(74) Die Plakatmenschen

4. Wie Waren den Käufern unmittelbar begegnen / Vierter Teil – Vor der Erörterung von Proportionswahlen: Zugehörige neue, nicht mehr kapitalistische ökonomische Institutionen

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Werbung war in der letzten Notiz das Thema und wird es heute noch einmal sein, womit ich zugleich das ganze Kapitel abschließe, das danach fragt, wie Waren  s u b j e k t i v  begegnen, und zwar in der Anderen Gesellschaft anders als heute. Was heutige Werbung angeht, wurden ihre fünf Hauptmerkmale genannt: dass sie euphemistisch, metaphorisch und handlungsorientiert ist, sich ans Individuum adressiert und auf Mode reagiert. Ich fand es wichtig, hervorzuheben, dass es auch „öffentliche“ Werbung gibt, die etwa zur Wahl einer Partei, zum Ausfüllen eines Volkszählungsbogens oder zum Kauf von Kondomen aufruft. Sie hat mutatis mutandis dieselbe Struktur. Es kann gefragt werden, ob hier schon Elemente der Zukunft vorscheinen. Diese Frage muss deshalb gestellt werden, weil wir davon ausgehen, dass es in der Anderen Gesellschaft zwar kein Kapital, wohl aber die Ware-Geld-Beziehung noch gibt. Dann muss es auch Produktinformation geben, aber mehr noch, es muss auch dem Schönheitsbedürfnis der Menschen Genüge getan werden. Nicht nur Produktinformation, die lügt oder Wichtiges verschweigt – dass „nicht drin steckt, was draufsteht“ -, geht der Anderen Gesellschaft gegen den Strich. Sie wird sich auch jene Verlogenheit, die das Schönheitsbedürfnis pervertiert und instrumentalisiert, nicht mehr gefallen lassen.

Tatsächlich fanden wir, dass schon heute in einer Werbekampagne wie „Gib AIDS keine Chance“ der Weg gewiesen ist, der beibehalten werden kann, und gerade da, wo man es vielleicht am wenigsten erwartet: Sie ist euphemistisch, indem sie sich mit lustigen Bildern über eine ernste Sache äußert, und tut damit das Richtige. Euphemismen sind zwar in der heutigen Privatwerbung ein Mittel der Lüge. Aber man kann sie auf zwei verschiedene Weisen einsetzen, und nur eine davon ist verlogen. Verlogen ist es, wenn Angst euphemistisch totgeschwiegen wird, was deren Steigerung und den Verlust von Selbstkontrolle zur Folge haben kann. Leute werden dann kopflos und rennen in die Kaufhäuser. Ein Euphemismus kann aber der durchsichtige Schleier sein, der das Angsterregende gerade zeigt, so, dass man es noch aushält, sich seiner bewusst zu werden: Das wäre der „klassische“ und gar nicht verlogene Schönheitsdiskurs. Die Anti-AIDS-Kampagne ist vorbildlich, weil sie Euphemismen in der letztgenannten Art einsetzt.

So viel, um das wesentliche Resultat der 73. Notiz in Erinnerung zu rufen. Es gibt noch ein anderes Element, bei dem es scheinen kann, dass man sich seiner unbedingt entledigen müsse. Dem wenden wir uns jetzt zu. Es ist die Art, wie sich private Werbung ans Individuum adressiert. Sie tut es in vielen Fällen sexistisch. Viele Waren, die gar nichts Erotisches an sich haben, werden in der Privatwerbung erotisiert, ja mit sexuellen Anspielungen konfundiert. Diesen Zug trifft man in öffentlicher Werbung fast niemals an. Nicht einmal die Anti-AIDS-Kampagne, die doch Sexualität zum Gegenstand hat, hat sich seiner vor 1993 bedient. Öffentliche Werbung will vielmehr ein  a b s t r a k t e s  I n d i v i d u u m  ansprechen. „Freie Fahrt für Zärtlichkeit“ war vor 1993 die Parole der Anti-AIDS-Werbung, dieses Zugeständnis ans Sexuelle musste gemacht werden; aber sie war geschlechtsneutral und eigentlich ganz daneben, denn wenn es nur um Zärtlichkeit ginge, bräuchte man nicht den Kauf von Kondomen zu empfehlen. Werden wir urteilen, dass öffentliche Werbung auch hierin vorbildlich sei? Nein. Die Anti-AIDs-Kampagne selber hat nach 1993 umgesteuert. „Mach’s mit“ heißt seitdem die Parole, was schon genau aufs Sexuelle anspielt, und auch viele Bilder der Plakate lassen an sexueller Deutlichkeit nichts mehr zu wünschen übrig.

