(102) Geld und der Konsum von Macht

9. Gleichungsgeld gesellschaftlich eingebettet / Vierter Teil – Vor der Erörterung von Proportionswahlen: Zugehörige neue, nicht mehr kapitalistische ökonomische Institutionen

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Wer Geld hat, hat Möglichkeiten. Möglichkeit und Macht hängen etymologisch zusammen. Kann man sagen, ökonomische Möglichkeit verleihe ökonomische Macht? Nein, kaum. Wenn ich ein paar Euro in der Tasche habe, kann ich dies oder das kaufen, vielleicht Obst, und damit machen, was ich will, es selber essen oder verschenken, wobei ich mit der Wahl des oder der Begünstigten ein Zeichen setze. Das ist schon ein bisschen Macht, aber doch nicht die Situation, in der ich „mächtig“ wäre. Andererseits braucht man die Situation nur quantitativ gesteigert zu denken, dann geht es tatsächlich um Macht in jedem Wortsinn: Ich verfüge über ein paar Milliarden, ich kann damit den gesellschaftlichen ökonomischen Weg und sogar die Politik beeinflussen. Dass ich mir auch fast jeden irdischen Wunsch erfüllen kann, ist noch das Wenigste, denn dazu sind ein paar Milliarden viel zu viel, und damit sind wir auch schon beim springenden Punkt.

Marx hat es so reflektiert: Kapitalisten, die immer mehr Geld akkumulieren, bis hin zu den paar Milliarden, tun das nicht um des Genusses wegen, denn der hat Sättigungsgrenzen bei noch so gigantischer Aufblähung; soll erklärt werden, weshalb dann noch immer weiter akkumuliert wird – die Gleichungskette G => G‘ => G“ => usw. sich fortsetzt, wovon in der 101. Notiz die Rede war -, muss man aufhören, das Motiv in der Subjektivität des Kapitalisten zu suchen, es liegt vielmehr im Kapital selber: Das Kapital als „automatisches Subjekt“ verwertet „sich selbst“ und zwar ins Unendliche, ein Prozess, für den sich der Kapitalist nur als „Charaktermaske“ zur Verfügung stellt. Ich folge dieser Marxschen Erklärung, der zufolge das Kapital ein sich selbst vorantreibender Vorgang ist, wenn ich es auch für bedenklich halte, es als Subjekt vorzustellen, und sei’s nur metaphorisch. Es ist jedenfalls wahr, das Motiv der „Selbstverwertung des Werts“ liegt nicht in der Subjektivität des Kapitalisten.

Aber heißt das im Umkehrschluss, der Kapitalist in seiner Rolle als „Charaktermaske“ ist von gar keinem Motiv mehr beseelt? Es muss doch mindestens eins geben, das ihn dazu bringt, die Rolle der „Charaktermaske“ anzunehmen. Wie das auch Schauspieler tun; was sie uns vorführen, kommt zwar nicht aus ihnen selbst, sondern etwa von Shakespeare oder Pasolini, aber  d a s s  sie es tun, hat Privatgründe, zum Beispiel ihre Kunstliebe, die „Funktionslust“, das zu tun, was sie am besten können, oder einfach den Wunsch zu gefallen. Das Motiv des Kapitalisten, in die Kapital-Maske zu schlüpfen, das heißt Geld zu scheffeln, für das er gar keine persönliche Verwendung hat und das er auch nicht etwa verschenken will – wie Goethe ihm noch nahelegte: „Warum schaut alles nach dem Reichen, als weil er, der Bedürftigste, überall Teilnehmer an seinem Überflusse wünscht“ -, ist ein anderes. Er genießt die Macht. Ja, könnte kapitalistisches Geldscheffeln ohne den Machtgenuss, den es gewährt, überhaupt stattfinden? Gäbe es Kapital ohne „Charaktermasken“? Es kann sich doch nicht selbst an der Börse notieren, sondern braucht dazu Agenten.

