(49) Der Punkt

4. Theorien über den Wert: Der innermarxistische Positivismusstreit

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Wir sind dabei zu beobachten, wie Dieter Wolf, ein Vertreter der Neuen Marxlektüre, die Wertgleichung und Ware-Geld-Beziehung bei Marx interpretiert. Wenn Menschen Waren austauschen, sagt er, handeln sie unter dem Zwang, den das „gesellschaftliche Verhältnis der Sachen“ ihnen auferlegt; durch ihre „Gedankenbewegungen“, die weit entfernt sind, ihr Handeln zu bestimmen, werden sie nur „motiviert“, zu tun, was sie tun müssen. Wolfs Versuch, die Zwangsthese durch eine allgemeine Theorie von „Strukturen“, die allem Handeln vorausgingen, zu rechtfertigen, sozialen, nicht physikalischen „Strukturen“, die dennoch „wie die Schwere“ wirksam sein sollen, haben wir schnell als indiskutabel beiseite gelegt. Wovon er aber überhaupt spricht, ist jetzt erst zu untersuchen. Er spricht vom Verhältnis der Gegenstände des ersten und zweiten Kapitels im Marxschen Hauptwerk zueinander. Das erste Kapitel erklärt, wie es im Warentausch zur „allgemeinen Äquivalentform“ und folglich zur „Geldform“ kommt. Damit ist der Ort des Geldes angegeben; das zweite Kapitel fragt, weshalb Gold das Ding ist, das ihn zu Marx‘ Zeit erobert hat.

Wolf schreibt, „dass Marx im ersten Kapitel nach der allgemeinen Äquivalentform die qualitativ mit ihr gleiche, aber ein historisches Moment einschließende Geldform behandelt“, und gleich anschließend noch pointierter: „dass es, von dem historischen Unterschied zwischen dem allgemeinen Äquivalent und dem Geld abgesehen, keinen qualitativen Unterschied gibt“ (Kritische Theorie und Kritik der politischen Ökonomie, Hamburg 2004, online-Version S. 42 f.). Wenn man genau formuliert, gibt es auch nicht einmal einen „historischen Unterschied“, sondern Wolf will sagen, dass sich der zum Teil historisch konnotierte Begriff „Geldform“ vom gänzlich nichthistorischen Begriff „allgemeine Äquivalentform“ unterscheide. Daran, dass beide Begriffe das Gleiche bezeichnen, wird dadurch ja weder historisch noch „logisch“ das Geringste geändert. Doch sollen wir immer dessen eingedenk sein, dass „allgemeine Äquivalentform“ ein „logischer“, kein historischer Begriff sei.

Das heißt, er ist logisch abgeleitet. Und zwar ist er es aus der Preisform einer beliebigen Ware, die mit x Ware A (ausgepreiste Ware) = y Ware B (Ware, in der bezahlt wird) angegeben werden kann. In der einzelnen, zufälligen Wertform der B-Ware, die womöglich  n u r  gegen die A-Ware zu tauschen ist, liegt nämlich eine der Tauschgesellschaft unzumutbare, ja mit ihr unvereinbare Beschränkung. Wenn man eine solche Beschränkung denkt – die abstrakt möglich ist, konkret aber nicht, weil es die Tauschgesellschaft ja gibt, wir leben in ihr -, muss man sogleich unterstellen, dass sie immer schon überwunden wurde, was logischerweise nicht anders als durch den Schritt vom beschränkten zum überall unmittelbar Tauschfähigen geschehen sein kann. Dieses, die „allgemeine Äquivalentform“, ist dann aber schon das Gleiche wie die „Geldform“. Doch während die erstgenannte Form ausspricht, was ersichtlich eine Tautologie und insofern „logisch“ ist – ein Zustand, der die Unmöglichkeit einer Beschränktheit voraussetzt, setzt die Möglichkeit einer Unbeschränktheit voraus -, spricht die zweite vom Erfordernis der Tat: Wo unbedingt Geld gebraucht wird, müssen historische Kräfte einem Ding den Geldcharakter zusprechen.