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Erotische Bilder sind schlecht, wenn sie mit dem Produkt, das sie anpreisen, gar nichts zu tun haben. Sie sind das typische Sucht- und Sogmittel. Außerdem will man mit ihrer Hilfe der Jugend habhaft werden. Jugendliche gelten als kauffreudig. Es gibt auch Werbung für Senioren, aber man weiß von vornherein, dass sie zurückhaltender kaufen. Das spricht nicht für Senioren gegen Jugendliche, sondern zeigt nur, dass Jugendliche auf dem Weg zum „Lebensentwurf“ sind, von dem wir sagten, die Warenwelt sei seine Außenseite. Sie suchen noch und haben Grund, Vieles auszuprobieren, treiben sich also unter Menschen, aber auch Dingen herum, und die Dinge sind nun eben warenförmig. Das Problem ist, dass ihre Suche manipuliert wird. Man lenkt sie mit erotischen Bildern auf Autos – übrigens mit abnehmendem Erfolg – oder tut so, als werde beim eingekauften Urlaub der Bettgenosse, die Bettgenossin gleich mitgeliefert. Nachher sitzen sie im schlechten Hotel fest; Freunde oder Freundinnen hätten sie sowieso gefunden.

Aber andererseits, kann man sich denn wünschen, dass die Unternehmer das abstrakte Individuum der öffentlichen Werbung als Leitbild übernehmen? Es steht mit Recht unter hohem Ideologieverdacht. Einen Menschen zuerst als Individuum wahrzunehmen, bevor man ihn als Geschlechtswesen wahrnimmt, hat oder hätte zwar sein Gutes. Ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist. Mir ist es nicht möglich, und oft ärgere ich mich darüber. Es fällt mir schwer, vom Aussehen einer Frau zu abstrahieren, wenn ich mit ihr spreche, und dabei weiß ich doch, das ist eine „imaginäre“ Ebene. Aber wenn ich nun durch sie hindurchsehen wollte, als wäre sie Glas – ich will es nicht, aber nehmen wir das einmal an -, wäre mir mit dem Individuum der öffentlichen Werbung gar nicht gedient. Denn dieses, wie gesagt, ist abstrakt. Das Bedürfnis, einen Menschen als  a b s t r a k t e s  Individuum wahrzunehmen, kann ich niemals haben.

Nur der Staat kann es haben. Er ist oft dafür kritisiert worden. Man sagt, es sei seine Herrschaftsmethode, die Individuen zu „atomisieren“, also in Abstraktionen, Menschen ohne Eigenschaften, nachgerade zu verwandeln. Die Anaylsen heben zwar eher hervor, dass ihm daran liegt, von der  K l a s s e n z u g e h ö r i g k e i t  zu abstrahieren. An die sollen die Bürger beim Wählen möglichst nicht denken. Vor  e r o t i s c h e n  Bildern, meint man, bräuchten sich westliche Staaten nicht mehr zu fürchten. Das ist immerhin der Erwähnung wert, denn früher war es anders. Es gab Zeiten, in denen der Karneval, eine durch und durch erotische Veranstaltung, den Staat ganz ernsthaft bedrohen konnte. Revolutionen sind immer auch karnevalesk gewesen. Aber der Staat hat tatsächlich keine Wahl. Wenn er erotische Menschen nur überhaupt zeigt, zeigt er schon ihren gefährlichen Eigensinn und oft auch, weil es sich kaum vermeiden lässt, die „feinen Unterschiede“, die auf Klassenzugehörigkeit hindeuten. Daher stellt er am liebsten möglich wenig erotische Menschen zu Schau. Das ist natürlich kein Vorbild für uns.