Wir wollen die Macht der „Masken“ ein wenig durchdenken. Zunächst, was wäre eine allgemeine Definition von Macht? Sie könnte lauten, das sei die (Summe von) Möglichkeit(en), die jemand verwirklichen kann, wenn er nur immer will. Die Möglichkeit, Möglichkeit zu realisieren. Hiermit ist ausgesprochen, einerseits dass Macht – anders als Herrschaft – im Prinzip eine gute Sache ist, wie sie denn von erleuchteten Geistern wie Hannah Arendt und Michel Foucault auch aufgefasst wurde. Beide gehen nämlich von der Mikromacht aus, über die jeder und jede verfügt, und machen sich über den Zusammenschluss solcher Individualmächte zur gesellschaftlichen Gesamtmacht Gedanken. Andererseits gibt es das Phänomen, dass Einzelne über eine Machtfülle verfügen, die in gar keinem Verhältnis dazu steht, was sie selbst zu deren Erwerb beigetragen haben, und das ist erst der Fall, in dem man  n o r m a l e r w e i s e  von „Macht“ spricht und sie aus gutem Grund für fragwürdig hält. Viele müssen sich zusammentun, einen Streik zu organisieren; ein Einzelner kann alle „aussperren“, indem er die Fabriktore schließen lässt, weil ihm das Gelände gehört. Es gehört ihm, weil er viel Geld hat. Er hat viel mehr Möglichkeit als andere, Möglichkeit zu realisieren.

Viel Macht haben wollen: Das ist ein Motiv. Und wie man Mahlzeiten, Häuser, Urlaube, kurz  L e b e n s m i t t e l  genießt, so wird auch  M a c h t  genossen. Dann aber ist es irreführend zu sagen, der Kapitalist akkumuliere über das hinaus, wofür er persönliche Verwendung habe, noch mehr Geld; nein, es gibt einen Punkt, von dem an seine  L e b e n s m i t t e l g e n u s s s u c h t  gesättigt ist, die  G e n u s s s u c h t  s e l b e r  aber nicht etwa aufhört, vielmehr sich dem Machtgenuss zuwendet. Da Genießen häufig die Form des Konsumierens annimmt, ist dies ein  ö k o n o m i s c h e r  und nicht bloß psychologischer Sachverhalt.

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Als ökonomischer Sachverhalt betrachtet, weist Machtkonsum einige Besonderheiten auf, die ihn nicht nur vom Konsum anderer Waren, sondern überhaupt vom Warenkonsum unterscheiden. Denn eine Ware ist Macht eigentlich nicht, obwohl sie konsumiert wird und in gewisser Weise einen Preis hat. Macht ist weder ein Gut noch eine Dienstleistung, sie muss nicht wie diese gekauft werden. Es werden zwar tatsächlich Politiker mit Geld gekauft, aber das ist nicht der Hauptgrund, weshalb Kapitalisten politische Macht haben, die ihnen ihre ökonomische Macht, ihr Geldvermögen, verleiht. Diese Macht funktioniert vielmehr so, dass sie nur gezeigt zu werden braucht und dann schon in vielen Fällen die erwünschte Wirkung hat, ähnlich wie es in der Folter der Inquisition der erste und niedrigste Eskalationsschritt war, bloß die Instrumente sehen zu lassen. Das reichte oft schon, den Vorgeladenen zu überzeugen.

So auch beim kapitalistischen Machteinsatz. Und übrigens nicht erst da. Hören wir die Geschichte, die Karl Polanyi vom reichen Mann der griechischen Antike erzählt: „Schätze erlangen große politische Bedeutung, wie aus Thukydides‘ denkwürdigen Passagen […] hervorgeht. Reichtum wird hier direkt in Macht verwandelt und stellt eine selbsterhaltende Einrichtung dar. Weil der reiche Mann Macht und Ehre besitzt, erhält er Bezahlungen: er wird mit Geschenken und Gebühren überhäuft, ohne dass er seine Macht zum Foltern oder Töten benutzen müsste, obwohl ihm sein Reichtum, als Fonds für Geschenkzwecke, genügend Macht verschaffen könnte, dies zu tun.“ (Die Semantik der Verwendung von Geld, in Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1979, S. 317-345, hier S. 324.) Schon hier also wird Geldmacht gegen politische Macht nicht qua Kauf und Verkauf getauscht, sondern derjenige, der Geldmacht hat, erhält politische Macht noch dazu.

Dass solche Macht ausgeübt wird, ohne eigentlich verausgabt zu werden, entspricht übrigens der Machttheorie von Niklas Luhmann, der darauf hinweist, dass Macht geschwächt wird, wenn sie eingesetzt werden muss. Mit unserer obigen Machtdefinition ist das gut verträglich, denn wenn Macht die Möglichkeit ist, Möglichkeit zu realisieren, dann ist Machtrealisierung etwas anderes als die Macht selber, die eben in der vorzeigbaren Möglichkeit als solcher und nicht in deren Realisierung liegt. Macht ist so etwas wie eine Aura, die entzaubert wird, wenn (privater) Gebrauch von ihr gemacht wird. Davon könnte man viele Geschichten erzählen, und eine ist tatsächlich die, dass die direkte Geldvergabe an Politiker Gefahr läuft, entdeckt zu werden, wonach sie sich in Ohnmacht verwandeln kann.

