(66) Ota Sik und das Programmdenken der Linkspartei

3. Die Freiheit der fungierenden Arbeiter / Vierter Teil – Vor der Erörterung von Proportionswahlen: Zugehörige neue, nicht mehr kapitalistische ökonomische Institutionen

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In den Tagen, als ich anfing, hier über Ota Siks „Mitarbeitergesellschaft“ zu schreiben, erschien Sahra Wagenknechts Buch Freiheit statt Kapitalismus, das Siks Vorschlag ebenfalls aufgreift (Frankfurt/M. 2011). Ich hatte also unrecht, wenn ich meinte, der Vorschlag werde von der Schweizer, nicht aber von der deutschen sozialistischen Partei beachtet. Denn wenn er auch nicht im Programmentwurf der Linkspartei auftaucht, kann die stellvertretende Vorsitzende Wagenknecht doch zeigen, dass er sich mit der Logik des Programmentwurfs sehr gut verträgt. Nun ist das keine Logik, die mir einleuchtet, und so habe ich auch mit Wagenknechts Ansatz Probleme. Ich war zwar überrascht und erfreut, als ich auf dem Cover des Buchs die Ankündigung fand, es gehe darum, die Marktwirtschaft vom Kapitalismus zu befreien. Wagenknechts Marktwirtschaft hat aber, dem Programmentwurf treu, eine starke Schlagseite zur Verstaatlichung.

Wo es um die Mitarbeitergesellschaft geht, wirkt sich das aus. Es geht Wagenknecht gar nicht so sehr um Mitarbeitergesellschaften, vielmehr um Großunternehmen überhaupt, aus denen teils Mitarbeitergesellschaften, teils Staatsunternehmen werden sollen. Eigentlich ist auch die Mitarbeitergesellschaft nichts viel anderes als ein Staatsunternehmen, denn in ihrem Stiftungsrat – Wagenknecht stellt sie sich als „eine Art Stiftung“ vor (S. 330) – hat der Staat eine Sperrminorität. Ich lese ihre Argumentation so: Heute sind Großunternehmen Eigentum der Kapitalistenklasse; die neue Gesellschaft beauftragt den Staat, an ihre Stelle zu treten. Kern der Kapitalistenklasse sind die „großen Familien“, die teils als Großaktionäre, teils als Eigner von Familienunternehmen auftreten. Da es darum geht, sie zu besiegen, braucht es einen anderen starken Akteur, der das tun kann; eben den Staat. Das Eigentum der großen Familien ist Kapital, ja fast „das“ Kapital, weil die Macht der Familien so groß ist. Werden sie enteignet, ist das Kapital besiegt.

Ich will meine Sicht einfach dagegen setzen. Obwohl Eigentum der Kapitalistenklasse, ist das Kapital für sich genommen nicht Eigentum – eine juridische Kategorie -, sondern eine Produktionsweise. Es ist die (anonyme) Strategie, ins Unendliche zu produzieren und jedenfalls den unendlichen Mehrwert zu erlangen. Gewiss stützt sich die Strategie darauf, dass die Produktionsmittel Privateigentum sind, das heißt mal den einen, mal den anderen Privateigentümern gehören. Um sie außer Kraft zu setzen, genügt es dann aber nicht, den Eigentümer auszuwechseln. Denn wenn der Staat das Eigentum übernimmt, kann er seinerseits als Stützpunkt für dieselbe Strategie unendlichen Produzierens funktionieren.

Er ist dieser Stützpunkt ja heute. Ist er es, weil die Privateigentümer ihn nötigen, oder haben diese umgekehrt ihren Aktionsraum nur, weil der Staat es so einrichtet? Für Wagenknecht ist das keine Frage. Dass der Staat von den mächtigsten Privateigentümern beherrscht werde, scheint ihr evident. Die mächtigsten Privateigentümer sind die großen Familien, die ihr Riesenvermögen von einer Generation auf die nächste übertragen. „Politische Macht“, schreibt sie, „ist heute nicht mehr unmittelbar erblich, wirtschaftliche Macht dagegen ist es, und mit ihr vererbt sich auch die Macht, der ganzen Gesellschaft die eigenen Interessen aufzuzwingen.“ (Fettdruck S. 312) Aber selbst angenommen, das wäre richtig: Wenn die Macht der Familien an die Gesellschaft und ihren Staat zurückfiele, wäre dann auch die Macht des Kapitals gebrochen? Offenbar nicht, denn man braucht nur Wagenknechts Buch zu lesen, dann zeigt sich, sie will vielleicht, kann aber die Kapitalstrategie gar nicht ausschließen.

