(113) Die Mehrheit entscheidet?

Zweite Abteilung / 1. Die Proportionswahl ist eine Wahl besonderer Art / Fünfter Teil – Proportionswahlen

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Wie sieht eine Proportionswahl aus, in deren Resultat kein unverbindliches Ad hoc-Traumbild der Wählenden erscheint, sondern ihre wirkliche Nachfrage über eine ganze Wahlperiode hinweg? Mit dieser Frage, die sich bislang nur der Staat stellte, indem er der einzige politische Wähler ökonomischer Strukturen war, ist in der Anderen Gesellschaft die ganze Bevölkerung konfrontiert. Denn nun geht es demokratisch zu, nun wählen alle. Zur Beantwortung ist mehr als eine Überlegung erforderlich.

In der vorigen Notiz wurde gezeigt, dass die Proportionswahl möglicherweise als „Zensuswahl“ gestaltet sein muss, weil die Kaufkraft der Wählenden, die zum Begriff der Nachfrage notwendig gehört, nicht gleich ist. Das ist noch nicht alles. Eine zweite Überlegung muss dem Umstand gelten, dass es neben Produktklassen, die infolge der Wahl vielleicht ein neues proportionales Verhältnis zu andern Produktklassen eingehen, auch Produkte gibt, bei denen zu entscheiden ist, ob es sie überhaupt geben soll oder nicht. Atomstrom und genetisch veränderte Lebensmittel sind Beispiele. Heute entscheidet auch hier der Staat, wie aber, wenn in der Anderen Gesellschaft sage neunzig Prozent des Elektorats den Atomstrom ablehnen, zehn Prozent ihn präferieren? Erhält dann der Atomstrom einen zehnprozentigen Anteil an der Stromversorgung? Dann hätten die neunzig Prozent gar nichts erreicht, denn sie sind ja deshalb gegen Atomstrom, weil schon ein einziges AKW havarieren kann. Und eine dritte Überlegung wird notwendig: Wie vertragen sich ökonomische Wahlprogramme, die ich als konstitutives Moment der Proportionswahl eingeführt habe, mit einer Nachfrage, die nicht  e i n e m  Programm hundertprozentig folgt, sondern Elemente aus mehreren, ja allen entnimmt?

Bei dieser dritten Überlegung geht es darum, dass ein Wahlergebnis der Nachfrage nicht entspräche, wenn es die Produktion auf ein  e i n z e l n e s  Programm, sei’s mit noch so großer Mehrheit gewählt,  v o l l  f e s t l e g e n  wollte. Bei der zweiten, mit der ich jetzt zunächst fortfahren will, geht es umgekehrt darum, dass es trotz allem möglich sein muss,  e i n z e l n e  Produkte  g a n z  a u s z u s c h l i e ß e n . Sonst wäre ja der heutige undemokratische Zustand dem demokratischen der Anderen Gesellschaft in mancher Hinsicht vorzuziehen. Zu klären ist, ob und wie sich der Ausschluss von Produkten – statt dass auch sie als Minderheitsbedarf in die gesellschaftliche Nachfrage eingehen – mit dem demokratischen Charakter der Proportionswahl verträgt. Wenn es gelingt, die Frage zu bejahen, ist weiterhin zu klären, wie man den Bereich solcher Entscheidungen eingrenzt, denn sie können nur die Ausnahme sein, nicht die Regel.

Das Problem der demokratischen Legitimation kann nach dem Vorbild der analogen Frage bei Parlamentswahlen gelöst werden. Wir haben gesehen, dass die Proportionswahl der Parlamentswahl in Vielem gar nicht ähnelt. Hier aber tut sie es. Es gibt zwar immer eine Partei, die mehr Wählerstimmen erhalten hat als alle anderen Parteien, aber selbst wenn das „Mehrheitswahlrecht“ gilt, bedeutet das niemals, dass nur sie allein Abgeordnete ins Parlament schickt. Vielmehr ziehen Vertreter aller Parteien ein. Wenn wie in Deutschland das „Verhältniswahlrecht“ gilt, ziehen sie im Verhältnis des Gewichts ein, das ihnen die Wähler gegeben haben. Hier geschieht also das, was in der Anderen Gesellschaft auch ökonomisch geschehen soll: Infolge einer Wahl verschieben sich die Proportionen, in denen die Parteien zueinander stehn – wenn das „Verhältniswahlrecht“ gilt, sind Parlamentswahlen Proportionswahlen. Und doch können einzelne Parteien ganz ausgeschlossen werden.

