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Nach langer Pause, über deren banale Ursache das Tagebuch Auskunft gibt, nehme ich die Blogserie „Die Andere Gesellschaft“ wieder auf. Ich habe mich gefragt, ob hier erst einmal erinnert werden sollte, was bisher oder wenigstens was zuletzt erörtert wurde. Doch ein Zwischenresümee gerade an dieser Stelle ist unnötig und würde nur aufhalten.
Hier beginnt nämlich das Kapitel mit dem Titel „Umbau des Geldes“. Dieses Thema kann aus seiner eigenen Logik behandelt werden. Es mag sich im ersten Zugriff, und um einen solchen handelt es sich, den Themen einfach hinzufügen, die bisher behandelt wurden: dem Grundeinkommen, der neuen Unternehmensverfassung, der neuen Warenästhetik und dem Umbau der „Marktmaschine“ (wo Geldfragen immer impliziert sind, aber nur am Rand in die Erörterung eingingen). Natürlich greife ich, wenn es sich anbietet, auf diese Themen in der Behandlung des neuen Themas zurück. Und nicht nur auf sie, sondern auch auf die weiter zurückliegende kritische Erörterung des Marxschen Geldbegriffs. Mit all dem soll aber nicht ein weiteres Mal der Anfang gemacht werden. Ein Zwischenresümee muss sein – ein ausführliches, das die ganze Blogserie zusammenfasst -, es steht aber besser zwischen dem Geldkapitel, wenn es abgeschlossen ist, und dem letzten Kapitel über die ökonomischen Wahlen.
Umbau des Geldes: Dass es sich um einen ersten Zugriff handelt, überlese man bitte nicht. Ich betrete Neuland und äußere Gedanken, die ich bis vor kurzem selbst nicht gedacht, geschweige denn irgendwo öffentlich niedergeschrieben hätte. Mir ist klar, dass keine optimal gegliederte und allerdeutlichste Darstellung dabei herauskommen kann. Hinreichend gegliedert und deutlich, denke ich, kann aber auch eine tastende Darstellung sein. Tastende Schritte, die dennoch konsequent sind: dass sie gelingen, hoffe ich deshalb, weil ich mich ohnehin nur im Umkreis von Denkansätzen bewegen kann, die in der Blogserie längst präsent sind. Diese Ansätze sollen sich nun bewähren. Ich erwarte, dass ihre Strukturiertheit auch im spontanen Denken durchschlägt und für dessen hinreichende Konsequenz sorgt.
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Das Gesamtthema der Blogserie ist der Versuch, eine Gesellschaft denkbar zu machen, die nicht mehr kapitalistisch ist, an der Ware-Geld-Beziehung jedoch festhält. Dies impliziert die These, dass Ware und Geld nicht per se schon kapitalistisch sind oder von da an, wo sie es wurden, immer bleiben müssen. Was Geld angeht, habe ich in den Kapiteln über Marx‘ Geldbegriff schon gezeigt, dass Geld keine Wirtschaft, deren oberstes Ziel die unendliche Geldvermehrung ist, keine kapitalistische also, von sich aus herbeiführen kann. Hier will ich radikaler ansetzen und zeigen, dass Geld auch für sich genommen ein unproblematischer Sachverhalt ist. Es sind historische Umstände, die den bisherigen „Fetischcharakter des Geldes“ bedingt haben. Andere historische Umstände können ihm ein Ende bereiten. Umbau des Geldes wird daher heißen, es auf das Unproblematische, ja unbedingt Richtige zurückführen, das immer in ihm war, aber noch nie zu sich selbst befreit wurde. Das Geld der Anderen Gesellschaft wird in diesem Sinn unproblematisch und richtig sein.
Was verstehen wir unter Geld? Man wusste schon immer, dass es nur aus seiner Beziehung zur Ware verstanden werden kann. Die überlieferten Auskünfte jedoch, wie dass es das „Mittel“ sei, Tauschmittel, Zahlungsmittel, Aufbewahrungsmittel, mit dem man die Warenwelt bewältigt, und dies in seiner Eigenschaft als „allgemeine Ware“, wie Marx sagt – besondere Ware, die alle Waren repräsentiert -, können uns nicht befriedigen. Wir finden wohl überhaupt keine Geldtheorie, die Geld nicht als Warenwirklichkeit unter Warenwirklichkeiten ansieht, mit der Eigenart, dass sie ausgesondert sei. Das Paradox ist fertig, so schnell: eine b e s o n d e r e Ware als a l l g e m e i n e Ware. Und ist es nicht wirklich so, dass man die Geldware gegen jede andere austauschen kann und sie dadurch ihre Reichweite ins „Allgemeine“ erweist? Man kann es so sagen, ja. Nur ist das eben die Formulierung, die das Paradox heraufbeschwört, und man meint dann, die Sache sei schuld, obwohl es nur an der Formulierung liegt.