Es ist sogar dann problematisch, wenn sich der Staat mit Werbung nur auf sich selbst bezieht. Oder dann gerade. Denn während man vielen Gütern des Privatverbrauchs das Erotische nur andichtet, spielt Geschlechtlichkeit im Staat ganz ernsthaft eine hervorragende, ja eine konstitutive Rolle. Wobei es nicht bloß um Dominique Strauss-Kahn und ähnliche Zeitgenossen geht. Vielmehr kann einem einfallen, wie das Geschlecht in Parlamentswahlen eingreift. Willy Brandt wäre 1969 nicht Kanzler geworden, hätten die Frauen nicht mitgewählt. Es war das erste Mal in der deutschen Parlamentsgeschichte, dass sie sich mehrheitlich nach links statt nach rechts wendeten. Und wahrscheinlich ist das nicht alles. Manches spricht dafür, dass der Unterschied von „rechtem“ und „linkem“ Parteilager vom Unterschied männlich – weiblich überdeterminiert ist, insofern als er gewisse geschlechtliche Eigenschaften annimmt. Den etwa, dass die beiden Lager meistens fast gleichstark sind und dass fast immer das linke Lager ein bisschen schwächer als das rechte ist. Warum ist dergleichen wichtig? Weil Parteien der Kitt sind, durch den sich Staaten zusammenhalten. Ein Staat besteht aus einer Anzahl von „Staatsapparaten“: Würden die dort Tätigen nicht aus immer denselben Parteien rekrutiert, was hinderte sie, sich gegeneinander zu wenden, etwa die Justiz gegen die Regierung oder das Militär gegen das Parlament?

Die tiefste Ebene kam einst in der antiken griechischen Tragödie zur Sprache. Hegel zeigt es in einem berühmten Kapitel der Phänomenologie des Geistes: Antigone, wenn sie der Familienpflicht nachkommt, den Bruder zu begraben, wird allein dadurch zum Staatsfeind. Vergleichbares konnte noch vor kurzer Zeit in Diktaturen vorkommen. Doch die Botschaft richtet sich auch an uns. Auf Antigone liegt der Fluch ihres Vaters. Wie Antigone am Gegensatz von Staat und Familie scheiterte, so Ödipus, ihr Vater, an der Vermischung von beidem. Als er Herrscher wurde, heiratete er, ohne es zu wissen, seine Mutter. Er konnte das tun, weil er vorher, ohne es zu wissen, seinen Vater erschlagen hatte. Die Familie ist der Boden des Geschlechtlichen.

Liegt darin nur, dass man seinen Vater nicht erschlagen sollte? Und werden wir sagen, es sei ganz gut, dass der Staat abstrakt ist oder zu sein scheint, weil er dergestalt die Affekte dämpft, die ins Töten ausarten können? Nein, die Sache hat auch andere Seiten. Es wäre doch nicht schlecht, wenn ich jedesmal, wenn mich einer beleidigt, mir sagen würde, „es könnte mein Vater sein“. Ödipus hätte seinen Beleidiger  n i c h t  erschlagen, wäre ihm bewusst gewesen, dass es der Vater war –  d a s  ist der Witz. Ohnehin weiß man, dass in der Geliebten die Mutter wiederkehrt. Im Hintergrund sehen wir nun einen guten Satz vorscheinen: „Alle Menschen werden Brüder.“ Es wäre gut, wenn wir uns als Individuen in der Gesellschaft geschwisterlich zueinander verhalten könnten. Geschwisterlichkeit abstrahiert nicht vom Sexuellen, sondern tabuisiert es. Das ist etwas ganz anderes. Weil die Schwester zwar tabu ist, ich aber dennoch etwas für sie fühle. Mitleid zum Beispiel, wenn es ihr schlecht geht.

