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Nachdem ich zuletzt über die Folgen der historischen Verselbständigung von „Gleichungsgeld“ nachgedacht habe, schließt sich dieser Exkurs an, weil ich Analogien zwischen der Entwicklung, die das Geld genommen hat, und der Entwicklung der Liebe zu sehen glaube.
Wir erinnern uns: Es wurde gezeigt, dass Geld, bevor Münzgeld erfunden wurde, immer und überall in zwei Stufen existierte, die deutlich verschieden und voneinander getrennt waren, der Stufe des Geldes zum Tausch der Individuen untereinander nämlich und darüber der Stufe des Geldes, das der Staat hortete und das, in einer andern Dinglichkeit existierend, über den Wert des Geldes der ersten Stufe entschied. Es entschied dadurch, dass eine Umrechnungsregel staatlich festgesetzt wurde. Das „Staatsgeld“ selber – und damit das „Gesellschafts“geld, beides fiel in Eins zusammen – wurde zum Tausch nicht innerhalb der Gesellschaft, sondern nur zwischen Gesellschaften eingesetzt. Ein Beispiel war das afrikanische Königreich Dahomé, in dem es aus Sklaven, das individuelle Tauschgeld aber aus Kaurimuscheln bestand. Der Effekt der Zweistufigkeit lag darin, dass dem individuellen Tauschgeld durch jenes andere Geld ein Rahmen des ökonomisch Möglichen vorgeschrieben war, den es nicht überschreiten konnte.
Wir haben gesehen, dass mit der Erfindung des Münzgeldes die Verschiedenheit von Individual- und Gesellschaftsgeld implodierte und dass dies nach und nach zur Marginalisierung des gesellschaftsgeldlichen Anteils am Münzgeld führen musste. Als es zu Beginn der kapitalistischen Entwicklung noch etwas wie „Golddeckung“ gab, war ein solcher Anteil, schon ohnmächtig geworden, noch immer unterscheidbar. Beim heutigen Geld ist er es nicht mehr.
Für die Andere Gesellschaft haben wir nicht etwa eine Rückkehr zum dinglich verschiedenen Gesellschaftsgeld vorgesehen, wohl aber überhaupt eine Rückkehr, damit der individuelle Tausch wieder einen krisenfesten Rahmen bekommt. Gesellschaftsgeld braucht gar nicht dinglich zu sein. Es wird freilich nicht mehr von einer übergeordneten Instanz, dem Staat, vorgegeben sein, sondern die individuell Tauschenden schaffen ihn selber. Womit nicht gesagt sein soll, dass sie ihn dadurch schaffen, dass sie nur überhaupt individuell tauschen. Diese Vorstellung der invisible hand, die es schon richten werde, hat sich nun oft genug blamiert. Nein, sie bestimmen in einer gemeinsamen Wahl in großen Zügen, was als Tauschbares verfügbar sein soll und was nicht. Damit bestimmen sie eo ipso, wo die Reichweite von Individualgeld aufhört. Sie legen in groben Zügen die Produktpfade der Gesellschaft fest, deren Glieder sie sind.
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Was Liebe ist, braucht nicht definiert zu werden, ich wäre mit dem Versuch auch überfordert. Jede(r) weiß aber, und das genügt hier, dass geliebt zu werden eine Bedingung des Selbstwertgefühls ist, auf die kaum jemand verzichten kann. Dabei werden wenige glauben, man könne geliebt werden, ohne selbst zu lieben. Die Umkehrung des Satzes ist leider weniger gewiss. Schillers Worte, so brutal sie sind, sind nicht leicht von der Hand zu weisen: „Ja – wer auch nur e i n e Seele s e i n nennt auf dem Erdenrund! Und wer‘s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund!“ Selbst wer der Meinung ist, in der Gesellschaft von heute gehe es nüchterner zu, wird sich doch erleichtert erinnern, die Erfahrung wenigstens überhaupt einmal gemacht zu haben, geliebt worden zu sein, oder wird sich wünschen, er hätte sie gemacht. Es ist nämlich eine aufregende Erfahrung, jemanden „sein zu nennen“, ohne ihn oder sie im Mindesten zu besitzen. Denn die Liebe ist frei. George Bizets Carmen sagt sogar, sie sei ein Rebell.
