch die Wahl bestimmt ist, was ökonomisch möglich sein soll und was nicht, kann aus dieser „Möglichkeitsmenge“ ersehen werden, was die „Möglichkeits b e z e i c h u n g s menge“ ist, vulgo das individuelle Geld.

Als Möglichkeitsbezeichnungsmenge begegnet Geld sowohl im Kapitalismus als auch in der Anderen Gesellschaft nicht zuletzt als Konsumgeld, mit dem die Individuen aus allen Waren einige wählen. In dieser Eigenschaft ist es in beiden Formationen nicht nur Gleichungsgeld – x Ware A = y Ware B -, sondern auch „Antwortgeld“, da es eben das Mittel ist, die Frage zu klären, was man kauft. Damit Waren verfügbar sind, müssen sie allererst produziert werden, dafür ist im Kapitalismus wie in der Anderen Gesellschaft Kredit erforderlich, also Gleichungsgeld pur. So weit unterscheiden sich die Formationen nicht. Im Kapitalismus  d o m i n i e r t  nun aber die Eigenschaft des Geldes, Gleichungsgeld zu sein, weil Konsumvorgänge hier nur Oberfläche der Kapitalverwertung sind, wie zum Beispiel Robert Kurz mit Recht anmerkt (Geld ohne Wert, Berlin 2012, S. 157, 161). Antwortgeld ist es  n u r  im  i n d i v i d u e l l e n  Konsum, der im Kapitalismus  n u r  p u n k t u e l l  geschieht, etwa wenn ich zwischen Opel und VW wähle. In der Anderen Gesellschaft hingegen steht die Wahl der Produktionsziele, also dessen, was  g e n e r e l l  konsumierbar sein soll, zum Beispiel weniger Autos, mehr Bahn, am Anfang von allem. Hier ist Antwortgeld kein Oberflächenschein und keine bloß individuelle Veranstaltung, sondern  d o m i n i e r t  als  G e l d  d e r  g a n z e n  G e s e l l s c h a f t , indem die Gesellschaft die Menge wählbarer Waren im Großen antwortend bestimmt (ihre Möglichkeitsmenge überhaupt), bevor im Kleinen die Individuen  a u s  dieser Menge kaufend wählen (mit Geld, der  B e z e i c h n u n g  der Möglichkeitsmenge).

Gleichungsgeld vermittelt hier nur, als Medium der für die Warenproduktion unerlässlichen Kreditierung, zwischen dem „Antwortgeld im Großen“ und „im Kleinen“.

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Man kann das Resultat einer ökonomischen Wahl als Beschluss zum Wirtschaftsumbau begreifen, mit der Grenzmöglichkeit, dass er alles lässt wie es ist. Der Wirtschaftsumbau wiederum ist die Steigerung dessen, was man heute eine „Großbaustelle“ nennt. Deshalb kann vieles, was mit dem Begriff ökonomischer Wahlen gemeint ist, schon anhand der Auseinandersetzung um „Stuttgart 21“ illustriert werden. Mehr noch aber kann man an die „Energiewende“ denken, der sich die Exekutiven, wie sie heute eingerichtet sind, so hilflos nähern. Da wir uns in einem Kapitel befinden, das bloß den Geldbegriff klären soll, will ich daran nur den geldlichen Aspekt veranschaulichen. Es sind also einige Umbauten gewählt worden, zum Beispiel wie schon heute, das Verhältnis von Windstrom zu anderen Verstromungsarten solle verändert werden, gleichzeitig aber etwa auch, dass es mehr Öffentlichen Verkehr, dafür weniger Privatautoverkehr geben soll. Wahlgegenstand ist die generelle Proportion aller Güterarten. Die Gesellschaft macht dafür einen „Kostenvoranschlag“. Sie plant keine Dinge, für die kein Geld da ist, das ist schon in den Vorschlägen, die zur Wahl standen, berücksichtigt worden. Nur zwischen  m ö g l i c h e n  Wirtschaftswegen wurde gewählt.

Sie braucht aber für den Umbau, obgleich er wie ein öffentliches Beschäftigungsprogramm wirkt, nicht selber Geld vorzustrecken, das heißt aus Steuermitteln abzuzweigen. Ein die Gesellschaft repräsentierender Staat, der sich für seine Projekte am privaten Geldmarkt verschuldet, kommt hier gar nicht ins Spiel. Statt selbst Geld vorzustrecken,  v e r a n l a s s t  vielmehr die Gesellschaft über ihren Vertreter, die staatliche Exekutive, dass die privaten Geldbesitzer, in Zusammenfassung die Banken es tun. Es handelt sich ja darum, dass in der ökonomischen Wahl eine längerfristige Nachfrage mitgeteilt worden ist – man kann von einer „Bestellung“ sprechen, die von der Gesamtheit der Käufer aufgegeben wurde -, und diese werden von Kauf zu Kauf, des Stroms zum Beispiel oder der Fahrt mit dem Verkehrsmittel, alles bezahlen; das ist so gesehen kein anderer Fall, als wenn ein Bäcker in Brötchen investiert, weil er wissen kann, dass sie ihm abgekauft werden. Wie der Bäcker sich an eine gewöhnliche Bank wendet, wenn er Geld braucht, kann es auch der Unternehmer tun, der am Bau von mehr Straßenbahnen beteiligt ist. Der entscheidende Punkt ist, dass die Bank ihm „dann und genau dann“ Geld vorschießt,  w e n n  sich sein Bauplan im Rahmen des Gewählten bewegt (und natürlich: wenn er die üblichen „Sicherheiten“ vorweisen, die Bank ihn so oder anders für seriös halten kann).