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Zurück zur Unternehmerwerbung. Es ist nun klar: Wie wir den guten Sinn von Euphemismen eingesehen haben, können wir auch gegen das erotische Element nicht  a n  s i c h  etwas haben. Im Gegenteil. Die Darstellung von Waren zusammen mit denen, die sie kaufen, entspricht vollkommen der Realität, und die Käufer sind nun mal Geschlechtswesen. Allerdings wäre es noch realistischer, stellte man auch die Verkäuferinnen und Verkäufer mit dar, die ebenfalls Geschlechtswesen sind. Dies vorausgesetzt, kann es gar nicht falsch sein, die Erotik und Schönheit aller Beteiligten hervorzuheben. Ja, wir wollen uns auch diesem Thema über den Schönheitsbegriff nähern (und über die Näherung nicht hinausgehen). Sexualität muss nicht schön sein, so wenig wie Arbeit es sein muss, aber was auf sie öffentlich verweist, gehört als Tanz über ihren Abgründen zur ästhetischen Sphäre. Hier müssen wir indes unterscheiden: Ist potentielle oder schon vorhandene Schönheit gemeint?

Wie ich in der 71. und 72. Notiz dargestellt habe, wird private Unternehmerwerbung in der Anderen Gesellschaft von öffentlicher, aber nicht staatlicher Werbung begleitet, die auf dieselben privaten Kaufbedürfnisse zielt und sie anders auffasst, so dass eine Art Debatte in Bildern ausgetragen wird. In dieser Begleitwerbung wird man sich hüten, vorhandene Schönheit darstellen zu wollen. Denn ihre Produzenten sind Künstler, die wissen, dass Schönheit ein Effekt ist, der nur im Kopf des einzelnen Individuums zustande kommt. Jeder Versuch, Schönheit im Allgemeinen darzustellen, ist verlogen. Die am häufigsten anzutreffende Lüge ist die, dass für Schönheit Normiertheit substituiert wird. Wenn die Körper, die Gesichter einer gewissen Geometrie Genüge tun, sind sie angeblich schön. In Wahrheit wird gar nicht Schönheit gezeigt, sondern die Menschen sollen erschrecken, dass sie anders sind als die Plakatmenschen, und also ihren Versuch steigern, sich den Normen anzupassen. Und keineswegs nur der Norm, wie man auszusehen hat. Die ist nur Exempel.

Man denke an die Körper von Managern, die in gewissen Werbebereichen viel wichtiger sind als hübsche Frauen. Vertrauenswürdig sollen sie aussehen, werben sie doch etwa für Bankprodukte. Was man dann sieht, ist, dass sie hochgewachsen und schlank sind. Tatsächlich sehen fast alle Manager auch in der Realität so aus. Es ist offenbar ein Selektionskriterium. Der Effekt ist, dass man sie als eigene Menschenart wahrnimmt. Da mit dem Aussehen gearbeitet wird, kann man sagen: als eine „Rasse“. „Das ist die Herrenrasse“, sollen wir unbewusst denken, „und wer verdient Vertrauen, wenn nicht der Herr?“ Je autoritärer eine Gesellschaft noch ist, desto besser funktioniert das.

Menschen öffentlich ohne Lüge zeigen kann nur heißen, man stellt ihre  p o t e n t i e l l e  Schönheit dar. Das ist ihre Fähigkeit, von anderen Menschen schön gefunden und gemacht zu werden. Potentiell schön sind alle Menschen. Der Witz ist, dass es viel mehr eine Leistung des Betrachter oder der Betrachterin ist, den Schönheitseffekt hervorzubringen, als des oder der potentiell Schönen. Das gibt auch schon den Schlüssel, wie potentielle Schönheit dargestellt werden kann: realistisch, wie Menschen eben wirklich aussehen; Menschen, die sich immer wünschen, von anderen Menschen  a n e r k a n n t  zu werden, und die dem Wunsch in ihrem Aussehen, soweit es möglich ist, Nachdruck verleihen – das und nichts anderes  i s t  potentielle Schönheit -; dies zusammen mit bildlichen Hindeutungen der Plakatkünstler, die sich als Dritte einschalten und es den Betrachtenden erleichtern, die potentielle Schönheit in vorhandene umzuwandeln. Abnehmen können sie es ihnen nicht, denn jeder und jede wird es auf seine / ihre ganz eigene Art tun. Solche Plakatkunst ist möglich, sie braucht sich ja nur an der Portraitkunst vieler Jahrhunderte zu orientieren. Man denke etwa daran, wie Cézanne seine Frau gemalt hat. Das wesentliche Mittel besteht immer darin, sichtbar zu machen, was man ahnen kann von der Individuierung eines Menschen. Nichts spricht dagegen, dies auch auf Werbeplakaten zu tun. Auch jedes „Model“ ist individuiert, warum soll das unter geometrischen Körpernormen versteckt werden? Es wäre immer noch besser, individuierte Menschen darzustellen, die der Körpernorm nicht entsprechen, als Körpernormen darzustellen, die keine Individuierung zeigen.