Wenn zwei Menschen sich lieben, wünschen sie, dass es nicht schon sofort wieder aufhört. Das darf man feststellen, ohne bereits die Frage entschieden zu haben, ob eine Liebe möglich und wünschenswert ist, die gar kein Ende nimmt, oder ob sie immerhin möglichst lange dauern soll. Liebe ist mehr als ein einmaliger Geschlechtsakt. Man will sich wiedersehen. Sie ist auch mehr als mehrere Geschlechtsakte. Man hat Lust, auch Anderes miteinander zu teilen. Warum eigentlich? Weil man sich in dem oder der anderen irgendwie aufgehoben fühlt. Ein Aspekt davon, derjenige, den wir klar erfassen können, ist eben, dass die oder der andere unser Selbst bestätigt und gewissermaßen rechtfertigt. Damit soll nicht gesagt sein, dass dies nicht auch auf anderen Wegen geschieht. Doch haben solche anderen Wege ihre Mängel. Wer sich zum Beispiel im Beruf bestätigt fühlen darf, erlebt damit noch keine Bestätigung seines ganzen Selbst, sondern erst einmal nur seines Funktionierenkönnens in einem ihm vorgegebenen, wenn auch vielleicht von ihm gebilligten Kontext. Er oder sie bleibt einsam, und Einsamkeit – die ich von Alleinsein unterscheide, der Kehrseite der Individuiertheit: Allein ist jede(r) – erträgt sich nicht leicht. Auch Kinder, die man zeugt, bestätigen uns nicht immer, das soll von ihnen auch gar nicht verlangt werden. Auch die Liebe unserer Kinder, besonders der flügge werdenden und gewordenen, müssen wir uns erst erwerben.
Bestätigung des ganzen Selbst, das gibt es allenfalls in der Liebe. Eben deshalb gibt es den Wunsch, Liebe solle gar nicht aufhören, und wurde dieser Wunsch in frühern Zeiten nicht bloß von der oder jenem gehegt, sondern war gesellschaftsoffiziell. Denn das Selbst, wenn wir überhaupt eins haben, ist ein lebenslanges. Die Vorstellung, eine lebenslange Kontinuität mit sich selbst müsse durch eine ebenso lebenslange Liebe gestützt sein, lag wirklich nahe. Wir müssen indes unterscheiden. Dass Liebe und Sexualität nicht ganz dasselbe sind, haben wir schon gesagt. Es ist aber auch die Dauer der Liebe, wenn sie denn eine hat, nicht dasselbe wie die Form, die der Dauer sei’s von den Liebenden selbst, sei’s von der Gesellschaft gegeben wird. Eine dieser Formen ist bekanntlich die Eheschließung.
Und weiter: Ehe war nicht immer auf Liebe gegründet. Zur Engführung von Ehe und Liebe kam es erst im 18. Jahrhundert, wo sie dann auch am Jahrhundertende ihre Blütezeit hatte, besonders im Deutschen Idealismus und in der deutschen Romantik. Dabei ging Fichte besonders weit: „Ehe ist Liebe und Liebe ist Ehe“, behauptete er. In der Regel war man vorsichtiger und begnügte sich mit der Annahme, dass Liebe jedenfalls das sei, wodurch eine Ehe zustande komme; sie dauere dort zwar nicht, gehe aber in Freundschaft über. Diese Doktrin von Liebe, Ehe und Freundschaft war so neuartig, dass es an Zweifeln, oder irritierenden Erfahrungen, die man machte und aufschrieb, von Anfang an nicht fehlte. Wenn es einmal – selten genug – vorkam, dass Romane der Zeit mit der Eheschließung nicht aufhörten, sondern erst begannen, zeigten sie, dass nach dem Ende der Liebe das Scheitern der Ehe nicht aufzuhalten war. So in Jean Pauls Siebenkäs und Goethes Wahlverwandtschaften.
