Beilage zur Propagandaversion, Forts.

Dritte Abteilung / Beilage / Fünfter Teil – Proportionswahlen

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Der Renaissancemensch und noch der Kommunist, noch James Bond waren Männer und als solche Krieger wie ihre antiken und überhaupt alle Vorfahren. Der Kommunismus war zwar auch ein Schritt voran in der Frauenemanzipation – wenngleich ein durchwachsener -, aber da der Kommunist wesentlich Krieger war, blieb Männlichkeit das Prägende. Noch als die Niederlage des Realen Sozialismus absehbar wurde, fasste Peter Weiss seine Verzweiflung in der Vorstellung zusammen, der Mann als Träger aller Geschichte sei schlechthin und auch kommunistischerseits der geborene Mörder: so im 1981 erschienenen dritten Band der Ästhetik des Widerstands.

Die Vorstellung, Revolution bedeute Kriegführung, konnte ich aber im letzten Kapitel meiner Blogreihe (ab der 141. Notiz) beerdigen.  R e v o l u t i o n  j a ,  B ü r g e r k r i e g  n e i n !  Revolution als Krieg ist u n m ö g l i c h  geworden, war es übrigens wohl schon 1917. Ich schrieb in jenem Kapitel, der Bürgerkrieg damals möge noch vertretbar erschienen sein, doch bin ich jetzt sehr erschrocken, wenn mich ein noch unveröffentlichtes Manuskript meines Freundes Karl-Ernst Lohmann an die Opferzahlen erinnert: In der Zeit zwischen 1917 und 1922 betrug der Aderlass nach neuesten Schätzungen um 13 Millionen Menschen, vorher hatte  d e r  g a n z e  W e l t k r i e g  – wenn man alle Opfer in allen beteiligten Länder zusammenzählt – um 17 Millionen Soldaten- und Zivilistenleben gekostet. War es das wert? Wäre es nicht vielleicht doch besser gewesen, wenn die Bolschewiki sich mit der Rolle einer parlamentarischen Partei begnügt hätten, die nun eben 1917 ganz deutlich in der Minderheit war? Wie Lohmann unterstreicht, stellt sich die Frage auch deshalb, weil man argwöhnen kann, dass es der Sowjetunion nie gelang, mit den Folgen der Katastrophe fertig zu werden. Und nicht zuletzt  d e r  M e n s c h e n t y p u s  des im Bürgerkrieg Gestählten, auch im Frieden stählern Bleibenden war später kaum noch korrigierbar. Wie Lohmann zitiert, spricht Wolfgang Fritz Haug von der „kriegskommunistische[n] Überformung der Männlichkeit und damit der Geschlechterverhältnisse“ (Dreizehn Versuche, marxistisches Denken zu erneuern, Hamburg 2005, S. 20).

Revolution ja, Krieg nein: Ich will meinen Vorstoß festigen, indem ich jetzt zeige, dass er ein neues Menschenbild herausfordert. Ansetzen möchte ich noch einmal bei Platon. „Mit seinem Modell, wie ein Staat künftig funktionieren solle, war er weniger erfolgreich“, schrieb ich im ersten Teil der Beilage. Dieses Modell ist aber in einem Punkt sehr interessant, darin nämlich, dass in ihm die staatliche Herrschaft dem Philosophen übergeben wird. Der Philosoph ist nach Platons Definition einer, der zu fragen und zu antworten versteht. Nun werden wir so ein Herrschaftsmodell ablehnen, weil wir überhaupt gegen Herrschaft sind. Wenn dann auch noch ein Philosoph herrscht, kann sich Herrschaft wohl nur verschlimmern. Philosophen, die über Waffen gebieten, sind eine Horrorvorstellung. Aber umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn sich das Gemeinwesen von solchen orientieren ließe, die fragen und antworten können,  o h n e  dass sie herrschen, das wäre gut.