Eine Nazipartei wird nicht proportional berücksichtigt; ihr sind die Tore des Parlaments verschlossen, sie darf gar nicht existieren. Wenn wir überlegen, warum das so ist, wollen wir von Dingen absehen, die für sich genommen wichtige Debattenobjekte sind, im gegenwärtigen Kontext aber nichts beitragen. So von der Fünfprozentklausel, die nicht nur Naziparteien draußen hält. Darum kümmern wir uns jetzt nicht. Interessanter ist schon, dass in andern Ländern auch Naziparteien zugelassen sind, weil man sicher ist oder zu sein glaubt, sie mit allein politischen Mittel niederhalten zu können. Denn das heißt ja, man hält es dann für  a u s g e s c h l o s s e n , dass Naziparteien der parlamentarischen Demokratie gefährlich werden können. Man geht also nicht nur in Deutschland, sondern überall davon aus, dass wo Demokratiefeinde einflussreich sind, es Demokratie nicht geben kann; deshalb ist ihr Einfluss eine Gefahr, die ausgeschlossen wird. Das ist immer das Erste. Zweitens stellt sich dann noch die Frage, ob man die Gefahr mit politischen oder Rechtsmitteln ausschließt.

Wenn sich eine Analogie zum Ökonomischen herstellen lässt, müsste sie darin liegen, dass bestimmte Produkte ausgeschlossen werden, weil sie, wie man annehmen würde und begründen können müsste, „mit dem Ganzen unverträglich“ sind. Dazu gleich mehr. Wir bleiben aber noch bei der Parlamentswahl und fragen, ob sich das eben negativ Gesagte auch positiv aussprechen lässt. Warum sind denn nicht auch Parteien ausgeschlossen, die sich als Gegner ständig bekämpfen? Warum ist  d a s  mit Demokratie verträglich, ja macht sie geradezu aus? Die Antwort steht schon in den Federalist Papers, dem wichtigsten Urdokument der US-amerikanischen Verfassung: weil solche Parteien sich auf der Grundlage bekämpfen, dass es zunächst einmal in gewissen Elementarfragen einen Konsens zwischen ihnen gibt. Dieser Konsens macht es den Verlierern einer Parlamentswahl möglich, sich mit ihrer Rolle dennoch abzufinden, und er verpflichtet die Sieger, ihren Sieg nicht schrankenlos auszunutzen.

Demokratie heißt also nicht einfach, dass die gewählte Mehrheit herrscht. Man hat’s in Ägypten gesehen: Wenn eine radikalreligiöse Mehrheit sich selbst und der eher säkularistischen Minderheit auferlegt, Grundlage des Rechtssystems habe die Scharia zu sein, ist das keine Demokratie, auch wenn die Mehrheit noch so sehr in Wahlen ermittelt wurde. Und man hat’s in Tunesien gesehen: Da haben Mehrheit und Minderheit den Konsens gefunden. Ohne ein analoges Konsensprinzip wäre auch keine ökonomische Demokratie tragfähig. Worin es aber besteht, ist leicht zu sagen, denn es gilt schon heute: Warengruppen, die nur von einer Minderheit nachgefragt werden, müssen auch der Mehrheit zulässig erscheinen. Das Umgekehrte gilt auch. Wenn eine starke Minderheit die Nachfrage der Mehrheit radikal ablehnt, bewegt sich die Ökonomie auf Grenzen ihrer Legitimität zu, ja manchmal sogar, und eben deshalb, des Funktionierens. Siehe Stuttgart 21.