Es ginge zu weit, wollte ich behaupten, sie wende sich nirgends kritisch gegen die Kapitalstrategie. Nein, sie tadelt Unternehmen, denen es nur um den Gewinn geht, und lobt solche, die möglichst gute Produkte herstellen wollen. Damit spricht sie ja implizit gegen den unendlichen Sog. Mehr noch, sie fordert ein Gewinnoptimum. Dieses wird aber so bestimmt: „Sofern der Gewinn das für Forschung und Entwicklung, für Investitionen und erforderliche Reserven Notwendige übersteigt, ware das ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Unternehmen oberhalb des von Malik [einem Management-Theoretiker, M.J.] geforderten Gewinnoptimums produziert.“ (S. 339) Da fragt man sich, was das denn sein soll: der Überstieg des für Investitionen Notwendigen. Wenn ganz einfach „Investitionen notwendig sind“, können unendlich viele Investitionen notwendig sein. Eine solche Unendlichkeit wäre ja selbst das Übersteigen im Permanenz. Dass das Übersteigen nicht überstiegen wird, wäre kein Trost.

Tatsächlich spricht Wagenknecht nirgends von Investitionsgrenzen, vielmehr fordert sie langfristige statt kurzfristige Investitionen. Zu kurzfristigen Investitionen sind die „Zocker“ geneigt, denen es nur ums schnelle Geld geht, die Produktion ist ihnen egal. Auf langfristige Investitionen lassen sich heute immer weniger Unternehmen ein, deshalb muss sich der Staat kümmern. Das ist ja richtig. Es gibt wahrlich langfristige Investitionen, die notwendig sind oder wären. Aber deshalb ist nicht schlechthin notwendig, was „für Investitionen“ notwendig ist, sei’s auch für langfristige. Jedenfalls wer die Kapitallogik ausschalten will, darf so nicht argumentieren. Es sind nämlich gerade Investitionen – welcher Länge auch immer -, durch die sich das Kapital zur Unendlichkeitsstrategie zwingt. Das haben sowohl Marx als auch Keynes gesehen.

Ja, gerade Keynes, der langfristige statt kurzfristige Investitionen fordert, nach dem Motto: Wenn schon Investitionen, dann langfristige, hebt noch mehr diesen übergeordneten Zwang hervor. Er besteht darin, dass Mehrwert in Geldform nicht einmal überhaupt ein Wert wäre, würde das Geld nicht wieder gegen Waren vertauscht, Arbeitskraft, Maschinen, Produktionsraum, würde also, in anderer Formulierung, Gewinn nicht wieder reinvestiert. Dass das Geld  e i n e  Z e i t l a n g  zurückgehalten („gespart“) werden kann, wie Keynes so sehr betont, ändert daran nichts, denn Geld, das  n i e m a l s  ausgegeben würde, das ist Marx‘ übergreifender Gesichtspunkt, unterschiede sich nicht von irgendeinem Müllhaufen.

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Wenn wir die Kapitallogik radikaler ausschließen wollen, als Wagenknecht es versucht, werden wir nicht an den „großen Familien“ ansetzen. Wir haben bei Marx gelesen, der „fungierende Kapitalist“ sei der Manager, der nur beim Kleinunternehmen mit dem Eigentümer zusammenfalle. In der Aktiengesellschaft unterscheide er sich vom Eigentümer und der werde zum toten Gewicht. Tatsächlich ist es der Manager, der ins Unendliche Mehrwert gewinnt – nicht für sich selbst, aber auch nicht für die Eigentümer, sondern fürs sich mehrende Kapital -; über die Eigentümer (Aktionäre) ist nichts weiter zu sagen, als dass Dividenden für sie abfallen, wie für den Manager Boni. Heute mag es zwar scheinen, als seien es die Eigentümer, die, um schnelles Geld bemüht, den Manager zur kurz- statt langfristigen Investition antreiben. Sie sind aber selbst nur ein Durchgangselement in einem Kreislauf. Aktionäre haben ja früher die langfristige Investition nicht verneint, warum tun sie es heute? Weil eine Wirtschaftsdoktrin herrscht, die es sie lehrt und die ihrerseits auf objektive Verwertungsschwierigkeiten, auf einen objektiven Stand der Kapitalevolution reagiert.