Voraussetzung wären Antwortend-Fragende, die sich auf diese Bedingung einlassen. Deshalb von Platon ein Sprung ins 20. Jahrhundert, zur Psychoanalyse, zu Jacques Lacan: Der hat Diskurse unterschieden, darunter den „Diskurs des Herrn“ und den „des Analytikers“. Der Analytiker ist natürlich der Psychoanalytiker, doch wie man auf Möchtegern-Herren nicht nur in der Analyse stößt, sondern in der ganzen Gesellschaft, kann auch der Analytiker als Typus über die Analyse hinaus verallgemeinert werden. Man sucht ihn auf, um Personen auf ihn zu projizieren, unter denen man gelitten hat. Sein Einfluss ist gewaltig, obwohl er nicht viel mehr tut als zuzuhören, doch ein Herr ist er gerade nicht, muss sich im Gegenteil auf Unwillen und Aggression dessen, der ihn aufsucht, einstellen, und wird dennoch mit ihm fertig. Nun soll ihm aber Eines nicht unterlaufen: „Gegenübertragung“. Das heißt, er darf zum Beispiel nicht auf den Analysanten wütend sein, wenn der auf ihn wütend ist. Das ist eine hohe Anforderung, für die er sich sorgfältig ausbilden lassen muss. Kann das wirklich über die Analysesituation hinaus verallgemeinert werden? Aber warum eigentlich nicht, im Grundzug jedenfalls? Es ist doch ähnlich, als wenn eine Mutter mit dem Geschrei ihres kleinen Bengels umgeht, mal tröstend, mal abweisend, möglichst aber unbeeindruckt. Nicht kühl, aber ohne sich hineinziehen zu lassen. Das ist nicht so ungewöhnlich.

Es ist jedenfalls die Haltung, die auch politisch allein weiterführt. Die Katastrophen, die uns heute heimsuchen, sind im Einzelnen unübersichtlich, die Menschen unvernünftig und gereizt. Da braucht es Leute, die nüchtern bleiben, wenn sie Vorschläge machen oder sich welche anhören, und die auf Aggression nicht mit Gegenaggression reagieren. Das heißt ja nicht, dass sie die linke Backe hinhalten sollen, wenn man sie auf die rechte zu schlagen versucht. Spray, sich zu wehren, werden sie schon eingesteckt haben. Ja, ich kann mir eine Revolution vorstellen, aber ich kann sie mir nur so vorstellen: von Menschen gemacht, die nicht nur ihren Verstand, sondern auch ihr Gefühl in weiter nichts als die Sache investieren. Man tappt gleichsam im Nebel auf einem Gebirge herum, könnte abstürzen oder von ein paar Dieben, die der Lage gewachsen sind und sie ausnutzen, beklaut werden – aber es gibt welche, die zur Stelle sind, wo es brenzlig wird, und warnen, den schmalen Pfad zu verlassen; die ruhig bleiben, wenn die Emotion hochkocht; die sich hart gegen die Diebe stellen, sich von ihnen aber keinen Krieg aufzwingen lassen, der alle Beteiligten zum tiefen Fall brächte. Das ist keine Gebrauchsanleitung für „Avantgarden“! Denn am besten wäre es, wenn die ganze Gesellschaft aus so vorstellbaren „Analytikern“ bestünde. Jede(r) sollte es für den oder die andere sein, denn jede(r) ist selbst auch in der Situation, Analysant zu sein.