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Wann aber kann von einer ökonomischen Frage gesagt werden, sie sei so elementar, dass Konsens über sie bestehen müsse, weil sonst die ökonomische Legitimation nicht ausreiche? „Wenn ein Produkt das Ökosystem der Erde bedroht“ wäre eine zu pauschale Antwort. Denn dann könnte man auf die Idee kommen, das Auto verbieten zu wollen, was sich nur um den Preis einer Ökodiktatur – sei’s auch der Mehrheit über die Minderheit – erreichen ließe. Gerade weil Diktaturen illegitim sind und deshalb notwendig scheitern, suchen wir ja stattdessen die demokratische Lösung. Wenn nun jemand sagen würde, man könne eben nicht inhaltlich argumentieren, sondern müsse „Legitimation durch Verfahren“ anstreben, würde das auch nicht weiterhelfen. „Legitimation durch Verfahren“ hieße in unserm Fall, dass nur eine  q u a l i f i z i e r t e  Mehrheit Produkte ausschließen kann. Eine solche Mehrheit will aber vielleicht nicht nur Atomkraftwerke, sondern auch abstrakte Kunst oder Bibeln verbieten lassen. Ägypten ließe grüßen.

Wir haben indessen den Kerngrund, weshalb im Parlamentarismus Parteien ausgeschlossen werden können, noch gar nicht berücksichtigt. Der liegt wie gesagt darin, dass es, wo Demokratiefeinde einflussreich sind, keine Demokratie geben kann. Analog kann es keine Ökonomie der Lebensmittel geben, wenn solche mit hochwirksamen Todesmitteln vermengt sind. Das hieße aber, es kann dann keine Ökonomie geben, denn „Ökonomie der Lebensmittel“ ist tautologisch. Die Ökonomie einer Gesellschaft  b e s t e h t  d a r i n , dass sie sich ihre Lebensmittel, das Wort im weiten Sinn genommen, beschafft. Was nun Atomkraftwerke angeht, sind sie schon in einem engen Sinn nicht nur Lebensmittel, indem sie eine Zeitlang Strom spenden, sondern auch Todesmittel, indem einige früher oder später havarieren. Das Argument dafür, dass auch der Ausschluss genetisch veränderter Nahrung legitim wäre, ist komplizierter, läuft aber letztlich aufs Selbe hinaus. Denn die genetische Veränderung bedroht das Leben zwar nicht mit Sicherheit,  k ö n n t e  es aber bedrohen, was nicht einmal ernsthaft bestritten wird. Wer für sie eintritt, behauptet ja meistens gar nicht, dass sie ganz ungefährlich sei, sondern macht sich etwa über „Bedenkenträger“ lustig.

Hiergegen ein Prinzip zu formulieren, das einleuchtet, ist nicht schwer. Ota Sik hat es getan. Bei „großen volkswirtschaftlichen Änderungen“, schreibt er, muss es „ein ex-ante-Absicherungsziel“ geben: Im Fall des Misserfolgs dürfen die erwartbaren Schäden nicht größer sein, als sie es bei Verzicht auf die Änderungen wären. Und „ein ex-post-Absicherungsziel“: Die Mehrheit muss die Änderungen akzeptieren und etwaige Schäden auch wieder beseitigen können. (Humane Wirtschaftsdemokratie. Ein dritter Weg, Hamburg 1979, S. 39) Einfacher gesagt, ist die Gesellschaft kein Feld für lebensgefährliche Experimente. Wenn das einzelne Individuum mit sich experimentiert, indem es zum Beispiel raucht, ist das ein ganz anderer Fall. Von der Art ist genetisch veränderte Nahrung nicht, denn es wird unmöglich sein, sie von genetisch unveränderter in den Regalen sauber zu trennen. Und schon bei der Produktion lässt sich nicht garantieren, dass die Biologie der veränderten Gene an der Ackergrenze des Befürworters Halt macht.

Nun könnte man auch das Auto zum „Todesmittel“ erklären. Auch hier gilt ja, dass es sein Gas, seinen Feinstaub nicht für sich behält, sondern an alle austeilt. Dennoch ist der Fall anders gelagert. Denn es reicht nicht, eine Erklärung abzugeben. Sie muss auch überzeugend sein. Die Debatte ums Auto ist noch weit entfernt von Klarheit und Zuspitzung. Selbst die Grünen scheinen zu glauben, man brauche es nur auf Elektrizität umzustellen. Abgesehen davon wäre gegen eine hinreichend geringe Menge von Autos – die den Umweltraum nicht überfordert – auch wirklich nichts einzuwenden. Diese Menge kann nur als Ergebnis von Wahlen angestrebt werden.