Wirklichkeit unter Wirklichkeiten, das ist der springende Punkt. Manche suchen dann nach dem Körper, an dem die Geldeigenschaft haftet, fragen, wie er, um die Geldfunktionen erfüllen zu können, beschaffen sein muss, und finden etwa das Gold. Andere sagen, das Geld sei nur ein Zeichen. So falsch das ist, macht es wenigstens nachvollziehbar, wie eine Wirklichkeit von anderen Wirklichkeiten, die im Verhältnis zu ihm eine homogene Menge bilden, wirklich abgesondert sein kann. Denn dass ein Zeichen etwas anderes als das Bezeichnete ist, versteht man und lässt sich davon, dass es trotzdem nur ein Ding unter Dingen ist, nicht beirren. Aber das Geld ist nur nebenbei ein Zeichen. Was es bezeichnet, sind nicht schon gleich die anderen Waren, sondern ist etwas an ihm selber, das für sich genommen unsichtbar ist.
Wir haben es mit einem Zeichen von der Art einer dargestellten Person zu tun, die an ein von ihr verschiedenes, anders aber nicht darstellbares Abstractum erinnert, wie Iustitia mit Schwert und verbundenen Augen. Wir haben es n i c h t zu tun mit einem Zeichen von der Art eines Wegweisers, der, sagen wir, als Holzbrett auf einen Wald verweist. Was sich als Geld besichtigen lässt, ist nicht schon das Geld. Das bezeichnete Unsichtbare gehört auch dazu und ist die wichtigere Seite. Geld ist aber auch nicht bezeichnete Abstraktion von der Art aller anderen Abstraktionen. Denn nur e i n e Abstraktion gibt es, die so besonders ist, so abgesondert, oder besser gesagt so e i g e n s i n n i g , dass dem Begriff des Geldes in seinem Verhältnis zu allen anderen Waren Genüge getan wird: die M ö g l i c h k e i t .
Auch Möglichkeit wiederum nicht im „Allgemeinen“, sondern ö k o n o m i s c h e . Das ist: Möglichkeit zu k o n s u m i e r e n – eine andere Ware im Tausch zu erhalten, die man aus „allen“ wählt (nicht „die man gegen alle tauschen kann“!) -, daher aber, weil das die Voraussetzung ist, Möglichkeit, A r b e i t in Bewegung zu setzen. Wohlgemerkt: Geld r e p r ä s e n t i e r t Arbeit nicht (nur), sondern e r m ö g l i c h t sie. Das heißt nicht, dass A r b e i t nur möglich ist, wo Geld im Spiel ist, wohl aber umgekehrt, dass G e l d , denn von ihm reden wir jetzt, nur dann etwas bewirkt, wenn es Arbeit in Bewegung setzen oder von dem auswählen kann, was erarbeitet wurde.
Dass Möglichkeit sich von aller sonstigen Wirklichkeit unterscheidet, ist deshalb klar, weil sie selbst gar nicht wirklich, sondern eben „nur“ das Mögliche ist. Wir sollten hier erst einmal festhalten: Geld wird sonst nie als Möglichkeit angesprochen, weder von Marxisten noch von Nichtmarxisten. Das ist auch kein Wunder in einer zwangshaften Produktionsweise, wie es die kapitalistische ist. Wie soll man darauf kommen, dass Geld Möglichkeit ist, wenn „There Is No Alternative“? Dass es Konsumräusche ermögliche, wird zwar sehr betont. Aber wie begrenzt ist diese Möglichkeit im Vergleich mit dem, was überhaupt ökonomisch möglich wäre. Denn ob ich schwarze oder rote Socken eintausche, kann ich zwar wählen, nicht aber, ob ich in einer Autogesellschaft oder in einer Gesellschaft des Öffentlichen Nah- und Fernverkehrs leben will. Das haben welche entschieden, die den Zwängen der Geldakkumulation unterworfen sind, deren Entscheidung also nicht so frei war wie meine am Sockengrabbeltisch.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der nicht viel möglich ist. Die einen müssen sich immer komplexere Produktpaletten ausdenken, um überhaupt noch Profit zu erlangen. Die Mehrzahl, zweitens, muss von den so generierten Produkten welche wählen, obwohl sie vielleicht andere Paletten, die es nicht gibt, die man ihr nicht anbietet, vorziehen würde. Bei den Dritten, die mit Geld spekulieren, tendiert der Möglichkeitsraum so sehr gegen Null, dass man das Spekulieren am besten den Maschinen überlässt und es auch schon getan hat. (Wie „das Denken den Pferden, weil sie den größeren Kopf haben“.) Im Kontrast dazu wird aber behauptet, mit Geld könne i n s U n e n d l i c h e gegriffen werden. Das stimmt offenbar nicht.