Natürlich wird es welche geben, die anfangen. Elitär werden sie aber nicht sein, denn sie wissen: Man ist nicht Analytiker, weil man gefasster ist als andere, sondern ist es gewissermaßen qua Amt; ich kann doch andere vor etwas zurückhalten, auch  o h n e  zu glauben, mich selbst müsste nicht  a u c h  jemand im Auge haben. Ist man nun Analytiker, wird man sich über nichts wundern, was sich „im Nebel“ nach und nach erschließt: Die schnellste, unerwartetste Wandlung von Situationen und auch Menschen mag es geben, sie wird doch registriert, statt dass man denkt, kann ja nicht sein, weil wir haben immer gesagt und so weiter. An denen, die anfangen, werden sich andere ein Beispiel nehmen, zumal die Objektseite hilft. Denn Gesellschaften werden klüger und unsere ist  v i e l  klüger geworden, als sie es 1918, 1933 und selbst 1968 war. Manch einer wird entdecken, dass die Wirklichkeit, wie sie geworden ist, danach geradezu verlangt, dass wir unbeeindruckt, als wär’s eine Geisterbahn, durch ihre Labyrinthe, Barrieren und Müllberge unsern Weg zu finden entschlossen sind, kreuz und quer oder geradeaus, wie es die Umstände ergeben, statt wie Selbstmörder frontal gegen sie anzurennen. Selbst Herakles hat den Augiasstall nicht mit Gewalt zu renovieren versucht, denn er war nicht dumm! Harten Kampf wird es auch geben, man wird ihn, wenn es sein muss, entschieden führen, ohne sich jedoch in „Kampfeslaune“ versetzen zu lassen.

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Man kommt, wenn man so überlegt, auf das Thema „Frauen“. Schon als ich das letzte Kapitel schrieb, schwirrte es mir durch den Kopf, aber da hielt ich es fast ganz zurück, weil ich dachte, das geht doch nicht, dass ich als Mann an die Frauen appelliere. Und darum kann es auch wirklich nicht gehen. Im Übrigen  g i b t  e s  ja Männer, die meinem „Menschenbild“ einigermaßen entsprechen (und selbstredend Frauen, die es nicht tun). Dennoch lässt sich das Thema sinnvoll verhandeln, schon weil sich Tatsachen anführen lassen.

In dem Buch von Bude, das schon zitiert wurde, gibt es auch ein Kapitel über den Stand des Geschlechterverhältnisses ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn des neuen Feminismus (Das Gefühl der Welt, a.a.O, S. 105 ff.). Meine Rezension, die zur Buchmesse erscheinen wird, stellt es in den Mittelpunkt, weil es mich besonders beeindruckt. Dass die Frauen in „Arbeit, Beruf und Öffentlichkeit“ auf dem Vormarsch sind, gut, das sehen wir. Und auch wenn Bude die Gründe nennt, ist nichts Unbekanntes darunter. Sie imponieren aber in der Zusammenstellung und dadurch, dass alles wissenschaftlich belegt ist: die größere Intelligenz der Frauen schon in der Schule, als deren Kernstück man ihre überragende kommunikative Kompetenz wird ansehen dürfen; der dadurch vorgezeichnete Weg nach oben auch in modernen Unternehmen; die Fähigkeit, mit Katastrophen fertig zu werden – ein aus Afrika längst bekanntes, oft berichtetes Phänomen -; und die Fähigkeit zu erziehen, Kinder sowieso, aber hierzulande offenbar auch Männer. Als Beispiel führt Bude nicht das Pinkeln im Sitzen an, sondern dass es ihnen gelang, dem nach 1968 „deregulierten Liebesmarkt zivile Grenzen“ zu setzen: Nach der ‘68er sexuellen Revolution war alles erlaubt, die Frauen setzten aber die Bedingung durch, dass alle Praktiken zwischen gleichberechtigten Partnern ausgehandelt werden mussten.

Ein umfassend  p o l i t i s c h e s  Projekt verfolgen die Frauen als Frauen bisher noch nicht. Das fällt über Bude hinaus auf. Ihr bisheriges Projekt ist vielmehr dem gewerkschaftlichen der Arbeiterbewegung analog: Sie führen nach und nach ihre volle Gleichberechtigung herbei. Aber darin liegt auch ihr Unterschied zur Arbeiterbewegung, gelingt ihnen doch, was Arbeitergewerkschaften nicht gelingen konnte. Während nämlich die Kapitallogik Privatunternehmer gegen Arbeiter bevorzugt, enthält sie einen Mechanismus, Männer zu bevorzugen, gerade nicht. Wenn Frauen aber voll gleichberechtigt werden können, können sie auch überlegen werden, ja dass es dahin kommt, ist dann wahrscheinlich. Und liegt es nicht nahe, noch mehr zu sagen: Wenn sie sich ökonomisch durchsetzen können, dann auch politisch? Was aber würde ihre politische Linie sein? Das lässt sich aus ihrer bisherigen quasi-gewerkschaftlichen „Politik“ noch keineswegs erschließen.