Ehe auf Liebe zu gründen war auch weniger eine Würdigung der Liebe als ein letzter und vergeblicher Versuch, sie zu bändigen. Denn wenn man bei Jean Paul liest: „Alle Liebe liebt nur Liebe, sie ist ihr eigener Gegenstand“, kann man sich schon ausrechnen, dass eine Ehe ein viel zu gebrechliches Gestell ist, als dass der Versuch immer erfolgreich sein könnte. Ich entnehme übrigens die meisten Belege dem sehr interessanten Buch von Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt/Main 1982. Luhmann listet auf, wie in den Zeiten davor – man kann grob sagen: vor der Französischen Revolution – der anspruchsvolle Versuch, Ehe mit Liebe gleichzusetzen und daher Liebe mit Ehe, gar nicht erst unternommen worden war. Allenfalls damit hatte man gerechnet, dass in einer Ehe, war sie einmal geschlossen, die Gatten sich aneinander gewöhnten und vielleicht „lieb gewannen“. Bürgerliche Ehen waren nicht um der Liebe willen geschlossen worden, sondern zum Zweck der Reproduktion der Familie, die man sich schon wegen des Eigentums und seiner Vererbung als generationenübergreifend vorstellte. Da konnte man den heranwachsenden Kindern die Freiheit der Gattenwahl nicht überlassen. Genauso war es im Adel gewesen, wo mit Verheiratungen politische Allianzen geschmiedet wurden. Liebe hatte mit der Ehe von vornherein gar nichts zu tun. Unter Bauern schließlich (die bei Luhmann nicht vorkommen) war es um den Zugewinn einer kräftigen Hand gegangen, denn es gab viel Arbeit und ein großes Haus musste regiert werden, in dem auch das Gesinde zur Familie gehörte.
Jahrhunderte hindurch war es der Adel, der über Liebe öffentlich räsonierte, oder war es die Liebe des Adels, der die poetische Reflexion galt. Dabei interessierte die Frage sehr, ob und wie l’amour, im Unterschied zum plaisier, das auch nicht verachtet wurde, eine Dauer haben konnte. Noch einmal, mit der Ehefrage hatte das nichts zu tun. Man sagte aber etwa, die Vernunft könne Liebe beständig machen. In der Poesie kann sie durch den gemeinsamen Tod der Liebenden verewigt sein (Romeo und Julia). Am Anfang der Entwicklung, beim Minnesang, war die Unerreichbarkeit der Geliebten ein einleuchtendes Mittel, sie ohne Ende begehrenswert erscheinen zu lassen. Das heißt, man verhielt sich zur Geliebten wie zur platonischen Idee.
Mit der Französischen Revolution und schon in deren Vorfeld verliert die freischwebende Adelsliebe ihren Vorbildcharakter. Gleichzeitig muss sich aber auch die bürgerliche Doktrin verändern, da die Revolution nur gelingen kann, wenn sie sich auf die unteren Schichten stützt; diese müssen in die Doktrin einbezogen werden. Weil nun im sexuellen Interesse alle Klassen und Schichten übereinstimmen, erhält Liebe wegen ihrer Beziehung zur Sexualität den Auftrag, die Ehe zu prägen. Aus Luhmanns Bericht lese ich heraus, dass es eigentlich die Sexualität war, welche die Bürger bändigen wollten, als sie zu herrschen begannen. Das würde ja auch mit andern Untersuchungen übereinstimmen, wie derjenigen Foucaults über bürgerliche Bevölkerungspolitik. Die Ehe auf Liebe zu gründen war letztlich ein Versuch der Sexualitätskontrolle.
Das Endergebnis ist jedenfalls diese Implosion, wo man dann sagt, Ehe sei Liebe und Liebe Ehe, oder gar, dass die Liebe ihr eigener Gegenstand sei und nur sich selbst liebe. Mag das anfangs „Ideologie“ gewesen sein, Romanlektüre für höhere Töchter, die sich als Julietten, Hersilien, Idoinen darin abgebildet sehen sollen, hatte es doch sehr praktische Auswirkungen. Es machte langfristig die Ehe obsolet.
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Dass Liebe und Ehe irgendwie dasselbe wurden, auch dass man von Liebe sprach, um eigentlich Sexualität zu kontrollieren, dieser tendenzielle Zusammenbruch aller Differenzen ist das, was uns interessiert, denn hier erkennen wir wieder, was, ebenfalls unter bürgerlicher Ägide, mit den Geld passierte. Wie es nämlich beim Geld den Unterschied von Individual- und Gesellschaftsgeld gegeben hatte, so im Körperverhältnis der Menschen die mehr oder weniger freien Individualakte einerseits, die gesellschaftliche Körperordnung namens Ehe andererseits. Die historische Entwicklung war dahin gegangen, dass der mittlere Begriff Liebe, als ein rein den Individuen überlassenes Feld, alle gesellschaftlichen Aspekte sollte mittragen können, wo es dann nicht erstaunt, dass sie einfach an den Rand gedrängt wurden. Zwar ist die Ununterscheidbarkeit bis heute bei weitem nicht so weit gegangen, wie wir es am Geld beobachtet haben. Die Golddeckung ist ganz verschwunden, die Ehe gibt es aber noch. Man kann sie mit der Golddeckung, die zur kapitalistischen Frühzeit gehört, ganz gut vergleichen. Die Ehe deckt nicht mehr wirklich, denn sie kann jederzeit zerbrechen, doch solange sie der allgegenwärtigen Ehekrise trotzt, funktioniert sie für allerlei. Wir sehen aber tatsächlich längst die Liebe, Ehe hin oder her, als das einzig Entscheidende an.