Ökonomische Möglichkeiten, die weniger eng begrenzt wären als im Kapitalismus, sind denkbar und sollen hier diskutiert werden. Nicht denkbar sind grenzenlose Möglichkeiten. Es ist ein schon von Marx festgestelltes Paradox des Kapitals, dass es tatsächlich ins Grenzenlose strebt und dabei einer engen Grenzlogik unterworfen ist. Entsprechend bezeichnet kapitalistisches Geld beides und i s t beides, unendliches Streben wie enge Begrenztheit. Theoretiker, die ihm Unendlichkeit zuschreiben, irren doppelt: einmal, weil im Geld nicht Unendlichkeit, sondern nur das Streben danach bezeichnet ist, und zum andern, weil das nur die eine Tendenz des Geldes ist, die von der anderen wieder zurückgenommen wird.
Wenn wir diese kritische Beobachtung ins Positive wenden, haben wir das Geld „an sich“, an dem nichts falsch, nichts problematisch wäre. Erstens, in diesem Geld ist das ökonomisch Mögliche bezeichnet. Da aber jede Möglichkeit, auch jede Summe von Möglichkeiten b e g r e n z t i s t – zu jedem Zeitpunkt und auch in jeder Periode -, bezeichnet das Geld genau genommen d i e G r e n z e n des ökonomisch Möglichen. Zweitens, was ökonomisch möglich ist und was nicht, entscheidet sich gesellschaftlich. Gesellschaftlich ist auch das Geld, als eine öffentliche Einrichtung. Dann aber werden vom Geld die begrenzten ökonomischen Möglichkeiten d e r G e s e l l s c h a f t statt bloß des privaten Geldeigentümers bezeichnet. Und drittens, da Konsumieren Arbeiten voraussetzt, bezeichnet Geld erst sekundär die Möglichkeit, zwischen Waren zu wählen, es bezeichnet primär die begrenzte gesellschaftliche Möglichkeit, A r b e i t in Bewegung zu setzen.
Dieses Geld der Anderen Gesellschaft hat offenbar keinen „Fetischcharakter“. Es ist freilich die Frage zu beantworten, wie so ein Möglichkeitsmedium Geld seinerseits möglich sein kann. Aber das ist ein Schritt vorwärts: zu wissen, welche Frage sich stellt, wenn es darum geht, ein anderes Geld zu generieren. Im Ganzen ist das die Frage, wie dafür gesorgt werden kann, dass das Geldzeichen die Grenzen der Möglichkeit der Gesellschaft bezeichnet, Arbeit in Bewegung zu setzen und zwischen dem, was erarbeitet wurde, zu wählen.
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Wenn ich schrieb: „Geld wird sonst nie als Möglichkeit angesprochen“, muss diese Behauptung jetzt eingeschränkt werden. Sie hat Geltung für die ökonomische Theorie. In der Soziologie wird das Möglichkeitsmedium manchmal als solches begriffen. Besonders auf Georg Simmel (Philosophie des Geldes, 1900) und noch mehr auf Christoph Deutschmann möchte ich verweisen. „Das Gegenüber des Geldes“, schreibt Deutschmann, „ist nicht eine wie immer geartete Güter’menge‘, sondern die Gesamtheit des in der gegebenen Situation Hergestellten und Herstellungs m ö g l i c h e n . Der Wert des Geldes – dies hatte Simmel sehr viel präziser gesehen – liegt gar nicht in seiner Verweisung auf die Materialität der Güter und deren relative ‚Knappheit‘. Er gründet sich vielmehr auf die Freiheit des Wählenkönnens selbst“. (Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus, Frankfurt/Main New York 1999, S. 73)
Von diesem Ansatz unterscheidet sich meiner nur dadurch, dass er nicht vom Geld her, wie es mir begegnet, nach dem Herstellungsmöglichen und frei Wählbaren fragt, sondern umgekehrt vom Herstellungsmöglichen und frei Wählbaren her nach demjenigen Geld, von dem genau nur das Wählbare, nichts weiter, gespiegelt und angezeigt würde. Da Deutschmann wie vor ihm Simmel vom Geld her fragt, wie es begegnet, kommt er etwa zu der Aussage: „Man muss wählen können, wählen kann aber nur, wer über Geld verfügt“ (S. 26), die zwar richtig ist, in der aber ausgeblendet bleibt, dass Geld nicht primär an Privatpersonen hängt. Auch im Kapitalismus tut es das nicht. Auch dort ist es die Geldmenge der ganzen Gesellschaft, von der das Wählbare angezeigt wird. Erst auf dieser Grundlage verfügt das einzelne „Wer“ über Geld. Nur wird das Wählbare im Kapitalismus f a l s c h angezeigt, weil die Geldmenge von privater Seite beliebig ausgedehnt werden kann – von Geschäftsbanken, die gar nicht wissen können, was wählbar ist und was nicht, ja die oft keinen Grund haben, sich für die Frage zu interessieren.