Ganz falsch wäre die Annahme, es liege Frauen als Frauen fern, politische Projekte zu haben. Denn das war schon in der Vergangenheit nicht der Fall. Vielmehr haben sie, seit die Männer das Wahlrecht mit ihnen teilten, immer wieder frauenspezifisch gewählt (dazu Verf., Parteiensystem und Sexismus [1986], in: Gender und Parteiensystem, Frankfurt/M. 2015, S. 65-113). Das hieß in der Weimarer Republik und noch in den ersten beiden Jahrzehnten der Bonner Republik, sie haben mehrheitlich konservative Parteien unterstützt, um die Familie vor dem Zugriff des Staates zu schützen. 1918 verhinderten sie die Einführung des Sozialismus durch Wahlen: Wenn nur Männer gewählt hätten, hätten sozialistische Parteien die absolute Mehrheit erlangt. Bis einschließlich 1969 blieben die Frauen bei ihrer Haltung. Willy Brandt wäre ohne ein starkes Übergewicht auf der Männerseite kein Machtwechsel gelungen. Aber bis zur nächsten Wahl, die auf 1972 vorgezogen werden musste, weil die Unionsparteien alles mobilisiert hatten, den ungeliebten SPD-Kanzler schnell wieder loszuwerden, hatten sich die Kräfteverhältnisse vollkommen umgekehrt: Die SPD verzeichnete einen Frauenstimmenzuwachs von über fünf Prozent, die Union, die entsprechend verlor, legte dafür bei den Männern zu. Wäre das eine reine Männerwahl gewesen, hätte die SPD das Kanzleramt schon wieder räumen müssen! Der Umschwung kann daraus erklärt werden, dass Willy Brandt eine konsequente und erfolgreiche Friedenspolitik betrieb. Gerade seine Politik der Versöhnung mit dem Osten wurde von der Union wütend, ja hasserfüllt angegriffen, obwohl ihm auf dem Höhepunkt des Streits der Friedensnobelpreis verliehen worden war.

Frieden ist natürlich an und für sich keine Frauen- statt Männersache. Aber historisch ist er es so sehr gewesen, dass die Homologie „weiblich verhält sich zu männlich wie friedlich zu kriegerisch“ seit mythischer Zeit ins Geschlechterverhältnis eingeschrieben war. Man versteht es daher, dass Frauen zustimmend und belohnend reagieren, wenn ein größerer Teil der Männer für den Frieden eintritt und dieser dadurch sicherer wird. Lysistrata war ein Wunschtraum, das Zusammentreffen von Brandts Politik und der Entstehung der neuen Frauenbewegung war keiner! Nun waren das damals sozialdemokratische Männer – auf kommunistischer Seite lässt sich Vergleichbares bis heute kaum beobachten. Im neuesten Buch von Haug, das ich gerade lese, um es zu rezensieren, finde ich den Begriff „Kriegskommunismus“ als Synonym für Kommunismus überhaupt, wie es ihn bis 1990 gegeben hat. Haug trifft den Nagel auf den Kopf, auch wenn man es nicht so interpretieren wird, als wäre der Sowjetunion in den internationalen Beziehungen mehr Kriegsgesinnung als den USA zu unterstellen gewesen. Es dürfte im Gegenteil eins ihrer größten Verdienste sein, dass sie sogar ihre Niederlage im Kalten Krieg ohne militärische Gegenwehr hinnahm, zu der sie sich durchaus hätte entschließen können. Auf der Ebene des Menschenbildes jedoch, das uns hier beschäftigt, ist der Begriff erhellend, denn noch heute wirkt der „kriegskommunistische“ Einfluss untergründig fort und ist so stark, dass er jede Revolutionsdebatte verdummt.