Von hier an kann der Weg kontrolliert werden, den das Geld nimmt. Dabei kommt es nicht darauf an, am Anfang einen Geldbetrag festzusetzen, der keinesfalls über- oder unterschritten werden darf, sondern darauf, dass die Kostenentwicklung durchsichtig ist. Die Kostenentwicklung einschließlich der sie anfachenden Preisgestaltung. Ich habe ja bereits dargelegt, dass es in der Anderen Gesellschaft kein Wirtschaftsgeheimnis mehr gibt. Man wird daher nicht nur sehen, wie ein in den Umbau involvierter Unternehmer für sein Teilprojekt Kredit aufnimmt und damit Rechnungen bezahlt, sondern auch wie diese Rechnungen zustande kommen; ob sie angemessen oder überhöht sind. Man wird unterscheiden können: Reichen die zunächst vergebenen Kredite deshalb nicht aus, weil unvorhersehbare Probleme im Zuge der Produktion aufgetreten sind, oder deshalb, weil sich unternehmerische Trittbrettfahrer einzuschmuggeln versuchen?

Heute wird Gleichungsgeld so eingesetzt, dass der private Kreditgeber seinen Beitrag genau zurückbekommen soll (nach der Logik G = G), zusätzlich noch Zinsen (auf Basis von G => G‘), und da er nur im Eigeninteresse verleiht, kann die Gesamtheit der privaten Kreditvergaben, unzusammenhängend, wie sie sind, zu Verwicklungen und manchmal zum Chaos führen. Nicht so in der Anderen Gesellschaft. Hier gibt es den auf die Gesamtheit bezogenen „Kostenvoranschlag“, man beobachtet jederzeit die Entwicklung, die der Umbau nimmt, und kann immerzu eingreifen, wenn es anders läuft als vorgesehen war.

Nicht zuletzt ist man darauf aufmerksam, dass der gewählte Umbau irgendwann zu Ende sein muss. Wenn soundsoviel Straßenbahnen und soundsoviel Privatautos gebaut worden sind, sollen nicht noch mehr gebaut werden können. Oder wenn die Gesamtmenge an für Biosprit vorgesehenem Boden erreicht ist, darf man weiteren nicht mehr kaufen. Es dürfen eben überhaupt nur „bestellte“, das heißt wahlkonforme Investitionsgüter gekauft werden. Jede Privatbestellung eines Investitionsguts muss sich als Teil der gesellschaftlichen Gesamtbestellung ausweisen können. Im öffentlichen Nachvollzug der Gleichungsgeldketten (Kreditketten) zeigt sich, ob der Ausweis gelingt.

Ein Letztes: Nicht nur die Gesellschaft ist frei, wenn sie in ökonomischen Wahlen dem nachfragt, was man ihr anbieten soll. Die Unternehmer, die es dann tun, sind auch frei. Kann ihre Freiheit dazu führen, dass sie das nachgefragte Angebot verweigern? Ich glaube nicht. Bleiben wir bei dem Beispiel, dass eine Wahl entschieden hat, das Verhältnis von motorisiertem Privatverkehr und Öffentlichem Verkehr solle von sage 7 : 3 auf 3 : 7 verändert werden. Wohl kann man sich vorstellen, dass es dann Autounternehmer gibt, die weiter anbieten wollen, auch wenn ihr neuer, herabgesetzter proportionaler Anteil schon erreicht ist. Das können sie aber eben nicht. Und nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sie geben auf und überlassen den Unternehmen, die auf Öffentlichen Verkehr spezialisiert sind, das Geschäftsfeld. Es auszuweiten, werden die Letzteren sich bestimmt nicht weigern. Oder es kommt noch hinzu, dass die Autounternehmer ihre Produktion teilweise konvertieren, um a u c h zu denen zu gehören, die von der Ausweitung des Geschäftsfelds „Öffentlicher Verkehr“ profitieren. Den Kredit werden beide bekommen, die einen, die ihre Tätigkeit nur ausweiten, wie die andern, die sich zur Konversion entschließen.

Mehr Grundsätzliches, denke ich, braucht zur Rolle des Gleichungsgelds in der Anderen Gesellschaft nicht ausgeführt zu werden. Ich wollte ja in diesem Kapitel nur zeigen, dass es die möglichen neuen Wege, die zuvor in den Kapiteln über die „Marktmaschine“ aufgezeigt wurden, nicht belastet und illusorisch macht. Natürlich muss noch gefragt werden, bis wohin es in Gelddingen sinnvoll ist, das Spiel mit der Gleichung zu treiben – bis zu welcher Komplexität und Fragilität von „Derivaten“, wie man das heute nennt. Überhaupt wie die Banken organisiert sein sollen, und so weiter. Doch soweit es nötig ist, hierzu etwas zu sagen, geschieht es besser im Schlussteil, den Kapiteln, die nun endlich die ökonomischen Wahlen selber erörtern und alles, was sich auf ihnen aufbaut und was nicht.

Hier in diesem Kapitel muss aber noch erörtert werden, wie sich  M ö g l i c h k e i t  u n d  M a c h t  in Gelddingen zueinander verhalten, heute und in der anderen Gesellschaft. Es scheint ja, dass sie sich etymologisch kaum unterscheiden. Schwer fiel es uns, die kapitalistische Identität von möglich = wirklich aufzubrechen. Doch auch mit möglich = mächtig finden wir uns nicht ab.