Gewiss gibt es unendlich viele Lebens-, Liebes- und Ehemodelle, die man nicht alle über einen Kamm scheren kann. Ehen, von klugen und nüchternen, vor allem auch redlichen Leuten geschlossen, können weiterhin sehr erfolgreich sein (besonders in höheren Schichten der Gesellschaft). Es lässt sich aber doch beobachten, dass die uns beschäftigende Implosion der Differenzen sogar noch fortschreitet. Schon Luhmann, der, wie gesagt, vor mehr als einem Vierteljahrhundert schrieb, referiert Untersuchungen, in denen die „Freigabe der Intimbeziehungen zur eigenen, persönlichen Gestaltung“ als „soziale Regression“ bezeichnet ist. Da nützt es wenig, dass Liebe und Sexualität sich nun auch außerhalb der Ehe frei entfalten können, denn so sehr schmort inzwischen die Liebe im eigenen Saft, dass man nicht sieht, wie sie das nächste Halbjahr überstehen soll: „Es gibt keine Bagatellen in der Liebe; Betonung der Pflichterfüllung ist mit Liebe unvereinbar; man muss nicht nur alles tun, was verlangt wird, man muss zuvorkommen“ und wenn das alles gelingt, muss man sich noch „das Weltverhältnis des anderen zu eigen machen“.
Auch schienen Liebe und Sexualität immer ununterscheidbarer zu werden, was der Dauer der Liebe nicht gerade förderlich wäre. Nach der Anlage von Untersuchungen in den USA zu urteilen, ging es dort oft nur noch darum, ob der „Zugang zu sexuellen Beziehungen mit oder ohne emotionale Bindung“ geschieht. Wenn Liebe, schließt Luhmann, nur noch das Vorkommnis eines Gefühls ist, welches die Körperlust begleitet oder vielleicht nur zu ihrer Einleitung erforderlich ist, dann sind die sexuellen Beziehungen „die Sache selbst“ geworden. Mit der „Bindung“ wird es dann nicht weit her sein.
Ist das denn überhaupt bedauerlich? Wenn die Sexualpartner wechseln, die Liebe nicht dauert, die Ehe zurückgedrängt oder entleert wird? Und auch das Bündnis von „Lebensgefährten“ nicht Abhilfe schafft? Immerhin und wie gesagt: Für Viele verschwindet damit ein Anker ihres Selbstwertgefühls. Paradoxerweise wird aber heute erst überdeutlich, dass es um dieses Gefühl geht. „Was man als Liebe sucht“, ist „Validierung der Selbstdarstellung“. Das ist einerseits nie anders gewesen, andererseits hat man das Ziel doch immer auf einem Umweg zu erreichen versucht. Man hat im Fall der Ehe die Kinder, überhaupt die Reproduktion der Familie, dann auch die Nachhaltigkeit von Liebe oder ersatzweise Freundschaft im Sinn gehabt und fühlte sich bestätigt, weil man sich an all dem abarbeitete. Im Fall der Liebe ging es zuerst um den Partner, so war sie definiert. Wenn man für ihn etwas tat, fühlte man sich selbst wohl. Ich denke, so ist es noch heute, aber es gibt auch diese andere Tendenz, die Luhmann betont. Zu deren Beleg lässt er den Therapeuten auf den Plan treten: „Er setzt die labile Gesundheit, die heilungsbedürftige Verfassung des Einzelnen an die Stelle der Liebe und entwickelt für Liebe dann nur noch die Vorstellung einer wechselseitigen Dauertherapierung auf der Basis einer unaufrichtigen Verständigung über Aufrichtigkeit.“
Es ist nur eine Tendenz, aber wo sie wirksam ist, geschieht der Liebe dasselbe, was dem Geld geschah. Ausweglos den Individuen überlassen, die sich in geschlossenen Zirkeln aufeinander beziehen, verliert Liebe ihren gesellschaftlichen Anteil. Nicht nur, dass sie dereguliert wird, wogegen wir nichts haben. Sie verliert auch die gesellschaftlichen Stützpunkte und gerät dadurch in Gefahr, überfordert zu werden. Das aber ausgerechnet in einer Zeit, wo sie auch von der Ökonomie her unter zunehmendem Beschuss steht. Die Ökonomie nämlich ist so „flexibel“ geworden, dass sie Liebende von Job zu Job wandern lässt, aber nicht gleichzeitig als Paar, sondern in Phasenverschiebung. Es häufen sich daher die Fälle, wo nur noch „Lebensabschnittspartnerschaften“ gelingen. Können das Stützpunkte einer lebenslangen Kontinuität mit sich selbst sein?