Schönheit ist nicht nur eine Frage des Aussehens, sondern auch des Verhaltens. Man kann zeigen, wie sich individuierte Menschen zur Warenwelt nicht suchtartig, sondern schön verhalten. Plakate oder Werbespots, die heute darstellen, wie stinkfröhliche Menschen in ein Kaufhaus rennen, als würden da Diamanten verschenkt, sind hässlich; es soll ein Witz sein, aber der Witz stinkt. Ich kann mir Unternehmer der Anderen Gesellschaft, die noch so in der Öffentlichkeit präsent sein wollen, gar nicht vorstellen. Angenommen aber, es gäbe sie noch vereinzelt in den Anfängen, dann würde neben dem Plakat à la „Lola rennt zum Mediamarkt, sie ist doch nicht blöd“ – die wirkliche Lola würde das nicht tun, sie rennt, ja, aber aus Angst, und ist schön dabei – ein anderes Plakat hängen, das der Szene noch Menschen hinzufügt, die über die unschöne Lolavariante den Kopf schütteln, wohlgemerkt nicht ohne auch sie sympathisch zu finden.

Es kam schon in der 72. Notiz vor, dass die Künstlergruppen, die in der Anderen Gesellschaft Alternativplakate aushängen, ihre Vorstellung schöner Designs von Warenkörpern vorwiegend an den Körpern  b i l l i g e r  Waren demonstrieren. Wir können das unter dem jetzt verhandelten Gesichtspunkt noch zuspitzen. Man kann sich nämlich Plakate und Werbespots vorstellen, die zeigen, wie Menschen in einfachster Umgebung glücklich miteinander sind, wenn nicht gar „in der Wüste“. Abgesehen davon, dass auch einfachste Mittel schön arrangiert werden können – unter der Voraussetzung, dass Sinn für Ästhetik vorhanden ist; den fördern die Schulen der Anderen Gesellschaft -, lassen sich wirkliche Menschen nicht einmal von einer „heruntergekommenen“ Umgebung daran hindern, miteinander glücklich zu sein. Wie sie auch umgekehrt in der gestyltesten Umgebung ganz unglücklich sein können. Barbara Klemm hat das wundervoll demonstriert mit ihrem Fotobuch „Straßen Bilder“, Wädenswil 2009.

Am Ende dieser Untersuchung der Frage, wie uns Waren subjektiv begegnen, ist eine Bemerkung über meine Methode am rechten Platz. Denn hier musste sich eine Tendenz zuspitzen, die wohl nicht wenig und nicht erst seit heute verwirrt: dass meine Andere Gesellschaft der vorhandenen so sehr zu ähneln scheint. Was ist denn anders daran, wird man sagen. Die Unterschiede sind doch minimal! Werbung hier, Werbung dort! Beidemale mit Erotik und Euphemismen! Ja, das liegt daran, dass ich nicht die „großen“, sondern die möglichst wahren und das heißt  t r e n n s c h a r f e n  Unterschiede herausstellen will. Die genauen Grenzverläufe. In den Grenzen  b e r ü h r t  sich das Neue mit dem Alten. Das ist nun einmal so: Eine Grenze ist nicht die größte, sondern die  k l e i n s t m ö g l i c h e , gegen Null tendierende Verschiedenheit. Gerade sie muss herausgefunden werden, dadurch, dass wir die Konfusionen auflösen, die uns heute umstricken. Die vorhandene Gesellschaft ist die Konfusion des Kapitals mit allem, was es sonst noch gibt. Die Andere Gesellschaft ist das, was überhaupt einmal  a n f a n g e n  können soll. In ihrem Anfang ist sie weiter nichts als die Auflösung der Konfusionen, die das Kapital heute anrichtet.