Aber wie würden revolutionäre Frauen denken? Ich meine, wie würden sie  h e u t e  u n d   m o r g e n  denken – nicht mehr als Engel starker Männer, wie noch Gudrun Ensslin einer war, sondern aus dem Wissen um die eigene gesellschaftliche Dominanz heraus? Da kommt mir als letzte historische Reminiszenz die Berliner Hausbesetzerszene 1981 in den Kopf. Damals hatten die Besetzer immer wieder Anlass, sich zu fragen, ob man die gewaltsame Konfrontation mit der Polizei auf sich nehmen oder die „Verhandlungslösung“ mit dem Berliner Senat anstreben sollte. Als der Senat noch SPD-geführt war, setzte sich zuletzt die friedliche Lösung durch. Da man auch sonst las, dass bei Besetzerdebatten immer wieder die Frauen statt der Männer zum Frieden gemahnt hatten, darf man annehmen, dass sie auch für diesen generellen Schritt das meiste getan haben.

Er nützte leider nicht viel, denn die SPD wurde abgewählt und dachte gar nicht daran, den schon unterzeichneten Vertrag, den sie mit den Besetzern geschlossen hatte, vor der Amtsübergabe noch in Kraft treten zu lassen, was ohne weiteres möglich gewesen wäre; die CDU, die dann ans Ruder kam, lehnte ihn ab. In der Folge setzen sich dann wieder diejenigen durch, die meinten, sie könnten die Häuser mit Gewalt verteidigen. Sie sind zwar keineswegs schuld daran, dass im Räumungskampf, zu dem es dann kam, der Besetzer Klaus-Jürgen Rattay starb. Alle zusammen aber, Männer wie Frauen, hatten sich in der Logik des parlamentarischen Zwei-Lager-Systems verheddert, weshalb sie darauf reinfielen, dass die SPD die sie ablösende CDU als kriegerisch und sich selbst als friedlich darstellte. In Wahrheit war die Politik beider Parteien identisch. Der Räumungsaktion, der Rattay zum Opfer fiel, war ja wenige Monate zuvor eine ganz gleiche des SPD-Senats vorausgegangen. Bei der hatten sich die Besetzer zurückgehalten, weil sie die Abwahl dieses Senats fürchteten, der sie dann, wie gesagt, mit seiner „Verhandlungslösung“ hinterging. Außerdem war die nachfolgende Räumung des CDU-Senats von der SPD-nahen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat beantragt worden. Den Besetzern erschien Heinrich Lummer, damals Innensenator, als der große Bösewicht, Lummer hatte aber gezögert, den Antrag und gesetzlichen Auftrag umzusetzen, weil er dachte, die Neue Heimat würde ihn zurückziehen. Erst als klar war, dass das nicht geschehen würde, gab er den Räumungsbefehl. (Mein Text dazu, 1991 und 2011 im Freitag erschienen, ist auch im oben genannten Buch enthalten.)

Heute können Männer wie Frauen raffinierter über das parlamentarische Zwei-Lager-System urteilen. Bewegungen wie PODEMOS zeugen davon. Dass Frauen aber besonnener sind, wenn es um die Frage geht, welche Kampfmittel man anwendet, ja überhaupt wie man kämpft, dürfte auch heute noch zutreffen. Dass es beim Kämpfen nützt, kommunikative Kompetenz einzusetzen, wenn man sie denn hat, wer weiß es besser als die Frauen? Deshalb sind sie nicht etwa schwächlich, inkonsequent, nachgiebig und dergleichen mehr. Ihre Fähigkeit, mit Katastrophen fertigzuwerden, kennt man bisher nur aus einem Kontinent wie Afrika, sie ist aber ja auch in unserer Gesellschaft das Gesuchte. Wir leben bereits in der ökologischen, zunehmend auch zivilisatorischen Katastrophe, und genau das ist die Bedingung, unter der es zur Revolution der Anderen Gesellschaft kommen wird. Kühlen Kopf bewahren in einer Katastrophe, von der alle betroffen sind – ob sie den Ausweg wissen oder borniert bleiben -; hartnäckig sein, sich nicht einschüchtern oder auch nur verunsichern lassen; sicher sein, ja, aber nur in der Unbeirrbarkeit der tastenden Suche und Bahnung des Weges; entschlossen handeln, ohne die Katastrophe durch sinnlose Gewaltversuche noch zu vergrößern – ist es nicht das, wozu die neuen Revolutionäre befähigt sein müssen?