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Wenn ich zunächst würdigen will, inwiefern hier tatsächlich von einem „gesellschaftlichen Verhältnis der Sachen“, das zu gewissen Handlungen zwingt, die Rede ist, kann ich das nur in einer Interpretation tun, die sich von der Wolfischen deutlich unterscheidet. Legen wir wie Marx die Gleichung „20 Ellen Leinwand = 1 Rock“ zugrunde. Dass sie gebildet werden kann, liegt daran, dass Leinwand wie Rock „Arbeitsgallerten“ und als solche das Gleiche sind. Was die Gleichung ausspricht, ist dann nicht nur das Gleiche, sondern das Selbe, ein und dieselbe Arbeitsleistung, die in zwei verschiedenen Ausdrücken formuliert wird: (20 Ellen Leinwand)-Arbeitszeit = (1 Rock)-Arbeitszeit. Als wenn man sagt: (7 + 5 ist zusammengezählt) 12 = (12 ist) 12. Es ist dieselbe 12, und es ist dieselbe Menge Arbeitszeit. Daran ist nichts Geheimnisvolles. Das Problem ist nur, dass man den „Arbeitsgallerten“ die in sie eingegangene Arbeitszeit nicht ansieht. Der Rock kann gleichsam nur behaupten, er habe so viel Arbeit gekostet wie die Ellen Leinwand. Das ist der Grund, weshalb man es ihm bestenfalls fallweise glaubt. Damit etwas überall und immer als Geld akzeptiert wird, muss es der Sphäre des Glaubens enthoben sein, will sagen, das „gleich viel kosten“ muss gesellschaftlich sanktioniert und in Gestalt eines Kosten-Gleichungsoperators sichtbar gemacht werden. Eben in Geldgestalt.

Und nun habe ich es ja selbst gesagt: Die Notwendigkeit der Auspreisung der von (20 Ellen Leinwand)-Arbeitszeit herrührenden 20 Ellen Leinwand, sie als pure Arbeitsgallerte betrachtet,  e r z w i n g t  die Schaffung des Gleichungsoperators, des Geldes. Erzwingt also eine „Struktur“ eine Handlung? Wer so spricht, überspringt etwas. Es ist doch eigentlich nur gesagt, dass die Notwendigkeit, eine Gleichung sichtbar zu machen, und zwar nicht irgendeine, sondern die der Auspreisung, einen Gleichungsoperator erzwingt. Das ist nicht anders, als wenn man sagt: Das Erfordernis einer gut organisierten mobilen Gesellschaft, die Nähe oder Ferne der Stadt Köln anzuzeigen, erzwingt einen Wegweiser mit aufgeschilderter Kilometerzahl. Es ist wahr, dass es Handlung ist, die beliebig vielen Wegweiser aufzustellen, und manche mögen es paradox finden, dass Köln sich dann durch ein Stück Holz oder Metall oder Plastik dargestellt findet, das ganz und gar nicht Köln ist. Ich finde es übrigens nicht paradox. Aber wie dem auch sei, wodurch wird denn eine solche Handlung „erzwungen“? Nur durch ein Wer A sagt, muss auch B sagen: Wer will, dass sich die Nähe oder Ferne von Köln zeigen soll, muss einen Wegweiser aufstellen. Also durch eine andere  H a n d l u n g , nicht „Struktur“; denn wenn B Sagen Handlung ist, dann doch auch A Sagen.

Wer will, dass sich die (20 Ellen Leinwand)-Arbeitszeit zeigt, muss den Gleichungsoperator aufstellen. Auch dies wird ersichtlich durch ein Wer A sagt, muss auch B sagen erzwungen. Aber die Redensart selber, so bekannt sie auch ist, ist keineswegs zwingend, vielmehr geradezu unsinnig. Sie lügt: Wer A sagt, muss natürlich  n i c h t  B sagen. Das fängt schon damit an, dass nicht A hätte gesagt werden müssen. Wenn dann aber nach A mit B fortgefahren wird, von Menschen, einer Gesellschaft, die es mit „gesellschaftlichen Sachen“ A und B zu tun haben, kann das aus Überzeugtheit geschehen sein, froher Gewohnheit oder blinder Routine, schließlich aus Angst und Gewalt, niemals aber allein aus „logischen“ Gründen. Übrigens ist die verlogene Redensart von Hannah Arendt erörtert worden, als typisch für einen totalitären Diskurs.