Es sind nicht die Aktionäre, die der Gesellschaft ihre Interessen aufzwingen, auch nicht die Großaktionäre, die „große Familien“ repräsentieren mögen. Wagenknecht hebt selbst hervor, dass es diesen Familien „nur noch darum [geht], Geld zu machen“, in ihren Unternehmen und auch sonst; dass sie „sich am Kapitalmarkt [orientieren]“ (S. 308 f.). Sie unterscheiden sich also nicht von anderen Aktionären; sie wollen nichts Bestimmtes, sondern nur das Allgemeine der Kapitallogik – den unendlichen Gewinn -, das es vor ihnen gab und ohne sie gäbe. Wenn „die Macht, der ganzen Gesellschaft die eigenen Interessen aufzuzwingen“, diesen Familien nur deshalb zugeschrieben werden kann, weil sie, aufgrund ihres großen Vermögens,  d a s  K a p i t a l  repräsentieren, dann ist eine solche Zuschreibung so banal wie letztlich verkehrt. Banal, weil wir nichts Neues lernen, wenn wir hören, die Gesellschaft werde vom Kapital beherrscht. Verkehrt, weil das Kapital genauso gut vom Staat wie von diesen Familien repräsentiert wird, so dass die Annahme, der Staat hänge von den Familien ab statt umgekehrt, ganz willkürlich ist.

Ich habe es in früheren Notizen erörtert: „Das Kapital“ als Strategie der unendlichen Mehrwertgewinnung ist kein allein ökonomisches Phänomen, sondern ebenso ein politisches und zudem ein naturwissenschaftliches. Auf dieser Einsicht, die man bei Marx mit Mühe zwar, aber deutlich genug herausliest, basiert der Ansatz des marxistischen Soziologen Nicos Poulantzas. Poulantzas zeigt, dass es keine kapitalistische Macht gäbe, näher keinen kapitalistischen „Machtblock“, da stets mehrere Kapitalfraktionen beteiligt sind und geeint sein müssen, schaffte der Staat für diese Einung nicht Raum. Der Staat ist zwar selbst nur die „Verdichtung“ gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Auch er ist nur ein Durchgangselement in einem Kreislauf. Aber von ihm hängt es nun einmal ab, ob die Kapitalfraktionen geeint werden, ob daher „das“ Kapital eine kohärente Logik entfalten und so die Gesellschaft beherrschen kann. Das heißt nicht, es sei letztlich nicht das Kapital, sondern der Staat, der die Gesellschaft beherrscht. Denn was sollte der Staat, der die Kapitalfraktionen eint, anderes sein als ein selber schon kapitalistischer Staat. Die Kräfte, die sich in ihm „verdichten“, entstammen alle dem kapitalistischen Boden, sie  s i n d  kapitalistisch. Aber auch dass kapitalistische Kräfte den kapitalistischen Machtblock einen, versteht sich nicht von selbst.

Es kann ja sein, dass eine von ihnen sich gegen den Boden wendet, dem sie entstammt, und  a n t i kapitalistisch wird. Wenn das nicht wahr wäre, wären niemals sozialdemokratische und später kommunistische Parteien entstanden. Es ist auch denkbar, dass ökologische Parteien auf Grund von Erfahrung antikapitalistisch werden. Dasselbe ist letztlich überall denkbar, weil alle Parteien, die es gibt, solche von beherrschten Klassen sind, von Arbeitern oder „Kleinbürgern“, deren Interessen sie gegen die Kapitallogik eigentlich aufbringen müsste. Faktisch jedoch sind sie Anhänger dieser Logik, die sie nicht durchschauen, und richten deshalb den kapitalistischen „Machtblock“ ein.