Was bei der normalen Interaktion von Kapitalist und Politiker geschieht, ist zwar irgendwie ein Tausch – der sich als „prästabilierte Harmonie“ von Kapitalisten- und Politikerwillen äußert -, aber kein  ö k o n o m i s c h e r  Tausch im strengen Sinn, zu dem eben Kauf und Zahlung gehören würden. Das heißt allerdings nicht, dass die Machtfrage kein ökonomisches Thema wäre. Im Gegenteil, sie steht offenbar viel mehr im Zentrum der Ökonomie, jedenfalls der kapitalistischen, als der ökonomische Tausch. Denn was ist kapitalistische Ökonomie, wie wir nicht müde werden mit Marx zu betonen? Der Versuch, den „unendlichen Mehrwert“ zu erlangen, indem man sich ihm durch schrittweises Wachstum unablässig nähert (MEW 42, S. 253). In früheren Notizen wurde ausführlich erörtert, inwiefern dieser Griff nach der Unendlichkeit, ob mit oder ohne Bewusstsein, faktisch einer nach der „göttlichen“ Allmacht ist. Wenn das zutrifft, ist das Kapital nicht irgendwie auch noch, sondern gerade  i m  K e r n  Machtstreben und Machtentfaltung, egal ob wir es als objektive Veranstaltung betrachten oder nach der subjektiven Motivation der „Charaktermasken“ fragen.

Der ökonomische Tausch Ware gegen Ware, Wert gegen Wert ist durchaus vordergründig, denn gerade das, worauf es im Kapitalismus ankommt, lässt sich durch ihn nicht erklären. Dieser Tausch dient von vornherein der Aufhebung seiner selbst, ist nichts weiter als die Vorbereitung des außerökonomischen Tauschs ökonomische gegen „metaphysische“ Macht, gegen Macht überhaupt. Mit andern Worten, es wird gar keine rein ökonomische Unendlichkeit, auch nicht bloß der „unendliche Mehrwert“ angestrebt, was aber selbst wieder ein ökonomischer Sachverhalt ist. Man kann kurz sagen, der „unendliche Mehrwert“ wird deshalb angestrebt, weil sich ökonomische Macht in Macht überhaupt verwandeln soll. Das stimmt ja auch mit den Gründen überein, weshalb in der Neuzeit Unendlichkeit zunächst außerökonomisch und dann erst auch ökonomisch angestrebt wurde.

Es ging von Anfang an, es geht dann auch in der ökonomischen Version darum,  d a s  h ö c h s t e  W e s e n  z u  k o n s t i t u i e r e n . Darauf wollte Walter Benjamin aufmerksam machen, als er schrieb, der „Kultus“ der kapitalistischen „Religion“ werde „vor einer ungereiften Gottheit zelebriert“: „Es liegt im Wesen dieser religiösen Bewegung […] das Aushalten bis ans Ende, bis an die endliche völlige Verschuldung Gottes“, eine Kreditierung, von der man hofft, dass sie in Gewinn umschlägt und dahin, einst in der heute noch „ungereiften“ Gottheit sich selbst erkennen zu dürfen. (Kapitalismus als Religion, in Gesammelte Schriften Bd. 6, Frankfurt/Main 1985, S. 100-103)

Zu sagen, das Kapital strebe den unendlichen Mehrwert an, kann als kühne Behauptung erscheinen. Man sieht nicht, wie sie empirisch belegt werden könnte. Aber der Beleg liegt darin, dass es schon während des Prozesses, der zum Unendlichen treibt, Kapitalisten gibt, die an gigantischer Machtentfaltung Gefallen haben und sich im Grunde benehmen, als wären sie das Höchste Wesen.

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Den Kapitalismus beseitigen und an seiner Stelle die Andere Gesellschaft errichten heißt jegliche kapitalistische Geldmacht beseitigen. Mit deren Ende fällt das Mittelglied weg, das den Gewinnerwerb, subjektives Motiv der „Charaktermasken“ des Kapitals, mit Unendlichkeit, „unendlichem Mehrwert“, dem objektiven Fluchtpunkt der kapitalistischen anonymen Strategie verbindet. Beseitigung der Geldmacht heißt zweierlei. Zum einen steht alles Geld, das für Lebensmittel aufzuwenden den Kapitalisten desto weniger gelingt, je reicher sie werden, der Gesellschaft für ihre in Wahlen ermittelten Investitionspläne zur Verfügung. Es wird in diesem Sinn „enteignet“, was aber gar nicht heißt, dass es den Reichen weggenommen wird, wohl aber dass sie der bestimmten Verwendung zustimmen müssen, die von der Gesellschaft verlangt wird, zu der sie selbst gehören. Das wiederum heißt ja nur, sie  m ü s s e n  tun, was sie angeblich seit jeher auch  w o l l e n , nämlich mit ihrem Geld solche Güter produzieren lassen und  a n b i e t e n , die  n a c h g e f r a g t  werden.