Die Gefährlichkeit genetisch veränderter Nahrung ist dagegen unmittelbar bewusst, in Europa jedenfalls. Am Leerlauf der Versuche, sie trotzdem zu bestreiten, ist es ablesbar. Wenn zum Beispiel geklagt wird, dass bei den Gegnern die „gefühlten Risiken […] alle anderen Aspekte“, die doch so großartig sind, „bereits im Vorfeld [überwiegen]“; wenn der Schluss gezogen wird, die Ablehnung des riskanten Produkts sei möglicherweise „in Wahrheit kein Ausdruck eines ökologischen Denkens, sondern des Wunsches nach Verständlichkeit und technischer Beherrschbarkeit, der ein elementares Bedürfnis ist“; wenn es spöttisch heißt, wir „sehnen uns nach einer empirischen Erfassbarkeit der Dinge, um ihnen vertrauen zu können“ – Zitate aus dem Buch von Andreas Möller, Das grüne Gewissen. Wenn die Natur zur Ersatzreligion wird, München 2013 -, ist die Grenze zur Illegitimität erkennbar überschritten. Über solche „Argumente“ darf sich eine Mehrheit, die ein riskantes Produkt verbieten will, getrost hinwegsetzen.

Eine qualifizierte Mehrheit müsste es schon sein. Aber da liegt der Hase im Pfeffer. Denn was die Ablehnung der Atomenergie angeht, hat sie in Deutschland über Jahrzehnte bestanden, ohne dass der Staat Konsequenzen zog. Und wie schreibt am Montag die FAZ: „Tatsächlich sind nach Umfragen mehr als 80 Prozent der Deutschen und knapp 60 Prozent der Europäer gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Bei der Verwendung solcher Pflanzen in Futter oder Lebensmitteln ist das Votum etwas knapper, aber immer noch klar. Dennoch haben die EU-Mitgliedsstaaten immer wieder gentechnisch veränderte Organismen zugelassen, immer begleitet von einem Aufschrei von Gruppen wie Greenpeace oder dem Bund für Umwelt- und Naturschutz, aber ohne große öffentliche Resonanz.“

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Nun zur Frage, welche Rolle die Wahlprogramme spielen. Es kann nicht so sein, dass ein einzelnes siegt und die anderen unberücksichtigt bleiben. Auch dann wäre ja nicht die reale gesellschaftliche Nachfrage ermittelt, sondern eine Mehrheit der Nachfragenden würde über die Nachfrage auch der Minderheit entscheiden. Man muss also aus dem Verhältnis des Stimmengewinns der verschiedenen Programme eine Resultante bilden. Wie oben gesagt, wird das schon der einzelne Wähler getan haben, indem er dem einen Programm dieses, dem andern jenes Element entnommen hat.

Warum muss es die Programme dann überhaupt geben? Aus drei Gründen. Erstens zeigt jedes von ihnen das ökonomisch  M ö g l i c h e  auf. Das ist der zentrale Grund, den ich schon früher genannt habe. Zweitens können sie eben deshalb die Wähler orientieren. Es ist auch zu erwarten, dass ihnen überwiegend so zugestimmt wird, wie sie sind; Übersprünge der Wählergruppe, die sich hinter ein Programm stellt, zu andern Programmen werden sich in Grenzen halten. Drittens wird jede Kraft, die der Gesellschaft ihren Vorschlag unterbreiten will, darauf festgelegt, bis zur Peinlichkeit offen zu sein. Niemand kann sich mehr darauf zurückziehen, nur die eine Produktklasse anzupreisen, sondern muss immer auch deutlich machen, was es für andere Produktklassen bedeutet. So wie es Sigmar Gabriel schon heute nicht möglich ist, nur zu sagen, er wolle die Kohleindustrie fördern, weil sie gebraucht werde. Notgedrungen ergänzt er, dass dann der Ausbau der erneuerbaren Energien reduziert werden muss. Denn das ist die logische Kehrseite. Wer in der Anderen Gesellschaft ein Wahlprogramm unterbreitet, muss sich an ein vorgegebenes Programmschema halten und es Stück für Stück „ausfüllen“. Dazu gehören dann auch Dinge, die ein Sigmar Gabriel nicht antastet, zum Beispiel wie Preissteigerungen „zustande kommen“, das heißt wie sie gemacht werden. Auskünfte darüber werden nachprüfbar sein, weil es eine Grundvoraussetzung unsers Modells ist, dass Unternehmen kein Recht auf ökonomische Geheimnisse haben.