Die Behauptung, die „großen Familien“ beherrschten den Staat und darüber vermittelt die Gesellschaft, ist also verkehrt. Nein, der Staat ist ohne sie kapitalistisch und beherrscht umgekehrt sie. Das Funktionieren des kapitalistischen Kreislaufs hängt tausendmal mehr vom Staat ab als von diesen Familien. Die Empfehlung, Familienunternehmen zu verstaatlichen, führt daher nur tiefer ins Problem hinein statt aus ihm heraus. Wenn ich das sage, verkenne ich nicht, dass man diesen Familien das Handwerk legen sollte. Mit den großen Kapitalsummen, über die sie verfügen, sind sie natürlich ein Akteur der Finanzmärkte und mitverantwortlich für deren Krisen und Verwerfungen, etwa die Spekulation auf Grund und Boden, durch welche die Nahrungsmittel verteuert werden. Aber das ist ein anderes Thema, denn an solchen Praktiken würde das Verstaatlichen von Familienunternehmen und -aktien nichts ändern. Ich verkenne auch nicht, dass solche Familien einen  e i n z e l n e n  Staat unter Umständen beherrschen können, weil sie weltweit operieren. „Den“ Staat jedoch, der ebenfalls weltweit operiert, „das Empire“, um mit Michael Hardt und Toni Negri zu sprechen, beherrschen sie nicht. Der könnte umgekehrt sie beherrschen, das heißt ausschalten. Dass er es nicht tut, ist kein Gegenbeweis, und es ist noch nicht aller Tage Abend. Zu behaupten, die Kräfte des „Empire“ könnten nicht antikapitalistisch werden, wäre schlechte Metaphysik.

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Es geht darum, kapitalistische Großunternehmen, seien es Familienunternehmen oder Aktiengesellschaften, in etwas umzuwandeln, das nicht mehr kapitalistisch ist. Nach allem, was erörtert wurde, kann das nicht heißen, es ginge um ihre Verstaatlichung. Denn das, wohinein sie umgewandelt werden, muss etwas ganz anderes sein als der Staat, den wir kennen. Es geht daher darum,  d i e s e n  S t a a t umzuwandeln, der heute der große Organisator des Kapitals ist – dahin umzuwandeln, dass er aufhört, kapitalistisch zu sein. Vielleicht sollte er, falls es gelingt, gar nicht mehr „Staat“ heißen, aber das ist nur eine terminologische Frage. Als politisches Gemeinwesen wird sich jedenfalls auch die Andere Gesellschaft organisieren. Wie immer wir es nennen, entscheidend ist, dass wir heute nur den kapitalistischen Staat kennen, der kein Vertrauen verdient. Und wenn man mitdenken soll, der Staat, in den hinein verstaatlicht würde, wäre ja ein Staat der Linkspartei geworden, dann verdient das auch kein Vertrauen. Vertrauen hätten wir nur, wenn wir wüssten, auf welche Weise der Staat bis dahin in ein nicht mehr kapitalistisches politisches Gemeinwesen transformiert worden wäre. Von Wagenknecht wie von der Linkspartei überhaupt hören wir dazu aber nur, dass bei den staatlichen Beratungen auf allen Ebenen, Bund, Ländern und Kommunen, die gesellschaftlichen Organisationen beteiligt sein sollen. Und das ist zu wenig. Es würde am Status quo kaum etwas ändern.

Den Staat umwandeln, was kann das heißen? Der Kampf der Umwandlung und seine Methodik sind hier nicht mein Thema, sondern nur sein Ergebnis und Erfolg. Der Erfolg kann doch nur darin liegen, dass aus dem Staat oder politischen Gemeinwesen die volle Demokratie geworden ist. Dass also  d a s  W a h l r e c h t  ausgeweitet ist: auf alles, was die Gesellschaft wählen können muss, weil es sie im Ganzen betrifft. Es gibt heute Parlamentswahlen, es muss auch ökonomische Wahlen geben, die über die Grundlinien der ökonomischen und auch sozialen Entwicklung entscheiden. Ich will Wagenknechts Fettdruck-Schlüsselsatz noch einmal zitieren: „Politische Macht ist heute nicht mehr unmittelbar erblich, wirtschaftliche Macht dagegen ist es, und mit ihr vererbt sich auch die Macht, der ganzen Gesellschaft die eigenen Interessen aufzuzwingen.“ Nein, wir sagen erhellender:  P o l i t i s c h e  M a c h t  i s t  h e u t e  w ä h l b a r ,  w i r t s c h a f t l i c h e  M a c h t  d a g e g e n  i s t  e s  n i c h t . In Wagenknechts Zukunftsvision gibt es Staatsunternehmen und die Sikschen „Mitarbeitergesellschaften“, in deren Stiftungsrat der Staat eine Sperrminorität hat. In meiner Vision hängen diese Gesellschaften nicht von einem Staat ab, auch wenn ich ihn mir noch so links ausmale, sondern vom Ergebnis ökonomischer Wahlen.