(Fußnote: Wenn alles, was Kapitalisten nicht für den persönlichen Konsum verbrauchen können, der Gesellschaft zur Verfügung steht, dann heißt das nicht im Umkehrschluss, dass die Gesellschaft ihnen selbst ausschließlich die Entscheidung über den Umfang ihres persönlichen Konsums überlässt. Das tut sie nicht einmal heute, sondern besteuert umfangreiche Vermögen besonders stark. Für die Zukunft gibt es Vorschläge, Vermögensgrenzen einzuführen, etwa in der Form einer „100-Prozent-Steuer“ für Vermögensanteile über die Grenze hinaus. Karl-Ernst Lohmann, auf dessen Überlegungen zum Grundeinkommen ich mich in einem früheren Kapitel gestützt habe, schlägt für die Bundesrepublik eine Höchstgrenze von 30 Millionen Euro vor, das wäre das 1000-fache des jährlichen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf – sehr wenig im Vergleich zu tatsächlichen Spitzeneinkommen heutzutage, weshalb Lohmann von einer „Peanuts-Schranke“ spricht [Begrenzen statt lindern. Eine ökonomische Phantasie, in kultuRRevolution 59, 2010, S. 20-29, hier S. 26]. Ich füge das nur ein, um die Problematik zu vervollständigen, und komme vielleicht später darauf zurück, es ist aber hier und jetzt, wo es nicht um Verteilungsgerechtigkeit, sondern den Zusammenhang von Geld und Macht geht, nicht mein Thema.)

Die Kapitalisten müssen also ihr überschüssiges Vermögen nach Maßgabe des Resultats der gesellschaftlichen ökonomischen Wahlen verwenden. Das ist die objektive Seite der Aufhebung des kapitalistischen Machtmotivs. Die subjektive Seite ist ebenso wichtig: Die Gesellschaft setzt „hegemonial“ ihre Überzeugungskraft ein, den Willen zur unendlichen Macht aufzulösen. Dabei geht es nicht darum, die menschliche Machtmotivation an und für sich, die etwas Natürliches ist, zu beseitigen, also den Willen jedes Individuums, hinreichend viele, ja auch „mehr“ realisierbare Möglichkeiten zu haben. Denn nur der Wille zur  u n e n d l i c h e n  Macht ist problematisch. Der Versuch, ihn zu diskreditieren und erst einmal sichtbar zu machen, dürfte chancenreich sein. Unendliche Macht ist böse, weil sie sich beliebig äußern kann; mit Recht hat man gesagt, der Ort, wo „tu was du willst“ und „alles ist möglich“ gegolten hat, sei Auschwitz gewesen.

Die Menschen werden gelernt haben, den Unterschied von fallweise möglichkeitsnaher Macht, die unproblematisch ist, und nicht akzeptabler unendlicher Macht schon in der Bewegung G-W-G‘ wahrzunehmen. Die Formel verrät ja nicht, ob der Weg von der Kreditierung (G) über die Rückzahlung mit schwarzen Zahlen (G‘) nach erfolgtem Warenverkauf (W) fallweise beschritten wird oder mit dem Ziel des Machtzuwachses, wo es zur Produktion, zum Angebot der Ware nicht wegen der Nachfrage nach ihr kommt, sondern weil sie gleichgültige Marke im Spiel um möglichst viel Mehrwert ist; sie verrät nicht, ob G‘ ein jeweiliges Weg-Ende ist oder nur der Anfang, von dem aus es weitergehen soll zu G“, G“‘ bis zum „unendlichen Mehrwert“. Doch es nützt nichts. Obwohl die Formel es nicht verrät, können die gesellschaftlichen Individuen als Beobachter je und je danach fragen, und vor ihrer geschärften Aufmerksamkeit wird es nicht zu verheimlichen sein.