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Zur gesellschaftlichen, gar staatlichen Vorgabe eines Rahmenwerks für die Liebesdauer zieht uns nichts zurück. Wir wollen ja auch „Gesellschaftsgeld“ nicht derart wieder einführen, dass von einer übergeordnetem Instanz das eigentliche, gesellschaftlich krisenfeste Geld gehortet wird. Wir stellen uns vielmehr vor, dass die freien Individuen wählen, was ihnen zum Kauf angeboten werden soll – nicht nur am Sockengrabbeltisch, sondern auch zum Beispiel bei der Frage, ob es mehr öffentlichen Verkehr oder mehr motorisierten Privatverkehr geben soll -, ihre Wahl dann auch gilt und das umlaufende Geld dazu da ist, die von der Wahl erforderlich gemachten Vorgänge der Produktion, des Kaufs und Verkaufs zu vermitteln. Indem es dazu da ist, ist es „Gesellschaftsgeld“, dessen Geltung von der gesellschaftlichen Wahl abgeleitet ist und mit dieser steht und fällt.
Den Liebenden hilft es wahrscheinlich weiter, wenn sie immer eine gesellschaftliche Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung zusammen auswählen, an der sie sich beteiligen und in deren Kontext sich definieren können. „Ich“ bin dann nicht nur der, der von „dir“ bestätigt wird um den Tauschpreis, dass „du“ auch von „mir“ bestätigt wirst, sondern wir beide haben uns auch deshalb gefunden, weil wir zum Beispiel, jede(r) unabhängig vom anderen, gegen Zustände kämpfen – in welcher Form auch immer -, die bewirken, dass in fernen Erdteilen täglich Zigtausende den Hungertod sterben. Wenn uns vor allem das rechtfertigt, sind wir davon entlastet, uns bis zum Exzess wechselseitig bestätigen zu müssen. Ein anderes Beispiel ist der Kampf für Gerechtigkeit, also auch für Gleichberechtigung, zuerst der Liebenden untereinander, aber eben nicht nur dort.
Auch eine solche Liebe kann aufhören. Doch gibt es dann keinen Grund mehr, weshalb sie spurlos verschwinden sollte. Liebe kann wirklich in Freundschaft übergehen, wenn auch vielleicht nach enttäuschungsbedingter Unterbrechung, und das hat damit, ob man die Ehe eingegangen ist oder nicht, gar nichts zu tun. Umgekehrt lässt sich fragen, ob Liebe, die spurlos verschwindet, überhaupt eine gewesen ist. Wenn die Liebe zum Wechsel zwingt, die Freundschaft aber bleibt, ist das für die Bestätigung des lebenslang kontinuierlichen Selbst ein starker Stützpunkt. Sogar auch dann ist das der Fall, wenn nicht nur die Liebe auseinandergeht, sondern man auch aufhört, in der Einschätzung des gesellschaftlich Wichtigen übereinzustimmen. Denn auch dazu, den Wandel einer Ansicht nachvollziehbar zu finden, an der wir selbst festhalten, sind wir als Freunde unserer Freunde fähig und bereit. Das hat Grenzen, aber meistens ist es so. Zumal Freunde, mit Goethe zu sprechen, „dazu da sind, dass wir unsere Geduld an ihnen üben“.
Geduld ist ja schon mit Liebe nicht unvereinbar – anders als die Betonung von Pflichterfüllung, siehe oben -, obwohl sie das Bewusstsein einschließt, vom geliebten Wesen verschieden zu sein. Wenn man Geduld am geliebten Wesen entdeckt, und vielleicht gar an sich selbst; wenn man sie nicht verflucht, sondern steigert: ist man schon auf dem Weg, Liebe gesellschaftlich einzubetten. Denn Geduld braucht es immer, wenn gesellschaftliche Angelegenheiten von Bedeutung bewältigt sein wollen. Die Liebe ist selbst eine solche, aber nicht die einzige. Je mehr sie sich dessen bewusst wird, desto sicherer bleibt etwas von ihr.