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In der Linkspartei selber gibt es Kräfte, denen der Programmentwurf zu viel Staat enthält, so das Forum Demokratischer Sozialismus. Ich möchte dazu einen Artikel des Berliner Landesvorsitzenden Lederer zitieren. Das Neue Deutschland, wo der Text am 5. 7. 2010 erschienen ist, fasst ihn so zusammen: „Klaus Lederer […] diskutiert das Thema: Basiert die Demokratiefrage auf der Eigentumsfrage oder umgekehrt?“ Lederer stellt die Frage genauso, wie es hier geschehen ist. Basiert die  S t a a t s frage auf der Eigentumsfrage oder umgekehrt? Wir reden ja vom Staat, wenn wir von der Demokratie reden, und wir reden hoffentlich immer von der Demokratie, wenn wir vom Staat reden.

Lederer schreibt:

„Offen bleibt, was sich das Publikum unter einer ‚demokratischen Vergesellschaftung‘ vorzustellen hat. Die Anknüpfungspunkte im Entwurf sind vage. Sie deuten aber darauf hin, dass nicht so sehr ‚der Kapitalismus‘ […] als das entscheidende Problem angesehen wird, sondern die juristische Form des Eigentums, die Inhaberschaft an den Unternehmen. […] Die Entgegensetzung von privatem und kollektivem Eigentum, die im Entwurf überall durchschimmert, führt […] nicht weiter. Anstelle des – vom Gesellschaftlichen abgesonderten – Privateigentums an Produktionsmitteln wird das Publikum nur auf andere, aber ebenfalls vom Gesellschaftlichen ‚abgesonderte‘ Eigentumsformen verwiesen. Der Entwurf spricht von ‚vergesellschafteten‘, ‚unter öffentlicher Kontrolle stehenden‘ Bereichen, meint aber damit im wesentlichen staatliche Eigentumsformen […]. Der Entwurf behauptet, dass damit die Dominanz des kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisses gebrochen werden könne. Er lässt aber völlig offen, warum und wie eine solche ‚Vergesellschaftung‘ […] zur Überwindung des Systems Kapitalismus […] beitragen kann.“

„Es ist kein Wunder, dass – nach dem Scheitern des Staatssozialismus – die Frage aufgeworfen wird, welche Ökonomie hier entstehen soll. Eine Ökonomie der VEBs? Wird nun darauf verwiesen, dass das alles selbstverständlich mit ‚demokratischer Kontrolle‘ verbunden sein werde, so ist das nicht trivial. Der moderne bürgerliche Staat ist nicht die Verkörperung des Gemeinwohls, sondern tragender, nur relativ abgesonderter Teil des Kapitalverhältnisses. Und wie schnell der Anspruch ‚gesellschaftlicher Kontrolle‘ in den Mühlen der Interessen und Machtverhältnisse zerrieben ist, zeigt nicht nur die gescheiterte DDR.“

„Eigentümer ist, wer über etwas verfügen kann“, schreibt Lederer am Ende. „Vergesellschaftet ist folglich, was in allgemeiner Verfügung liegt. Hier liegt das Kampffeld, in dem in Suchbewegungen die Verfügung aller über das Eigentum erlangt, die ökonomische Zwangsherrschaft überwunden werden kann.“

Ich sehe zwar nicht, was da groß zu suchen sein soll. Wenn man „allgemeine Verfügung“ will, was will man anderes als allgemeine Wahlen? Warum spricht Lederer das nicht aus? Warum sagt er stattdessen nur: „Die heutige Demokratie ist Voraussetzung und Schlüssel zur Lösung der Eigentumsfrage.“? Wohl jene Demokratie, die den Berliner rot-roten Senat möglich macht? Aber wie auch immer, die kritischen Gedanken, die er vorher ausgesprochen hat, sind unbedingt richtig und bringen die Grenzen nicht nur des Programmentwurfs, sondern auch des neuen Buchs von Sahra Wagenknecht auf den Punkt. –

Entgegen meiner Ankündigung am Ende der vorigen Notiz will ich das laufende Kapitel, dem ich da erst den Titel „Die Freiheit der fungierenden Arbeiter“ gegeben hatte, doch noch um eine weitere, dann aber wirklich letzte (67.) Notiz verlängern: gerade weil ich inzwischen eingesehen habe, dass sich der Titel nicht halten lässt.