W e n n  „Wer A sagt, muss auch B sagen“ gilt,  d a n n  gilt „A erzwingt B“; sonst nicht. Daran ändert der Umstand nichts, d a s s es wahr ist – im hier betrachteten Fall des Warentauschs – , dass „Wer A sagt, muss auch B sagen“ gilt. Es ist aber nur jetzt wahr, war es nicht immer und muss es nicht immer bleiben.  F ü r  d i e  J e t z t z e i t  hat Wolf recht, von einem „gesellschaftlichen Verhältnis der Sachen“ A und B zu sprechen, welches Handlungen B wegen A erzwingt. Er spricht keinen Unsinn! Unsinnig ist nur die Verallgemeinerung, die übersieht, dass „B wegen A“ selbst wieder aus Handlung hervorging, die einst anders hätte ausfallen können, wie lang das auch her sein mag, und die in Zukunft anders ausfallen kann.

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Was aber meine Interpretation von der Wolfischen am meisten unterscheidet, habe ich noch nicht gesagt. Das betrifft die Wolfische Behauptung, die historisch konnotierte allgemeine Äquivalentform sei „qualitativ das Gleiche“ wie die Geldform. Man kann doch nur sagen, dass sie das Gleiche  b e d e u t e t . Das Geld bedeutet das Gleiche wie die damit bezahlte Ware, nämlich die gleiche und also dieselbe Arbeitsmenge. So wie das Wort „Köln“ auf dem Wegweiser die von ihm „qualitativ“ und überhaupt in jeder Hinsicht ganz verschiedene Stadt Köln bedeutet. Da kommt nun freilich eine Differenz ins Spiel, die schon Marx nicht beachtet hat. Von 20 Ellen Leinwand = 1 Rock kann gesagt werden, dass sie „qualitativ das Gleiche“ sind, als Arbeitsgallerten, in denen die gleiche und also dieselbe Arbeitszeit steckt. Nicht so von 20 Ellen Leinwand = 1000 Euro. Denn die Euro zeigen die entsprechende Arbeitszeit nur an; ich gehe zwar davon aus, dass auch zur Herstellung des Werts „1000 Euro“ nicht wenig Arbeitszeit erforderlich ist – wenn man bedenkt, was alles vorausgesetzt ist: ein Bankensystem, die Begrenzung von Diebstahl und so weiter -, doch wird er schwerlich in einem Äquivalenzverhältnis zu jener Ware stehen. Dazu ist er nicht da; er  b e z e i c h n e t  Äquivalenz, ohne äquivalent zu  s e i n .

Das heißt, er ist ein Zeichen. Marx hat das Geld zwar nicht als Zeichen erörtert, sondern als pures Äquivalenzding, und er hatte recht. Wenn es nämlich  n u r  Zeichen wäre, könnte es nie an ihm fehlen. Hier endet dann auch die Analogie zum Wegweiser. Unvorstellbar die Situation, dass einer vom Sturm umgerissen wird und man kein Mittel findet, ihn zu erneuern. Selbst wenn Holz, Metall und Plastik fehlen, was schon recht unwahrscheinlich ist, kann man immer noch einen Menschen, Verkehrspolizisten am Unglücksplatz aufstellen. Mit dem Geld verhält es sich anders. Geld kann verloren oder entwertet sein, ohne dass es möglich ist, es durch anderes Geld zu ersetzen. Geld ist tatsächlich nicht nur Zeichen. Es ist ein Ding, das, einmal eingeführt, in relativer Autonomie existiert. Die Autonomie besteht darin, dass es etwas Bestimmtes ist und alles davon abhängt, ob man dies Bestimmte hat oder nicht hat. Aber es ist  a u c h  Zeichen. Wie es zu seiner relativen Autonomie kommt, ist eine Frage für sich, aber das ist eben die Frage, wie  d i e s e s  Z e i c h e n  zu ihr kommt, im Unterschied zu anderen Zeichen wie dem Wegweiser. Der mag immer Zeichen sein, relativ autonom wird er niemals.

In der Sprache der linguistischen Wissenschaft kann formuliert werden, dass in einem gegebenen Zeitraum die Materialität des Zeichens „Geld“ nicht beliebig ist. Gemeint ist natürlich die Sache, die man mit Recht als „Geld“ bezeichnet, statt des bloßen Wortes.

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Nun wollen wir einbeziehen, dass Wolfs Behauptung, allgemeine Äquivalentform und Geldform seien „qualitativ das Gleiche“, die Annahme einschließt, die Äquivalentform sei eine „logische“, die Geldform hingegen eine zum Teil historische Kategorie. Zunächst muss auch hier das Richtige eingeräumt werden, wie Wolf selbst es ausspricht. Er beruft sich auf den Satz von Marx, dass eine systematische Darstellung zuletzt auf „letzte Gleichungen“ (Axiome) führt, die nicht mehr selber abgeleitet, sondern nur noch als historische Spur erfasst werden können. Wo das System auf sie stößt, ist der Systematiker aufgefordert, zur Untersuchung von Geschichte überzugehen. So verhält es sich laut Wolf mit „dem einfachen ‚Konkretum‘ Ware“: Mit ihm kommt die Marxsche „Darstellung der kapitalistischen Gesellschaft an ihre Grenzen und verweist auf eine bestimmte historische Vergangenheit“ (S. 41 f.).