Dass es dem Kapitalisten heute gelingt, seinen Willen zur unendlichem Macht hinter einer Nachfrage, die er scheinbar fallweise befriedigt, in den ersten Stadien seines Wegs G => G‘ => G“ => usw. noch zu verstecken, kann man als eine Konfusion begreifen: Er hat noch keine andere Macht als die, besondere Ziele zu erreichen, indem er sein Geld  a u s g i b t , kann aber auch schon  z e i g e n , dass er die Möglichkeit hat es auszugeben. Hier hat der Tausch G = G‘ noch spezifisch ökonomischen Sinn neben dem unendlichen Machtsinn, der aber unsichtbar bereits in ihm arbeitet. Später dann, wenn genügend Mehrwert angesammelt ist, tritt der Machtsinn eigenständig hervor, indem das Geld zwecks Erreichung generalisierter, politischer Ziele statt ausgegeben  n u r  n o c h  gezeigt zu werden braucht.

Wir können mit dieser Unterscheidung auf die zitierten Hinweise Walter Benjamins zurückkommen, denn auch in ihnen ist sie enthalten. Zunächst wird das kapitalistische Geld wirklich  a u s g e g e b e n : Man verschuldet sich. Doch häuft man unendliche Schuld an, die nur ein „Gott“ begleichen kann. Diese Schuld wird angehäuft,  w e i l  sie dem „Gott“  g e z e i g t  werden soll: „Ein ungeheures Schuldbewusstsein […] greift zum Kultus, um […] den Gott selbst in diese Schuld einzubegreifen“, ihn nämlich „an der Entsühnung zu interessieren“. Immer mehr Geld bekommt „Gott“ zu sehen, nicht damit er etwas verkauft, sondern damit er den rechtfertigt, der es ihm zeigt. Dazwischen aber, dass erstes Geld akkumuliert und zuletzt „Gott“ einbegriffen wird, liegt unsere Gegenwart, in der die schon ziemlich großen Geldsummen heutiger Kapitalisten dem kleineren Statthalter „Gottes“, dem Staat nämlich, gezeigt werden, weil erst einmal er an der „Entsühnung“ beispielsweise einer systemrelevanten Bank „interessiert“ werden muss. Denn so wenig wie ohne „Charaktermasken“ könnte das Kapital ohne die Staaten auch nur einen Tag überleben.

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Hieraus will ich eine ökonomische und eine politische Schlussfolgerung ziehen. Mit der ökonomischen kehre ich zu einer Frage zurück, die Polanyi aufgeworfen hat: Ist es an und für sich fatal, dass Geld zur Ware wird? Ich sage Nein. Der Tausch G-W-G‘, anders geschrieben G = G‘ ist nicht fatal. Es ist im Gegenteil nützlich, wenn Geld kreditiert wird und der Kredit bezahlt werden muss. So stellt sich nämlich heraus, ob der Kreditnehmer gut wirtschaften und also schwarze Zahlen schreiben, infolgedessen mit Zins zurückzahlen kann. Ja, aber die Macht! Von der Macht, die unendlich werden will, haben wir gesagt, sie sei zwar nicht Ware, weil sie eben nicht ge- und verkauft wird, es finde aber doch eine Art Tausch oder „prästabilierte Harmonie“ zwischen ihr und der Staatsmacht statt. Meine Antwort lautet daher ausführlicher: Geld soll in noch zu erörternden Grenzen Ware bleiben, Macht aber, die unendlich werden will, darf keine Chance haben, darf daher auf keine Art ökonomisiert werden.

Das leitet zur politischen Schlussfolgerung über. Wie man weiß, werden Ökonomie und Politik marxistisch als „Basis und Überbau“ unterschieden, das ist auch korrekt. Aber man lasse sich nicht verwirren, denn kapitalistische Ökonomie selber ist genau dadurch charakterisiert, dass sie – nicht nur hier und da, sondern grundsätzlich – eine  K o n f u s i o n  v o n  ö k o n o m i s c h e m  u n d  M a c h t s t r e b e n  ist. Eben deshalb muss sie abgeschafft werden.

Weil Kapitalismus mehr ist als Ökonomie, ist Macht kein Begriff, der speziell auf Politik verwiese. Er sollte es aber tun. Täte er es, hieße das ja nur, dass jegliche Macht, auch jede individuelle, gesellschaftlich eingebettet wäre. So wie wir auch vom Eigentum mit Marx gefordert haben, es solle zwar individuell sein, mehr als je im Kapitalismus, aber nicht „privat“ werden in dem Sinn, dass jeder gesellschaftliche Zugriff ausgeschlossen wäre. Was dann jedenfalls „Abschaffung des Kapitalismus“ heißt, ist klar: Man muss die Konfusion von ökonomischem Streben und Machtstreben auflösen, man muss ganz einfach Ökonomie auf Ökonomie reduzieren.