Noch einmal, ich will nicht sagen, es sei Frauensache. Nein, es ist Menschensache. Daher auch eine Frage des Menschenbilds. Es wird von Frauen nicht anders als von Männern erwartet. Außerdem rede ich sehr pauschal, obwohl ich ja weiß, dass in beiden Geschlechtern „sone und solche“ vorkommen. Aber dass Frauen aus Gründen des Geschichtsverlaufs einen kleinen Vorsprung haben und es daher nicht schlecht wäre, wenn sie ihn im vollen Bewusstsein ihrer größeren Kompetenz revolutionär einsetzten – angefangen damit, dass sie die revolutionären Gruppen, von denen ich am Ende des letzten Kapitels sprach, selbstbewusst dominieren -: so viel kann, und sollte auch, gesagt werden. Und nun mache ich noch eine weitere pauschale Bemerkung: Den Frauen gelingt es heute, ins  k a p i t a l i s t i s c h e  Gefüge  g l e i c h b e r e c h t i g t  hineinzufinden. Das ist gut so. Denn gerade deshalb kann es im nächsten Schritt  b e i d e n  Geschlechtern gelingen, aus ihm auch wieder herauszufinden.

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Ich muss am Ende eingestehen, dass meine Überlegungen zur „Propagandaversion“ direkt gar nichts gebracht haben. Um das Herz der Menschen revolutionär zu erreichen, braucht es ein neues Menschenbild, so sagte ich – eine neue ökonomische Verfassung vorzuschlagen, gehört zwar konstitutiv dazu, reicht aber nicht aus -; doch kann man ein Menschenbild nicht propagieren, wie man eine ökonomische Verfassung propagieren kann. Auch die historischen Beispiele, die ich gegeben habe, belegen das. Die Erneuerung des Menschen war jedesmal besonderen historischen Umständen geschuldet, was aber neu war, konnte jeweils nur nachträglich begriffen und benannt werden. Eine neue Art zu handeln macht immer den Anfang, ihn zu planen ist aber unmöglich, denn er geschieht spontan. Deshalb durchschaut man zunächst nicht voll, was man tut. Nur so viel ist klar, dass wenn kein neues Ziel sich abzeichnete, man ins Tun gar nicht erst einträte, jedenfalls nicht ins kontinuierliche, das allein Erfolg verspricht. Wenn manche meinen, auch das Objekt des Handelns, die neue Gesellschaft mit neuer Ökonomie, könne spontan entstehen, ist das natürlich Unfug. Kein Objekt fängt mit sich selbst an. Das heißt aber eben nicht, dass es keinen Anfang gibt. Es gibt ihn und ihm „wohnt ein Zauber inne“, der Zauber der Freiheit.

In diesem Sinn wollte ich hier auf Spuren eines neuen Handelns hinweisen, das sich abzeichnet und von dem ich erwarte, dass es die Revolution bestimmen wird. Es ist schon da, seiner politischen Bedeutung aber noch nicht bewusst geworden. Wenn sich das ändert, wird vieles geschehen, was sich jetzt noch gar nicht voraussehen lässt, und wird es zum neuen Menschenbild kommen, das der Revolution so viel Selbstgewissheit gibt, wie sie braucht.