Eine weitere Folge des Ausgehens vom Geld, wie es begegnet, liegt darin, dass Simmel und Deutschmann Geld „an sich“ mit d e m j e n i g e n Geld identifizieren, „in dem sich der innere Widerspruch des Geldes“ – es müsste heißen „dieses Geldes“, des kapitalistischen nämlich – „zwischen qualitativer Unendlichkeit und quantitativer Endlichkeit ausarbeitet“ (S. 90).
In der eigentlichen ökonomischen Theorie ist zwar vom Rational Choice die Rede, der Begriff will aber nicht sagen, dass zwischen Möglichkeiten gewählt werden kann, sondern dass es eine optimale „Wahl“ gibt, die getroffen werden muss. Diese „Wahl“ ist so wenig eine, die den Namen verdient, als wenn man suchend mehrmals gegen die Wände eines Zimmers rennt, bis man die einzige Tür findet. Zum Wählen gehört zwar die suchende und mehrmalige Bewegung. Das heißt aber nicht umgekehrt, dass jede suchende und mehrmalige Bewegung zum Wählen gehört.
Dass namentlich in der Geldtheorie meistens keine Möglichkeitsdimension des Geldes entdeckt wird, hat vor allem Hans Christoph Binswanger und vor ihm John Maynard Keynes hervorgehoben. Ihnen selbst entgleitet diese Dimension aber auch wieder, da sie eher betonen, dass der homo oeconomicus g e z w u n g e n ist, Möglichkeiten zu halten. Zum Beispiel die Möglichkeit, erst später zu investieren, dann, wenn mehr Profit in Aussicht steht. So Keynes, der deshalb die „Liquidität“ des Geldes herausstreicht. „Liquidität“, also Flüssigkeit, ist ein Begriff, der das Mögliche (die Möglichkeit, jetzt oder später zu investieren) mit einem aus der Wirklichkeit gegriffenen Bild benennt. Bewaffnet mit diesem Bild, kann ich im „Liquiden“, das ich mit mir herumtrage, doch nur wieder die Geldkörperlichkeit erkennen.
Das Thema von Keynes und Binswanger ist denn auch gar nicht die ökonomische Möglichkeit, sondern eine von der klassischen und neoklassischen Theorie übersehene Tatsache: der ökonomische Eigensinn der Zeit. Geld ist daher für sie nicht so sehr Möglichkeits- wie Zukunftsmedium. So schreibt Binswanger über „die zeitliche Strukturierung des Marktprozesses“, ihre „wichtigste Konsequenz“ sei, „dass man das Geld in der Hand haben muss, b e v o r man etwas kaufen kann, sei es, dass man es durch Verkauf von Gütern erworben hat, sei es, dass man es durch Kredit erhalten hat“ (Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses, Marburg 3. Aufl. 2009 [erschienen 2006], S. 57). Es geht hier weniger ums Kaufenkönnen als um den Zwang des Geldhabenmüssens.
Trotzdem sind es natürlich die Genannten, von deren ersten Schritten ich lernen konnte, dass Geld die ermöglichende Ware ist. Sie haben es gesehen, wenn auch zu eng. Für uns steht jetzt Vieles noch aus. Die nächste Frage wird sein, ob wenn Geld „an sich“ nicht problematisch sein muss, es doch immer problematisch ist, wenn es als Ware funktioniert. Ich habe bisher nur von seinem Ermöglichen gesprochen. Doch es ermöglicht als Ware. Was ist davon zu halten?