Das ist richtig, und ich hätte mir natürlich gewünscht, dass Wolf an dieser Stelle tatsächlich zu historischen Untersuchungen geschritten wäre, die selbst wieder  a n d e r e  l o g i s c h e  Untersuchungen hätten herbeiführen können. Denn wenn wir hier an die Frage erinnert werden, ob und wie der Warentausch von der Logik, der er im Kapitalismus unterliegt, in andern Formationen teilweise befreit ist, dann sind wir doch erst bei dem Punkt, an dem nach der Rolle, die der Warentausch in der  n a c h k a p i t a l i s t i s c h e n , „kommunistischen“ Gesellschaft spielen oder nicht spielen kann, gefragt werden könnte. Doch wissen wir ja schon, das ist gerade der Punkt, den die meisten Vertreter der Neuen Marxlektüre, Wolf nicht ausgenommen, nicht kennen wollen.

Es bleibt die Konstruktion einer Gleichheit des „logischen“ mit dem auch historischen Moment. Dass es sich um Gleichheit handeln soll, haben wir abgewiesen. Abgesehen davon ist aber die Trennung als solche, zwischen einem teilweise historischen Moment und einem, das nur „logisch“ sein soll, nicht haltbar. Wenn wir dies betrachten, hier kurz präludierend und in der nächsten Notiz ausführlicher, stoßen wir immer tiefer zum Problemkern vor. Ich gebe jetzt nur einen Aufriss: Darin, dass die Marxsche „Geldform“ ein historisches Moment einschließt, ansonsten aber auch sich logisch aus der „allgemeinen Äquivalentform“ ergibt, bin ich mit Wolf einig. Es  m u s s  ein allgemeines Äquivalent geben, dieses i s t Geld, und wer vom Geld spricht, spricht von einer historischen Tat. So weit, so richtig. Aber die allgemeine Äquivalentform selber schließt auch ein historisches Moment ein. Um sich das klar zu machen, reicht es, auf die einfache Wertform zurückzugehen, aus der die allgemeine ja logisch entwickelt wird.

In x Ware A = y Ware B ist, wenn von der B-Ware als einem hier noch zufälligen Geld, dann natürlich von Historischem die Rede. Selbst wenn Marx irgendwo sagen würde, das sei nicht der Fall, wäre es so. Eine Ware ist eine real vorhandene Sache, und eine solche ist nun einmal immer historisch. Nur wenn wir es mit der Formel xA = yB zu tun hätten, könnten wir behaupten, hier sei von gar nichts Historischem die Rede. Diese Formel wäre reine Mathematik; x „Ware“ A = y „Ware“ B ist aber  i n t e r p r e t i e r t e ,  a n g e w a n d t e  Mathematik, und zwar ist sie auf Gesellschaftliches angewandt, somit auf Geschichtliches.

Einen Unterschied zwischen allgemeiner Äquivalentform und Geldform gibt es dennoch, nur nicht an der Stelle, wo Wolf ihn hintut. Logisch und historisch sind beide. Der Unterschied liegt nicht hier. Vielmehr darin, dass die allgemeine Äquivalentform dem Geld einen  O r t  i n  d e r  G l e i c h u n g s r e l a t i o n  schafft, während die Geldform hinzufügt, dass dieser Ort dann auch von  e t w a s  e i n g e n o m m e n  werden muss, und zwar von historischem Geld. Doch schon jener Ort in der Gleichungsrelation, dieses „y Ware B“, ist ganz eindeutig und explizit der Ort  e i n e r  W a r e  und somit von Historischem.

Weshalb wollen das manche Forscher nicht wahrhaben? Dies ist eben der interessante Problemkern: Es gibt ein Bedürfnis, etwas als rein „logisch“ fest- und aus allen Bezügen herauszuhalten, das es gar nicht ist und niemals sein kann. Es ist ein Problem, das über unsere derzeitige Debatte weit hinausweist; ich denke da wieder an Adorno, seine Husserl-Kritik – so viel für heute.