Das Modell läuft darauf hinaus, dass die Wähler ihre Proportionsentscheidungen im Umkreis eines oder mehrerer Programme treffen, die der Orientierung dienen, und die Entscheidungen dann zuletzt „zusammengefasst“ werden. Darin kommt der Konsens zum Ausdruck, von dem oben die Rede war. Nachfragende eines Typs halten eben auch andere Nachfragetypen für zulässig. Was für unzulässig gilt, muss vorher geklärt worden sein. Das heißt, der Wahl der Proportionen geht gegebenenfalls die Entscheidung über den Ausschluss einer Produktklasse voraus. Die Wahl ist ohnehin mehrstufig, was im Zeitalter des Computers gar keine Probleme aufwirft. Es muss ja zuletzt auch die „Zusammenfassung“ der Entscheidungen, von der ich eben sprach, darauf geprüft werden, ob ökonomisch  m ö g l i c h e  Proportionen herausgekommen sind. Vielleicht sind sie es nur um den Preis von Modifikationen, die wiederum zur Wahl gestellt werden.

Damit das Mögliche herauskommt, ist noch ein weiterer Gesichtspunkt wichtig. Was der einzelne Wähler wählt, muss sich mit seinem Portemonnaie vertragen. Grundsätzlich habe ich das schon berücksichtigt im Gedanken der „Zensuswahl“, der den Einzelnen nach seiner Kaufkraft teilnehmen lässt. Die Wahlprogramme können aber nur verlässlich sein, wenn die Verfasser wissen, wie sich die Kaufkraft nach Produktklassen aufschlüsselt. Über die „Geldkarten“, die ich in der letzten Notiz erörterte, wäre es genauer möglich als heute. Vielleicht brauchen wir das gar nicht, es sei aber gesagt: Wenn etwas gekauft wird, könnte nicht nur die Gesamtsumme des Kaufs vom Verkäufer, der es an die Instanzen der Gesellschaft weiterleitet, anonym erfasst werden, sondern auch ebenso anonym, welche Produktklassen in welchem Verhältnis der Käufer einbezogen hat. Wenn er sein Portemonnaie aufteilt, spielen die Preise mit. In den Programmen muss natürlich auch „ausgefüllt“ sein, welche Preisentwicklungen für möglich gehalten werden.

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Wer solche Überlegungen anstellt, in denen es um neue Möglichkeiten geht und somit auch um Möglichkeitsbedingungen, gerät in ein Dilemma der politischen Kommunikation. Mein Alltag zeigt mir viel Freiheit, wirkliche Freiheit, denn ich werde an der langen Leine geführt. Mit der „langen Leine“ meine ich die ökonomischen Notwendigkeiten. Sie setzen sich heute oft nur blind durch. Darin liegt, dass ich ihnen kaum Aufmerksamkeit schenke. Die Übertreibung der Ideologie tut das Übrige. Ich fühle mich also erstens frei und halte mich zweitens für freier als ich bin. Und nun kommt jemand, in diesem Fall bin ich es selbst, der mir sagt, wie ich zu mehr Freiheit käme. Um das zu erläutern, gibt er neue Notwendigkeiten, sprich Freiheitsgrenzen an. Vielleicht ist sein Vorschlag unplausibel, dann ist es rational, ihn zu verwerfen. Aber ob er plausibel ist oder nicht, werden Freiheitsgrenzen in ihm genannt sein. Sie sind zwar weiter gezogen als heute. Zunächst aber fällt mir auf, dass da überhaupt von Grenzen die Rede ist. Das bin ich nicht gewohnt. Bleibe ich deshalb lieber bei der Freiheit, die ich habe? Unter Ökologen wird das Dilemma seit langem diskutiert; die einen sagen, man verändere die Gesellschaft nicht, wenn man sie auf Grenzen hinweise, die andern, gerade das müsse man um der Wahrheit willen tun. Die Standpunkte stehen nur gegeneinander. Vielleicht gelingt es uns später noch, sie zu vermitteln.